OLG Frankfurt am Main, 06.04.2017 – 15 U 49/14

März 20, 2019

OLG Frankfurt am Main, 06.04.2017 – 15 U 49/14
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Marburg vom 12. Februar 2014 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe

I.

Die an einer fokalen interstitiellen Myositis leidende Klägerin begehrt immateriellen und materiellen Schadensersatz, die Zahlung einer monatlichen Geldrente sowie die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für weitere materielle und immaterielle Schäden wegen einer vermeintlich fehlerhaften ärztlichen Behandlung (Verkennung einer Muskelerkrankung).

Die am XX.XX.196X geborene Klägerin befand sich vom 4. bis 7. April 2003 wegen eines bronchopulmonalen Infekts und Luftnot erstmals zur Behandlung in der Klinik Stadt1 der Beklagten. Dabei wurden bei der Klägerin erhöhte Creatinkinase-Werte (CK-Werte) festgestellt bis 1500 U/l. Diagnostiziert wurde eine Rhabdomyolyse mit deutlich erhöhter CK. Auch in der Folgezeit ergaben Laborwertkontrollen im ambulanten ärztlichen Bereich bei der Klägerin erhöhte CK-Werte. So wurde am 4. Juni 2003 ein Höchstwert von 2606 U/l festgestellt. Auf Veranlassung ihrer Hausärztin befand sich die Klägerin im September 2003 erneut zu einer ambulanten Untersuchung in der Neurologischen Ambulanz dem Klinik der Beklagten wegen „schwerer Beine“ mit der Verdachtsdiagnose „Myopathie“. Die Durchführung zweier EMG-Untersuchungen verschiedener Muskeln war unauffällig. Auch die sonstige klinische Untersuchung ergab keinen verwertbaren pathologischen Befund. Die sich hieran anschließende ambulante Kontrolle der CK-Werte zeigte bei der Klägerin in den folgenden Monaten einen schwankenden Verlauf auf hohem Niveau, woraufhin die Klägerin ab dem 22. April 2004 zur erweiterten Diagnostik und Klärung der CK- und Myoglobinerhöhung mit Werten zwischen 1300 und 2000 U/l unter stationären Bedingungen in der Neurologischen Poliklinik der Beklagten in Stadt1 aufgenommen wurde. Bei Aufnahme gab die Klägerin an, seit 2 Wochen das Gefühl zu haben, dass „es im rechten Oberschenkel arbeite“. Die Ärzte der Beklagten erhoben einen neurologisch regelrechten Befund. Eine erneute EMG-Untersuchung am 23. April 2004 sowie ein Laktat-Ischämie-Test waren unauffällig. Die Ursache der erhöhten CK-Werte sowie der körperlichen Beschwerden der Klägerin blieb weiterhin ungeklärt. Im ärztlichen Entlassungsbrief vom 29. April 2004 (vgl. Anlage K1, Bl. 18 ff. d.A., Bd. I) wurde vermerkt, dass sich aus neurologischer Sicht „derzeit kein ausreichender Anhalt für das Vorliegen einer Myopathie“ ergebe. Eine Indikation für eine weiterführende Therapie wurde verneint. Auch in der Folgezeit wurden bei der Klägerin deutlich erhöhte CK-Werte gemessen, der höchste Wert am 9. Mai 2006 mit 3195 U/l. Im September 2007 stellte sich die Klägerin dann wegen des Verdachts auf einen Epstein-Barr-Virus-Infekt in der Internistischen Klinik der Beklagten vor. Während der stationären Behandlung vom 12. bis 17. September 2007 erfolgte durch die konsiliarisch hinzugezogene Neurologische Klinik am 14. September 2007 eine erneute EMG-Untersuchung. Diese ergab keinen elektromyographischen Hinweis auf eine Myopathie. In dem Konzilbefund der Fachärztin für Neurologie A vom 14. September 2007 (vgl. Anlage K3, Bl. 21, Bd. I) heißt es, die Klägerin klage subjektiv ein Muskelspannungsgefühl. Es ist weiter vermerkt: „Derzeit kein sicherer Hinweis für Myopathie. Aufgrund der unklaren CK-Erhöhung Muskelbiopsie relativ indiziert“. Eine Muskelbiopsie wurde tatsächlich aber nicht umgesetzt, wobei die Gründe hierfür unklar sind, denn über eine eventuelle Muskelbiopsie war die Klägerin seitens der Internistischen Klinik zuvor bereits aufgeklärt worden. Der CK-Wert der Klägerin fiel während der stationären Behandlung von 1518 U/l am Aufnahmetag (12. September 2007) auf 492 U/l am Entlassungstag (17. September 2007). Im Entlassungsbrief der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Immunologie vom 17. September 2007 (vgl. Anlage K4, Bl. 22 ff. d.A., Bd. I) heißt es, die Klägerin habe seit einer knappen Woche Gliederschmerzen geklagt, vor allen Dingen in den Beinen, zum Teil stechende Schmerzen und Kraftlosigkeit beim Gehen. Die Ärzte der Beklagten diagnostizierten einen Epstein-Barr-Virus und eine idiopathische CK-Erhöhung. Weiter heißt es in dem Arztbrief wörtlich: „[…]findet sich kein sicherer Hinweis für eine Myopathie. Eine Muskelbiopsie ist z.Zt. nicht indiziert“.

Auf Vermittlung ihres Internisten befand sich die Klägerin in der Zeit vom 24. Juni bis 2. Juli 2008 dann in stationärer Behandlung in der Neurologischen Klinik und Poliklinik der Klinik Stadt2. Auch hier war der neurologische Befund unauffällig. Eine EMG-Untersuchung zeigte keine Spontanaktivität bei stellenweise leichtgradigen myopathischen Veränderungen im M. deltoideus rechts sowie M. vastus medialis. Aufgrund einer am 30. Juni 2008 durchgeführten Muskelbiopsie im rechten M. quadriceps wurde die Diagnose einer fokalen interstitiellen Myositis (chronische entzündliche Erkrankung der Skelettmuskulatur) gestellt (vgl. Arztbrief vom 13. August 2008, Anlage K5, Bl. 25 ff. d.A., Bd. I) und daraufhin eine Kortikosteroid-Pulstherapie mit Prednisolon 500 mg über fünf Tage eingeleitet. In den folgenden Jahren wurde die Klägerin dann mit Azathioprin medikamentös behandelt, bevor sie im März 2013 die Therapie beendete. Begleitend hierzu wurde ihr Krankengymnastik verordnet, die die Klägerin in der Folgezeit auch durchführte.

Eine im Rahmen der Verlaufskontrolle erfolgte Untersuchung der Klägerin in der Neurologischen Klinik Stadt2 im Juli 2013 ergab ein Absinken der CK auf durchschnittlich 500 U/l nach Beendigung der Azathioprin-Therapie sowie eine zunehmende Verschlechterung der Symptomatik, insbesondere der körperlichen Belastbarkeit, gegenüber einer Voruntersuchung aus dem Jahre 2009. Elektromyographisch fand sich bei der Klägerin in allen untersuchten Muskeln leichtgradig pathologische Spontanaktivität (vgl. Arztbrief der Herren B und C vom 14. August 2013, Bl. 263 ff. d.A., Bd. I). Eine Untersuchung der Klägerin im … Diagnostikzentrum Stadt1 im Oktober 2013 zeigte im Vergleich zu einer Voruntersuchung vom 25. Januar 2010 eine weitere deutliche Volumenabnahme vom M. gluteus maximus und M. semitendinosus beidseits, wobei die Oberschenkelmuskulatur weitgehend durch Fettgewebe ersetzt worden ist (vgl. Arztbrief des D vom 9. Oktober 2013, Bl. 262 d.A., Bd. I).

Von Klägerseite wurde im August 2009 ein Schlichtungsverfahren vor der Gutachter- und Schlichtungsstelle für ärztliche Behandlungen bei der Landesärztekammer Hessen mit Sitz in Frankfurt am Main betrieben. Dort erstattete der Sachverständige SV1, Facharzt für Neurologie, am 15. März 2011 ein Gutachten (vgl. Anlage K6, Bl. 27 ff. d.A., Bd. I), in dem er feststellte, dass eine Muskelbiopsie bereits im Rahmen der stationären Diagnostik in der Neurologischen Klinik Stadt1 im April 2004 aus Sicht der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Diagnostik von Myopathien 2008 indiziert gewesen sei. Es habe bereits zu diesem Zeitpunkt ausreichende Hinweise auf das Vorliegen einer Myopathie gegeben. Möglicherweise habe man in Stadt1 die Wahrscheinlichkeit eines therapeutisch relevanten Biopsieergebnisses als sehr klein eingeschätzt. Dies könne aufgrund der deutlichen CK-Erhöhung über viele Monate und bei Fehlen eindeutiger Ursachen aber nicht als hinreichende Begründung gelten. Die Entscheidung der Ärzte in Stadt1 im September 2007, weiterhin auf eine Biopsie ohne eine erweiterte Diagnostik (z.B. Myo-MRT) zu verzichten, sei vor dem Hintergrund deutlicher Hinweise auf eine weiterhin diagnostisch unklare Situation und einer deswegen auch aus internistischer Sicht naheliegenden Indikation für eine Muskelbiopsie nicht nachvollziehbar. Das diagnostische Vorgehen der Neurologischen Klinik Stadt1 in den Jahren 2004 und 2007 weiche von den Empfehlungen in den Leitlinien der DGN 2008 ohne erkennbaren Grund ab und sei als eine unzureichende Diagnostik einzustufen. Die Frage, ob durch einen früheren Beginn einer Steroidtherapie die Beschwerden nachhaltiger hätten gebessert werden können, sei hingegen schwierig zu beantworten. Die interstitielle Myositis bei Frau F zeige einen eher chronischen Verlauf, was durch die nahezu identischen Ergebnisse im Muskelstatus 2004 und 2008 belegt werden könne. Daher scheine es nahezu unmöglich, das Ausmaß eines Schadens abzuschätzen, der durch eine verzögerte Muskelbiopsie entstanden sein kann.

Ausgehend hiervon wirft die Klägerin – die sich hierbei insbesondere auf das Gutachten aus dem Schlichtungsverfahren sowie die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Diagnostik von Myopathien 2008 (vgl. Anlage K7, Bl. 41 bis 51 d.A., Bd. I) stützt – der Beklagten vor, dass infolge unterlassener Diagnostik in den Jahren 2004 und 2007 die Erkrankung nicht früher bemerkt und behandelt wurde. Eine umfassende Diagnostik sei aufgrund der erhöhten CK-Werte und der klinischen Symptome ohne plausible Erklärung aber bereits 2004 erforderlich gewesen. Im Jahre 2007 hätte eine Diagnostik auch durch Muskelbiopsie erfolgen müssen. In dem Unterlassen einer Muskelbiopsie sieht die Klägerin einen groben Befunderhebungsfehler, der nach ihrer Ansicht zu einer Beweislastumkehr führe. Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, dass durch eine frühzeitige Intervention die bei ihr eingetretene Gesundheitsschädigung bzw. das jetzige Beschwerdebild in Form einer fettigen Degeneration der Oberschenkelmuskulatur und eines Teils der Rückenmuskulatur hätte abgewendet werden können. Zum Ausgleich sei neben der Feststellung zukünftiger Ersatzpflicht ein Schmerzensgeld von mindestens 100.000,00 EUR angemessen. Daneben begehrt die Klägerin Ersatz eines materiellen Schadens in Höhe von 137.622,09 EUR sowie die Zahlung einer monatlichen Geldrente von 1.500,00 EUR ab dem 1. Mai 2012 wegen vermeintlicher Erwerbsunfähigkeit.

Die Parteien haben die im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils wiedergegebenen Anträge gestellt.

Die Beklagte hat behauptet, die Behandlung sei sachgerecht durchgeführt worden. Aus der Gesamtschau der Befunde Ende April 2004 habe sich kein hinreichender Anhalt für das Vorliegen einer Myopathie und damit auch keine Indikation für weitere Befunderhebungen oder Therapien ergeben. Durch die klinisch neurologischen Untersuchungen, die erneute EMG-Untersuchung sowie den Laktat-Ischämie-Test mit jeweils unauffälligem Befund seien die häufigsten metabolischen Myopathien ausgeschlossen gewesen. Dies gelte aufgrund der von der Klägerin beschriebenen eher blanden Symptomatik mit lediglich beklagten Muskelverspannungen ohne typische anamnestische Angaben für eine Myopathie, fokal neurologisch weiterhin unauffälligem Befund und einer mittlerweile seit 2003 dreimaligen unauffälligen EMG-Therapie auch für das Jahr 2007. Bei dieser Ausgangslage stelle es keine Befunderhebungsfehler ihrer Ärzte dar, die weitere Diagnosemaßnahme einer Muskelbiopsie nicht für indiziert zu halten. Es sei auch unwahrscheinlich, dass bei einer früheren Muskelbiopsie die Krankheit überhaupt schon hätte nachgewiesen werden können. Jedenfalls wäre auch bei einer früheren Diagnostik eine dann früher begonnene Therapie nicht erfolgreicher gewesen.

Im Übrigen wird hinsichtlich des diesem Rechtsstreit zugrundeliegenden Sachverhalts auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil vom 12. Februar 2014 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat über die Frage des Vorliegens eines Befunderhebungsfehlers Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des medizinischen Sachverständigen SV2, Facharzt für Neurologie und Direktor der Klinik für Neurologie und Neurogeriatrie der XY Klinik1 Stadt3, welcher sein Gutachten vor dem Landgericht mündlich auch ergänzend erläutert hat. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei ein für die geltend gemachten Beschwerden ursächlicher Behandlungsfehler nicht festzustellen. In den Jahren 2003 und 2004 könne eine weiterführende Diagnostik nicht als erforderlich angesehen werden. Zwar habe es 2004 Indizien für eine mögliche Muskelerkrankung gegeben, konkret eine fluktuierende Erhöhung der Creatin-Kinase. Die von der Klägerin vorgetragene unspezifische Symptomatik habe der Sachverständige jedoch nicht als deutliche Anzeichen für eine Muskelerkrankung gewertet. Eine MRT-Diagnostik sei seinerzeit kein Standard gewesen. Dies stehe in keinem Widerspruch zu den Ausführungen von SV1 in dessen Gutachten aus dem Schlichtungsverfahren, da dieser nicht nur auf die hier nicht einschlägigen Leitlinien der DGN von 2008 abstelle, sondern auch darauf, dass die Klägerin in Stadt2 erstmals belastungsabhängige Beschwerden beschrieben habe. Erst hieraus ziehe SV1 dann zusammen mit den zuvor dokumentierten anderen klinischen Beschwerden den Schluss, dass klinische Hinweise für eine Muskelerkrankung auch in früheren Jahren vorgelegen haben. Allein ein erhöhter CK-Wert weise auch nicht regelmäßig auf eine Muskelerkrankung hin. Es sei daher im Jahre 2004 gerechtfertigt gewesen, die Indikation zu einer Muskelbiopsie zurückzustellen. Auch nach den damals geltenden Leitlinien sei eine ergänzende Diagnostik nicht zu fordern, weil es bei der Klägerin an einer hiernach geforderten klinischen Symptomatik und entsprechender EMG-Aktivitäten gefehlt habe.

Die Kammer führt dann weiter aus, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen sei, dass das Vorgehen der Ärzte der Beklagten in 2007 behandlungsfehlerhaft gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei bei nunmehr über dreieinhalb Jahren erhöhten CK-Werten und nach wie vor geklagten, wenn auch unspezifischen Beschwerden eine weiterführende Diagnostik angezeigt gewesen, die zumindest durch eine Muskel-MRT-Untersuchung und gegebenenfalls anschließende Muskelbiopsie hätte durchgeführt werden müssen. Es liege daher ein Befunderhebungsfehler vor. Dies sei jedoch in Anbetracht des blanden klinischen Verlaufes bei unauffälligem neurologisch klinischem Befund, unauffälligen EMG-Untersuchungen und unauffälligen Laborwerten mit Ausnahme der erhöhten CK nicht als grober Befunderhebungsfehler zu werten. Den Vollbeweis der haftungsbegründenden Kausalität habe die Klägerin nicht geführt, denn es sei fraglich, ob eine frühere Biopsie ein Ergebnis erbracht hätte, aus dem therapeutische Konsequenzen gezogen worden wären. Dies bestätige auch der jetzige Behandlungsverlauf. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei davon auszugehen, dass bei der Klägerin selbst bei Durchführung einer MRT-Untersuchung und gegebenenfalls Muskelbiopsie weder 2004 noch 2007, aber auch nicht 2008 ein reaktionspflichtiger Befund im Sinne einer hoch virulenten akuten und mit schweren Funktionsausfällen versehenen Muskelentzündung vorgelegen hätte. Zweifelhaft sei auch, ob eine frühere Behandlung einen wesentlichen Einfluss auf die Beschwerden und Beeinträchtigungen der Klägerin gehabt hätte. Die im Jahre 2008 in Stadt2 eingeleitete Behandlung mit Kortikoiden und Azathioprin stelle lediglich einen Therapieversuch, aber keine belastbare oder einzufordernde Behandlung dar.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des angefochtenen Urteils (Bl. 326 ff. d.A., Bd. II) Bezug genommen.

Gegen diese ihr am 19. Februar 2014 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin, die sie am 18. März 2014 eingelegt und mit am 16. April 2014 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten begründet hat.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages ihre erstinstanzlichen Anträge in vollem Umfang weiter. Es wird zunächst gerügt, dass die Kammer das gegen den gerichtlich bestellten Sachverständigen SV2 gerichtete Ablehnungsgesuch vom 30. Januar 2014 mit Beschluss vom 7. Februar 2014 zu Unrecht zurückgewiesen habe. Das Ablehnungsgesuch sei gerechtfertigt, denn der Sachverständige habe sich bei der Anhörung durch das Landgericht auf für den maßgeblichen Untersuchungszeitpunkt in 2003/2004 bzw. 2007 „zu spezielle“ Leitlinien zu Myositiden bezogen. Maßgeblich seien hingegen die Leitlinien zur Diagnostik von Myopathien. Hierdurch werde der Eindruck erweckt, das Verhalten der Ärzte der Beklagten solle unbedingt verteidigt werden. Darüber hinaus wird mit der Berufung gerügt, dass die Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen fehlerhaft und widersprüchlich seien. Dieser habe selbst in seinem schriftlichen Gutachten vom 19. April 2013 darauf hingewiesen, dass zur Beantwortung einiger Beweisfragen eine komplette neurologische Untersuchung der Klägerin notwendig wäre. Zudem habe der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten auf eine eingeschränkte Beurteilung der MRTs aus dem Jahre 2008 hingewiesen und eine dezidierte, auch die unteren Extremitäten bis zum Knie mitabbildende Muskel-MRT angeregt. Von den Vorbehalten sei in der Anhörung des Sachverständigen sowie in der Beweiswürdigung des Landgerichts keine Rede mehr. Auch habe der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten die Nachsichtung der MRT-Aufnahmen aus Stadt2 nicht erkennbar gewürdigt und seine bisherige Beurteilung, es handele sich um einen blanden Verlauf, trotz der durch die MRT-Aufnahmen bestätigten gravierenden irreversiblen Muskelschädigungen nicht korrigiert. Auch sei nicht nachvollziehbar, wie der Sachverständige zu der Ansicht kommen könne, der CK-Wert sei nicht besonders spezifisch, denn die Klägerin habe im April 2004 bereits seit einem Jahr konstant erhöhte CK-Werte weit über 1000 U/l gezeigt und diese seien auch in der Folgezeit nur während der Klinikaufenthalte der Klägerin abgefallen. Dass die EMG-Aufnahmen unauffällig waren, sei ohne Bedeutung, denn die Diagnose einer fokalen interstitiellen Myositis habe nicht nach EMG-Untersuchungen gestellt werden können und im Interesse einer Abklärung der Symptome hätte daher eine Änderung der Strategie erfolgen müssen. Durch das Landgericht hätte daher antragsgemäß ein neues Gutachten eingeholt werden müssen, insbesondere auch, weil sich der gerichtliche Sachverständige mit seinen Ausführungen in Widerspruch zu denjenigen des Sachverständigen SV1, der ein ausgewiesener Experte für Muskelerkrankungen sei, im Schlichtungsverfahren gesetzt habe. Diesen Widersprüchen sei das Landgericht nicht zureichend nachgegangen. Das Landgericht habe bei der rechtlichen Bewertung auch übersehen, dass es sich bei der von der Beklagten in Stadt1 betriebenen Klinik um ein von der Deutschen Gesellschaft für Myopathie zertifiziertes Muskelzentrum mit entsprechender Spezialisierung handele. Hieraus ergebe sich eine gesteigerte Pflicht für die Ärzte der Beklagten, so früh wie möglich eine exakte Diagnose anzustreben. Nur ein solches Vorgehen sei aber leitliniengerecht gewesen. Das Landgericht gehe auch nicht darauf ein, dass die unterbliebene Biopsie nicht auf einer planmäßigen Entscheidung beruht habe, sondern auf einem Organisations- bzw. Kommunikationsfehler, denn in 2007 sei die Durchführung einer Muskelbiopsie bei der Klägerin bereits geplant gewesen und nur der fehlerhafte Vermerk in der Krankenakte sei der Grund dafür, dass diese nicht zur Ausführung gekommen sei. Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei bereits im Jahre 2004 eine abwartende bzw. beobachtende Haltung der Ärzte der Beklagten vor dem Hintergrund deutlicher Hinweise auf eine Myopathie nicht gerechtfertigt gewesen. Die Bezugnahme auf die Leitlinien für Myopathien 2008 habe das Landgericht zu Unrecht als unerheblich gewertet, denn insoweit ergebe sich zu den Leitlinien 2005 kein relevanter Unterschied. Weil im Jahre 2007 eine Gesamtschau der klinischen Symptome in Verbindung mit den seit Jahren extrem erhöhten CK-Werten zwingend zu dem Schluss hätte führen müssen, dass deutliche Hinweise für das Vorliegen einer Muskelerkrankung vorlagen, hätte dem nachgegangen werden müssen. Daher könne dem Landgericht auch nicht hinsichtlich der Beurteilung der Schwere des Befunderhebungsfehlers 2007 gefolgt werden. Spätestens für 2007 müsse von einem groben Befunderhebungsfehler und damit von einer Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität zu Gunsten der Klägerin ausgegangen werden. Aber auch beim Vorliegen eines einfachen Befunderhebungsfehlers sei von einer Kausalität des Behandlungsfehlers für die nunmehr bei der Klägerin vorhandenen Beschwerden auszugehen, denn eine frühzeitige vollständige Diagnostik hätte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bereits im Jahre 2004, spätestens aber im Jahre 2007 zu der Diagnose „Myositis“ geführt. Es hätte dann noch vor dem Auftreten der jetzt vorliegenden irreversiblen Muskelschäden mit der Kortisontherapie begonnen werden können, was das Beschwerdebild und den Krankheitsverlauf positiv beeinflusst hätte. So habe auch durch die 2008 eingeleitete medikamentöse Therapie sowie durch massive Krankengymnastik eine weitere Muskelschädigung verhindert werden können.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des am 12. Februar 2014 verkündeten Urteils des Landgerichts Marburg,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch in Höhe von 100.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Januar 2012, im Übrigen seit Rechtshängigkeit;
2.

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 137.622,09 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Januar 2012 zu zahlen;
3.

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine monatliche Geldrente in Höhe von 1.500,00 EUR, ab 01. Mai 2012 vierteljährlich im Voraus, jeweils zum 01.05., 01.08., 01.11. und 01.02. eines jeden Jahres zu zahlen;
4.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche dieser aus der fehlerhaften Behandlung in der Zeit vom 22. April 2004 bis 14. September 2007 in der Klinik Stadt1 entstanden sind und noch entstehen werden, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden;
5.

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 4.522,30 EUR zu zahlen und die Klägerin in Höhe von 2.659,55 EUR von einer Inanspruchnahme ihrer Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwältin RA1, freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens das Urteil.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beklagten wird auf deren Berufungserwiderung vom 28. August 2014 (Bl. 454 ff. d.A., Bd. II) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die im Berufungsverfahren zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen einschließlich des nach Schluss der mündlichen Verhandlung bei dem Senat eingegangenen Schriftsatzes der Klägerin vom 20. März 2017 Bezug genommen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 9. Mai 2016 (Bl. 464 ff. d.A., Bd. II) Hinweise erteilt. Auf diese Hinweise wird ergänzend zu den Ausführungen unter II. Bezug genommen. Aufgrund des Beschlusses vom 7. Juli 2016 (Bl. 490 ff. d.A., Bd. II) hat der Senat weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines neurologischen Zusatzgutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen SV2, das der Sachverständige im Verhandlungstermin vom 9. März 2017 mündlich erläutert hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche neurologische Zusatzgutachten vom 29. August 2016 (Bl. 500 bis 526 d.A., Bd. II) sowie die Sitzungsniederschrift vom 9. März 2017 (Bl. 551 bis 554 d.A., Bd. II) Bezug genommen.

II.

Die fristgerecht nach Zustellung des landgerichtlichen Urteils (19.02.2014) am 18.03.2014 eingelegte und innerhalb der Begründungsfrist am 16.04.2014 begründete Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO).

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Im Ergebnis erneuter Feststellungen des Senats hat die Klägerin gegen die Beklagte keinen aus einem ärztlichen Befunderhebungsfehler folgenden Anspruch auf Schmerzensgeld und Ersatz materieller Schäden.

Der Senat stützt sich dabei aus den nachfolgenden Gründen auf die erstinstanzliche Begutachtung durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen SV2, dessen im Berufungsrechtszug eingeholtes neurologisches Zusatzgutachten sowie seine umfassenden und überzeugenden Ausführungen bei seiner Anhörung vor dem Senat im Verhandlungstermin vom 09.03.2017. An der hohen Qualifikation und Sachkunde des Sachverständigen auf dem Gebiet der Neurologie bestehen keine Zweifel. Der Sachverständige SV2 hat sich bereits erstinstanzlich dezidiert mit dem zu beurteilenden medizinischen Sachverhalt und dem vorhandenen Vorgutachten des Sachverständigen SV1 aus dem Schlichtungsverfahren auseinandergesetzt. Er vermochte auch im Rahmen seiner Anhörung durch den Senat seine Feststellungen und fachlichen Beurteilungen unter Berücksichtigung sämtlicher Befunde überzeugend zu vertreten.

1. Das Landgericht ist gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen SV2 zunächst zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass den Ärzten der Beklagten bei der stationären Erstbehandlung der Klägerin in der Zeit vom 22. bis 29. April 2004 kein Befunderhebungsfehler zur Last zu legen ist. Insbesondere musste in der damaligen Situation der Klägerin nicht zwingend eine erweiterte Diagnostik mit MRT der Muskulatur und dann nachfolgend einer Muskelbiopsie veranlasst werden.

Bei der Klägerin wurden erstmals im April 2003 im Rahmen einer Behandlung wegen eines bronchopulmonalen Infekts erhöhte Creatinkinase-Werte festgestellt bis 1500 U/l. Klinische Beschwerden bestanden nicht, so dass diese von den Ärzten der Beklagten auf eine Muskelgewebeschädigung im Rahmen des Infektes geschoben wurden. Eine unter dem Verdacht auf eine Myopathie von der Hausärztin der Klägerin initiierte ambulante Vorstellung im September 2003 in der Neurologischen Ambulanz der Klinik Stadt1 erbrachte bis auf die erhöhten CK-Werte – nunmehr allerdings mit einem Höchstwert von 2606 U/l am 04.06.2003 – klinisch wie auch elektromyographisch keinerlei Hinweise für eine Erkrankung der Muskulatur. Die sich hieran anschließende ambulante Kontrolle der CK-Werte zeigte bei der Klägerin in den folgenden Monaten dann einen schwankenden Verlauf mit CK-Werten zwischen 1300 und 2000 U/l sowie eine Myoglobinerhöhung, weshalb die Klägerin zur erweiterten Diagnostik ab dem 22.04.2004 nun stationär in der Neurologischen Poliklinik der Beklagten aufgenommen wurde. Hier wurde bei der Klägerin durch die Ärzte der Beklagten ein neurologisch regelrechter Befund erhoben. Der Kraftgrad in allen Extremitäten war 5/5, eventuell die Kniebeugung links 4+/5. Eine erneute EMG-Untersuchung am 23.04.2014 sowie ein Laktat-Ischämie-Test waren unauffällig. Die Klägerin gab gegenüber den Ärzten der Beklagten an, dass es bei ihr seit ca. 2 Wochen „im rechten Oberschenkel arbeite“ (vgl. Arztbrief vom 29.04.2004, Anlage K1, Bl. 18-19 d.A., Bd. I).

Vor diesem Hintergrund betrachtet kann den Ärzten der Beklagten nicht vorgeworfen werden, im Rahmen der stationären Behandlung der Klägerin im April 2004 weiterführende Befunde nicht erhoben und dabei insbesondere eine Muskelbiopsie nicht durchgeführt zu haben. Ein Befunderhebungsfehler liegt dann vor, wenn der Arzt es fehlerhaft unterlässt, medizinisch gebotene Diagnose- und Kontrollbefunde zu erheben und zu sichern. Der Sachverständige SV2 hat insoweit ausgeführt, das zuwartende Verhalten der neurologischen behandelnden Ärzte im Jahre 2004 sei für ihn in der Gesamtschau der Befunde und des Beschwerdebildes der Klägerin durchaus verständlich. Zwar stelle die fluktuierende Erhöhung der CK mit Werten über 1000 U/l aber auch unter 1000 U/l durchaus ein Indiz für eine mögliche Muskelerkrankung dar und habe bei der Klägerin nicht unter dem Bild einer sogenannten benignen Hyper-CK-ämie abgetan werden können. Weder der CK-Wert noch der Myoglobinwert gebe indes einen gezielten Hinweis auf eine entzündliche Muskelerkrankung. Die unspezifische Symptomatik, wie die Klägerin sie geschildert habe, werte er nicht als deutliche Anzeichen für eine Muskelerkrankung. Auch wenn 2004 die technische Möglichkeit einer Muskel-MRT bereits seit etwa 15 Jahren zur Verfügung gestanden habe, sei in Zusammenschau der klinischen und elektrophysiologischen sowie serologischen Verdachtsmomente die Durchführung einer weiteren Diagnostik im besten Fall relativ indiziert gewesen. Von der Etablierung einer Muskel-MRT in der Diagnosehierarchie der Leitlinien könne man noch nicht sprechen. Dass zugewartet worden ist, könne er daher aus dem klinischen Verlauf und der sich spontan rückbildenden CK-Werte in einen Bereich unter 1000 U/l vollständig nachvollziehen.

Der Senat folgt insoweit den überzeugenden, fachlich fundierten und gut begründeten Ausführungen des Sachverständigen SV2. Ungeachtet der Kritik der Klägerin gegen den Sachverständigen bestehen keine Zweifel an der Belastbarkeit von dessen Bekundungen. Der Sachverständige hat in seinen Ausführungen im Berufungsrechtszug im Kern die gleichen Feststellungen getroffen wie im Verfahren vor dem Landgericht. Seine Antworten bei seiner Anhörung vor dem Senat im Verhandlungstermin vom 09.03.2017 waren ungeachtet der auch von Klägerseite mündlich vorgebrachten Vorhaltungen betont sachlich und zeichneten sich durch Aktenkenntnis aus. Der Sachverständige hat sich auch mit dem von Klägerseite vorgelegten Gutachten des Sachverständigen SV1 aus dem Schlichtungsverfahren kritisch auseinandergesetzt und für den Senat nachvollziehbar dargestellt, warum er die von SV1 im Schlichtungsverfahren vertretene Auffassung, wonach eine erweiterte Diagnostik und insbesondere eine Muskelbiopsie bereits im Rahmen der stationären Behandlung der Klägerin im April 2004 indiziert gewesen sei, nicht uneingeschränkt teilt. Hierzu hat der gerichtlich bestellte Sachverständige in seinem im Berufungsrechtszug erstatteten neurologischen Zusatzgutachten vom 29.08.2016 (vgl. Bl. 500 ff. d.A., Bd. II) sowie bei seiner Anhörung vor dem Senat ergänzend ausgeführt, dass es sich bei Muskelerkrankungen nicht unbedingt um generalisierte Phänomene handele, so dass eine Biopsie aus einem leicht zugänglichen Muskel das Krankheitsbild, das sich an anderen Muskeln manifestiert, nicht zwangsläufig zeigen müsse. Das ungezielte Durchführen einer Muskelbiopsie sei daher oft nicht wegweisend. Die MRT-geführte Muskelbiopsie habe sich indes erst in den letzten Jahren etabliert und sei 2004 noch kein medizinischer Standard gewesen. Die Richtigkeit dieser Ausführungen belegen nach Ansicht des Senats auch die hier maßgeblichen und vom Sachverständigen SV2 im Verhandlungstermin vor dem Landgericht vorgelegten „Leitlinien zu Myositiden“ (2. Aufl. 2003: Bl. 270 ff. d.A., Bd. II), wobei sich der Senat bewusst ist, dass Handlungsanweisungen in Leitlinien ärztlicher Fachgremien und Verbände nicht unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichgesetzt werden dürfen, da sie im Einzelfall den medizinischen Standard für den Zeitpunkt ihres Erlasses zutreffend beschreiben können, die Standards ärztlicher Behandlung sich aber auch fortentwickeln oder auch ihrerseits veralten (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 15.04.2014, Az.: VI ZR 382/12 [Rdn. 17 ff. bei juris]; Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl., B 41 ff., 72; Katzenmeier in Beck’scher Online-Kommentar zum BGB, Bamberger/Roth, 41. Edition Stand 01.11.2016, § 630a Rdn. 154 ff.). In den genannten Leitlinien 2003, die nur die Dysimmun-/“idiopathischen“ Myositiden behandeln, heißt es, dass bei entsprechender klinischer Symptomatik und hinweisenden Veränderungen von CK-Aktivitäten und EMG die Muskelbiopsie die wichtigste Untersuchung zum Nachweis einer Myositis und zur diagnostischen Abgrenzung anderer neuromuskulärer Veränderungen sei. Zur Auswahl einer geeigneten Biopsiestelle könne in Zweifelsfällen die Durchführung eines Muskel-MRT sinnvoll sein. Den genannten Leitlinien kann mithin entgegen der Ansicht der Klägerin nicht entnommen werden, dass im Jahre 2004 auch bei neurologisch regelrechten Befunden und einer unauffälligen EMG-Untersuchung sowie fehlender Muskelschmerzen zwingend eine erweiterte Diagnostik mit Muskel-MRT und dann nachfolgend einer Muskelbiopsie bzw. ungezielter Muskelbiopsie erfolgen musste.

Ohne Erfolg rügt die Berufung insoweit, dass das Landgericht den Angaben des Sachverständigen SV1 nicht den Vorzug gegenüber den Angaben des gerichtlich bestellten Sachverständigen SV2 gegeben hat, denn der Sachverständige SV1 hat zwar die Erkrankung der Klägerin in die Gruppe der immunogenen Myositiden eingeordnet, seine Feststellungen im Schlichtungsverfahren dann aber nicht auf die hier maßgeblichen Leitlinien zu Myositiden 2. Aufl. 2003 gestützt, sondern auf die Leitlinien der DGN zur Diagnostik von Myopathien 2008 (vorgelegt von Klägerseite als Anlage K7, Bl. 41 bis 51 d.A., Bd. I). Auch wenn diese weitgehend identisch mit den Leitlinien zur Diagnostik von Myopathien 3. Aufl. 2005 (vgl. Bl. 279 ff. d.A., Bd. II) sind, vermag der Senat den Feststellungen des Sachverständigen im Schlichtungsverfahren nicht zu folgen. Zwar wird auch in den Leitlinien zur Diagnostik von Myopathien 3. Aufl. 2005 bestimmt, dass eine exakte Diagnostik einer Myopathie immer angestrebt werden sollte und in der Regel eine Gewebeentnahme an einem hochspezialisierten Zentrum erfordere. Muskelschmerzen ohne Paresen sprächen hingegen eher gegen das Vorliegen einer Myopathie. Eine über Monate bestehende Erhöhung der CK auf mehr als das Fünffache des Normalwerts sei hingegen ein starker Hinweis auf das Vorliegen einer Myopathie. Da im April 2004 die klinischen und neurologischen Untersuchungen bei der Klägerin unauffällig waren, sich bei der Klägerin insbesondere keine Paresen zeigten, und auch durch ein erneutes EMG am 23.04.2004 im direkten Vergleich zweier bereits vorher schon untersuchter Muskeln wiederum ein unauffälliger Befund erhoben wurde, vermag der Senat den Feststellungen des Sachverständigen SV1 aus dem Schlichtungsverfahren nicht zu folgen und für April 2004 eine Indikation zu einer erweiterten Diagnostik durch ein Muskel-MRT und nachfolgend einer Muskelbiopsie nicht festzustellen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der mit der Klage vorgebrachte Vorwurf gegen die Beklagte im Kern dahingeht, dass die 2008 in der Klinik Stadt2 diagnostizierte interstitielle Myositis bei pflichtgemäßem diagnostischem Vorgehen der Ärzte der Beklagten schon deutlich früher hätte entdeckt werden müssen. Für den Senat nachvollziehbar hat der Sachverständige SV2 dann aber bei dem Herangehen an die Frage pflichtgemäßen Verhaltens bei den Leitlinien zur Diagnose eben dieser Krankheit angesetzt. Das gilt umso mehr, weil nach den von der Klägerin für maßgeblicher gehaltenen Leitlinien zur Diagnostik von Myopathien die häufigsten Myopathien im Erwachsenenalter entzündliche Myopathien – d.h. Myositiden – sind (Bl. 279 d.A., Bd. II). Die Feststellungen des Sachverständigen SV1 vermögen daher insgesamt die Überzeugungskraft der Feststellungen des Sachverständigen SV2 nicht zu schmälern.

Dass die Ärzte der Beklagten im April 2004 alleine vor dem Hintergrund einer nun mehrmonatigen Erhöhung der CK keine Indikation für eine weiterführende Therapie gesehen haben, ist aus den gezeigten Gründen nicht als Befunderhebungsfehler zu werten.

2. Die Berufung wendet sich auch ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Landgerichts, der den Ärzten der Beklagten im Jahre 2007 zur Last zu legende Befunderhebungsfehler sei nicht als grober, sondern nur als einfacher Befunderhebungsfehler zu werten.

Das Landgericht ist gestützt auf das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen SV2 zunächst zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass zum Zeitpunkt der stationären Behandlung der Klägerin im September 2007 bei nunmehr langjährig bestehender Erhöhung der CK und von der Klägerin weiterhin geklagten, wenn auch unspezifischen Beschwerden eine weiterführende Diagnostik angezeigt gewesen sei, die zumindest durch eine Muskel-MRT-Untersuchung und gegebenenfalls nachfolgend auch durch eine Muskelbiopsie hätte durchgeführt werden müssen. Dies steht aufgrund der auch den Senat überzeugenden Beweiswürdigung des Landgerichts und damit gemäß § 529 Abs. 1 ZPO bindend fest.

Auf der Grundlage der ergänzenden Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen SV2 im Berufungsrechtszug stellt sich auch zur Überzeugung des Senats das Unterlassen der Einleitung oder Durchführung einer weiterführenden erweiterten Diagnostik im September 2007 aber nicht als ein im Rechtssinne grober Befunderhebungsfehler dar. Ein grober Befunderhebungsfehler ist ein Fehler, bei dem eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen wird und der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. BGH, Urteil vom 25.10.2011, Az.: VI ZR 139/10, zitiert nach „juris“; OLG Hamm, Urteil vom 03.07.2015, Az.: 26 U 104/14 [Rdn. 41 bei juris]; Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl. 2014, Rdn. G 161, m.w.N.). Es muss sich um einen Irrtum handeln, der in Anbetracht der Eindeutigkeit der Befunde unter keinen denkbaren Gesichtspunkten entschuldbar erscheint (vgl. OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 06.09.2005, Az.: 8 U 79/04 [Rdn. 23 bei juris]). Dazu müssen die gesamten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden:

Der Sachverständige SV2 hat hierzu im Berufungsrechtszug ergänzend ausgeführt, dass seiner Ansicht nach im September 2007 eine weiterführende Befunderhebung sinnvoll gewesen wäre bzw. hätte stattfinden sollen. Zumindest eine bildgebende Diagnostik wäre angezeigt gewesen. Seiner persönlichen Auffassung nach handele es sich hier aber lediglich um einen einfachen Befunderhebungsfehler (vgl. neurologisches Zusatzgutachten des Sachverständigen vom 29.08.2016, dort Seite 7 und Seite 22, Bl. 500 ff. d.A., Bd. II). Bei seiner Anhörung durch den Senat gab der Sachverständige ergänzend an (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 07.03.2017, Bl. 551 ff. d.A., Bd. II), er bleibe dabei, dass er den Fehler, im Jahre 2007 keine Muskelbiopsie zu machen, nicht als völlig unverständlichen Fehler bezeichnen könne. Von der Neurologin sei die Muskelbiopsie als „relativ indiziert“ beschrieben worden, was seiner Auffassung nach korrekt sei. Nach der erneuten EMG-Untersuchung ohne elektromyographischen Hinweis auf eine Myopathie und den unauffälligen klinischen Befunden tue man sich schwer mit einer absoluten Indikation. Dabei müsse man seiner Ansicht nach auch bedenken, dass die Muskelbiopsie ein Eingriff sei, der mit Risiken verbunden sei, und den man deshalb nicht ohne weiteres durchführe. Entscheidend sei immer der klinische Befund. Der Krankheitsverlauf der Klägerin sei aber nicht akut gewesen. Die geklagten Symptome seien hier nach dem Maßstab einer Muskelerkrankung eher in einem unteren Bereich anzusiedeln.

Auch insoweit folgt der Senat, der die Feststellungen des Sachverständigen insbesondere im Verhandlungstermin vom 07.03.2017 kritisch hinterfragt hat, den Ausführungen des SV2. Die Klägerin klagte nun zwar über Gliederschmerzen seit einer knappen Woche, insbesondere in den Beinen, sowie über zum Teil stechende Schmerzen und Kraftlosigkeit beim Gehen (vgl. Arztbrief der Fachärztin E vom 17.09.2007, Anlage K4, Bl. 22 ff. d.A., Bd. I). Der CK-Wert der Klägerin war hingegen während der stationären Behandlung von 1518 U/l am Aufnahmetag (12. September 2007) auf 492 U/l am Entlassungstag (17. September 2007) gefallen. Eine erneut durchgeführte EMG-Untersuchung ergab bei fehlender Spontanaktivität oder Polyphasie keine Hinweise auf eine Myopathie. Auch die weiteren klinischen Befunde waren unauffällig. Bei diesem unklaren Krankheitsbild ist nach Überzeugung des Senats trotz des differentialdiagnostisch einzubeziehenden Verdachts auf eine immunogene Myositis das Unterbleiben weitergehender Diagnostik zwar fehlerhaft, aber kein eindeutiger und damit grober Verstoß gegen im Jahre 2007 bewährte ärztliche Behandlungsregeln, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint. Eine andere Sichtweise wäre möglicherweise gerechtfertigt, wenn die Ärzte der Beklagten trotz langjähriger deutlicher Erhöhung der CK eine Myopathie gar nicht im Blick gehabt hätten. Dies war hier aber nicht der Fall, denn über eine eventuelle Muskelbiopsie war die Klägerin seitens der Internistischen Klinik bereits aufgeklärt worden und wegen des Verdachts einer Myopathie erfolgte durch die konsiliarisch hinzugezogene Neurologische Klinik am 14.09.2007 eine erneute EMG-Untersuchung, indes mit dem Ergebnis, dass aus Sicht der Neurologie eine Muskelbiopsie nur relativ indiziert sei.

An dieser Einstufung des Versäumnisses der Ärzte der Beklagten sieht sich der Senat auch nicht durch die Ausführungen des Sachverständigen SV1 im Schlichtungsverfahren gehindert. Dieser hat gestützt auf die Leitlinien der DGN zur Diagnostik von Myopathien 2008 und die im Jahre 2008 in Stadt2 erhobene Anamnese in seinem schriftlichen Gutachten vom 15.03.2011 (vgl. Anlage K6, Bl. 27 ff. d.A., Bd. I) das diagnostische Vorgehen der Ärzte der Beklagten im September 2007 zwar als unzureichende Diagnostik (vgl. Seite 10, letzter Absatz, des genannten Gutachtens, Bl. 37 d.A., Bd. I) eingestuft bzw. diese Entscheidung, vor dem Hintergrund deutlicher Hinweise auf eine weiterhin diagnostisch unklare Situation weiterhin auf eine Biopsie ohne eine erweiterte Diagnostik zu verzichten, als nicht nachvollziehbar bezeichnet (vgl. Seite 10, 2. Absatz, des genannten Gutachtens, Bl. 37 d.A., Bd. I). Dessen Ausführungen kann der Senat aber nicht entnehmen, dass das Unterlassen einer erweiterten Diagnostik unverzeihlich bzw. schlechterdings nicht nachvollziehbar oder eindeutig fehlerhaft gewesen ist. Wenn der Sachverständige SV1 in seinem Gutachten vom 15.03.2011 dann weiter ausführt, möglicherweise sei die nur minimale Ausfallsymptomatik im adäquat erhobenen Muskelstatus ein Hinderungsgrund für eine erweiterte Diagnostik gewesen, möglicherweise auch die sehr geringe Progression sowie die Einschätzung, dass ein myopathologischer Befund mit positiven therapeutischen Konsequenzen für die Klägerin kaum oder nicht zu erwarten war, so bedeutet dies, dass für die Einstufung des Versäumnisses der Ärzte der Beklagten als grob das fachliche Fundament fehlt. Die Auffassung des Sachverständigen SV1 im Schlichtungsverfahren mag als Begründung dafür ausreichen, das Unterlassen einer erweiterten Diagnostik im Jahre 2007 als einfachen Befunderhebungsfehler einzuordnen, rechtfertigt indes keineswegs die Qualifizierung des Fehlers als im Rechtssinne grob.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den hier maßgeblichen Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der Myositiden 3. Auflage 2005 (vgl. Bl. 285 bis 291 d.A., Bd. II), die bestimmen, dass die Muskelbiopsie bei entsprechender klinischer Symptomatik und hinweisenden Veränderungen von CK-Aktivität und EMG die wichtigste Untersuchung zum Nachweis einer Myositis und zur diagnostischen Abgrenzung anderer neuromuskulärer Veränderungen darstelle. Den genannten Leitlinien vermag der Senat nicht zu entnehmen, dass es im September 2007 medizinischem Standard entsprach, bei diagnostisch unklarer Situation und dem Verdacht auf eine Myopathie aufgrund stark erhöhter CK zwingend ein Muskel-MRT und nachfolgend gegebenenfalls eine Muskelbiopsie durchzuführen, so dass auch nach diesem Beurteilungsmaßstab ein Unterlassen einer solchen erweiterten Diagnostik in der Zusammenschau aller genannten Umstände bei der Klägerin nach Überzeugung des Senats juristisch nicht als grob fehlerhaft eingestuft werden kann.

Ist aber lediglich von einem einfachen Befunderhebungsfehler der Ärzte der Beklagten im September 2007 auszugehen, so kommt – wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat – hinsichtlich der Folgen dieses Befunderhebungsfehlers zugunsten der Klägerin eine Beweislastumkehr nur in Betracht, wenn zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass die unterlassene Befunderhebung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einem reaktionspflichtigen Befund geführt hätte und sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder das Verhalten des Arztes auf der Basis dieses Ergebnisses als grob fehlerhaft darstellen würde (vgl. BGH, Urteil vom 02.07.2013, Az.: VI ZR 554/12; BGH, Urteil vom 23.03.2004, Az.: VI ZR 428/02, jeweils zitiert nach „juris).

Die Klägerin hat diesen Beweis nicht zur Überzeugung des Senats geführt. Auch nach der weiteren Beweisaufnahme im Berufungsrechtszug verbleiben erhebliche Zweifel, ob sich bei Durchführung einer erweiterten Diagnostik mit Muskel-MRT und nachfolgend gegebenenfalls einer Muskelbiopsie im Jahre 2007 ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft dargestellt hätte.

Wie der Sachverständige SV2 bei seiner Anhörung durch den Senat bestätigt hat, wäre es zwar bereits im Jahre 2004 bei Durchführung einer Muskelbiopsie möglich gewesen, bei der Klägerin die interstitielle Myositis zu finden. Mit welcher Wahrscheinlichkeit, könne er jedoch nicht sagen (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 09.03.2017, dort Seite 3, erster Absatz, Bl. 553 d.A., Bd. II). Bereits erstinstanzlich hatte sich der Sachverständige in seinem Gutachten vom 19.04.2013 (dort Seite 57, Bl. 175 d.A., Bd. I) dahingehend geäußert, dass bei der Klägerin weder 2004 noch 2007, aber auch nicht 2008 mit Diagnosestellung in Stadt2 ein reaktionspflichtiger Befund im Sinne einer hoch virulenten, akuten mit schweren Funktionsausfällen versehenen Muskelentzündung vorgelegen habe. Dies präzisierte der Sachverständige im Verhandlungstermin vor dem Landgericht am 04.12.2013 dahingehend (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 04.12.2013, Bl. 265 ff. d.A., Bd. II), dass bei grober Schätzung wohl mit mehr als 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit bei weiterführender Diagnostik ein positives Befundergebnis im Sinne von im MRT sich darstellender degenerativ veränderter atrophischer Muskeln gefunden worden wäre, allerdings hätte dies dann lediglich dazu geführt, der Klägerin eine Muskelbiopsie zu empfehlen. Zwingend wäre eine solche Empfehlung jedoch nicht gewesen und es sei auch fraglich, zu welchem Ergebnis eine dann durchgeführte Muskelbiopsie bei der Klägerin geführt hätte.

Auch insoweit überzeugen die Ausführungen des Sachverständigen den Senat. Dieser ist auch nach gründlicher Auswertung der von Klägerseite im Berufungsrechtszug mit Schriftsatz vom 14.06.2016 (Bl. 487 d.A., Bd. II) nachgereichten MRT-Aufnahmen der Klinik Stadt2 sowie eines aktuellen Untersuchungsberichts des … Diagnostikzentrum Stadt1 vom 27.05.2016 (Bl. 488 d.A., Bd. II) bei seiner Einschätzung verblieben, dass sich heute nicht mehr feststellen lasse, ob eine anderweitige Befunderhebung im Jahre 2004 oder 2007 zum einen die Diagnose einer interstitiellen Myositis erbracht und zum anderen bei einer dann eingeleiteten, wie auch immer gearteten Therapie einen anderen Verlauf bedingt hätte. Hierüber sei nur zu mutmaßen, aber selbst durch eine weiterführende Beweiserhebung in Form einer aktuellen neurologischen und elektrophysiologischen, gegebenenfalls auch MR-tomographischen Untersuchung der Klägerin kein belastbares Ergebnis ex post zu erwarten (vgl. neurologisches Zusatzgutachten vom 29.08.2016, dort Seiten 19 u. 20, Bl. 518 und 519 d.A., Bd. II). Seiner Einschätzung nach sei eine chronisch, nicht entzündlich aktive Degeneration der betroffenen Muskulatur – wie bei der Klägerin – einer wie auch immer gearteten Therapie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht zugänglich gewesen. Auch bei adäquater Diagnostik und Diagnosestellung im Jahre 2007 hätte ein individueller Heilversuch mit Kortikoiden und/oder Immunsuppressiva wie Azathioprin oder MTX mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen anderweitigen Verlauf bedingt. Somit habe die jahrelange Nichtbehandlung der Klägerin an dem natürlichen Verlauf keinerlei nachteiligen Effekt bewirkt. Auch bei seiner Anhörung durch den Senat hat der Sachverständige an dieser Einschätzung festgehalten und nachvollziehbar erläutert, bei hoch akuten Entzündungen könne man durch eine hochaktive immunsuppressive Therapie einen Erfolg erzielen, nicht aber bei der hier gegebenen chronischen Erkrankung der Klägerin. Auf den Einwand der Klägerin hin, durch die Behandlung und Therapie in Stadt2 sei die Erkrankung zum Stillstand gekommen, äußerte sich der Sachverständige SV2 dahingehend, dass er sich insoweit nicht sicher sei, ob das tatsächlich auf der Behandlung und der Gabe von Kortison und anderen Medikamenten beruhe, oder vielmehr damit erklärbar sei, dass die befallenen Muskeln sich mittlerweile vollständig zu Fettgewebe verwandelt haben und andere Muskeln schlicht nicht befallen seien (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 09.03.2017, dort Seite 3, dritter Absatz, Bl. 553 d.A., Bd. II).

Für die Richtigkeit der Angaben des Sachverständigen SV2 spricht auch, dass der Sachverständige SV1 im Schlichtungsverfahren ebenfalls eine Festlegung dahingehend, ob durch einen früheren Beginn einer Steroidtherapie die Beschwerden der Klägerin nachhaltiger hätten gebessert werden können, vermieden hat, insbesondere weil, so SV1 in seinem Gutachten vom 15.03.2011, die interstitielle Myositis bei der Klägerin einen eher chronischen Verlauf zeige und es daher seiner Ansicht nach nahezu unmöglich scheine, das Ausmaß eines Schadens abzuschätzen, der durch eine verzögerte Muskelbiopsie entstanden sein kann.

Findet eine Beweislastumkehr zu Gunsten der Klägerin aber nicht statt, so steht nach dem Ergebnis der weiteren Beweisaufnahme im Berufungsrechtszug aus den gezeigten Gründen nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass bei einer bereits im Jahre 2007 durch die Ärzte der Beklagten durchgeführten erweiterten Diagnostik und mit einer dann eingeleiteten medikamentösen Therapie noch vor dem Auftreten der bei der Klägerin eingetretenen Muskelschädigung das Beschwerdebild und der Krankheitsverlauf positiv hätten beeinflusst bzw. durch eine um ein Jahr früher begonnene Krankengymnastik eine weitere Muskelschädigung hätte verhindert werden können. Weder der Sachverständige SV2 noch der im Schlichtungsverfahren tätige Sachverständige SV1 konnten dieses Vorbringen der Klägerin nach Auswertung der Krankenunterlagen bestätigen. Insoweit verbleiben auch nach übereinstimmender Ansicht der beiden Sachverständigen Zweifel. Der Klägerin ist es daher nicht gelungen, den ihr obliegenden Kausalitätsnachweis zu führen.

Der Senat hatte keine Veranlassung, ein weiteres Gutachten einzuholen, insbesondere kein myologisches Zusatzgutachten, wie von Klägerseite mit Schriftsatz vom 20.03.2017 beantragt. Dies ist gemäß § 412 Abs. 1 ZPO notwendig, wenn das Gericht das Gutachten für ungenügend erachtet, etwa weil das Gutachten in sich widersprüchlich oder unvollständig ist, der Sachverständige nicht sachkundig war oder von falschen Tatsachen ausgegangen ist, sich die Tatsachengrundlage durch zulässige Noven geändert hat oder wenn ein anderer Sachverständiger über überlegene Forschungsmittel oder Erfahrung verfügt (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 412 Rdn. 2 m.w.N.). All dies ist nicht gegeben. Insbesondere ist der Senat nach der persönlichen Anhörung des Sachverständigen von der Richtigkeit der gutachtlichen Ausführungen überzeugt, die der Sachverständige gut verständlich und nachvollziehbar dargelegt hat. Widersprüche zu dem Gutachten aus dem Schlichtungsverfahren sind, wie gezeigt, nicht geeignet, an der Sachkunde des Sachverständigen SV2 oder der Richtigkeit seiner Feststellungen zu zweifeln. Die Feststellungen des Sachverständigen SV2 beruhen auch auf einer ausreichenden tatsächlichen Beurteilungsgrundlage, auch wenn der Sachverständige insbesondere im Hinblick auf die Frage der Auswirkungen eines Befunderhebungsfehlers auf den Krankheitsverlauf keine eigenen Untersuchungen bzw. Befunderhebungen durchgeführt hat. Dass es keiner Vervollständigung der Untersuchungen bedarf, hat der Sachverständige in seinem neurologischen Zusatzgutachten vom 29.08.2016 (Bl. 518 und 519 d.A., Bd. II) für den Senat nachvollziehbar damit begründet, dass mit der Diagnostik in Stadt2 inklusive der histopathologischen Aufarbeitung eines Muskelbiopsiepräparates an der Diagnose per se keinerlei Zweifel zu stellen sei. Es gebe keinen Grund zu der Annahme, dass eine aktuelle neurologische und elektrophysiologische, ggf. MR-tomographische Untersuchung durch ihn oder einen anderen Sachverständigen hier zu einem anderen Ergebnis käme. Über die Frage der Auswirkungen einer wie auch immer gearteten Therapie auf den Krankheitsverlauf könne nur gemutmaßt werden, aber selbst durch eine weiterführende Untersuchung sei kein belastbares Ergebnis aus ex-post Sicht zu erzielen.

Dass keine Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen SV2 gegeben ist, hat der Senat bereits in seinem Hinweisbeschluss vom 09.05.2016 (vgl. Bl. 464 ff. d.A., Bd. II d.A.) ausgeführt. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen Ausführungen unter Ziff. II vollumfänglich Bezug genommen, die auch von Klägerseite nicht angegriffen worden sind.

Insgesamt liegen die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch bzw. einen Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie für die begehrte Feststellung einer Einstandspflicht der Beklagten hinsichtlich weiterer Schäden nicht vor, so dass die Klage unbegründet ist.

Nach alledem war die Berufung der Klägerin gegen das ihre Klage abweisende Urteil des Landgerichts im vollen Umfange zurückzuweisen.

Der nach dem abschließenden Senatstermin eingereichte Schriftsatz der Klägerin vom 20.03.2017, bei Gericht eingegangen am 21.03.2017, gibt keine genügende Veranlassung dazu, die Urteilsverkündung hinauszuschieben oder gar wieder in die mündliche Verhandlung einzutreten. Die maßgeblichen Streitfragen waren Gegenstand einer umfänglichen Beweisaufnahme, zu der jeweils ausreichend rechtliches Gehör gewährt wurde. Insbesondere im Rahmen der Anhörung des Sachverständigen SV2 im Verhandlungstermin vor dem Senat bestand für die Klägerin erneut hinreichend Gelegenheit, die Feststellungen des Sachverständigen kritisch zu hinterfragen. Hiervon hat die Klägerin umfassend Gebrauch gemacht.

III.

Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, weil ihre Berufung ohne Erfolg geblieben ist.

Die prozessuale Nebenentscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision ergeht gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Die vorliegende Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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