LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.10.2018 – L 9 SO 383/17

August 22, 2021

LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.10.2018 – L 9 SO 383/17

Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 13.07.2017 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer auf § 93 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) gestützten Überleitungsanzeige. Der am 00.00.1949 geborene L Q (Beigeladener) ist der Sohn des am 00.00.1992 verstorbenen Dr. Q. Der Beigeladene lebte bis zum 07.10.2014 aufgrund einer erheblichen Behinderung in stationären Einrichtungen der Evangelischen Stiftung W und erhielt hierfür ab dem 18.09.2001 vom Beklagten Leistungen der Eingliederungshilfe nach den §§ 53 ff SGB XII. Am 07.10.2014 wechselte der Beigeladene in ein Alten- und Pflegeheim, so dass nunmehr der örtliche Sozialhilfeträger (F-Kreis) zuständig ist. Zur Betreuerin des Beigeladenen ist seine Schwester, die Ehefrau des Klägers bestellt.

Der am 00.00.1992 verstorbene Dr. Q hatte in seinem Testament vom 31.10.1991 den Beigeladenen als nicht befreiten Vorerben über zwei Eigentumswohnungen in F, N-Straße 00, eingesetzt und hierüber Testamentsvollstreckung durch den Kläger angeordnet. Das Testament enthält u.a. folgende Regelung:

Ich ordne für meinen Nachlass Testamentsvollstreckung an mit der Maßgabe, dass die Testamentsvollstreckung nur den Erbanteil meines Sohnes L Q erfassen soll. Die Testamentsvollstreckung soll dauern bis zum Tod meines Sohnes L Q. Der Testamentsvollstrecker soll den seiner erwaltung unterliegenden Teil des Nachlasses unbeschränkt verwalten können und in jeder Beziehung alle gesetzlichen Befreiungen genießen.

Der Testamentsvollstrecker soll nach billigem Ermessen dafür sorgen, dass unser Sohn L Q sowohl der Ertrag als auch die Substanz seines Vermögens für seine ganz persönlichen Bedürfnisse zugute kommen. Der Testamentsvollstrecker soll insbesondere dafür sorgen, dass für L jederzeit Ferienaufenthalte, Kuraufenthalte, Heimaufenthalte, Verwandtenbesuche und die Erfüllung der sämtlichen übrigen angemessenen persönlichen Bedürfnisse möglich sind.

Nachdem der Beklagte in der Vergangenheit erfolglos versucht hatte, einen Kostenbeitrag aufgrund des ererbten Vermögens einzufordern, führte er 2010 eine Vermögensprüfung durch. Mit Schreiben vom 08.05.2010 teilte die Betreuerin des Beigeladenen mit, dass zwischenzeitlich aus den Erträgen der vermieteten Eigentumswohnungen ein Betrag von 65.000 EUR angespart worden sei, dieser aber vollständig der Testamentsvollstreckung unterliege und bei der Gewährung von Sozialhilfeleistungen nicht berücksichtigt werden dürfe. Daraufhin leitete der Beklagte mit Bescheid vom 17.12.2012 einen möglichen Anspruch des Beigeladenen auf ordnungsgemäße Verwaltung nach § 2216 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gegen den Testamentsvollstrecker vom 01.01.2010 bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf sich über. In dem nach erfolglosem Widerspruchsverfahren geführten Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen (S 12 SO 228/13) hob der Beklagte die Überleitungsanzeige nach einem Hinweis des Gerichts, dass es der Anzeige an inhaltlicher Bestimmtheit fehle, mit Schreiben vom 06.07.2015 auf.

Mit Bescheid vom 29.07.2015 leitete der Beklagte unter Hinweis auf § 93 SGB XII einen (möglichen) Anspruch des Beigeladenen gegen den Testamentsvollstrecker auf eine ordnungsgemäße Verwaltung erneut auf sich über, nunmehr ab dem 01.01.2005 bis zur Höhe der Aufwendungen des Beklagten. Den Inhalt des übergeleiteten Anspruchs umschrieb der Beklagte wie folgt: Der Testamentsvollstrecker sei nach § 2216 BGB zur ordnungsgemäßen Nachlassverwaltung verpflichtet und habe daher für den angemessenen Unterhalt des Erben zu sorgen, soweit dieser aus regelmäßigen Einkünften des Erben getragen werden könne. Sofern der Erblasser aber Anordnungen für die Verwaltung getroffen (§ 2216 Abs. 2 S. 1 BGB) und vorgegeben habe, dass die Erträge aus dem der Verwaltung unterliegenden Erbteil nur für solche Leistungen an den Behinderten verwendet werden sollen, auf die der Sozialhilfeträger keinen Zugriff habe, werde anerkannt, dass für den Sozialhilfeträger keine Möglichkeit bestehe, auf die Früchte zuzugreifen. Für die Nachlassfrüchte, die nach Erfüllung der zusätzlichen „Extra-Unterhaltsleistungen“ laut Testament übrig blieben, gelte das aber nicht. Es sei anerkannt, dass diese auf den Sozialhilfeträger überleitbar seien. Da die Nachlassfrüchte dem Vorerben zustünden, könnten sie dem Vorerben nicht durch eine Verwaltungsanordnung an den Testamentsvollstrecker völlig entzogen werden. Denn andernfalls würden sie nicht mehr dem Vorerben sondern dem Nacherben gebühren. Dies würde jedoch im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung stehen. Der Beigeladene habe aus dem Erbe beispielhaft im Jahr 2010 Mieteinnahmen in Höhe von 17.277,29 EUR gehabt. Die laufenden Kosten seien bisher ohne Nachweis auf ca. 6.859,33 EUR zuzüglich Testamentsvollstreckervergütung jährlich beziffert worden. Da sich auf dem betreffenden Mietkonto mittlerweile ein Guthaben in Höhe von 65.000 EUR (Stand: Mai 2010) angesammelt habe, sei davon auszugehen, dass es sich um Überschüsse handele, die über den bereits an den Beigeladenen ausgezahlten „Extra-Unterhalt“ hinausgingen. Die Gesamtsumme der Leistungen der Eingliederungshilfe bezifferte der Beklagte mit 350.687,12 Euro.

Der Beklagte übe sein Ermessen dahingehend aus, den Nachrang der Sozialhilfe wiederherzustellen. Besondere Umstände, die ausnahmsweise ein Absehen von diesem Grundsatz rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich, insbesondere nicht angesichts der Tatsache, dass der Zweck des vorliegenden Testaments, dem Hilfeempfänger Erträge für die persönlichen Bedürfnisse außerhalb der Sozialhilfe zukommen zu lassen, erfüllt worden sei. Es könne sozialhilferechtlich nicht anerkannt werden, dass darüber hinaus noch ein Vermögen angespart werde, um es den Nacherben zu hinterlassen. Die Überleitung bewirke lediglich einen Gläubigerwechsel und treffe keine rechtsverbindliche Feststellung darüber, ob und in welchem Umfang die übergeleiteten Ansprüche tatsächlich bestünden. Dies unterliege einer gesonderten Feststellung. Hinsichtlich der erbrachten Leistungen enthielt der Bescheid eine exemplarische Berechnung für die Monate Juli 2005 und Januar 2011; eine ausführliche Darstellung der Kosten für den gesamten Zeitraum erfolgte in einer Anlage zum Bescheid.

Gegen den Bescheid erhob der Kläger am 11.08.2015 Widerspruch. Dem Bescheid sei nicht zu entnehmen, weshalb nunmehr rückwirkend ab dem 01.01.2005 Ansprüche übergeleitet würden, nachdem der vorangegangene – zwischenzeitlich aufgehobene – Bescheid vom 17.12.2012 lediglich einen Zeitraum ab 2010 erfasst habe. Der Kläger sei nicht angehört worden. Die Ermessenserwägungen im angefochtenen Bescheid seien formelhaft und nicht ausreichend und fehlten zur Gänze hinsichtlich des Zeitraums der Überleitung. Dem Bescheid sei nicht zu entnehmen, welche Gesichtspunkte seitens der Behörde bei der Ausübung des Ermessens berücksichtigt und wie diese gewichtet worden seien. Auch dieser Bescheid sei nicht hinreichend bestimmt. Es werde zwar ein Höchstbetrag beziffert, der eigentliche Anspruchskern sei jedoch weiterhin nicht nachvollziehbar. Der Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung nach § 2216 BGB sei als Erfüllungsanspruch nicht überleitungsfähig. Was der Beklagte sich unter „Nachlassfrüchten, die nach Erfüllung der Extra-Unterhaltsleistungen übrig bleiben“ vorstelle, bleibe offen. Der Argumentation des Beklagten, es sei sozialhilferechtlich nicht anzuerkennen, dass Vermögen angespart werde, um dieses den Nacherben zu hinterlassen, werde widersprochen. Der Testamentsvollstrecker habe die Pflicht, das Vermögen zu erhalten. Dieser Pflicht komme er mit der Ansparung nach; denn der Betrag gleiche allenfalls den Wertverlust der Immobilien durch Alterung aus. Nach einem Zeitablauf von 23 Jahren nach dem Erbfall bestehe ein nicht geringer Renovierungsaufwand, der nicht durch jährliche Sanierungsmaßnahmen erfüllt werden könne, sondern nur durch größere Sanierungsvorhaben in größeren Zeitabständen. Insbesondere die Vorgaben zu energetischen Sanierung würden künftig nur durch die angesparten Rücklagen zu bewältigen sein.

Mit einem weiteren – inhaltsgleichen – Bescheid vom 29.07.2015 zeigte der Beklagte die Überleitung dem Beigeladenen an. Die Betreuerin erhob fristgerecht Widerspruch und verwies mit Schreiben vom 20.08.2015 zur Begründung auf die Ausführungen des Klägers im parallelen Widerspruchsverfahren. Dieses Widerspruchsverfahren ruht im Hinblick auf das vorliegende Streitverfahren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2016 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Der vom Kläger behauptete Anhörungsmangel treffe nicht zu. Mit Schreiben vom 16.07.2013 sei Gelegenheit zur Anhörung gegeben worden, die der Kläger mit Schreiben vom 20.07.2013 wahrgenommen habe. In materieller Hinsicht verwies der Beklagte auf die Rechtsprechung zum Grundsatz der Negativevidenz. Für die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige sei ausreichend, dass der übergeleitete Anspruch (nur) möglicherweise bestehe. Eine Überleitung sei nicht schon deshalb rechtswidrig, weil der übergeleitete Anspruch nicht bestehe oder etwa nicht fällig sei. Die Beschränkung der inhaltlichen Prüfung trage dem gegliederten Rechtsschutzsystem Rechnung. Denn durch die Überleitung werde der zivilrechtliche Anspruch nicht zu einem öffentlichrechtlichen Anspruch, den die Behörde durch Bescheid geltend machen könne, sondern müsse vor dem Zivilgericht eingeklagt werden. Die rechtliche Prüfung, ob der Anspruch tatsächlich bestehe, müsse zur Vermeidung divergierender Entscheidungen dem Zivilgericht vorbehalten bleiben. Lediglich dann, wenn der übergeleitete Anspruch nach materiellem Recht von vornherein offensichtlich ausgeschlossen, die Überleitung selbst also erkennbar sinnlos sei, könne die Rechtswidrigkeit der Überleitungsanzeige angenommen werden.

Der Beklagte habe die Überleitung nunmehr auf den Zeitraum ab 01.01.2005 erstreckt, um prüfen zu können, ob auch in dem vor 2010 liegenden Zeitraum Überhänge aus den Mieteinnahmen vorgelegen hätten. Der Bestimmtheitsgrundsatz sei gewahrt. Im angefochtenen Bescheid sei dargelegt worden, dass die Leistungen vom 01.01.2005 bis zum 17.02.2014 insgesamt 350.687,12 EUR betragen hätten. Der übergeleitete Anspruch sei grundsätzlich maximal bis zur Höhe dieser Kosten einzusetzen. Ob und in welcher Höhe hier Nachlassfrüchte übrig seien, könne erst beurteilt werden, wenn die entsprechenden Nachweise über die Ein- und Ausgaben in den betreffenden Jahren einschließlich der in diesen Jahren an den Beigeladenen gezahlten Vergünstigungen vorgelegt würden. Erst dann könne auch die Höhe des übergeleiteten Anspruchs genau beziffert und das anhängige Zivilverfahren vor dem Landgericht F (xxx), welches bis zur Bestandskraft des angefochtenen Bescheides ausgesetzt sei, fortgeführt werden. Der Bescheid sei nicht ermessensfehlerhaft. Alle notwendigen Ermessenserwägungen seien eingestellt und entsprechend berücksichtigt worden.

Der Kläger hat am 25.10.2016 Klage bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen erhoben. Er wiederholt und vertieft seinen Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren und hält Ansprüche hinsichtlich des Zeitraums 2005 bis 2010 für verjährt. Unabhängig von der Frage der Verjährung der zivilrechtlichen Ansprüche nach § 199 BGB gelte im Sozialrecht § 45 SGB I. Der Beklagte könne mit der Überleitung daher allenfalls Ansprüche ab dem 01.01.2011 geltend machen. Zwar werde nun ein Höchstbetrag von 350.687,12 EUR angegeben, es gebe aber keinen Anspruch, der übergeleitet werden könne. Der Fall sei ein Beispiel für Negativevidenz, auf die der Beklagte verweise. Er sei als Testamentsvollstrecker den gesetzlichen Vorgaben der §§ 2197 ff BGB unterworfen und insbesondere zur ordnungsgemäßen Nachlassverwaltung verpflichtet. Er habe das ihm anvertraute Vermögen zu sichern und zu erhalten, Verluste zu verhindern und Nutzungen zu gewährleisten. Der Erbe könne den jährlichen Reinertrag nur beanspruchen, wenn dies der Wille des Erblassers gewesen sei oder die Herausgabe den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung entspreche. Bei der testamentarischen Verfügung des Erblassers handele es sich um ein rechtmäßiges Behindertentestament, welches im Rahmen der Vorerbschaft vermachtes Vermögen ausschließlich dem Vorerben und gegebenenfalls den Nacherben zugewendet habe. Ein Zugriff des Sozialhilfeträgers sei damit ausgeschlossen. Darüber hinaus gebe es auch keine überleitbaren Überschüsse. Der erwirtschaftete Überschuss entspreche noch nicht einmal dem Renovierungsaufwand beider Wohnungen zusammen (je Wohneinheit zwischen 30.000 EUR und 40.000 EUR Aufwand), kompensiere letztlich nur die Wertminderung der baulichen Substanz und müsse für den Erhalt dieser Substanz auch wieder verwendet werden.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 29.07.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2016 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Kläger könne sich nicht auf Negativevidenz berufen. Es sei keineswegs offensichtlich, dass der Beigeladene gegen den Testamentsvollstrecker keinen Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung habe. Die Auseinandersetzung um das Bestehen dieses Anspruchs mit allen Fragen einschließlich zum wertmäßigen Inhalt des Anspruchs sei dem Zivilprozess vorbehalten. Dies gelte insbesondere für die Problematik der Verjährung. Die Überleitung werde beschränkt auf den Zeitraum ab dem 01.01.2005, weil das EDV-System eine detaillierte Aufstellung der Forderung erst ab diesem Zeitpunkt aufschlüsseln könne, entsprechend habe der Beklagte auf den davor liegenden Zeitraum verzichtet.

Mit Urteil vom 13.07.2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Überleitung sei rechtmäßig im Sinne von § 93 Abs. 1 SGB XII. Für die Wirksamkeit einer Anspruchsüberleitung nach § 93 SGB XII genüge bereits, dass ein überleitungsfähiger Anspruch überhaupt in Betracht komme, dieser also nicht von vornherein objektiv ausgeschlossen sei. Ob der Anspruch tatsächlich bestehe, sei dann vor dem zuständigen Fachgericht, bei zivilrechtlichen Ansprüchen also vor den ordentlichen Gerichten, zu klären, indem die Behörde den übergeleiteten möglichen Anspruch einklage. Über die Rechtmäßigkeit rechtswegfremder Forderungen habe das Sozialgericht nicht zu befinden. Nur wenn offensichtlich sei, dass das Ziel des Sozialhilfeträgers nicht verwirklicht werden könne, sei der Erlass einer Überleitungsverfügung sinnlos und trotz Vorliegen aller im Gesetz normierten Voraussetzungen als rechtswidrig anzusehen (sog. Negativevidenz). Ein Fall der Negativevidenz liege nicht vor. Es bestehe zumindest die Möglichkeit, dass dem Beigeladenen Ansprüche auf ordnungsgemäße Verwaltung nach § 2216 BGB gegen den Kläger zustehen könnten. Der Erbe könne gegebenenfalls den Testamentsvollstrecker auf Erfüllung seiner Pflicht verklagen. Darüber hinaus bestehe die Möglichkeit, die Vornahme bzw. ein Unterlassen einer Verwaltungsmaßnahme gerichtlich durchzusetzen oder eine Abänderung von Verwaltungsverfügungen des Erblassers beim Gericht zu beantragen. Ein Anspruch auf Auskehr der überschüssigen „Früchte“ des Nachlasses komme daher grundsätzlich in Betracht; ob dieser tatsächlich bestehe, obliege der Entscheidung des Zivilgerichts. Ermessensfehler seien nicht zu erkennen, zumal hier Anhaltspunkte für außergewöhnliche Umstände des Klägers, die ein Absehen von der Überleitung geboten erscheinen ließen, nicht dargetan worden seien.

Gegen das ihm am 11.08.2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.08.2017 Berufung eingelegt. Es bestehe kein Anspruch, den der Beklagte überleiten könne. Als Testamentsvollstrecker sei er verpflichtet, das ihm anvertraute Vermögen zu sichern und zu erhalten, Verluste zu verhindern und Nutzungen zu gewährleisten. Das Ansparen eines wirtschaftlichen Überschusses entspreche diesem Auftrag; denn er müsse den Wertverlust des Nachlasses, der im Wesentlichen aus den zwei Eigentumswohnungen bestehe, die im Jahr 1966 erbaut worden seien und bei denen bei einer Neuvermietung ein erheblicher Renovierungsaufwand anfallen werde, ausgleichen. Soweit der Beklagte trotz Vorliegens eines Behindertentestaments mit besonderen Verwaltungsanordnungen für den Testamentsvollstrecker durch den Erblasser einen Anspruch auf Auskehr von Nachlassfrüchten im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung für möglich halte, sei dies konstruiert und in der Rechtsprechung nicht anerkannt; die Literaturstellen, auf die sich der Beklagte berufe, seien veraltet. Mangels Pflichtverletzung komme auch kein Schadensersatzanspruch gegen den Testamentsvollstrecker in Betracht. Es gebe keinen „möglichen“ Anspruch, der rein objektiv in Betracht komme und daher für eine Überleitungsanzeige ausreiche. Selbst wenn man einen Anspruch für möglich halte, sei dieser (teilweise) verjährt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sei dies bei der Prüfung der Negativevidenz zu berücksichtigen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 13.07.2017 abzuändern und den Bescheid vom 29.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2016 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Da die Überleitungsanzeige lediglich dazu diene, einen Gläubigerwechsel herbeizuführen, setze die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige nicht voraus, dass der übergeleitete Anspruch tatsächlich bestehe. Dass der übergeleitete Anspruch des Beigeladenen offensichtlich ausgeschlossen sei, sei nicht ersichtlich. Der Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen oder Früchten des Nachlasses als Inhalt des Anspruchs auf ordnungsgemäße Testamentsvollstreckung nach § 2216 BGB werde in der Literatur verschiedentlich diskutiert und auch im Falle eines Behindertentestaments für möglich gehalten. Unerheblich sei, dass es keine Rechtsprechung dazu gebe. Wenn diskutiert werde, dass ein solcher Anspruch bestehen könne, reiche das für eine Überleitung aus.

Der im Berufungsverfahren Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er ist zum Termin nicht erschienen und auch nicht vertreten worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe
Der Senat konnte trotz der Abwesenheit des Beigeladenen im Termin verhandeln und entscheiden; der Beigeladene ist auf diese Möglichkeit für den Fall des Nichterscheinens hingewiesen worden (§ 110 Abs. 1 SGG).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß §§ 143, 144 SGG statthaft und form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 151 Abs. 1, 64 Abs. 2 SGG).

Die Klage ist als Anfechtungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1, 1. Fall SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist der Kläger klagebefugt im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG. Bei dem angefochtenen Überleitungsbescheid handelt es sich für den Kläger als Drittschuldner des übergeleiteten Anspruches um einen belastenden Verwaltungsakt, der in seine Rechte eingreift. Auch wenn die Verpflichtung des Klägers grundsätzlich unabhängig von der Überleitung besteht, greift die Überleitungsanzeige als privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt in das zwischen dem Drittschuldner und dem Hilfeempfänger bestehende Rechtsverhältnis ein (BVerwG, Urteil vom 27.05.1993 – 5 C 7/91 – juris Rn. 10). Dem Drittschuldner wird durch die Überleitung ein anderer Gläubiger zugeordnet. Für den Fall einer rechtswidrigen – insbesondere nichtigen – Überleitungsanzeige besteht für den Drittschuldner die Gefahr der Doppelleistung. Auch der Drittschuldner ist deshalb durch die Überleitungsanzeige beschwert und zur Klage befugt (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.12.2012 – L 9 SO 22/09).

II. Die Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass die Überleitung rechtmäßig ist.

1. Die angefochtene Überleitungsanzeige, für die als Ermächtigungsgrundlage allein § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Frage kommt, ist formell rechtmäßig.

Der Beklagte war für die Gewährung der Sozialhilfe in Form der Eingliederungshilfe an den stationär untergebrachten Hilfeempfänger und in der Folge auch für die Überleitung gemäß §§ 98 Abs. 2, 97 Abs. 2 und 4 SGB XII in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Buchstabe a) Landesausführungsgesetz zum SGB XII NRW in der bis zum 30.06.2016 gültigen Fassung und § 2 Abs. 1 Nr. 1 der Ausführungsverordnung zum SGB XII NRW in der bis zum 30.06.2016 geltenden Fassung als überörtlicher Sozialhilfeträger zuständig.

Der Bescheid leidet nicht an einem Anhörungsmangel. Allerdings stellt die vom Beklagten behauptete Gelegenheit zur Äußerung mit Schreiben vom 16.07.2013 keine wirksame Anhörung dar. Dieses Schreiben erging zum einen im Widerspruchsverfahren zum Bescheid vom 17.01.2012 und eignet sich bereits aus diesem Grund nicht, der Anhörungspflicht vor Erlass des späteren, inhaltlich nicht identischen Bescheides vom 29.07.2015 zu genügen. Im Übrigen enthielt dieses Schreiben, das in erster Linie die Frage der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs betraf, keinen umfassenden Hinweis zur beabsichtigten Überleitung mit Aufforderung zur Stellungnahme, sondern gab lediglich Gelegenheit, zur möglichen Forderung aus den Überschüssen Stellung zu nehmen, indem Unterlagen zu Ein- und Ausgaben für die Jahre 2010 – 2012 angefordert wurden. Da eine (weitere) Anhörung vor Erlass des Überleitungsbescheides nicht erfolgte, hat der Beklagte hierdurch § 24 Abs. 1 SGB X verletzt, wonach einem Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung zu den für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen zu geben ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in seine Rechte eingreift. Dieser Mangel wird im Widerspruchsverfahren durch Nachholung der Anhörung gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt, wenn der Betroffene aus der Begründung des Verwaltungsaktes wissen kann, welche Tatsachen entscheidungserheblich sind (BSG, Urteil vom 14.07.1994 – 7 Rar 104/93 -, juris Rn. 24; Urteil vom 29.11.2012, B 14 AS 6/12 R, juris Rn. 21), er durch die Rechtsbehelfsbelehrung auf die Widerspruchsmöglichkeit hingewiesen wurde und sein Vorbringen im Widerspruchsbescheid auch gewürdigt wird (Schneider-Danwitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 41 SGB X, Rn. 31). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der angefochtene Bescheid hat bereits alle entscheidungserheblichen Tatsachen benannt. Soweit der Widerspruchsbescheid Rechtsausführungen zur Negativevidenz enthält, die im Bescheid vom 29.07.2015 nicht enthalten waren, steht dies einer Heilung nicht entgegen, da es sich hierbei nicht um neue Tatsachen handelt. Im Widerspruchsbescheid ist der Beklagte auf die Widerspruchsbegründung und den Vortrag des Klägers ausführlich eingegangen. Der Umstand, dass der Beklagte es zudem unterlassen hat, den Beigeladenen als von der Überleitungsanzeige ebenfalls Betroffenen anzuhören, führt nicht bereits zur formellen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides. Denn auch wenn die Überleitung zivilrechtliche Wirksamkeit nur dann erlangen kann, wenn diese auch gegenüber dem Hilfeempfänger und Gläubiger des überzuleitenden Anspruches bekanntgegeben wird (Armbruster in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 93 Rn. 138), handelt es sich bei der Überleitung gegenüber dem Drittschuldner einerseits und dem Hilfeempfänger andererseits formell um getrennte Verwaltungsverfahren, die zu selbständigen und selbständig angreifbaren Verwaltungsakten führen. Deshalb ist der Hilfeempfänger in dem den Drittschuldner betreffenden Verwaltungsverfahren nicht „Beteiligter“ im Sinne der §§ 24 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB XII (Senat, Urteil vom 20.12.2012 – L 9 SO 22/09). Soweit man eine Anhörung des Hilfeempfängers gleichwohl auch im Verwaltungsverfahren des Drittschuldners für erforderlich hält, ist auch dieser Mangel durch Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt. Denn die Betreuerin des Beigeladenen hat in dessen Widerspruchsverfahren zur Begründung Bezug genommen auf den gesamten Vortrag des Testamentsvollstreckers in dem ihn betreffenden Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren. Eine darüber hinausgehende Anhörung des Beigeladenen war damit nicht mehr erforderlich.

2. Die Überleitungsanzeige ist auch materiell rechtmäßig.

Hat eine leistungsberechtigte Person für die Zeit, für welche Leistungen erbracht werden, einen Anspruch gegen einen anderen, der kein Leistungsträger im Sinne des § 12 SGB I ist, kann der Träger der Sozialhilfe durch schriftliche Anzeige an den anderen bewirken, dass dieser Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn übergeht. Diese tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Überleitung gem. § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind erfüllt

a. Der Beklagte hat dem Beigeladenen seit 2001 durchgängig Sozialhilfe in Form der Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten, welche durch die Unterbringung in einer stationären Einrichtung entstehen, erbracht. Anhaltspunkte für eine unrechtmäßige Leistungserbringung bestehen nicht.

b. Ob der Leistungsempfänger gegen den Kläger seit Januar 2005 den von der Überleitungsanzeige erfassten Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung nach § 2216 BGB innehat, bedarf hier keiner Entscheidung. Ausreichend für die Rechtmäßigkeit des Überleitungsbescheides ist, dass ein überleitungsfähiger Anspruch nach materiellem Recht überhaupt in Betracht kommt, er also nicht von vornherein objektiv ausgeschlossen ist (BSG, Beschluss vom 25.04.2013 – B 8 SO 104/12 B – juris Rn. 9; zur Negativevidenz bei einem Auskunftsverlangen nach § 117 SGB XII: BSG, Beschluss vom 20.12.2012 – B 8 SO 75/12 B – juris Rn. 7). In der Sozialhilfe dient die Überleitung eines Anspruchs – neben den Vorschriften über den Einsatz eigenen Einkommens und Vermögens – dazu, den Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 SGB XII) zu realisieren. Wie beim Einsatz des Einkommens müssen die Vorschriften über die Überleitung von Ansprüchen bedarfsorientiert gesehen werden. Entscheidend ist nicht, ob ein Anspruch tatsächlich besteht, sondern dass die Überleitung für einen Zeitraum erfolgt, für den Leistungen der Sozialhilfe tatsächlich gewährt worden sind (BSG aaO). Nur wenn offensichtlich ist, dass dieses Ziel nicht verwirklicht werden kann, ist der Erlass einer Überleitungsverfügung sinnlos und trotz Vorliegens aller im Gesetz normierten Voraussetzungen als rechtswidrig aufzuheben. Die Überprüfung des übergeleiteten Anspruchs ist daher auf Fälle der sog. Negativevidenz beschränkt (BVerwG in ständiger Rechtsprechung zur Vorgängernorm § 90 BSGH, u.a. Urteil vom 04.06.1992 – 5 C 57/88; BSG aaO und Beschluss vom 20.12.2012 – B 8 SO 75/12 B – juris Rn. 7 m.w.N.; Senat, Urteil vom 20.12.2012 – L 9 SO 22/09 – juris Rn. 31).

Eine solche erkennbar sinnlose Überleitungsverfügung liegt hier nicht vor. Es ist nicht offensichtlich ausgeschlossen, dass der Beigeladene gegen den Kläger als Testamentsvollstrecker einen Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung nach § 2216 BGB hat. Dieser Anspruch kann im weiteren Inhalt darin bestehen, einen Anspruch auf Herausgabe derjenigen Nutzen oder Früchte zu haben, die über dasjenige hinausgehen, was dem Beigeladenen als Erben aufgrund des Testaments vom 31.10.1991 zuzuwenden ist und auf das eine Zugriffsberechtigung des Sozialhilfeträgers nicht besteht. Denn im Rahmen einer verfügten Vor- und Nacherbschaft kann ein Anspruch des Vorerben gegen den Testamentsvollstrecker auf Herausgabe von Nutzungen bestehen, soweit dies den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht.

Nach § 2216 Abs. 1 BGB ist der Testamentsvollstrecker zur ordnungsgemäßen Verwaltung verpflichtet. Zur Verwaltungsbefugnis des Testamentsvollstreckers gehört auch, im Rahmen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft für die Erhaltung, Sicherung, Nutzung, Fruchtziehung und Vermehrung des Nachlasses zu sorgen (§ 2205 BGB). Da die Nutzungen des Nachlasses ihrerseits zum Nachlass gehören, hat der Testamentsvollstrecker auch diese in Besitz zu nehmen und ordnungsgemäß zu verwalten, so dass er sie zunächst – abgesehen vom Fall des § 2338 Abs. 1 Satz 2 BGB und von besonderen Anordnungen des Erblassers – zu thesaurieren hat (RG, JR 1929 Nr. 1652; BGH, Urteil vom 14.05.1986 – IVa ZR 100/84 = FamRZ 1986, 900; Staudinger/Reimann (2016) BGB § 2216 Rn. 17).

Allerdings ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass der Erbe die Herausgabe der Nutzungen und Erträgnisse verlangen kann, wenn das den Grundsätzen einer ordnungsmäßigen Verwaltung entspricht (BGH aaO, juris Rn. 10; BGH, Urteil vom 04.11.1987 – IVa ZR 118/86; Zimmermann in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 2216 Rn. 7; Staudinger/Reimann, (2016) BGB § 2216 Rn. 17; Zimmermann, Die Testamentsvollstreckung, 4. Aufl. 2014, Rn. 453). Die Frage, inwieweit und in welchen Zeitabschnitten der Testamentsvollstrecker dem Erben Nutzungen des Nachlasses herauszugeben hat, unterliegt der Prüfung nach § 2216 BGB (nicht nach § 2217 BGB: BGH aaO, FamRZ 196, 900 für den Fall der Vor- und Nacherbenschaft; Staudinger/Reimann, BGB, Stand 2016, § 2216 Rn. 17). Ob der Testamentsvollstrecker tatsächlich berechtigt und verpflichtet ist, die Erträgnisse an den Erben auszukehren, ist eine Frage des Einzelfalls und der Anordnungen des Erblassers, die gegebenenfalls auszulegen sind. Im Rahmen der Auslegung soll auch berücksichtigt werden, dass eine Erbschaft durch die Anordnung der Testamentsvollstreckung nicht völlig ihres wirtschaftlichen Sinns beraubt werden darf (RG, BayZ 1922, 123; RG, LZ 1918, 1268). Erträge und Nutzungen sind z.B. dann herauszugeben, soweit dies zur Bestreitung des angemessenen Unterhalts des Erben sowie zur Begleichung fälliger Steuerschulden erforderlich ist (RG Recht 1922 Nr. 615; OLG Frankfurt, Beschluss vom 15.02.2016 – 8 W 59/15 – juris Rn. 30; Lange in BeckOK BGB, Bamberger/Roth/Hau/Poseck, Stand: 01.08.2018, § 2216 Rn. 15; M. Schmidt in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 2216 Rn. 3; Staudinger/Reimann (2016) BGB § 2216, Rn. 17). Eine Herausgabe von Erträgen kommt auch bei angeordneter Vor- und Nacherbschaft in Betracht, da dem Vorerben im Verhältnis zum Nacherben die vollen Nutzungen (§ 100 BGB) der Vorerbschaft gebühren. Diesen sich aus der Kosten- und Nutzenverteilung ergebenden Interessengegensatz hat der Testamentsvollstrecker bei Vor- und Nacherbschaft ebenfalls im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung unter Beachtung der testamentarischen Verfügungen des Erlassers zu berücksichtigen.

Dass den Anordnungen zur Testamentsvollstreckung hier ein sog. Behindertentestament zugrunde liegt, führt nicht von vornherein zum generellen Ausschluss eines Anspruchs auf Nutzungsherausgabe. Im Behindertentestament treffen Eltern eines behinderten Kindes Verfügungen von Todes wegen, in denen sie die Nachlassverteilung durch eine kombinierte Anordnung von Vor- und Nacherbschaft sowie einer – mit konkreten Verwaltungsanweisungen versehenen – Dauertestamentsvollstreckung so gestalten, dass Erträge nur für nicht auf die Sozialhilfe anrechenbare Leistungen zu verwenden und dem Behinderten aus den Erträgen zu bestimmten Anlässen oder für bestimmte Zwecke dessen Lebensqualität verbessernde Zuwendungen zu machen sind. Es ist anerkannt, dass eine derartige Regelung als Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus grundsätzlich nicht sittenwidrig ist (zuletzt: BGH, Beschluss vom 27.03.2013 – XII ZB 679/11 -, juris Rn. 20). Aber auch im Fall des Behindertentestaments wird ein Anspruch des Behinderten (Vorerben) auf Herausgabe von Nutzungen, die über das hinausgehen, was der Testamentsvollstrecker dem Behinderten aufgrund der testamentarischen Anordnung des Erblassers (jährlich) zuwendet, für möglich gehalten. So wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass in Mangelfällen der Überschuss der jährlich nicht verbrauchten Nutzungen an den Vorerben herauszugeben sei, so dass der Sozialhilfeträger darauf zugreifen könne (Nieder, NJW 1994, 1264, 1267). Sollte der Wert der Vorerbschaft des Behinderten so groß sein, dass dessen Früchte zur Deckung seines Unterhalts ganz oder teilweise ausreichten, komme eine Überleitung des nach Erfüllung der zusätzlichen Unterhaltsleistungen übrigbleibenden Teils der Nutzungen in Betracht, da ein völliger Ausschluss des Anspruchs des Vorerben auf die Nutzungen zwecks Thesaurierung zugunsten der Nacherben nicht wirksam sei (Nieder aaO, S. 1268; Meyer, DNotZ 1994, 347, 358). Anderes komme in Betracht, wenn die testamentarische Anordnung darauf ziele, dass der Überschuss nur als Rücklage für spätere Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität des Behinderten zurückgelegt werden dürfe (Nieder/Otto in Münchener Vertragshandbuch, 6. Aufl. 2010, Kap. 19 Ziff. 6). Nach einer weiteren Auffassung könne auch im Falle des Behindertentestaments geprüft werden, ob Verwaltungsanordnungen des Erblassers durch eine Entscheidung des Nachlassgerichts nach § 2216 Abs. 2 Satz 2 BGB abgeändert werden können (Otte, JZ 1990, 1027/1028; Palandt/Edenhofer, BGB, 77. Aufl. 2018, § 2216 Rn. 5)

Auch in der Rechtsprechung wird trotz Behindertentestament mit Vor- und Nacherbschaft und einschränkenden Verwaltungsanordnungen der Herausgabe- oder Freigabeanspruch des Erben für möglich gehalten. So ist nach Auffassung des BGH (Beschl. vom 27.03.2013, XII ZB 679/11) die Festsetzung einer Betreuervergütung zu Lasten der Betreuten aus deren Vermögen rechtmäßig, weil die durch ein Behindertentestament auf die Betroffene übertragene (Vor-)Erbschaft auch bei gleichzeitiger Anordnung der Testamentsvollstreckung nicht zwingend zur Mittellosigkeit der Betroffenen führe und die Auslegung der an den Testamentsvollstrecker adressierten Verwaltungsanordnungen ergab, dass die Betreuervergütung aus dem Nachlass entnommen werden könne. Die Erbin (Betreute) habe gegen den Testamentsvollstrecker einen Anspruch auf ordnungsgemäße Verwaltung im Sinne des § 2216 BGB, der sich auf die Freigabe der zu entrichtenden Betreuervergütung richte. Die Auslegung des Testaments und der darin enthaltenen Verwaltungsanweisungen an den Testamentsvollstrecker, für die die allgemeinen Auslegungsregeln (§§ 133, 2084 BGB) gelten würden (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 10.05.2017, XII ZB 614/16), sei nicht zu beanstanden.

Die Ansicht des Klägers, es gebe in der Rechtsprechung kein Beispiel auf Nutzungsherausgabe im Falle eines Behindertentestaments, ist in Anbetracht der zitierten Entscheidung (sowie ferner BGH, Beschluss vom 15.04.2015 – XII ZB 534/14 – juris Rn. 15) daher so allgemein nicht zutreffend. Die Frage, die sich im Rahmen des § 93 SGB XII stellt, ob ein Anspruch des Hilfeempfängers gegen den Testamentsvollstrecker nach § 2216 BGB denkbar oder möglich ist, ist damit zu bejahen. Es ist nicht unter allen denkbaren Gesichtspunkten ausgeschlossen, dass ein solcher Anspruch bestehen kann; allerdings ist es eine Würdigung des Einzelfalls und des konkreten Testaments, ob der Erbe jenseits der ausdrücklich verfügten Nutzungsverwendung (vorliegend: u.a. Ferienaufenthalte und sämtliche übrigen angemessenen persönlichen Bedürfnisse) Zugriff auf das Erbe hat bzw. haben soll. Im Rahmen dieser Prüfung wird die beabsichtigte – mittelbare – Verwendung der Nachlassfrüchte, d.h. der Zugriff des Sozialhilfeträgers, vor dem das Behindertentestament den Betroffenen schützen will, nicht unberücksichtigt bleiben. Die Prüfung, ob der Anspruch tatsächlich besteht, ist nicht Aufgabe der Sozialgerichte, sondern als endgültige Entscheidung über das Bestehen des behaupteten Anspruchs im gegliederten Rechtsschutzsystem den zuständigen Zivilgerichten vorbehalten.

Der Kläger kann im Rahmen der Negativevidenz auch nicht damit gehört werden, dass die angesparten Erträge zu dringenden Renovierungsarbeiten zur Verfügung stehen müssten, auch um im Fall nachfolgender Vermietungen wieder angemessenen Nutzen ziehen zu können oder weil es sich um grundsätzliche Sanierungsarbeiten am gesamten Objekt handele (Dachsanierung u.ä.). Denn dem Vorerben fallen nach dem Gesetz außer den Fruchtziehungskosten (§ 102 BGB) im Verhältnis zu den Nacherben nur die für den Nachlass aufgewendeten gewöhnlichen Erhaltungskosten (§ 2124 Abs. 1 BGB) zur Last, zu denen umfangreiche Renovierungs- und Sanierungsmaßnahmen nicht gehören. Diese Abgrenzung zwischen den Rechten des Vorerben und des Nacherben muss, sofern der Erblasser keine andere Verfügung getroffen hat, auch der Testamentsvollstrecker beachten. Dafür reicht die allgemeine Erwägung, bei älteren Gebäuden seien Renovierungsmaßnahmen erforderlich, um die Substanz auf Dauer zu erhalten, insoweit nicht aus (BGH, Urteil vom 14.05.1986 – IVa ZR 100/84 – juris Rn. 16f). Dies gilt hier umso mehr, da der Erblasser den Substanzerhalt zugunsten der Nacherben nicht zwingend vorgesehen, sondern vielmehr angeordnet hat, dass der Testamentsvollstrecker nach billigem Ermessen dafür sorgen soll, dass dem Vorerben sowohl Ertrag als auch Substanz seines Vermögens für seine ganz persönlichen Bedürfnisse zugute kommen. Auch dies unterliegt jedoch der tatrichterlichen zivilgerichtlichen Prüfung.

c. Die Ansprüche sind auch zeitidentisch. Nach § 93 Abs. 1 S. 1 SGB XII kommt die Überleitung nur in Betracht, wenn für die Zeit, für die Leistungen erbracht werden, ein Anspruch gegen einen anderen besteht. Der Zeitraum, für den Leistungen gewährt werden, muss mit der zeitlichen Leistungspflicht des Dritten übereinstimmen (sog. Zeitraumidentität). Nicht erforderlich ist, dass der überzuleitende Anspruch gleichzeitig mit dem Sozialhilfeanspruch entstanden oder fällig geworden ist. Ausreichend ist, dass er in dem in der Bewilligung ausgesprochenen Zeitraum noch fällig und nicht erfüllt ist (BVerwG, Urteil vom 28.10.1999 – 5 C 28/98 zu § 90 BSHG; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.12.2013 – L 7 SO 4209/09; Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 93 Rn. 23; Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 33 Rn. 36 zum insoweit wortgleichen § 33 SGB II).

Der überzuleitende Anspruch ist gerichtet auf Herausgabe der Nutzungen und Erträge aus dem erworbenen Vermögen, sofern dies den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht. Es kann offenbleiben, ob bereits hierzu eine Bezifferung oder die Angabe einer bestimmten Höhe der Nutzungen erforderlich ist, denn das würde voraussetzen, dass der Testamentsvollstrecker die Vermögensverwaltung umfassend offengelegt hat, so dass ein konkreter Zahlbetrag errechnet werden könnte unabhängig davon, ob die Herausgabe der Nutzungen einer ordnungsgemäßen Verwaltung entspräche. Da die Betreuerin des Beigeladenen jedoch mit Schreiben vom 08.05.2010 dem Beklagten mitgeteilt hat, aus den aufgelaufenen Erträgen der Eigentumswohnungen sei ein Betrag von 65.000 EUR angespart worden, ist die Zeitraumidentität ab diesem Zeitpunkt jedenfalls gewahrt. Anders als der Kläger ist der Senat aber auch der Auffassung, dass Gleichzeitigkeit der Ansprüche bereits für den davor liegenden Zeitraum angenommen werden kann. In Anbetracht der Höhe des im Mai 2010 zugestandenen Geldvermögens ist unter Berücksichtigung von jährlichen Mieteinnahmen von rund 17.277 EUR nach Abzug von bezifferten laufenden Kosten von 6.859,33 EUR und nach weiterem Abzug der jährlichen Testamentsvollstreckervergütung in Höhe von 1 Prozent des jeweiligen Bruttonachlasswertes anzunehmen, dass der Betrag von 65.000 EUR nicht kurzfristig in 2010, sondern kontinuierlich über mehrere Jahre hinweg angespart worden ist. Nach überschlägiger Berechnung der rund fünfeinhalb Jahre zwischen dem 01.01.2005 und Mai 2010 kann davon ausgegangen werden, dass auch schon zum 01.01.2005 ein relevantes Vermögen (oberhalb des Vermögensschonbetrages) bestanden hat. Die verbliebenen Erträge aus den Mieten nach Abzug der laufenden Kosten und der Vergütung des Testamentsvollstreckers, deren tatsächliche Höhe nicht bekannt ist, dürften deutlich unter 10.000 EUR jährlich betragen haben, zumal noch die sozialhilferechtlich gesperrten Sonderzuwendungen an den Hilfeempfänger zu berücksichtigen wären. Im Übrigen kann die fehlende Kenntnis über die konkrete Vermögensentwicklung nicht dem Beklagten zum Nachteil gereichen, wenn diesbezüglich eine Mitwirkung des Klägers als Testamentsvollstreckers oder der Betreuerin des Beigeladenen unterbleibt und ein Nachweis nicht vorgelegt wird.

d. Der angefochtene Bescheid ist hinreichend inhaltlich bestimmt nach § 33 Absatz 1 Satz 1 SGB X. Hinreichende Bestimmtheit liegt vor, wenn aus dem Verfügungssatz des Verwaltungsakts für die Beteiligten vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist, was die Behörde will (BSG, Urteil vom 07.09.2006 – B 4 RA 43/05 R). Eine Überleitungsanzeige ist hinreichend bestimmt, wenn sich aus ihr der überzuleitende Anspruch ergibt, die Anzeige folglich erkennen lässt, dass der Übergang dieses Anspruches des Hilfeempfängers in Höhe der ihm gewährten Sozialhilfeleistungen auf den Sozialhilfeträger bewirkt werden soll. Ferner ist die Angabe von Zeitraum und Höhe der gewährten Sozialhilfe erforderlich, wegen der die Überleitung erfolgt (BSG, Urteil vom 24.08.1988 – 7 Rar 74/86; Senat, Urteil vom 20.12.2012 – L 9 SO 22/09).

Der Bescheid des Beklagten vom 29.07.2015 lässt den überzuleitenden Anspruch nach seiner Art (Herausgabe, § 2216 BGB), nach dem betroffenen Zeitraum (ab dem 01.01.2005 bis zum 07.10.2014) und seiner Höhe nach in der gebotenen Klarheit erkennen. Aus dem Verfügungssatz des Verwaltungsaktes ergibt sich für die Beteiligten vollständig, klar und unzweideutig, was die Behörde will. Der Beklagte hat formuliert: „Herr L Q hat daher Ihnen gegenüber einen (möglichen) Anspruch auf eine ordnungsgemäße Verwaltung nach § 2216 BGB. Diesen (möglichen) Anspruch gegen Sie leite ich hiermit vom 01.01.2005 an bis zur Höhe meiner Aufwendungen auf mich über (§ 93 SGB XII).“ In den Gründen des Bescheides hat der Beklagte den weiteren Inhalt des Anspruchs nach § 2216 BGB konkretisiert und dargelegt, dass es um die Herausgabe von Nutzungen gehe, die nicht zur Erfüllung der testamentarisch vorgesehenen Unterhaltsleistungen verwendet würden bzw. nach Erbringung dieser übrigblieben. Weitere Angaben, insbesondere zur Höhe der herauszugebenden Nutzungen, sind an dieser Stelle weder notwendig, da der konkrete Anspruch auf der zweiten Stufe (Durchsetzung des behaupteten zivilrechtlichen Anspruchs) geprüft werden muss, noch möglich, solange der Testamentsvollstrecker die Verwaltung nicht offengelegt hat.

Seine Aufwendungen hat der Beklagte im Bescheid sowohl exemplarisch für einzelne Monate (Juli 2005; Januar 2011) als auch für den gesamten Zeitraum (01.01.2005 – 07.10.2014: 350.687,12 EUR) dargelegt und beziffert und zudem im umfangreichen Anhang zum erlassenen Bescheid eine vollständige Berechnung sowohl der Ausgaben des Beklagten als auch der Einnahmen in Form von Kostenbeiträgen, Unterhaltsbeiträgen der Eltern, Beihilfe, Wohngeld, Waisenrente und Pflegegeld (§ 43a SGB XI) für die einzelnen Monate sowie für den gesamten Zeitraum vorgenommen.

e. Ob der Anspruch auf Nutzungsherausgabe teilweise verjährt ist, ist für die Rechtmäßigkeit der Überleitung ohne Bedeutung. Selbst wenn der zivilrechtliche Anspruch verjährt wäre – was hier keineswegs offensichtlich ist -, wirkt dies nicht anspruchsvernichtend, sondern ist lediglich auf Einrede zu beachten. Die Einrede hat der Schuldner im Zivilrechtsstreit, der die übergeleitete Forderung zum Gegenstand hat, zu erheben (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.05.2016 – L 23 SO 109/14 – juris Rn. 62; Armbruster in Schlegel/Voelzke, juris-PK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 93 Rn. 80; Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 93 Rn. 14).

f. Der angefochtene Bescheid ist nicht ermessensfehlerhaft. Die Beklagte hat von dem ihr nach § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht. Besondere Gründe, die aus Sicht des Hilfeempfängers gegen eine Überleitung sprechen, sind der Akte und dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen. Die Betreuerin des Beigeladenen, die gegen den an den Beigeladenen gerichteten Bescheid vom 29.07.2015 ebenfalls Widerspruch eingelegt hat, hat zur Begründung auf die Ausführungen des Klägers verwiesen und keine weiteren Interessen vorgetragen. Der Vortrag des Klägers richtet sich aber in erster Linie darauf, dass ein überleitungsfähiger Anspruch nicht bestehe und nicht im Besonderen auf Ermessensgesichtspunkte. Die Einwände des Klägers sind bereits bei den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII hinreichend gewürdigt worden, ergeben jedoch keine Gesichtspunkte, die eine andere Ermessensentscheidung begründen würden.

III. Die Kostenentscheidung richtet sich nach den § 197a Abs. 1 SGG, § 154 Abs. 2 VwGO.

IV. Gründe, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.

V. Der Streitwert ist gemäß § 197a Absatz 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) endgültig auf 5.000 EUR festzusetzen (s. BSG, Beschluss vom 25.04.2013 – B 8 SO 104/12 B; Senat, Beschluss vom 24.06.2015 – L 9 SO 408/14 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.02.2015 – L 20 SO 23/15 B).

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