Oberlandesgericht Köln, 19 U 117/15

November 13, 2021

Oberlandesgericht Köln, 19 U 117/15

Vorinstanz:
Landgericht Köln, 23 O 463/14

Tenor:
Der Senat weist darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 24.06.2015 – 23 O 463/14 – durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Die Anschlussberufung des Klägers würde dann gem. § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung verlieren.

Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

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G r ü n d e :

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I.

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Die zulässige Berufung des Beklagten hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Denn es ist nicht ersichtlich, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO). Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO). Ebenso wenig ist eine Entscheidung des Senats durch Urteil zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO) oder aus anderen Gründen eine mündliche Verhandlung geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO).

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Zu Recht hat das Landgericht der Klage im Wesentlichen stattgegeben.

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Zunächst wird auf die zutreffenden Gründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen. Die Berufungsbegründung sowie die -erwiderung geben lediglich Anlass zu folgenden weiteren Ausführungen:

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1. Mit dem Landgericht bestehen gegen die Zulässigkeit der Klage mit dem auf Herausgabe der Handakten gerichteten Klageantrag zu 1 keine Bedenken.

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Das Herausgabeverlangen des Klägers ist hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der Kläger hat in seinem Antrag konkret bezeichnet, auf welche rechtliche Angelegenheit sich die herausverlangten Handakten des Beklagten beziehen. Es ist davon auszugehen, dass der Beklagte seiner Berufspflicht zur Führung von Handakten (§ 50 Abs. 1 BRAO) nachgekommen ist, zumal der Beklagte selbst mit vorgerichtlichem Schreiben vom 14.08.2013 die Aushändigung der gewünschten Unterlagen angekündigt hatte. Mithin besteht für ihn keine Ungewissheit darüber, auf welche Schriftstücke sich das Verlangen des Klägers bezieht. Es ist auch zu erwarten, dass bei einer etwaigen erforderlich werdenden Zwangsvollstreckung aus dem Herausgabetitel die erforderliche Zuordnung unschwer möglich sein wird (vergleiche BGH, Urteil vom 30.11.1989, II ZR 112/88; OLG Köln, Urteil vom 16.12.1996, 12 U 141/96; zitiert nach juris).

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Der Zulässigkeit der ausschließlich gegen den Beklagten gerichteten Klage steht nicht entgegen, dass er seinerzeit bei Übernahme und Erledigung des Mandats mit anderen Rechtsanwälten in einer Sozietät zusammengeschlossen war. Denn die Aktenherausgabe oder -einsicht betrifft kein Rechtsverhältnis, das gegenüber allen Mitgliedern der Sozietät als notwendige Streitgenossen (§ 62 ZPO) nur einheitlich festgestellt werden könnte, sondern Pflichten des Rechtsanwalts in seiner persönlichen Verantwortung als mit der Geschäftsbesorgung Beauftragter (vergleiche BGH, a.a.O.). Die von dem Beklagten erneut im Rahmen seiner Berufungsbegründung aufgeworfene Frage nach seiner Passivlegitimation betrifft die Sachbefugnis und ist mithin der zu überprüfenden Begründetheit der Klage zuzuordnen (vergleiche Zöller-Vollkommer, ZPO, 30. Auflage, Vor § 50 Rn. 18).

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Der auf Herausgabe der Handakten gerichteten Klage ist auch nicht das grundsätzlich erforderliche Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen. Dieses fehlt bei objektiv sinnlosen Klagen, d.h. wenn der Kläger kein schutzwürdiges Interesse an dem begehrten Urteil haben kann. Dieses kann dem Kläger nur unter ganz bestimmten Umständen abgesprochen werden (vergleiche Zöller-Greger, a.a.O., Vor § 253 Rn. 18). Hier hat der Kläger hierzu bereits erstinstanzlich dargelegt, sich mithilfe der Handakten ein umfassendes Bild über möglicherweise verbleibende Ansprüche gegen die Versicherung oder etwaige Regressansprüche verschaffen zu wollen. Mehr hat er entgegen der noch im Rahmen der Berufungsbegründung vorgetragenen Auffassung des Beklagten nicht darzulegen.

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2. Die Klage ist in dem von dem Landgericht erkannten Umfang auch begründet.

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Der Kläger kann von dem Beklagten die Herausgabe der Handakten aus § 667 BGB i.V.m. § 50 BRAO verlangen.

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Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass sie durch einen Anwaltsdienstvertrag betreffend die Rechtssache des Klägers gegen die Q M-AG (N M2 AG) verbunden gewesen sind und dass das Mandat durch Kündigung des Klägers vom 21.05.2013 beendet worden ist. Danach schuldet der Beklagte als Rechtsanwalt die Herausgabe der Handakten (vergleiche BGH, a.a.O., BGH, Urteil vom 03.11.2014, AnwSt (R) 5/14; OLG Köln, a.a.O., OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.06.2011, 24 U 155/10; Martinek in Staudinger (2006), BGB, § 667 Rn. 9; Tauchert/Dahns in Geier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 50 BRAO Rn. 11; zitiert nach juris). Auf den Anwaltsdienstvertrag finden nach § 675 BGB u.a. die §§ 666, 667 BGB Anwendung. Danach ist der Rechtsanwalt verpflichtet, dem Auftraggeber alles, was er zur Ausführung des Auftrags erhält und was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt, herauszugeben (§ 667 BGB). Dieser Anspruch wird spätestens mit der Beendigung des Auftragsverhältnisses fällig.

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Entgegen der Auffassung des Beklagten ist dieser insoweit passivlegitimiert.

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Zwar ist davon auszugehen, dass nicht er allein, sondern die Rechtsanwaltssozietät, der er seinerzeit angehört hat, von dem Kläger mandatiert worden ist. Denn sowohl der Auftraggeber als auch der Rechtsanwalt haben grundsätzlich den Willen, das Mandatsverhältnis mit allen Mitgliedern der Sozietät zu begründen (ständige Rechtsprechung des BGH, vergleiche u.a. Urteil vom 05.11.1993, V ZR 1/93, zitiert nach juris). Nur bei Vorliegen besonderer Umstände, die hier nicht ersichtlich sind, kann ausnahmsweise von der Begründung eines Einzelmandats ausgegangen werden. Jedoch ändert dies nichts daran, dass der Beklagte durchaus alleine auf Herausgabe der Handakten in Anspruch genommen werden kann. Denn er haftet als ehemaliger Sozius der als GbR betriebenen Anwaltssozietät selbst in analoger Anwendung des § 128 HGB, was im Übrigen § 52 Abs. 2 BRAO entspricht (vergleiche zum Scheinsozius: BGH, Urteil vom 16.07.2015, IX ZR 197/14; allgemein zur Haftung des Sozius: OLG Saarbrücken, Urteil vom 30.04.2007, 1 U 148/06, zitiert nach juris). Bei der (Außen-) GbR entspricht das Verhältnis zwischen Gesellschafts- und Gesellschafterhaftung der Rechtslage in den Fällen der akzessorischen Gesellschafterhaftung gemäß §§ 128 f. HGB bei der OHG (vergleiche BGH, Urteil vom 29.01.2011, II ZR 331/00, zitiert nach juris). Der Gesellschaftsgläubiger kann grundsätzlich nach Belieben die Gesellschaft und alle Gesellschafter oder einen oder einige Gesellschafter verklagen (vergleiche Roth in Baumbach/Hopt, HGB, 36. Auflage, § 128 Rn. 39).

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Daran ändert auch nichts der Umstand, dass der Beklagte inzwischen aus der Anwaltssozietät ausgeschieden ist. Das Ausscheiden des Gesellschafters beseitigt grundsätzlich seine Haftung nicht (vergleiche Roth in Baumbach/Hopt, a.a.O., § 128 Rn. 28). Dies gilt auch für den aus der Anwaltssozietät ausgeschiedenen Sozius (vergleiche OLG Saarbrücken, a.a.O.). Mangels Darlegung des konkreten Zeitpunkts des Ausscheidens des Beklagten aus der früheren Sozietät kann hier auch nicht von dem Ablauf der für die Nachhaftung geltenden Frist (entspr. § 160 HGB) ausgegangen werden.

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Zu Recht weist der Beklagte im Rahmen seiner Berufungsbegründung darauf hin, dass er nicht die mit dem Kläger geführte Korrespondenz herauszugeben braucht, auch nicht die Schriftsätze, die der Kläger bereits als Abschriften erhalten hat (vergleiche BGH, Urteil vom 30.11.1989, III ZR 112/88). Allerdings gehören solche Schriftsätze bereits gar nicht zu den Handakten (§ 50 Abs. 4 BRAO). Eine Einschränkung des Tenors ist daher nicht geboten (vgl. OLG Köln, a.a.O.). Zudem hat der insoweit für den Erfüllungseinwand (§ 362 Abs. 1 BGB) darlegungspflichtige Beklagte nicht konkret vorgetragen, welche Schriftstücke der Kläger schon in Urschrift oder Abschrift erhalten haben soll (vergleiche zur Darlegungs- und Beweislast: OLG Köln, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.). Zu den nach § 667 BGB mit den Handakten herauszugebenden Schriftstücken gehören aber ansonsten alle Unterlagen, die dem Anwalt von seinem Auftraggeber ausgehändigt worden sind, § 667 1. Alt. BGB, und der Schriftverkehr, den der Anwalt für seinen Auftraggeber geführt hat, § 667 2. Alt. BGB, einschließlich des gesamten drittgerichteten Schriftverkehrs, den der Rechtsanwalt für den Auftraggeber erhalten und geführt hat, sowie Notizen über Besprechungen, die der Anwalt im Rahmen der Besorgung des Geschäfts mit Dritten geführt hat (vergleiche BGH, Urteil vom 30.11.1989, III ZR 112/88).

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Soweit der Beklagte erstinstanzlich darauf hingewiesen hat, dass er die nach seinem Ausscheiden aus der Anwaltssozietät zunächst mitgenommenen Handakten im November 2013 an die Rechtsanwälte L & Q zwecks Stellungnahme zu einem etwaigen Haftpflichtfall gesandt und von diesen nicht zurückerhalten habe, folgt daraus nicht der Ausschluss seiner Herausgabepflicht wegen subjektiver Unmöglichkeit (§ 275 BGB). Mit erstinstanzlichem Schriftsatz vom 31.03.2015 (S. 2, Bl. 66 GA) hat der Beklagte selbst angekündigt, zu versuchen, sämtliche Unterlagen zusammenzustellen. Dem unbestritten gebliebenen Vortrag des Klägers zufolge hatte der Beklagte seine ehemalige Anwaltssozietät noch nicht um Rückgabe der Handakte gebeten. Dass man dem nicht nachkäme, ist nicht ersichtlich. Zutreffend hat das Landgericht zudem in seiner erstinstanzlichen Entscheidung darauf hingewiesen, dass der Beklagte gemäß § 667 BGB seine Rechtsstellung an dem Herauszugebenden zu übertragen hat (vergleiche Palandt-Sprau, BGB, 74. Auflage, § 667 Rn. 5 und 7).

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Der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten folgt aus Verzug, §§ 280 Abs. 2, 286, 288 Abs. 4 BGB.

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3. Die in dem erstinstanzlichen Urteil getroffene Kostenentscheidung ist im Hinblick auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht zu beanstanden.

20
II.

21
Auf die dem Rechtsmittelführer bei förmlicher Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO verloren gehende Möglichkeit einer Kosten sparenden Rücknahme (vgl. Nr. 1222 Kostenverzeichnis zum GKG) wird vorsorglich hingewiesen. Im Falle einer Berufungsrücknahme oder Zurückweisung der Berufung durch den Senat wird die Anschlussberufung des Klägers gemäß § 524 Abs. 4 ZPO gegenstandslos.

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