OLG Frankfurt am Main, 02.07.2018 – 8 W 18/18

März 17, 2019

OLG Frankfurt am Main, 02.07.2018 – 8 W 18/18
Leitsatz:

An die Substantiierungspflicht der Parteien dürfen im Arzthaftungsprozess nur maßvolle Anforderungen gestellt werden, weil vom Patienten regelmäßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden kann.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers und Beschwerdeführers wird der Beschluss der 14. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main (2-14 O 209/17) vom 19. März 2018 in Verbindung mit dem Nichtabhilfebeschluss vom 13. April 2018 abgeändert.

Dem Antragsteller und Beschwerdeführer wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe für den Klageantrag bewilligt, die Antragsgegnerin zu verurteilen, an den Antragsteller und Beschwerdeführer ein Schmerzensgeld in Höhe von € 50.000,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Dem Antragsteller und Beschwerdeführer wird überdies für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe für den Klageantrag bewilligt, festzustellen, dass die Antragsgegnerin vorbehaltlich eines gesetzlichen Forderungsüberganges verpflichtet ist, dem Antragsteller und Beschwerdeführer sämtliche materiellen Schäden aus der Behandlung im Januar 2015 auszugleichen.

Dem Antragsteller und Beschwerdeführer wird zur Wahrnehmung der Rechte im ersten Rechtszug Rechtsanwalt A, Stadt2, zu den kostenrechtlichen Bedingungen eines Rechtsanwaltes mit Sitz in dem Bezirk des Prozessgerichts beigeordnet.

Die Beschwerdeentscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten der Parteien im Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet.
Gründe

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: der Beschwerdeführer) begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur klageweisen Geltendmachung eines Schmerzensgeldanspruchs sowie der Feststellung der Ersatzpflicht der Antragsgegnerin in Bezug auf etwaige materielle Schäden.

Der Beschwerdeführer ließ im Januar 2015 eine Hyposensibilisierung bei der Antragsgegnerin durchführen. Er erhielt in deren Praxis am 9. Januar 2015 eine von mehreren vorgesehenen Spritzen.

Am XX. Januar 2015 wurde der Beschwerdeführer wegen eines Schlaganfalls im Universitätsklinikum Stadt1 aufgenommen und behandelt.

Der Beschwerdeführer behauptet, er sei aufgrund seines bereits 2013 attestierten und nicht medikamentös behandelten Bluthochdrucks von 240 mmHg Hochrisikopatient. Bei ihm hätte deshalb – so der Beschwerdeführer weiter – eine Hyposensibilisierung nicht vorgenommen werden dürfen. Er behauptet, die Antragsgegnerin wäre verpflichtet gewesen, auch ohne Mitteilung des ihm bekannten Bluthochdrucks vor Durchführung der Therapie seinen Blutdruck zu messen. Die Hyposensibilisierung sei für den danach erlittenen Schlaganfall ursächlich.

Der Beschwerdeführer behauptet, durch den Schlaganfall einen dauerhaften Gedächtnisverlust, eine Gangunsicherheit, eine Kraft- und Ausdauerminderung sowie eine Hemiparese links und einen Grad der Behinderung von 30 erlitten zu haben. Zudem habe er wegen seiner Gehbehinderung seine Arbeitsstelle verloren.

Er behauptet weiter, eine Risikoaufklärung habe nicht stattgefunden. Bei erfolgter Aufklärung hätte er von der Hyposensibilisierung Abstand genommen.

Der Beschwerdeführer hat Prozesskostenhilfe beantragt und beabsichtigt, für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu beantragen,

die Antragsgegnerin zu verurteilen, an ihn € 50.000,00 Schmerzensgeld nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Zustellung zu zahlen, und die Verpflichtung der Antragsgegnerin festzustellen, dem Beschwerdeführer sämtliche materiellen Schäden aus der fehlerhaften Behandlung im Januar 2015 zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Antragsgegnerin ist den Behandlungsfehlervorwürfen entgegengetreten und behauptet, sie habe den Beschwerdeführer mündlich aufgeklärt und ihm einen schriftlichen Aufklärungsbogen überreicht und ihn mehrfach nach bestehenden Erkrankungen gefragt. Dieser habe am 9. Januar 2015 angegeben, bis auf die bestehende Allergie gesund zu sein.

Die Antragsgegnerin beruft sich im Hinblick auf die Aufklärungsrüge auf den Einwand der hypothetischen Einwilligung und trägt hierzu vor, der Beschwerdeführer sei am 22. April 2015 erneut mit dem Wunsch einer Hyposensibilisierung bei ihr vorstellig geworden, obwohl ihm im Universitätsklinikum mitgeteilt worden sei, dass bei ihm aufgrund des Bluthochdrucks eine Hyposensibilisierung nicht hätte vorgenommen werden dürfen.

Das Landgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit dem angegriffenen Beschluss vom 19. März 2018 (Bl. 63 ff. d. A.) zurückgewiesen, da die beabsichtigte Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete.

Der Beschwerdeführer habe trotz eines Hinweises des Landgerichts nicht ausreichend substantiiert zur Kausalität der Hyposensibilisierungstherapie für den Schlaganfall und die sodann behaupteten Schäden vorgetragen.

Zudem sei der Beschwerdeführer dem Einwand der hypothetischen Einwilligung nicht durch hinreichend schlüssige Darlegung eines Entscheidungskonflikts auch im Hinblick auf seine erneute Vorstellung im April 2015 begegnet.

Gegen diesen dem Bevollmächtigten des Beschwerdeführers am 26. März 2018 zugestellten Beschluss hat dieser mit Anwaltsschriftsatz vom selben Tage sofortige Beschwerde eingelegt. Mit seiner sofortigen Beschwerde verfolgt der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe weiter.

Wegen der Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf den Anwaltsschriftsatz vom 26. März 2018 (Bl. 69 d. A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 13. April 2018 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat vorgelegt (Bl. 78 d. A.).

II.

Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe durch das Landgericht ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

1. Der Beschwerdeführer verfügt ausweislich der vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht über Mittel, die ihn in die Lage versetzen, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.

2. Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann auch das Tatbestandsmerkmal der hinreichenden Erfolgsaussicht nicht verneint werden.

a. An die Voraussetzung der hinreichenden Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO sind keine überspannten Anforderungen zu stellen (s. nur BVerfG, Beschluss vom 02.02.1993 – 1 BvR 1697/91, NJW-RR 1993, 1090). Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nämlich nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den das Rechtsstaatsprinzip erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 – 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 357; BVerfGK, Beschluss vom 16.01.2013 – 1 BvR 2004/10, NJW 2013, 1148). Hiernach dürfen schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können (vgl. BVerfGK, Beschluss vom 14.07.1993 – 1 BvR 1523/92, NJW 1994, 241, 242; Beschluss vom 16.01.2013 – 1 BvR 2004/10, NJW 2013, 1148; Beschluss vom 13.07.2016 – 1 BvR 826/13, juris; Senat, Beschluss vom 27.04.2018 – 8 W 19/18,VersR 2018, 810, 811). Kommt eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Unbemittelten ausgehen würde, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussichten seines Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe zu verweigern (vgl. etwa BVerfGK, Beschluss vom 20.02.2002 – 1 BvR 1450/00, NJW-RR 2002, 1069; Beschluss vom 16.06.2016 – 1 BvR 2509/15, juris; Geimer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 114 ZPO, Rdnr. 19; Poller, in: Kroiß/Siede (Hrsg.), FamFG, 2. Aufl. 2018, § 114 ZPO, Rdnr. 16).

b. Nach diesen großzügigen Maßstäben bestehen für die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Beschwerdeführers hinreichende Erfolgsaussichten.

Der Beschwerdeführer könnte hier einen Schmerzensgeldanspruch aus den §§ 280 Abs. 1, 630a BGB sowie aus § 823 Abs. 1, 2 BGB jeweils in Verbindung mit den §§ 249, 253 Abs. 2 BGB gegen die Antragsgegnerin haben. Darüber hinaus könnte auch das Feststellungsbegehren des Beschwerdeführers gemäß den §§ 280 Abs. 1, 630a BGB und gemäß § 823 Abs. 1, 2 BGB begründet sein.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts Frankfurt am Main genügt der Vortrag des Beschwerdeführers zur Substantiierung der Klage.

An die Substantiierungspflicht der Partei dürfen im Arzthaftungsprozess nur maßvolle Anforderungen gestellt werden, weil vom Patienten regelmäßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 08.06.2004 – VI ZR 199/03, NJW 2004, 2825, 2827; Senat, Urteil vom 29.11.2016 – 8 U 143/13, juris; Urteil vom 11.07.2017 – 8 U 150/16, juris; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. 2018, Rdnr. S 601). Der Patient und sein Prozessbevollmächtigter sind insbesondere nicht verpflichtet, sich zur ordnungsgemäßen Prozessführung medizinisches Fachwissen anzueignen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 08.06.2004 – VI ZR 199/03, NJW 2004, 2825, 2827; Beschluss vom 01.03.2016 – VI ZR 49/15, NJW 2016, 1328, 1329; Senat, Urteil vom 29.11.2016 – 8 U 143/13, juris). Die Partei darf sich daher auf Vortrag beschränken, der die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens des Arztes auf Grund der Folgen für den Patienten gestattet (vgl. BGH, Urteil vom 08.06.2004 – VI ZR 199/03, NJW 2004, 2825, 2827; Urteil vom 14.03.2017 – VI ZR 605/15, MDR 2017, 762, 763; Senat, Urteil vom 29.11.2016 – 8 U 143/13, juris; Urteil vom 11.07.2017 – 8 U 150/16, juris).

Nach diesen Maßstäben hat der Beschwerdeführer hier ausreichend vorgetragen. Der Beschwerdeführer hat den Behandlungsablauf detailliert geschildert und angegeben, worin die von ihm behaupteten Fehler der Antragsgegnerin gelegen haben sollen.

Insbesondere oblag es ihm nicht, die von ihm behauptete Kausalität der Hyposensibilisierungstherapie für den erlittenen Schlaganfall genauer zu erläutern. Ein näherer Vortrag des Beschwerdeführers zu dieser Frage, wie ihn das Landgericht in der angegriffenen Entscheidung eingefordert hat, wäre dem Beschwerdeführer nur möglich, wenn er sich medizinisches Fachwissen aneignet. Dazu ist er – wie dargelegt – indes nicht verpflichtet. Der Senat vermag auch nicht in eigener Sachkunde zu beurteilen, ob der Beschwerdeführer den Beweis wird führen können, dass das Unterlassen einer Blutdruckmessung vor Durchführung der Hyposensibilisierungstherapie behandlungsfehlerhaft gewesen ist. Ebenso wenig kann der Senat in eigener Sachkunde beurteilen, ob die Hyposensibilisierung den erlittenen Schlaganfall (mit-)verursacht hat.

Vor diesem Hintergrund fehlt es hier derzeit an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen wird.

Der Senat hält die hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung für ein Schmerzensgeld von bis zu € 50.000,00 für gegeben (vgl. etwa OLG Oldenburg, Urteil vom 04.07.2007 – 5 U 106/06, juris; LG Dortmund, Urteil vom 25.02.2010 – 4 O 165/07, juris, wobei freilich die anders gelagerten Einzelumstände des hiesigen Falles zu berücksichtigen sind; die genannten Entscheidungen bieten daher lediglich eine Orientierungshilfe, entbinden aber nicht von einer eigenständigen Würdigung des vorliegenden Falles).

Vor diesem Hintergrund kann für das Beschwerdeverfahren die Frage offen bleiben, ob auch in Bezug auf die von dem Beschwerdeführer erhobene Aufklärungsrüge hinreichende Erfolgsaussichten zu bejahen sind.

3. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Beschwerdeführers ist auch nicht mutwillig im Sinne des § 114 Abs. 2 ZPO.

4. Die Beschwerdeentscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (Umkehrschluss aus Nr. 1812 KV der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).

5. Außergerichtliche Kosten der Parteien im Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).

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