Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, OVG 2 B 23/20

Mai 11, 2021

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, OVG 2 B 23/20

vorgehend VG Potsdam, 4 K 4710/15
Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das ihm am 19. Oktober 2017 und dem Kläger am 21. Oktober 2017 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam wird verworfen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Beschlusses vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer baurechtlichen Beseitigungsanordnung. Diese bezieht sich auf ein verfallenes Nebengebäude eines ehemaligen Rinderstalls, die der als Landwirt tätige Kläger nutzen möchte. Mit dem Kläger am 21. Oktober 2017 und dem Beklagten am 19. Oktober 2017 zugestelltem Urteil hat das Verwaltungsgericht die Beseitigungsanordnung aufgehoben, weil sie sich als ermessensfehlerhaft erweise. Mit Beschluss vom 29. Dezember 2020, dem Beklagten zugestellt am 13. Januar 2021 hat der Senat auf Antrag des Beklagten die Berufung gegen dieses Urteil zugelassen, weil aus vom Beklagten dargelegten Gründen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestünden. Nachdem in der Folgezeit keine Berufungsbegründung beim Oberverwaltungsgericht eingegangen war, ist der Beklagte mit gerichtlichem Schreiben vom 17. Februar 2021 darauf hingewiesen worden, dass die Berufung unzulässig sein dürfte, weil sie nicht fristgemäß begründet worden sei. Daraufhin hat der Beklagte mit am 3. März 2021 beim Oberverwaltungsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 2. März 2021 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung für den Wiedereinsetzungsantrag hat er geltend gemacht, dass sich der zuständige Fachbereich wegen der Corona-Pandemie in Quarantäne befunden und die mit der Fristenkontrolle beauftragte Sachbearbeiterin stets zuverlässig gearbeitet habe. Zur Begründung der Berufung hat er sich auf die Begründung des Zulassungsantrags berufen.

II.

Die Berufung des Beklagten ist gemäß § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu verwerfen, weil sie unzulässig ist. Die Entscheidung ergeht nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 125 Abs. 2 Sätze 2 und 3 VwGO durch Beschluss. Der Beklagte hat die nach § 124a Abs. 6 VwGO erforderliche Berufungsbegründung trotz einer entsprechenden Belehrung in dem Zulassungsbeschluss nicht innerhalb der einmonatigen Begründungsfrist beim Oberverwaltungsgericht eingereicht (1.). Die Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO liegen nicht vor (2.).

1. Nach § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO ist eine durch Beschluss des Oberverwaltungsgerichts zugelassene Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses zu begründen. Gemäß § 124a Abs. 6 Satz 2 VwGO ist die Begründung bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Eine Berufungsbegründung in diesem Sinne ist nicht fristgemäß beim Oberverwaltungsgericht eingegangen. Der Zulassungsbeschluss ist dem Beklagten am 13. Januar 2021 zugestellt worden. Gleichwohl hat der Beklagte die zugelassene Berufung durch Bezugnahme auf die Begründung des Zulassungsantrags erstmals mit am 3. März 2021 beim Oberverwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 2. März 2021 begründet. Zuvor war er mit gerichtlichem Schreiben vom 17. Februar 2021 auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen worden.

Eine Berufungsbegründung war auch nicht entbehrlich, weil der Beklagte bereits die Zulassung der Berufung beantragt und umfangreich begründet hatte (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 1 und Satz 4 VwGO). Denn dies führt nicht dazu, dass eine Berufungsbegründung nach § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO eine bloße Förmelei wäre. Mit der Einreichung eines gesonderten Schriftsatzes zur Berufungsbegründung nach Zulassung der Berufung gibt der Berufungskläger vielmehr in einer nicht verzichtbaren Weise eindeutig zu erkennen, dass er nach wie vor die Durchführung eines Berufungsverfahrens anstrebt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. März 2003 – 3 B 143/02 – juris Rn. 7 f.). Daran fehlt es vorliegend.

2. Der mit vorgenanntem Schriftsatz gestellte und begründete Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist hat keinen Erfolg.

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm gemäß § 60 Abs. 1 VwGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 4. Oktober 2002 – 5 C 47.01, 5 B 33.01 – juris m.w.N.) vor, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war. Dabei sind an eine Behörde zwar keine strengeren, aber auch keine geringeren Anforderungen zu stellen als an einen Rechtsanwalt (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 2; Beschluss vom 14. Februar 1992 – 8 B 121.91 – juris Rn. 3).

Gemessen hieran hat der Beklagte nicht glaubhaft gemacht, ohne Verschulden gehindert gewesen zu sein, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten (vgl. § 60 Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Soweit er sich auf die Corona-Pandemie beruft und vorträgt, im Fachbereich habe es am 4. Januar 2021 einen positiven Corona-Fall gegeben mit der Folge, dass sich nicht nur die betroffene Mitarbeiterin, sondern auch zehn weitere Mitarbeiter der büroorganisatorischen und baurechtlichen Ebene des Fachbereichs in Quarantäne begeben hätten, was „zum praktischen Zusammenbruch des Sekretariates und der Abteilung“ geführt habe, vermag ihn dies nicht zu entschuldigen. Abgesehen davon, dass die Kausalität der Quarantäne für die Fristversäumnis zweifelhaft erscheint, weil diese am Tag des Eingangs des Zulassungsbeschlusses nach eigenem Vorbringen des Beklagten bereits beendet war, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass ein Rechtsanwalt verpflichtet ist, die erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen zu treffen, um auch bei einer Erkrankung die Wahrung der laufenden Fristen sicherzustellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. November 2017 – 10 B 5/17 – juris Rn. 7; vgl. auch bezogen auf Büropersonal: BGH, Beschluss vom 26. August 1999 – VII ZB 12/99 – juris Rn. 15). Das gilt umso mehr, wenn mit krankheitsbedingten Ausfällen gerechnet werden muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. November 2017, a.a.O.). Angesichts dessen geht die Berufung des Beklagten auf die Corona-Pandemie fehl. Denn der Beklagte musste mit Mitarbeiterausfällen aufgrund der Corona-Pandemie rechnen und hierfür organisatorische Vorkehrungen treffen. Der Bundestag hatte bereits am 25. März 2020 eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ festgestellt (vgl. BT-Drs. 19/26545, S. 1). Ein gewissenhafter und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmender Prozessführender musste sich anschließend darauf einrichten, dass es zu Quarantäneanordnungen kommen könne (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG). Dass „der Mitarbeiterausfall in einer Pandemie nicht in jeder Hinsicht planbar“ sein mag und die „Abläufe in der Behördenorganisation“ langsamer vonstattengehen mögen als in einer Rechtsanwaltskanzlei, ist unerheblich. Im Januar 2021 – etliche Monate nach Feststellung der epidemischen Lage – hätte der Beklagte auf Quarantäneanordnungen und die Möglichkeit des Ausfalls auch mehrerer Beschäftigter vorbereitet sein müssen. Er hätte hierfür in Bezug auf die Wahrung der laufenden Fristen Vorsorge treffen müssen, etwa durch Anordnung eines Notdienstes für die Erledigung unaufschiebbarer Maßnahmen. Dass der Beklagte diesen organisatorischen Anforderungen gerecht geworden wäre, ist seinem Vorbringen nicht zu entnehmen.

Soweit der Beklagte außerdem vorträgt, die Fristenkontrolle sei einer stets zuverlässig arbeitenden Bürosachbearbeiterin übertragen gewesen, bei der es „das erste Mal“ zur Versäumung einer Frist gekommen sei, vermag auch dies ihn nicht zu entlasten. Das Vorbringen zielt offenbar auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab, wonach ein Rechtsanwalt einfache Arbeiten, die keine besondere intellektuelle Leistung oder juristische Schulung erfordern, sondern routinemäßig erledigt werden können, auf Büropersonal übertragen darf, wenn und solange dieses sorgfältig ausgewählt und gut ausgebildet, erprobt und überwacht wird (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 28. April 1967 – IV C 100.66 – BVerwGE 27, 36 <38>). Diese Rechtsprechung greift vorliegend zugunsten des Beklagten schon deshalb nicht ein, weil schwierigere und bedeutsamere Funktionen jenseits routinemäßiger Abwicklung nicht auf Büropersonal übertragen werden dürfen. Hierzu gehört auch die Einhaltung der Frist zur Begründung einer Berufung gemäß § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 2. August 2006 – 4 S 2288/05 – NVwZ-RR 2007, 137 <138>; Bier/Steinbeiß-Winkelmann in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Juli 2020, Rn. 45 zu § 60). Die Einhaltung dieser Frist darf nicht vollständig vom Prozessvertreter der Behörde anderen Behördenbediensteten überlassen werden, insbesondere wenn diese nicht die Befähigung zum Richteramt besitzen, weil ihre Berechnung und Überwachung besonderer Sorgfalt bedarf (vgl. VGH Mannheim, a.a.O.).

Im Übrigen hat der Beklagte nicht glaubhaft gemacht (vgl. § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO), dass die für die Fristenkontrolle zuständige Mitarbeiterin sorgfältig ausgewählt, gut ausgebildet, erprobt und überwacht worden ist. Die schlichte Behauptung, sie habe zuvor stets zuverlässig gearbeitet, reicht hierfür nicht aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO aufgeführten Gründe vorliegt.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

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