Oberverwaltungsgericht NRW, 15 E 381/22

Mai 21, 2022

Oberverwaltungsgericht NRW, 15 E 381/22

1.
Die Regelung des § 17a Abs. 2 GVG ist grundsätzlich auch in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entsprechend anwendbar.

2.
In Fällen, in denen eine große Eilbedürftigkeit besteht, die Rechtswegprüfung aber auf schwierige Fragen führt, muss es im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes dem erkennenden Gericht gestattet sein, den Rechtsweg nur vorläufig bzw. prognostisch zu bejahen, um zu einer (rechtzeitigen) Sachentscheidung vordringen zu können.

3.
Stützt eine Gemeinde Maßnahmen des Infektionsschutzes in öffentlichen Einrichtungen auf ihr Hausrecht, ist es für die Frage der Einordnung des Rechtsstreits als öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich unerheblich, dass die dort stattfindenden Veranstaltungen von Privaten auf Grundlage eines Mietvertrages ausgerichtet werden.

Tenor:
Der angegriffene Beschluss wird geändert und der Verwaltungsrechtsweg für zulässig erklärt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

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G r ü n d e :

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Die Beschwerde des Antragstellers, mit der er sich gegen die Verweisung des Eilverfahrens an das Amtsgerichts M. wendet, hat Erfolg.

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Dabei schließt sich der Senat der Auffassung an, dass § 17a Abs. 2 GVG grundsätzlich auch in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entsprechend anwendbar ist.

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Vgl. dazu ausführlich BVerwG, Beschluss vom 15. November 2000 – 3 B 10.00 -, juris Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 9. Juni 2009 – 8 E 1599/08 -, juris Rn. 3 ff., jeweils m. w. N.

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Insoweit ist vorliegend indes zu berücksichtigen, dass das Verfahren eine große Eilbedürftigkeit aufweist – die streitgegenständliche Veranstaltung, deren Besuch der Antragsteller ohne Einhaltung der antragsgegnerischen Vorgaben zum Infektionsschutz begehrt, findet bereits heute Abend statt – und die Rechtswegprüfung auf schwierige Fragen führt. In einem solchen Fall muss es im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes dem erkennenden Gericht gestattet sein, den Rechtsweg nur vorläufig bzw. prognostisch zu bejahen, um zu einer (rechtzeitigen) Sachentscheidung vordringen zu können.

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Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 29. Juli 2010 – 20 A 02.40066, 20 A 02.40068 -, juris Rn. 10.

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Diesen aufgrund der Eilbedürftigkeit modifizierten Entscheidungsmaßstab zugrunde gelegt hat das Verwaltungsgericht zu Unrecht den Verwaltungsrechtsweg gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht M. verwiesen.

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Der Verwaltungsrechtsweg dürfte nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO gegeben sein. Insbesondere handelt es sich bei dem vorliegenden Rechtsstreit um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Die streitgegenständlichen Vorgaben (Maskenpflicht, 3-G-Regelung) beruhen auf dem Hausrecht der Antragsgegnerin (dazu 1.). Die Voraussetzungen, unter denen die Ausübung des Hausrechts durch einen öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträger als öffentlich-rechtlich einzuordnen ist, liegen hier vor (dazu 2.).

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1. Die Antragsgegnerin stützt ihre aktuellen Vorgaben zur Maskenpflicht und zur Einhaltung der 3-G-Regelung für den Besuch städtischer Einrichtungen – darunter das Kulturhaus, zu dem der Antragsteller Zutritt begehrt – ausdrücklich auf ihr Hausrecht.

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Siehe Pressemitteilung vom 27. April 2022, abrufbar unter …. (abgerufen am 13. Mai 2022).

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Gegen diese Vorgaben wendet sich der Antragsteller. Insoweit ist es für die Frage der Einordnung des Rechtsstreits als öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich unerheblich, dass die Veranstaltung, die er besuchen will, von einer privaten Ballettschule ausgerichtet wird, die die Kulturhalle der Antragsgegnerin zu diesem Zweck gemietet hat. Der Antragsteller macht keinen Zugangsanspruch gegenüber der Ballettschule geltend. Er begehrt vielmehr die Aufhebung bzw. Außervollzugsetzung der von der Antragsgegnerin für sämtliche städtischen Einrichtungen und damit auch alle Veranstaltungen im Kulturhaus erlassenen Regelungen. Diese hat die streitgegenständlichen Vorgaben zwar auch in den Mietvertrag mit der Ballettschule aufgenommen. Gleichwohl beruht deren Geltung auch im Falle der Überlassung des Kulturhauses an Private auf dem Hausrecht der Antragsgegnerin. Diese behält sich die Ausübung des Hausrechts für Veranstaltungen im Kulturhaus auch bei Vermietung ausweislich § 7 Abs. 1 der Bedingungen der Stadt M. zur Vermietung von Räumen und Einrichtungen im Kulturhaus,

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abrufbar unter … (abgerufen am 13. Mai 2022),

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ausdrücklich vor. Diese Bedingungen sind nach § 1 Abs. 2 des mit der Ballettschule geschlossenen Mietvertrages Bestandteil der vertraglichen Vereinbarungen. Damit hat die Antragsgegnerin im Ausgangspunkt die alleinige Befugnis, den Zutritt zum Kulturhaus zu regeln. Insoweit handelt es sich nicht um eine Konstellation, in der über das privatrechtlich ausgestaltete „Wie“ des Zugangs zu einer kommunalen öffentlichen Einrichtung gestritten wird und deshalb nach der Zwei-Stufen-Theorie der Zivilrechtsweg eröffnet ist.

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2. In Fällen, in denen um die Ausübung des Hausrechts durch einen öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträger gestritten wird, kommt es für die Qualifizierung des Rechtsstreits als öffentlich-rechtlich oder zivilrechtlich darauf an, welcher Zweck damit verfolgt wird. Die Ausübung des Hausrechts ist nach herrschender Auffassung dann als öffentlich-rechtlich einzuordnen, wenn der Zweck – wie in der Regel – in der Aufrechterhaltung des ungestörten Dienstbetriebs liegt.

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Vgl. BSG, Beschluss vom 1. April 2009 – B 14 SF 1/08 R -, juris Rn. 11 m. w. N.; VG Karlsruhe, Beschluss vom 1. März 2021 – 7 K 593/21 -, juris Rn. 4; VG Leipzig, Beschluss vom 9. April 2020 – 7 L 192/20 -, juris Rn. 18.

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Dies ist hier der Fall. Die Antragsgegnerin hat die Ausübung ihres Hausrechts in der Form der aktuellen Zugangsbeschränkungen allgemein mit dem Schutz ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, der Sicherstellung der Organisation der Landtagswahlen und der Gewährleistung der Einsatzfähigkeit in Bereichen der kritischen Infrastruktur begründet. Speziell bezogen auf das Kulturhaus hat die Antragsgegnerin daneben (auch) auf den Schutz der Besucherinnen und Besucher verwiesen.

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Vgl. Pressemitteilung vom 8. April 2022, abrufbar unter … (abgerufen am 13. Mai 2022).

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Auch der Schutz der Besucher und Besucherinnen dürfte sich bei einer kommunalen Veranstaltungshalle der Aufrechterhaltung des ungestörten Betriebs der öffentlichen Einrichtung zuordnen lassen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.

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Der Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht(vgl. Kostenverzeichnis Nr. 5502, Anlage 1 zum GKG).

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