OLG Düsseldorf, Urt. v. 07.06.2013 – 7 U 130/12 Irrtum über Überschuldung des Nachlasses

Juni 3, 2018

OLG Düsseldorf, Urt. v. 07.06.2013 – 7 U 130/12

Irrtum über Überschuldung des Nachlasses

 

Die Klägerin nimmt den beklagten Rechtsanwalt auf Schadensersatz in Anspruch, weil er die Anfechtung der Erbausschlagung für sie nicht fristgerecht erklärt habe.

Die Klägerin war aufgrund Erbvertrages als Alleinerbin eingesetzt. Die bei dem Nachlassgericht N. tätige JOS I. informierte die Klägerin im Rahmen eines Telefongesprächs u.a., dass andere „Erben” bereits wegen Überschuldung ausgeschlagen hätten und sie, die Klägerin, wenn sie das Erbe annehme, auch die Schulden zahlen müsse.

Am 01.02.2007 erklärte die Klägerin zu Protokoll vor der Rechtspflegerin beim AG E.:

„Ich gehe davon aus, dass der Nachlass überschuldet ist. Darüber hinaus möchte ich mit dem Nachlass nichts zu tun haben. Die mir angefallene Erbschaft schlage ich aus jedem Berufungsgrund aus.”

Nachdem der Klägerin Zweifel an der Überschuldung des Nachlasses gekommen waren, beauftragte sie den Beklagten. Zur Abgabe einer Anfechtungserklärung kam es schließlich nicht.

Aus den Gründen:

Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Schadensersatzanspruch gem. §§ 675, 280 BGB zu.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte seine Pflichten aus dem mit der Klägerin geschlossenen Anwaltsvertrag verletzt hat, weil nicht festgestellt werden kann, dass der Klägerin aus einer möglichen Pflichtverletzung ein Schaden entstanden ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn ein zur Anfechtung der Ausschlagung berechtigender Irrtum vorgelegen hätte. Dies ist von der Klägerin nicht schlüssig dargelegt worden.

Als Anfechtungsgrund im Rahmen des § 1954 BGB kommt neben dem Inhalts- und Erklärungsirrtum gem. § 119 Abs. 1 BGB der Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft gem. § 119 Abs. 2 BGB in Betracht.

Die Überschuldung des Nachlasses kann eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses i.S.v. § 119 Abs. 2 BGB sein. Fehlvorstellungen darüber, dass die Verbindlichkeiten den Wert des Nachlasses übersteigen, sind relevant, wenn sie auf unrichtigen Vorstellungen über die Zusammensetzung des Nachlasses beruhen (OLG Düsseldorf, FamRZ 2011, 1171 = ZEV 2011, 317). Eine Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums kommt daher nur in Betracht, wenn der Umfang des Nachlasses für die Entscheidung des Erben, ob er die Erbschaft annehmen oder ausschlagen will, überhaupt von Bedeutung war. Ist ihm der Bestand des Nachlasses hingegen gleichgültig, kommt ihm kein willensbildender Faktor zu und eine Anfechtung kann darauf nicht gestützt werden (OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Rostock, NJW-RR 2012, 1356). Wer eine Erbschaft für finanziell uninteressant gehalten und daher ausgeschlagen hat, kann dies nicht anfechten, wenn sich später das Vorhandensein eines wertvollen Nachlassgegenstandes herausstellt (OLG Düsseldorf, FamRZ 2009, 153 = NJW-RR 2009, 12).

Irrtümliche Vorstellungen darüber, ob der Nachlass überschuldet ist oder nicht, betreffen dann keine Eigenschaft des Nachlasses, wenn die Überschuldung nichts anderes als das Ergebnis der Bewertung der Nachlassgegenstände und der Nachlassverbindlichkeiten darstellt. Wenn dagegen die irrtümliche Bejahung oder Verneinung der Überschuldung darauf beruht, dass die Zugehörigkeit bestimmter Gegenstände zum Nachlass oder das Bestehen von Nachlassverbindlichkeiten fehlerhaft bejaht oder verneint wurde, so ist darin ein Irrtum über Eigenschaften des Nachlasses zu sehen. Zu den wertbildenden Faktoren der Erbschaft gehört auch, mit welchen Nachlassverbindlichkeiten diese belastet ist (MünchKomm-BGB/Leipold, 5. Aufl., § 1954 Rn. 13, 14).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann hier kein Irrtum der Klägerin über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses festgestellt werden.

In tatsächlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass der Klägerin von der beim AG N. tätigen Justizobersekretärin I. nicht gesagt worden ist, dass das Erbe überschuldet sei, sondern dass andere „Erben” wegen Überschuldung ausgeschlagen hätten (was tatsächlich auch zutreffend gewesen ist). Der Irrtum der Klägerin bestand also darin, dass sie die Erklärung der Justizobersekretärin falsch verstanden und angenommen hat, dass der Nachlass auch tatsächlich überschuldet sein müsse, wenn andere, die bei gesetzlicher Erbfolge als Erben berufen gewesen wären, aus diesem Grund die Erbausschlagung erklärt haben.

Aber selbst wenn der Klägerin gesagt worden sein soll, der Nachlass sei überschuldet oder sogar, wie sie nunmehr behauptet, hoch überschuldet, kann nicht festgestellt werden, dass sich die Klägerin unrichtige Vorstellungen über die Zugehörigkeit bestimmter Gegenstände und Verbindlichkeiten zum Nachlass gemacht hätte. Was sich die Klägerin im Hinblick auf die Zusammensetzung des Nachlasses und das Bestehen etwaiger Nachlassverbindlichkeiten konkret vorgestellt hat, wird nicht vorgetragen. Die Klägerin wusste, dass zum Nachlass das Dreifamilienhaus des Erblassers in D. gehörte. Sie wusste auch von der zu ihren Gunsten eingetragenen Hypothekenbelastung des Grundstücks und der Höhe, in der die Hypothek valutierte. Wie sie selbst vorträgt, wusste sie auch, dass für das Konto des Erblassers bei der Volksbank keine Forderungen und nur geringfügige Pfändungen bestanden. Da sie von der Aussage der Frau I. zur Überschuldung des Nachlasses überrascht gewesen sein will, war die Klägerin offenbar bis dahin selbst der Meinung, dass der Nachlass durchaus werthaltig sei. Welche Vorstellungen in Bezug auf den Nachlass sie dann jedoch dazu bewegt haben, von dessen Überschuldung auszugehen, wird auch nicht dargelegt. Ihre Fehlvorstellung gründet damit auf der diffusen Annahme, dass es trotz der ihr bekannten erheblichen Aktiva irgendwie zu einer Überschuldung gekommen sein müsse.

Dass die Klägerin sich keine näheren Vorstellungen über den Bestand des Nachlasses gemacht hat, sondern nur aus der ihr mitgeteilten Ausschlagung durch die gesetzlichen Erben geschlossen hat, dass der Nachlass irgendwie überschuldet sein könne, wird auch dadurch bestätigt, dass sie keinerlei Nachprüfungen angestellt hat, indem sie z.B. mit den gesetzlichen Erben Kontakt aufgenommen hätte.

Sie hat sich – über das ihr bekannte Immobilieneigentum hinaus – kein eigenes Bild vom Bestand der Erbschaft gemacht, sondern nur auf das vertraut, was andere angenommen haben, ohne zu wissen, wie diese dazu gelangt sind.

Damit hat die Klägerin sich bewusst im Unklaren über den Nachlassbestand gehalten und die Unrichtigkeit der von ihr übernommenen Annahme einer Überschuldung in Kauf genommen. Ob auch die von der Klägerin bei Protokollierung der Erbausschlagung genehmigte und unterschriebene Erklärung, dass sie darüber hinaus mit dem Nachlass nichts zu tun haben wolle, dafür spricht, dass sie sich keine Vorstellungen über den Nachlassbestand gemacht hat, weil er ihr gleichgültig war, kann dahinstehen.

 

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