LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.11.2021 – L 18 R 856/20

Januar 23, 2022

LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.11.2021 – L 18 R 856/20

Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 29.07.2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand
Der Kläger begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Der am 00.00.1995 geborene Kläger ist seit dem 02.11.2012 in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt, deren Träger die Arbeiterwohlfahrt (AWO) ist.

Am 15.03.2018 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung führte er aus, dass er schwer erkrankt und nicht krankenversichert sei.

Mit Bescheid vom 28.03.2018 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab. Der Kläger erfülle die wartezeitrechtlichen Voraussetzungen für diese Rente nicht. Er sei seit dem 31.10.2012 dauerhaft voll erwerbsgemindert. Sein Versicherungskonto enthalte bis zu diesem Zeitpunkt jedoch keinen Wartezeitmonat. Da er bereits voll erwerbsgemindert gewesen sei, bevor er die allgemeine Wartezeit von 60 Monaten erfüllt habe, müsse er für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung eine Wartezeit von 240 Monaten zurücklegen. Sein Versicherungskonto enthalte bis zum 28.03.2018 statt der erforderlichen 240 jedoch nur 62 Wartezeitmonate.

Den hiergegen (ohne Begründung) eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2018 als unbegründet zurück.

Dagegen hat der Kläger am 23.07.2018 „Widerspruch“ bei der Beklagten eingelegt, den die Beklagte als Klage an das Sozialgericht (SG) Dortmund (Eingang beim SG am 06.08.2018) weitergeleitet hat. Zur Begründung der Klage hat der Kläger ausgeführt, ihm läge ein Schreiben der Beklagten vor, in dem ihm bestätigt worden sei, die Wartezeit erfüllt zu haben. Er sei dauerhaft, also auch seit Eintritt in die deutsche Rentenversicherung zum 02.11.2012, aufgrund eines Gendefektes und eines dadurch verursachten Herz- und Nierenleidens voll erwerbsgemindert. In der ablehnenden Entscheidung der Beklagten sei eine Benachteiligung aufgrund seiner Behinderung zu sehen. Vor Eintritt der Erwerbsminderung habe er keine Pflichtbeiträge geleistet. Ausnahmetatbestände kämen nicht in Betracht, sodass er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation nicht die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente erfülle. Die Wartezeit von 20 Jahren könne er nicht erfüllen, da er aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen keine 20 Beitragsjahre tätig sein könne, sodass ihm das Recht auf Rente wegen voller Erwerbsminderung genommen werde. Darüber hinaus sei er wirtschaftlich nicht in der Lage, freiwillige Rentenversicherungsbeiträge zu zahlen. Diese Benachteiligung stelle einen Verstoß gegen das Grundgesetz, insbesondere gegen Art. 3 Grundgesetz (GG), dar. Er sei lediglich aufgrund seines Gesundheitszustands nicht in der Lage, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anzunehmen.

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 28.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.07.2018 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angefochtene Verwaltungsentscheidung für rechtmäßig gehalten und darauf hingewiesen, dass ein anderer Leistungsfall der Erwerbsminderung als die Aufnahme einer Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte am 02.11.2012 nicht anzunehmen sei.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG Dortmund die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29.07.2020 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung. Er sei zwar aufgrund der bei ihm bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen in Folge des genetisch bedingten schweren Herz- und Nierenleidens nicht mehr in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein und somit voll erwerbsgemindert im Sinne der genannten gesetzlichen Bestimmungen. Jedoch habe der Kläger die für den Rentenanspruch erforderliche allgemeine Wartezeit vor Eintritt der Erwerbsminderung nicht erfüllt.

Aufgrund der zutreffenden und vom Kläger nicht bestrittenen Feststellungen der Beklagten sei der Kläger bereits seit dem 02.11.2012 voll erwerbsgemindert. Zu diesem Zeitpunkt habe er die Wartezeit von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung nicht erfüllt. Die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes nach § 43 Abs. 6, § 50 Abs. 2 SGB VI lägen nicht vor. Hiernach habe Anspruch auf Erwerbsminderungsrente, wer bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert gewesen sei und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sei, wenn eine Wartezeit von 20 Jahren erfüllt sei. Das Versicherungskonto des Klägers bis zum 28.03.2018 weise erst 62 statt der erforderlichen 240 Wartezeitmonate auf. Die zur Anwendung gekommene Regelung sei nicht verfassungswidrig.

Gegen den vom SG am 03.08.2020 abgesandten und dem Kläger am 06.08.2020 mit Postzustellungsurkunde (PZU) zugestellten Gerichtsbescheid hat der Bevollmächtigte des Klägers am 23.09.2020 „Widerspruch“ beim SG eingelegt. Als Eingang des Schreibens vom 03.08.2020 hat er das mit einem Fragezeichen versehene Datum vom 25.08.2020 angegeben. Die Wartezeit von 60 Monaten sei erfüllt. Die Beiträge aus der Tätigkeit bei der AWO seien als Pflichtbeiträge zu bewerten, eine Wartezeit von 20 Jahren sei unzulässig und grundrechtswidrig. Insbesondere das Verlangen, vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit Pflichtbeiträge zu leisten, sei unmöglich, wenn die Erwerbsunfähigkeit von Geburt an vorläge. Zur etwaigen Einhaltung der Berufungsfrist führt er (durch den Bevollmächtigten) ergänzend aus, die PZU habe sich erst am 12.09.2020 in seinem Briefkasten befunden. Was auch immer mit der PZU passiert sei, er habe sie erst am 12.09.2020 erhalten und auch dann erst Kenntnis erhalten. Sie hätten bereits Post von Menschen mit anderen Namen, z.B. aus Duisburg oder aus ihrer Umgebung, und auch mal Post mit seinem Nachnamen aus ganz anderen Straßen oder Stadtteilen bekommen.

Am 02.11.2021 hat der Bevollmächtigte des Klägers mitgeteilt, er habe sich die Zugangsregelungen des Landessozialgerichts angesehen und er sei von der Maskenpflicht befreit. Er werde keine Maske tragen und bitte dafür zu sorgen, dass er ohne Maske Zugang zum Termin zur mündlichen Verhandlung erhalte. Er leide seit Jahrzehnten unter Asthma Stufe 4, habe vor drei Jahren einen Herzinfarkt erlitten und fünf Bypässe. Er leide weiterhin unter einer Herzpumpschwäche, bekomme also ohnehin weniger Luft. Das Tragen der Maske könne eine Asthma-Panik auslösen, was auch schon passiert sei. Daher trage er konsequenterweise keine Maske, um seine Gesundheit nicht zu gefährden.

Der Senat hat den Bevollmächtigten des Klägers darauf hingewiesen, dass ein qualifiziertes Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht vorgelegt werden müsse. Auf Bitten des Senats hat jener mit E-Mail vom 05.11.2021 eine Kopie eines Attestes des Internisten Dr. B vom 02.09.2020 übersandt, das wie folgt lautet: „Aufgrund der Erkrankungen, kann der o.g. Patient die Mund-Nasen-Schutzmaske nicht vertragen.“

Am 08.11.2021 hat der Senat den Bevollmächtigten per E-Mail darauf hingewiesen, dass das vorgelegte Attest nicht geeignet sei, den Einlass in das Gerichtsgebäude ohne medizinische Maske zu gestatten. Erforderlich sei ein aktuelles Attest, das eine Diagnose enthalte und erkennen lasse, welche konkreten Beeinträchtigungen durch das Tragen einer medizinischen Maske hervorgerufen werden.

Der Bevollmächtigte des Klägers ist am Tag der mündlichen Verhandlung wegen der Weigerung, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, nicht in das Gerichtsgebäude eingelassen worden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 29.07.2020 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.07.2018 zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise die Berufung zurückzuweisen.

Es sei von einer rechtswirksamen Bekanntgabe der erstinstanzlichen Entscheidung am 06.08.2020 auszugehen. Für gegenteilige Erkenntnisse lägen keine Beweismittel vor. In der Sache seien die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers für die Beurteilung des vorliegenden Streitgegenstandes nicht mehr von Bedeutung. Es stehe bereits fest, dass der seit dem 02.11.2012 in einer Werkstatt für Behinderte beschäftigte Kläger voll erwerbsgemindert sei. Streitig sei lediglich die Frage der Erfüllung der wartezeitrechtlichen Voraussetzungen. Ein Anspruch könnte sich erst ergeben, wenn die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt sei. Dies sei erkennbar bei Eintritt in die Versicherung am 02.11.2012 nicht der Fall.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorganges der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Gründe
Der Senat kann trotz Ausbleibens des Klägers bzw. seines Bevollmächtigten im Termin zur mündlichen Verhandlung aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung entscheiden. Der Kläger und sein Bevollmächtigter sind auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung (§ 63 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) hingewiesen worden.

Darin, dass der Senat in Abwesenheit des Klägers aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung entscheidet, liegt kein Verstoß gegen den (Verfassungs-)Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG). Die Verweigerung des Zugangs des Bevollmächtigten des Klägers in das Gerichtsgebäude am Tag der mündlichen Verhandlung erfordert keine Vertagung der mündlichen Verhandlung, obwohl der Bevollmächtigte des Klägers dies zur geladenen Terminsstunde telefonisch auf der Geschäftsstelle des Senats beantragt hat. Der Bevollmächtigte des Klägers hat den Grund für sein Fernbleiben vom Termin zur mündlichen Verhandlung selbst zu vertreten. Das Verschulden des Bevollmächtigten wirkt grundsätzlich wie Verschulden des Beteiligten selbst (§ 73 Abs. 6 Satz 7 SGG in Verbindung mit § 85 Abs. 2 ZPO; vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig u.a.: SGG, Kommentar, 13. Auflage 2020, § 73 Rn. 73a).

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs besagt, dass ein Beteiligter eines gerichtlichen Verfahrens Gelegenheit haben muss, sich vor Erlass einer Entscheidung zum Streitstoff zu äußern und gehört zu werden (Keller in: Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., § 62 Rn. 2 m.w.N.). Zunächst hatte der Kläger während des gesamten Verfahrens hinreichend Gelegenheit, zum Prozessstoff Stellung zu nehmen und mit seinen Stellungnahmen gehört zu werden. Von diesem Recht hat sein Bevollmächtigter durch schriftliche Stellungnahmen, auch zur etwaigen Versäumung der Berufungsfrist, Gebrauch gemacht. Streitstoff, zu dem er sich nicht hat äußern können bzw. nicht geäußert hat, ist nicht ersichtlich.

Zum Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs im Klage- bzw. Berufungsverfahren gehört in der Regel weiter, dass den Beteiligten Gelegenheit geboten wird, ihren Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung (selbst oder durch einen Bevollmächtigten) darzulegen. Dem hat der Senat durch Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung und Benachrichtigung des Klägers von diesem Termin Rechnung getragen. Ob der Kläger die ihm durch die Anberaumung eines Termins eröffnete Möglichkeit nutzt und an der mündlichen Verhandlung teilnimmt (oder dazu ggf. einen Bevollmächtigten entsendet), bleibt allein seiner Entscheidung überlassen. Der Senat hält die Teilnahme des Klägers an der mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich. Dementsprechend hatte der Senat zuvor auf Antrag des Bevollmächtigten die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers zu diesem Termin wieder aufgehoben.

Die Verweigerung des Zutritts des Vertreters des Klägers in das Gerichtsgebäude stellt kein Hindernis, die mündliche Verhandlung durchzuführen und den Rechtsstreit zu entscheiden, dar. Der Bevollmächtigte des Klägers hat nicht glaubhaft gemacht, dass er objektiv daran gehindert war, am Termin zur mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Vielmehr ist er nicht bereit gewesen, der generellen Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Gerichtsgebäude nachzukommen. Diese fehlende Bereitschaft und nicht objektive Hindernisse haben dazu geführt, dass der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vertreten war. Einen geeigneten Nachweis dafür, dass der Bevollmächtigte des Klägers aus gesundheitlichen Gründen eine Mund-Nasen-Bedeckung nicht tragen darf, hat dieser im Rahmen der Einlasskontrolle am Terminstag nach Auskunft der Geschäftsleitung nicht erbracht. Das vor dem Termin übersandte und auch zur Einlasskontrolle vorgelegte Attest, datierend vom 02.09.2020, war nicht geeignet, den Einlass in das Gerichtsgebäude ohne medizinische Maske zu gestatten. Erforderlich hierfür ist ein aktuelles Attest, das eine Diagnose erkennen lässt und darüber Auskunft gibt, welche konkreten Beeinträchtigungen durch das Tragen der Maske hervorgerufen werden (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.04.2021 – 13 B 104/21 -, juris). Soweit der Bevollmächtigte des Klägers einwendet, diese Anforderungen seien ihm nicht bekannt gemacht worden, obwohl er rechtzeitig vor dem Termin sowohl das Attest übersandt als auch die bei ihm vorliegenden Diagnosen mitgeteilt habe, dringt er mit diesem Einwand nicht durch. Denn die Voraussetzungen, die an den Nachweis der Notwendigkeit der Befreiung von der Pflicht zum Tragen einer medizinischen Mund-Nasen-Bedeckung innerhalb des Gerichtsgebäudes gestellt werden, sind dem Bevollmächtigen am 08.11.2021 rechtzeitig vor Durchführung des Termins per E-Mail mit dem Hinweis mitgeteilt worden, dass er die Maske nur von der Pforte bis zum Sitzungssaal zu tragen hat, weil die generelle Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske aufgrund der Entscheidungsbefugnis des jeweiligen Vorsitzenden nicht innerhalb des Sitzungssaals gilt. In Beantwortung dieser E-Mail hat der Bevollmächtigte unter Hinweis darauf, keinen Asthmaanfall in Kauf nehmen zu wollen, noch einmal ausgeführt, keine Maske tragen zu können und dies auch nicht zu tun.

Die Berufung ist unzulässig. Der Kläger hat die Berufungsfrist nicht eingehalten. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ihm nicht zu gewähren.

Der Kläger hat (durch seinen Bevollmächtigten) wirksam Berufung eingelegt. Nach § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG kann u.a. bei Verwandten in gerader Linie unterstellt werden, dass sie bevollmächtigt sind. Die Einlegung des Widerspruchs beim SG, mit dem der Kläger sich gegen den Gerichtsbescheid vom 29.07.2020 wendet, ist als Berufung auszulegen.

Der Kläger hat jedoch die einmonatige Berufungsfrist versäumt (§ 151 Abs. 1 SGG). Die Einlegung der Berufung am 23.09.2020 liegt außerhalb der Monatsfrist. Dabei steht der Einhaltung der Berufungsfrist nicht bereits entgegen, dass die Berufung beim SG eingelegt worden ist. Nach § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG ist die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Der mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehene Gerichtsbescheid vom 29.07.2020 ist dem Kläger mit Postzustellungsurkunde am 06.08.2020 wirksam zugestellt worden. Die Zustellung erfolgt gemäß § 63 Abs. 2 SGG von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO). Nach § 176 ZPO kann die Post mit der Zustellung beauftragt werden. In diesem Fall erfolgt die Zustellung nach Maßgabe der §§ 177 bis 181 ZPO (§ 176 Abs. 2 ZPO). Zum Nachweis der Zustellung ist gemäß § 182 Abs. 1 ZPO eine Zustellungsurkunde anzufertigen. Bei der Ersatzzustellung kann, wenn in der Wohnung niemand angetroffen wird und so eine persönliche Übergabe durch den Postbediensteten nicht möglich ist, die Zustellung durch Einlegung in den Briefkasten bewirkt werden (§ 180 ZPO). Dass die Voraussetzungen für eine solche Ersatzzustellung vorgelegen haben, ist durch die Zustellungsurkunde gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2, 418 Abs. 1 ZPO bewiesen. Mit der Einlegung in den Briefkasten gilt das Schriftstück als zugestellt (§ 180 Satz 2 ZPO). Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag das Datum (§ 180 Satz 3 ZPO).

Der Vortrag des Klägers, die Postzustellungsurkunde erst am 12.09.2020 im Briefkasten aufgefunden zu haben, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Postzustellungsurkunde begründet als öffentliche Urkunde den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen, § 418 Abs. 1 ZPO. Der Beweis der Unrichtigkeit dieser Tatsachen, nämlich der Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten des Klägers am 06.08.2020, ist dem Kläger nicht gelungen. Soweit der Kläger vorgetragen hat, bereits Post von Menschen mit anderen Namen, z.B. aus Duisburg oder aus ihrer Umgebung, oder auch Post mit seinem Nachnamen aus ganz anderen Straßen oder Stadtteilen bekommen zu haben, ist dieses Vorbringen zu unsubstantiiert und nicht geeignet, die Beweiskraft der Zustellungsurkunde vom 06.08.2020 zu erschüttern, zumal zuvor eine Ersatzzustellung des Anhörungsschreibens vom 30.04.2020 zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid durch dieselbe Zustellerin ohne Schwierigkeiten erfolgt ist.

Nicht entscheidungserheblich ist, dass der Kläger nach seinem Vorbringen erst am 12.09.2020 den Inhalt des Gerichtsbescheides zur Kenntnis genommen hat. Für die Wirksamkeit der Zustellung kommt es nicht darauf an, ob und wann der Adressat das Schriftstück seinem Briefkasten entnommen und ob er es tatsächlich zur Kenntnis genommen hat (BSG, Beschluss vom 13.11.2008, B 13 R 138/07 B, juris; BFH Beschluss vom 10.11.2003, VII B 366/02, BFH-PR 2004, 113-114).

Mit der Zustellung des Gerichtsbescheides am 06.08.2020 beginnt die Berufungsfrist am 07.08.2020 und endet, da das Fristende (06.09.2020) auf einen Sonntag fällt, gemäß § 64 Abs. 3 SGG mit Ablauf des nächsten Werkstags am 07.09.2020 (Montag).

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist dem Kläger nicht zu gewähren. Die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 und Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es sind weder Wiedereinsetzungsgründe vorgetragen noch ersichtlich.

Ist die Berufung nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt, ist sie als unzulässig zu verwerfen (§ 158 Satz 1 SGG). Bei einer unzulässigen Berufung ist nicht zu prüfen, ob das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29.07.2020 zu Recht aus materiellrechtlichen Gründen abgewiesen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

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