LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.04.2021 – L 12 SO 324/20

Oktober 13, 2021

LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.04.2021 – L 12 SO 324/20

Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 05.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2015 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 31.346,91 Euro festgesetzt.

Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zur Erbenhaftung nach § 102 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII).

Die Mutter des Klägers, Frau A Q (*00.00.1954), war seit 1993 neben ihrem Ehemann, Herrn B Q, dem Vater des Klägers, zur Hälfte Miteigentümerin einer Eigentumswohnung im Kreisgebiet des Beklagten. Als Sicherheit für die finanzierende Bank bestellten die Eheleute eine erstrangige Hypothek zugunsten der finanzierenden Bank.

Die Mutter des Klägers bewohnte die Eigentumswohnung zunächst gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Vater des Klägers. Seit dem 27.08.2007 lebte sie aufgrund einer Hirnleistungsminderung mit Wesensänderung (GdB 100 sowie Merkzeichen H) im Pflegeheim L-Haus im Gebiet des Beklagten. Für die Dauer des Aufenthalts erbrachte der Beklagte der Mutter des Klägers Leistungen der Sozialhilfe i.H.v. insgesamt 72.935,48 Euro.

Am 16.08.2012 verstarb die Mutter des Klägers und wurde vom Kläger und ihrem Ehemann jeweils zur Hälfte beerbt. Der Vater des Klägers bewohnte die Eigentumswohnung in der Folge weiterhin.

Wegen der der Mutter des Klägers gewährten Sozialhilfe forderte der Beklagte vom Kläger sowie von dessen Vater jeweils Kostenersatz i.H.v. 31.346,91 Euro (Bescheide vom 05.12.2014). Die hiergegen erhobenen Widersprüche wies der zuständige Landschaftsverband zurück (Widerspruchsbescheide vom 14.04.2015). Der Kläger sei neben seinem Vater als Gesamtschuldner mit dem Wert des Nachlasses nach seiner Mutter zum Kostenersatz verpflichtet. Die zu ersetzenden Kosten der Sozialhilfe beliefen sich auf einen Betrag von 72.935,48 Euro abzgl. des dreifachen Grundbetrages (§§ 102 Abs. 3 Nr. 1, 85 Abs. 1 SGB XII), d.h. 2.244 Euro. Zum Nachlass der Mutter zähle das hälftige Miteigentum an der Eigentumswohnung. Der Verkehrswert der Eigentumswohnung belaufe sich auf 133.000 Euro; dem gegenüber stünden auf dem Eigentum ruhende Verbindlichkeiten von noch 59.361,70 Euro sowie Bestattungskosten von 3.228,24 Euro. Der Wert des Nachlasses betrage danach 33.590,91 Euro, wobei zugunsten der Erben ein weiterer Freibetrag in Höhe des dreifachen Grundbetrages von 2.440 Euro abzusetzen sei. Gründe für eine Nichtgeltendmachung des Ersatzanspruchs seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Kostenersatzanspruch sei auch nicht aus anderen Gründen eingeschränkt. So habe der Kläger nicht mit seiner Mutter bis zu deren Tod in einer häuslichen Gemeinschaft gelebt (§ 102 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII). Weiter bedeute seine Inanspruchnahme auch keine besondere Härte (§ 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII).

Am 00.02.2019 verstarb auch der Vater des Klägers und wurde von diesem beerbt. Der Kläger ist seitdem Alleineigentümer der Eigentumswohnung und bewohnt diese mit seiner Familie.

Den Bescheid über die Heranziehung des Vaters des Klägers zum Kostenersatz hat das Sozialgericht (SG) Detmold auf dessen Klage aufgehoben (Urteil vom 25.08.2020, S 2 SO 168/15). Es liege eine besondere Härte vor, hätte der Vater des Klägers die Eigentumswohnung verwerten müssen. Selbstverständlich setze sich der Schutz des Vermögens nach dem Tod des Hilfeempfängers nicht allgemein zugunsten des Erben fort. Ein atypischer Fall könne aber vorliegen, wenn der Nachlass – wie hier – für den Erben selbst Schonvermögen wäre. Es sei eine besondere Härte, wenn der Vater nach dem Tod seiner Ehefrau die gemeinsame Wohnung hätte aufgeben müssen, die er seit der Heimpflegebedürftigkeit seiner Ehefrau alleine finanziert habe, obwohl die Eheleute ursprünglich verabredet hätten, die Finanzierung gemeinsam aufzubringen, indem beide berufstätig sein wollten. Der Vater habe aufgrund der Erkrankung seiner Ehefrau nicht nur dieser Unterhalt leisten müssen, sondern von da an allein die Lasten der Eigentumswohnung (aus einem monatlichen Nettoeinkommen von etwa 1.800 Euro) aufgebracht. Eine hiergegen gerichtete Berufung hat der Beklagte zurückgenommen (L 12 SO 323/20).

Gegen seine Heranziehung zur Erbenhaftung hat der Kläger am 15.05.2015 Klage zum SG Detmold erhoben.

Zur Begründung hat der Kläger – seinerzeit noch zu Lebzeiten seines Vaters – geltend gemacht, er sei nicht in der Lage, das geforderte Geld insbesondere aus der Erbschaft zu beschaffen. Niemand würde ihm einen bereits belasteten „Anteil“ abkaufen oder eine weitere Belastung zulassen. Er und sein Vater hätten die Eigentumswohnung also im Ganzen beleihen oder verkaufen und dadurch diesen Anteil der Altersvorsorge des Vaters zerstören müssen.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid über den Anspruch auf Kostenersatz gem. § 102 SGB XII vom 05.12.2014 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2015 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat den angefochtenen Bescheid verteidigt und ergänzend vorgetragen, eine besondere Härte ergebe sich nicht daraus, dass es sich bei dem ererbten Grundbesitz um Miteigentum an der Wohnung handle, die ein Erbe mit seinem Ehegatten bewohnt und nach dessen Tod weiterhin bewohnt habe, selbst wenn dies zum Verlust eines früheren Familienheims führen könne. Weiter sei eine besondere Härte auch nicht anzunehmen, wenn der Erbe das ererbte Vermögen bereits „verbraucht“ habe.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25.08.2020). Anders als im Fall seines Vaters fehle es in Bezug auf den Kläger am Vorliegen eines besonderen Härtefalls. Hier verbleibe es bei dem Grundsatz, dass der Schutz des Vermögens nach dem Tod des Leistungsberechtigten nicht allgemein zu Gunsten von dessen Erben fortwirke. Für den Kläger selbst stelle die Eigentumswohnung kein Schonvermögen dar, da er diese selbst nicht bewohnt habe. Mittelbare Auswirkungen genügten zur Annahme eines atypischen Härtefalls nicht. Zwar habe eine Veräußerung der Eigentumswohnung im Ganzen, um den Kostenersatz zu bestreiten, mittelbare Auswirkungen für den Vater des Klägers. Insoweit sei aber zu beachten, dass der Kläger nur mit dem Wert des Nachlasses hafte und nicht der Nachlass selbst zwingend zu verwerten sei; der Erbe habe somit die Möglichkeit, den Kostenersatz anderweitig aufzubringen, ohne das Erbe zu verwerten.

Gegen dieses – seinem Prozessbevollmächtigten am 09.09.2020 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte – Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am 09.10.2020 eingelegten Berufung.

Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Klageverfahren. Ergänzend trägt er vor, die Unterstellung des SG, er habe andere Möglichkeiten gehabt, den Kostenersatz aufzubringen als durch Verkauf der Eigentumswohnung, sei offensichtlich falsch. Eine solche Möglichkeit habe faktisch nicht bestanden, zumal der Kostenersatz sich aufgrund der gesamtschuldnerischen Haftung verdoppelt habe. Zum Zeitpunkt des Erbfalls habe er sich in der Ausbildung zum Buchbindermeister befunden; diese habe monatlich bei einem Nettoverdienst von ca. 1.200-1.300 Euro insgesamt ca. 7.000 Euro gekostet. Keine Bank hätte ihm daher einen Kredit über den geforderten Betrag von 31.346,91 Euro gewährt, zumal er keine Sicherheiten habe anbieten können. Den Miteigentumsanteil an der Wohnung habe er nicht beleihen können, weil Banken keinen Miteigentumsanteil beliehen. Die einzige Möglichkeit, um an Geld zu kommen, sei daher eine Veräußerung der Wohnung gewesen, die ihm auch allenfalls den Restbetrag nach Abzug der Schulden eingebracht hätte; er bezweifle, dass hier überhaupt 31.000 Euro zusammengekommen wären. Zudem wäre hierdurch der Schutz des Schonvermögens zulasten seines Vaters unterlaufen worden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 25.08.2020 sowie den Bescheid des Beklagten vom 05.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2015 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angegriffene Urteil des SG zu zutreffend.

Die Beteiligten haben (jeweils mit Schriftsatz vom 26.04.2021) ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Beratung des Senats gewesen.

Gründe
Der Senat kann vorliegend ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem beide Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ).

Die Berufung ist zulässig und begründet.

A. Gegenstand des Berufungs- wie auch des vorausgegangenen Klageverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 05.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.04.2015 (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte den Kläger als Erben zum Kostenersatz herangezogen hat. Gegen diesen Bescheid wendet sich der Kläger zutreffend mit der reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 Var. 1 SGG). Dabei kann offenbleiben, ob maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage vorliegend derjenige der letzten Behördenentscheidung ist, also der, in dem der Landschaftsverband den Widerspruchsbescheid erlassen hat (so: LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 23.02.2017, L 8 SO 282/13, juris Rn. 23; allgemein zu Anfechtungsklagen und auch zu Ermessensentscheidungen: Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 54 Rn. 33), oder ob es auf den Zeitpunkt des Erbfalls ankommt (vgl. dazu: LSG Niedersachsen-Bremen a.a.O., juris Rn. 32, dort zur besonderen Härte nach § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII; BSG Urteil vom 27.02.2019, B 8 SO 15/17 R, juris Rn. 22 m.w.N., dort zur Berechnung des dreifachen Grundbetrages nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII). Zwischen beiden Zeitpunkten sind keine wesentlichen Änderungen der Sach- oder Rechtslage eingetreten; insbesondere lebte der Vater des Klägers zu beiden Zeitpunkten noch.

B. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und der Kläger hierdurch beschwert (§ 54 Abs. 1 S. 2 SGG).

Der angefochtene Bescheid wie auch der Widerspruchsbescheid sind zwar formell rechtmäßig. Insbesondere hat der Landschaftsverband beim Erlass des Widerspruchsbescheides keine sozial erfahrenen Dritten beteiligen müssen. § 116 Abs. 2 SGB XII sieht dies nur für den Erlass von Widerspruchsbescheiden betreffend die Ablehnung der Sozialhilfe oder die Festsetzung ihrer Art und Höhe vor (BSG Urteil vom 23.08.2013, B 8 SO 7/12 R, juris Rn. 11). Um einen solchen Fall geht es vorliegend nicht.

Materiell ist der angefochtene Bescheid dagegen rechtswidrig. Keiner Entscheidung bedarf dabei, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 102 SGB XII vorliegend erfüllt sind und ob insbesondere auch im Fall des Klägers eine besondere Härte vorliegt. Der angefochtene Bescheid ist jedenfalls ermessensfehlerhaft (§ 54 Abs. 2 S. 2 SGG). Denn der Sozialhilfeträger muss bei der Geltendmachung von Kostenersatz gegenüber einer Mehrheit von Erben (dazu 1) regelmäßig Ermessen ausüben, welchen Gesamtschuldner er in welcher Höhe in Anspruch nimmt (dazu 2). Hieran fehlt es (dazu 3).

1. Im vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt bestand nach dem Tod der Mutter des Klägers eine Erbengemeinschaft (§ 2032 Bürgerliches Gesetzbuch ), zusammengesetzt aus aus dem Kläger und dessen Vater. Diese hatten die Mutter des Klägers jeweils zu gleichen Teilen beerbt und kamen damit dem Grunde nach jeweils als kostenersatzpflichtig in Betracht (§ 102 Abs. 1 S. 1 SGB XII). Maßgeblich war insoweit die gesetzliche Erbfolge (§§ 1922 Abs. 1 i.V.m. 1924 Abs. 1 bzw. 1931 Abs. 1 BGB). Ein die gesetzliche Erbfolge ausschließendes Testament hatte die Mutter des Klägers nach Mitteilung seines Prozessbevollmächtigten zum Verwaltungsverfahren (mit Schreiben vom 13.12.2012) nicht errichtet. Dass die Mutter einen Erbvertrag geschlossen hätte, ist weder vorgetragen, noch anderweitig ersichtlich.

2. Bei einer Mehrheit von Erben kann jeder Erbe als Gesamtschuldner (§ 421 BGB) in Anspruch genommen werden (BSG a.a.O., juris Rn. 20; vgl. auch § 2058 BGB). Zwar kann der Gläubiger einer Gesamtschuld die Leistung gem. § 421 S. 1 BGB nach seinem Belieben von jedem der Schuldner ganz oder zu einem Teil fordern. Dieses „Wahlrecht“, das im Zivilrecht seine Grenze lediglich im Rechtsmissbrauch findet, ist im öffentlichen Recht jedoch insoweit allgemein eingeschränkt, als an die Stelle des „freien Beliebens“ ein pflichtgemäßes Ermessen bei der Auswahl des Gesamtschuldners tritt (BSG a.a.O., Rn. 22 f.). So hat der Sozialhilfeträger in Bezug auf die gesamtschuldnerische Erbenhaftung eine Ermessensentscheidung zu treffen und auf die dafür relevanten Verhältnisse des Einzelfalls einzugehen, um eine ungerechtfertigte Mehrbelastung der anderen Erben bzw. einen Rückgriff durch diese gegenüber dem privilegierten Erben zu verhindern; den für seine Entscheidung benötigten Sachverhalt hat der Sozialhilfeträger unter Einbeziehung der übrigen Erben von Amts wegen zu ermitteln (BSG a.a.O., Rn. 22 f., 25; dazu auch Simon in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Auflage 2020, § 102 Rn. 24).

3. An einer fehlerfreien Ermessensbetätigung fehlt es vorliegend.

a) Es ist bereits fraglich, ob der Beklagte beim Erlass des angefochtenen Bescheides überhaupt Ermessen ausgeübt hat. Dieser wie auch der Widerspruchsbescheid führen vielmehr lediglich aus, dass Gründe für eine Nichtgeltendmachung des Kostenersatzanspruchs nicht vorlägen. Die Begründung einer Ermessensentscheidung (§ 35 Abs. 1 S. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz ) lassen damit weder der Ausgangs- noch der Widerspruchsbescheid erkennen.

b) In jedem Fall hat der Beklagte den Umstand, dass der Vater des Klägers unter den Privilegierungstatbestand des § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII fiel, weil die Heranziehung zum Kostenersatz in seinem Fall eine besondere Härte bedeutete, nicht berücksichtigt. Darin liegt eine Ermessensunterschreitung, weil der Beklagte damit relevante Ermessensgesichtspunkte nicht berücksichtigt hat (speziell zur Ermessensunterschreitung: BSG Urteil vom 18.03.2008, B 2 U 1/07 R, juris Rn. 19; allgemein zur Ermessensfehlerlehre statt vieler: Keller a.a.O., § 54 Rn. 27 m.w.N.).

aa) Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob dann, wenn für einen oder mehrere Miterben Ausschlusstatbestände i.S.d. § 102 Abs. 3 Nr. 2 und 3 SGB XII erfüllt sind, die übrigen stets nur mit dem ihrem Erbteil entsprechenden Anteil am Nachlass herangezogen werden können (dafür: Bieback in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Auflage 2020, § 102 Rn. 33; Klinge in Hauck/Noftz, SGB XII § 102 Rn. 27; kritisch: Simon a.a.O., § 102 Rn. 26 f.; offen seinerzeit: OVG NRW Urteil vom 20.02.2001, 22 A 2695/99, juris Rn. 50 ff. m.w.N.). Die erforderliche Ermessensausübung muss jedoch in jedem Fall den bei einem oder mehreren Erben vorliegenden Privilegierungstatbeständen Rechnung tragen (Simon a.a.O., § 102 Rn. 25); individuelle Privilegierungen sind vom Sozialhilfeträger im Rahmen erforderlicher Ermessenserwägungen ebenso wie sonstige Umstände zu beachten (BSG Urteil vom 23.08.2013, B 8 SO 7/12 R, Rn. 21).

bb) Die danach im vorliegenden Fall beachtlichen Umstände – namentlich die Privilegierung des Vaters, wie sie sich aus dem rechtskräftigen Urteil des SG vom 25.08.2020 ergibt – hat der Beklagte bei seiner Ermessensbetätigung ersichtlich nicht berücksichtigt. Dies lässt sich bereits daran erkennen, dass der Beklagte den Vater mit Bescheid vom selben Tag zunächst ebenfalls zum vollen Kostenersatz heranzuziehen versucht hat. Dass das SG den entsprechenden Heranziehungsbescheid erst später aufgehoben hat, ist unerheblich. Zum einen wirkte die Aufhebung des gegenüber dem Vater ergangenen Bescheides ex tunc (Keller a.a.O., § 131 Rn. 3a). Darüber hinaus lagen die tatsächlichen Voraussetzungen, aufgrund derer das SG im Fall des Vaters eine besondere Härte angenommen hat, im maßgeblichen Zeitpunkt ohnehin bereits vor. Dass diese eine besondere Härte begründeten, ergibt sich wiederum aus der Rechtskraft des SG-Urteils vom 25.08.2020 (zur Reichweite der Rechtskraft bei stattgebenden Anfechtungsurteilen vgl. Keller a.a.O., § 141 Rn. 10). Auf eine Exante-Betrachtung kommt es insoweit nicht an, weil es andernfalls in der Hand der Behörde läge, allein durch den Erlass eines – ggf. rechtswidrigen – Bescheides die für die Ermessensbetätigung maßgeblichen Umstände in ihrem Sinne zu beeinflussen.

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die Streitwertfestsetzung aus § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 3 S. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Kostenprivilegierung der §§ 183 ff. SGG findet keine Anwendung. Insbesondere klagt der Kläger nicht in der Eigenschaft als Versicherter, Leistungsempfänger oder Sonderrechtsnachfolger nach § 56 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I), sondern wird als Erbe in Anspruch genommen werden und setzt sich in dieser Funktion gegen die von dem Beklagten geltend gemachten Ersatzansprüche zur Wehr (vgl. BSG Urteil vom 23.03.2010, B 8 SO 2/09 R, juris Rn. 30).

D. Anlass, gem. § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, besteht nicht.

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