Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 6 S 7/22

März 2, 2022

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 6 S 7/22

Zur Frage der Grundrechtsbindung öffentlicher Stellen bei Tatsachenbehauptungen über Grundrechtsträger.(Rn.6)

Orientierungssatz
Die Grundrechtsbindung aller staatlicher Gewalt besteht ungeachtet äußerer Umstände. Soweit es um Tatsachenbehauptungen geht, sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, die ein öffentliches Interesse an sachlich unzutreffenden Informationen begründen könnten, das gegenüber dem Interesse des Betroffenen vor einer Beeinträchtigung seiner Grundrechte verschont zu bleiben, vorrangig sein könnte.(Rn.6)

vorgehend VG Potsdam, 6. Januar 2022, VG 9 L 906/21 Potsdam, Beschluss
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 6. Januar 2022 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten der Beschwerde.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe
Randnummer1
Das Verwaltungsgericht hat dem Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung vorläufig aufgegeben zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß im Zusammenhang mit dem Betrieb der S … folgende Behauptung öffentlich aufzustellen und/oder zu verbreiten: „Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat mit Beschluss vom 23.08.2021 bestätigt, dass der Betrieb eines Kindergartens und eines Hortes nicht gestattet ist.“

Randnummer2
Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Umfang der Überprüfung bestimmt, rechtfertigt keine Aufhebung oder Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses.

Randnummer3
Das Verwaltungsgericht ist im rechtlichen Ausgangspunkt, der vom Antragsgegner auch nicht in Abrede gestellt wird, zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragstellerin zur Vermeidung einer Beeinträchtigung ihrer Grundrechte verlangen kann, dass Tatsachenbehauptungen, die die Antragstellerin betreffen und die der Antragsgegner über sie verbreitet, zutreffend sein müssen. Unzutreffende oder ein falsches Bild vermittelnde Angaben seien schon im Ansatz nicht geeignet, die Öffentlichkeit sachgerecht zu informieren.

Randnummer4
Die fragliche Tatsachenbehauptung, der erkennende Senat habe mit Beschluss vom 23. August 2021 – OVG 6 S 23/21 – bestätigt, dass der auf dem Schulgelände von der Antragstellerin betriebene Kindergarten und Hort nicht gestattet sei, ist schon für sich genommen, also ohne Berücksichtigung des vom Verwaltungsgericht insoweit herangezogenen Kontextes der Erklärung des Antragsgegners, sachlich unzutreffend. Tatsächlich hat der Senat mit jenem Beschluss den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 7. August 2021 – VG 7 L 600/21 -, ein sog. Hängebeschluss, mit dem der Antragstellerin der Betrieb des integrierten Schulkindergartens bis zu einer endgültigen gerichtlichen Entscheidung vorläufig gestattet wurde, aufgehoben. In der Begründung des Beschlusses äußert sich der Senat zu der zwischen den Beteiligten streitigen und in der fraglichen Pressemitteilung des Antragsgegners thematisierten Frage, ob die von der Antragstellerin betriebenen Kindertagesbetreuungseinrichtungen einer Genehmigung bedürfen, nicht. Die Aufhebung erfolgte vielmehr allein deshalb, weil die prozessualen Voraussetzungen für den Hängebeschluss nicht vorlagen. Die Aussage, das Oberverwaltungsgericht habe bestätigt, dass der Betrieb nicht gestattet sei, legt demgegenüber den Schluss nahe, Gegenstand der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts sei die Frage des Erfordernisses einer Gestattung gewesen. Das ist sachlich unzutreffend und – entgegen der Auffassung des Antragsgegners – auch nicht lediglich „pointiert“ ausgedrückt. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Einschätzung.

Randnummer5
Der Antragsgegner macht geltend, das Verwaltungsgericht habe nicht alle entscheidungsrelevanten Aspekte des Sachverhalts in seine Entscheidung einbezogen, insbesondere habe es die Eilbedürftigkeit der streitgegenständlichen Pressemitteilung, in der die fragliche Aussage enthalten gewesen sei, und die zugrunde liegende Gesamtsituation im Rahmen der summarischen Prüfung nicht hinreichend gewürdigt. Es habe verkannt, dass die Pressemitteilung vom 30. August 2021 vom Antragsgegner nicht von sich aus abgegeben, sondern mit dieser auf eine eilige Presseanfrage reagiert worden sei. Vor dem Hintergrund der gebotenen Eile dürften keine überzogenen Anforderungen an eine amtliche Äußerung gestellt werden, soweit nicht unzutreffende, sondern lediglich ein falsches Bild vermittelnde Angaben in Rede stünden.

Randnummer6
Diese Ausführungen gehen an dem Umstand vorbei, dass die fragliche Äußerung sachlich unzutreffend ist, weil das Oberverwaltungsgericht sich zu der Frage der Gestattung des Betriebs der Betreuungseinrichtungen nicht geäußert hat. Überdies erschließt sich nicht, inwiefern bei der rechtlichen Bewertung ein Unterschied zwischen einerseits „unzutreffenden“ und andererseits „lediglich ein falsches Bild vermittelnden“ Angaben bestehen soll. Die Auffassung des Antragsgegners beruht im Übrigen auf der rechtsirrigen Annahme, das Erfordernis, als staatliche Stelle der Öffentlichkeit nur sachlich richtige Informationen erteilen zu dürfen, könne aufgrund eines Eilbedürfnisses relativiert werden. Dies verkennt, dass die Grundrechtsbindung aller staatlicher Gewalt ungeachtet äußerer Umstände besteht. Soweit es – wie vorliegend – um Tatsachenbehauptungen geht, sind auch keine Gesichtspunkte ersichtlich, die ein öffentliches Interesse an sachlich unzutreffenden Informationen begründen könnten, das gegenüber dem Interesse des Betroffenen vor einer Beeinträchtigung seiner Grundrechte verschont zu bleiben, vorrangig sein könnte.

Randnummer7
Der Einwand des Antragsgegners, das Verwaltungsgericht verlange zu Unrecht, dass der Antragsgegner trotz der gebotenen Eile alle möglichen verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten potenzieller Leser vorhersehen und durch weitere Ausführungen hätte ausschließen müssen, greift schon vor diesem Hintergrund nicht. Dessen ungeachtet ist der Einwand auch der Sache nach nicht nachvollziehbar. Ihm liegt die Annahme zugrunde, der Antragsgegner habe aufgrund des von ihm angenommenen Bedürfnisses, auf eine Presseanfrage zeitnah reagieren zu müssen, keine andere Möglichkeit gesehen, als eine sachlich unrichtige Information zu verbreiten. Davon kann hier keine Rede sein. Der Antragsgegner hätte bspw. auf die fragliche Aussage verzichten können. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, weshalb er den Stand des gerichtlichen Verfahrens zum damaligen Zeitpunkt nicht hätte zutreffend schildern können sollen.

Randnummer8
Soweit der Antragsgegner ausführt, die Antragstellerin erwecke durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit den Eindruck, sie sei berechtigt, den Betrieb ihrer Kindertageseinrichtung fortzusetzen, so dass er, der Antragsgegner, die Option haben müsse, den Aussagen der Antragstellerin auf der von dieser gewählten Ebene entgegenzutreten, verkennt er, dass weder seine Bindung an die Grundrechte noch die Geltung der Grundrechte der Antragstellerin durch deren Verhalten relativiert wird.

Randnummer9
Dem Antragsgegner steht es frei, sofern er meint, die Antragstellerin stelle (ihrerseits) unrichtige Tatsachenbehauptungen auf, dies durch eigene Pressemitteilungen richtig zu stellen oder hiergegen mit dem ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Instrumentarium vorzugehen, sofern er dies für erforderlich und erfolgversprechend hält.

Randnummer10
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Randnummer11
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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