Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, OVG 3 M 4/21

Mai 12, 2021

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, OVG 3 M 4/21

vorgehend VG Potsdam, 7. Januar 2021, 11 K 2644/20
Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 7. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die Beschwerde des Klägers gegen die erstinstanzliche Versagung von Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO biete, ist nicht zu beanstanden.

Die Bejahung hinreichender Erfolgsaussichten setzt grundsätzlich nicht voraus, dass der Prozesserfolg schon gewiss ist. Es genügt vielmehr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die jedenfalls dann gegeben ist, wenn der Ausgang des Verfahrens offen ist und ein Obsiegen ebenso in Betracht kommt wie ein Unterliegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 1999 – 6 B 121.98 – juris Rn. 8; VGH Mannheim, Beschluss vom 21. November 2006 – 11 S 1918/06 – juris Rn. 7; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 166 Rn. 8). Prozesskostenhilfe darf demgegenüber verweigert werden, wenn die Erfolgschance lediglich eine entfernte ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. Oktober 2019 – 2 BvR 1813/18 – juris Rn. 27; Beschluss vom 11. August 2020 – 2 BvR 437/20 – juris Rn. 4). Dies ist hier der Fall.

Die Feststellung des Beklagten, dass es der Kläger unterlässt, dafür Sorge zu tragen, dass seine Tochter regelmäßig am Unterricht und den sonstigen pflichtigen Schulveranstaltungen teilnimmt (Ziffer 1. der angefochtenen Verfügung), sowie die Aufforderung, ab sofort für den ordnungsgemäßen Schulbesuch der Tochter, insbesondere die regelmäßige Teilnahme am Unterricht und den sonstigen pflichtigen Schulveranstaltungen, zu sorgen (Ziffer 2.), finden ihre rechtliche Grundlage in § 41 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 41 Abs. 1 Satz 2 BbgSchulG. Danach haben zum einen die Eltern einer Schülerin oder eines Schülers dafür zu sorgen, dass eine regelmäßige Teilnahme am Unterricht und an den sonstigen pflichtigen Veranstaltungen der Schule erfolgt, und kann zum anderen durch das staatliche Schulamt unter den Voraussetzungen des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes ein Zwangsgeld festgesetzt werden, wenn eine Verletzung der Schulpflicht auf einer Verletzung dieser Pflicht beruht.

Diese Bestimmungen ermächtigen das staatliche Schulamt zum Erlass von Verfügungen wie der hier in Ziffer 2. vorliegenden, mit denen Eltern Handlungspflichten zur Durchsetzung der Schulpflicht auferlegt werden, die im Wege des Verwaltungszwangs durchsetzbar sind. Auch wenn dies nicht explizit im Wortlaut zum Ausdruck gebracht wird, folgt dies jedenfalls im Wege der Auslegung aus den genannten Bestimmungen (vgl. zu der durch Auslegung dem Gesetz entnommenen Verwaltungsaktbefugnis BVerwG, Urteil vom 12. April 2017 – 2 C 16.16 – juris Rn. 15; Urteil vom 29. April 2020 – 7 C 29.18 – juris Rn. 20 m.w.N.). Denn da § 41 Abs. 3 Satz 1 BbgSchulG auf die Voraussetzungen des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Brandenburg (VwVGBbg) zur Festsetzung eines Zwangsgeldes verweist, dieses jedoch nach §§ 3, 26 Abs. 1 VwVGBbg für eine Zwangsvollstreckung einen Verwaltungsakt voraussetzt, mit dem zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung verpflichtet wird, spricht dies angesichts der Zielsetzung, den Schulbehörden effektive Instrumente an die Hand zu geben, um den Unterrichtsbesuch schulpflichtiger Kinder durchsetzen zu können, dafür, dass § 41 Abs. 3 Satz 1 BbgSchulG eine entsprechende Verwaltungsaktbefugnis immanent ist. Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs zum Brandenburgischen Schulgesetz entspricht dies auch den erkennbaren Vorstellungen des Gesetzgebers (vgl. LT-Drs. 2/1675 S. 153). Auch tragen diese Regelungen – als Minus – Verwaltungsakte, die die Verletzung der elterlichen Pflicht aus § 41 Abs. 1 Satz 2 BbgSchulG feststellen (vgl. zum Ermächtigungserfordernis für feststellende Verwaltungsakte BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2003 – 6 C 23.02 – juris Rn. 14).

Die notwendigen Voraussetzungen für eine entsprechende Verfügung liegen vor. Die am geborene und in P… wohnende und daher nach § 36 Abs. 1 Satz 2, § 37 Abs. 3 BbgSchulG schulpflichtige Tochter des Klägers kam ausweislich der Schulversäumnisanzeige der M…P… seit Beginn des Schuljahres 2020/2021 der Schulpflicht und der daraus folgenden Schulbesuchspflicht (vgl. § 38 Abs. 1, § 44 Abs. 3 Satz 1 BbgSchulG) nicht nach, da sie am Unterricht infolge der vorgeschriebenen, aber fehlenden Mund-Nasen-Bedeckung nicht teilnehmen konnte. Diese Nichterfüllung der Schulpflicht beruht im Sinne des § 41 Abs. 3 Satz 1 BbgSchulG auf einer Verletzung der aus § 41 Abs. 1 BbgSchulG folgenden Pflichten (auch) des Klägers.

§ 41 Abs. 1 Satz 2 BbgSchulG gestaltet die durch Art. 30 Abs. 1 VerfBbg landesverfassungsrechtlich vorgegebene und auch nach Art. 7 Abs. 1 GG unbedenkliche allgemeine Schulpflicht näher aus und flankiert die sich aus §§ 36 ff. BbgSchulG ergebende Schulbesuchspflicht der Schülerinnen und Schüler durch eine öffentlich-rechtliche Elternpflicht gegenüber der Schule (vgl. für entsprechende landesrechtliche Regelungen VGH Mannheim, Beschluss vom 10. Juli 2014 – 9 S 1074/12 – juris Rn. 13 f.; OVG Münster, Beschluss vom 24. August 2016 – 19 B 760/16, 19 E 555/16 – juris 2, 6). Diese umfasst insbesondere die Verpflichtung, den regelmäßigen Besuch des Schulunterrichts bzw. der weiteren verpflichtenden schulischen Veranstaltungen gegenüber dem Kind durchzusetzen und hierfür die kraft der Stellung als Sorgeberechtigte zur Verfügung stehenden geeigneten erzieherischen Einwirkungsmöglichkeiten mit dem Ziel einzusetzen, den Schulbesuch effektiv sicherzustellen (vgl. LT-Drs. 2/1675 S. 152; Hanßen/Glöde, BbgSchulG, Stand: Oktober 2020, § 41 Anm. 5). Sie umfasst zugleich die Verpflichtung der Eltern, das schulpflichtige Kind in der erforderlichen Weise auszustatten, die es in die Lage versetzt, am Unterricht bzw. an den Schulveranstaltungen teilzunehmen.

Dem hat der Kläger nicht Genüge getan. Wie sich seinen Stellungnahmen im Verwaltungsverfahren, insbesondere seiner E-Mail vom 16. September 2020, und auch seinen Äußerungen im Klageverfahren entnehmen lässt, lehnt es der Kläger ab, seine Tochter mit einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maske) für den Schulbesuch auszustatten. Damit hat er es seiner Tochter unmöglich gemacht, die aus Gründen des Infektionsschutzes erlassenen besonderen Regelungen für den Aufenthalt in Schulen zu wahren. Denn zu Beginn des Schuljahres 2020/2021 wurde mit Wirkung vom 12. August 2020 durch die Zweite Verordnung zur Änderung der SARS-CoV-2-Umgangsverordnung vom 11. August 2020 (GVBl. II Nr. 64) für alle Personen ab dem vollendeten sechsten Lebensjahr die Pflicht eingeführt, in den Innenbereichen von Schulen außerhalb des Unterrichts eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen (§ 2 Abs. 1 Nr. 8 SARS-CoV-2-UmgV). Dies wurde auch nach Ablösung der SARS-CoV-2-Umgangsverordnung durch die SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung vom 30. Oktober 2020 (GVBl. II Nr. 103) sowie deren befristeten Nachfolgeverordnungen in Abwandlung fortgeführt. Gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 2 SARS-CoV-2-EindV bestand in den Innenbereichen von Schulen für Schülerinnen und Schüler, die nicht die gymnasiale Oberstufe oder Oberstufenzentren besuchten, ab dem vollendeten fünften Lebensjahr außerhalb des Unterrichts die Pflicht zur Mund-Nasen-Bedeckung (s. auch § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der 2. SARS-CoV-2-EindV). Für Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 1 bis 4 änderte sich hieran trotz der Modifikation durch § 17 Abs. 1 Satz 1 der 3. SARS-CoV-2-EindV auch nach dem 15. Dezember 2020 nichts (s. auch § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der 4. SARS-CoV-2-EindV, § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der 5. SARS-CoV-2-EindV, § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der 6. SARS-CoV-2-EindV und § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der aktuell geltenden 7. SARS-CoV-2-EindV). Die in den jeweiligen Verordnungen eröffneten Befreiungstatbestände von der Maskenpflicht (s. schon § 2 Abs. 3 Nr. 2 SARS-CoV-2-UmgV), insbesondere medizinische Gründe, macht der Kläger nicht geltend. Er nahm und nimmt damit bewusst in Kauf, dass seiner Tochter zum Gesundheitsschutz der anderen Schülerinnen und Schüler sowie der Beschäftigten der Schule der Zutritt zum Schulgebäude verwehrt wird. Denn der Schule obliegt eine Fürsorgepflicht, insbesondere die ihr anvertrauten Schülerinnen und Schüler vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren (vgl. OVG Koblenz, Beschluss vom 12. Januar 2021 – 2 B 11648/20 – juris Rn. 7). Dass die Nichtteilnahme der Schülerin am Unterricht formal aus einer Verweigerung des Zutritts zur Schule durch den Schulleiter folgt, ändert – entgegen der schon im Widerspruch vertretenen Auffassung des Klägers – an seiner Verantwortung und der Zurechnung der Schulpflichtverletzung im Sinne des § 41 Abs. 3 Satz 1 BbgSchulG nichts.

An der Wirksamkeit der genannten Verordnungsbestimmungen, die den Schulbesuch mit der Nutzung einer Mund-Nasen-Bedeckung oder von medizinischen Masken verknüpfen, bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat einen Normenkontrollantrag gegen die Pflicht zum Tragen einer Maske in der Schule durch Beschluss vom 9. November 2020 – OVG 11 S 114/20 – (juris) angesichts der Erforderlichkeit von Infektionsschutzmaßnahmen sowie der Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit des Maskentragens auch in schulischen Zusammenhängen, zur Reduktion des Infektionsgeschehens beizutragen, zurückgewiesen (vgl. auch zur Zulässigkeit der Maskenpflicht in der Schule: VGH München, Beschluss vom 7. September 2020 – 20 NE 20.1981 – juris Rn. 18 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 30. November 2020 – 13 MN 519/20 – juris Rn. 25 ff.; Beschluss vom 15. Dezember 2020 – 2 ME 463/20 – juris Rn. 9 ff.; OVG Münster, Beschluss vom 20. August 2020 – 13 B 1197/20.NE – juris Rn. 32 ff.; OVG Schleswig, Beschluss vom 15. Oktober 2020 – 3 MR 43/20 – juris Rn. 14 ff.; Beschluss vom 13. November 2020 – 3 MR 61/20 – juris Rn. 11 ff.; VGH Mannheim, Beschluss vom 22. Oktober 2020 – 1 S 3201/20 – juris Rn. 32 ff.; OVG Bautzen, Beschluss vom 7. Dezember 2020 – 3 B 396/20 – juris Rn. 20 ff.). Das Vorbringen des Klägers zeigt darüber hinaus keinen weitergehenden Klärungsbedarf auf.

Der angefochtene Bescheid unterliegt auch nicht insoweit rechtlichen Zweifeln als der Kläger in Ziffer 2. lediglich aufgefordert wird, „für den ordnungsgemäßen Schulbesuch Ihrer Tochter … zu sorgen.“ Der Umstand, dass dem Kläger danach keine konkreten Mittel zur Konkretisierung des Sorgetragens vorgeschrieben werden, entspricht vielmehr dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da es danach der Entscheidungskompetenz des Klägers überlassen wird, in welcher geeigneten Weise er die geforderte regelmäßige Teilnahme seiner Tochter am Unterricht sicherstellen will, und somit ein übermäßiger Eingriff in das Erziehungsrecht vermieden wird.

Auch bezüglich der Androhung eines Zwangsgeldes in Ziffer 4. des angegriffenen Bescheides ergeben sich keine durchgreifenden Bedenken an der Rechtmäßigkeit.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr nicht.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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