OLG Frankfurt am Main, 06.11.2017 – 13 U 170/17

März 19, 2019

OLG Frankfurt am Main, 06.11.2017 – 13 U 170/17
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 28.3.2017 verkündete Urteil des Landgerichts Darmstadt wird als unzulässig verworfen.

Der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten gegen die Versäumung der Berufungsfrist wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Der Gebührenstreitwert für die Berufung wird auf 36.946,- € festgesetzt.
Gründe

I.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten – einem Reisebüro – Schadenersatz wegen manipulierter Flugbuchungen in Höhe von 83.145.61 €.

Das Landgericht hat der Klage mit einem Urteil nach Lage der Akten aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7.3.2017, zu der für die Beklagte niemand erschienen war, in Höhe von 36.945,43 € nebst anteiliger vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten stattgegeben und die weitergehende Klage abgewiesen.

Das Urteil ist am 28.3.2017 verkündet worden. Über die Zustellung des Urteils an die Beklagte verhält sich die Zustellungsurkunde vom 12.4.2017 (Bl. 464 d.A.), auf die verwiesen wird.

Mit Schriftsatz vom 2.8.2017 (Bl. 483 d.A.) hat die Beklagte durch ihren Prozessbevollmächtigten Berufung gegen das Urteil eingelegt und gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung beantragt. Wegen ihres Vortrags wird auf den Schriftsatz vom 11.10.2017 (Bl. 504 f. d.A.) verwiesen.

II.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts vom 28.3.2017, das ihr am 12.4.2017 zugestellt wurde (dazu nachfolgend 1.), ist – worauf der Senat bereits unter dem 18.8.2017 (Bl. 493 f. d.A.) hingewiesen hat – gemäß § 522 I ZPO als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der Frist des § 517 ZPO eingelegt wurde (dazu nachfolgend 2.) und auch der Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückzuweisen war (dazu nachfolgend 3.).

1. Das angefochtene Urteil ist der Beklagten bzw. ihren Prozessbevollmächtigten am 12.4.2017 wirksam zugestellt worden. Die Zustellung erfolgte nach der Zustellungsurkunde vom 12.4.2017 (Bl. 464 d.A.) an „Rechtsanwälte X und Kollegen, Straße1 in Stadt1“. Bei der Zustellungsadresse handelt es sich um die (neue) Kanzleianschrift des Rechtsanwalts X, der nicht nur als Sozius des Rechtsanwalts Y anzusehen ist, sondern ebenfalls von der Beklagten bevollmächtigt wurde.

In einer Sozietät ist grundsätzlich jeder Sozius berechtigt, Zustellungen für die anderen Angehörigen der Sozietät entgegenzunehmen (BFH, Beschluss vom 22.9.2015, V B 20/15 – mit weiteren Nachweisen; BGH, Beschluss vom 107.1969, VII ZB 13/69).

Dass sich die beiden Rechtsanwälte X und Y (räumlich) getrennt haben und – offenbar nacheinander – aus den ursprünglichen Kanzleiräumen in der Straße2 ausgezogen sind, ändert an der Wirksamkeit der Urteilszustellung nichts. Nach der Vertretungsanzeige vom 10.12.2014 (Bl. 203 d.A.) wurde der Beklagte nämlich von Rechtsanwalt X und von Rechtsanwalt Y vertreten. Sowohl nach der Gestaltung des Briefkopfes „X & Y – Rechtsanwälte“ als auch aus dem Umstand, dass die beiden Rechtsanwälte über eine gemeinsame Domäne ((…).com) und ein gemeinsames Geschäftskonto verfügten, kann nur geschlossen werden, dass beide Rechtsanwälte als Sozien auftraten und auch beide von dem Beklagten mit seiner Prozessvertretung bevollmächtigt worden waren. Dies ergibt sich auch aus der in der Vertretungsanzeige gewählten Formulierung „… zeigen wir mit anliegender Vollmacht die anwaltliche Vertretung … an“. Der Umstand, dass die der Vertretungsanzeige beigefügte Vollmacht des Beklagten nur Rechtsanwalt Y nennt, steht dem nicht entgegen, zumal nicht sicher ist, dass der Inhaber der Beklagten nicht eine weitere Vollmacht für Rechtsanwalt X unterzeichnet hat, von deren Vorlage aber wegen § 88 II ZPO abgesehen wurde.

Sofern Rechtsanwalt Y und Rechtsanwalt X tatsächlich nicht – oder ab dem Zeitpunkt, zu dem Rechtsanwalt X die gemeinsamen Büroräume in der Straße2 verlassen hatte, nicht mehr – als Sozien verbunden waren, kann dies die Wirksamkeit der Urteilszustellung am 12.4.2017 ebenfalls nicht in Frage stellen. Zum einen ändert dies nichts daran, dass die Bevollmächtigung durch die Beklagte auch gegenüber Rechtsanwalt X fortbestand. Zum anderen hätte es Rechtsanwalt Y in diesem Fall geduldet und gebilligt, dass Rechtsanwalt X unter Verwendung eines gemeinsamen Briefkopfes, der entgegen der wahren Rechtslage auf das Bestehen einer Anwaltssozietät hinwies, nach außen in Erscheinung trat. Dies aber begründete eine Anscheinsvollmacht für Rechtsanwalt X zur Vertretung des Rechtsanwalts Y, die zur Folge hat, dass sich letzterer nicht auf darauf berufen kann, Rechtsanwalt X sei nicht oder nicht mehr zur Entgegennahme des Urteils berechtigt gewesen (in diesem Sinne OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 16.3.2000, 16 U 69/99).

Der Umstand, dass Rechtsanwalt Y seine Schriftsätze ab November 2015 unter einem Briefkopf verfasste, der nur noch ihn selbst nannte, ändert nichts daran, dass er gleichwohl geduldet hat, dass das Landgericht weiterhin davon ausging, dass auch Rechtsanwalt X bevollmächtigt war, weil er sämtlichen Schriftverkehr unter der Adressierung „Rechtsanwälte X und Kollegen, Straße2, Stadt1“ akzeptierte und entsprechende Empfangsbekenntnisse (vgl. Bl. 364, 389, 390 d.A.) unterschrieben zurücksandte.

2. Weil das angefochtene Urteil der Beklagten danach am 12.4.2017 (wirksam) zugestellt worden ist, ist die Berufungsfrist nach § 517 ZPO am 13.4.2017 abgelaufen. Die Berufung durch den Schriftsatz vom 2.8.2017 war deshalb verfristet.

3. Der Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten ist unbegründet.

Gemäß § 233 ZPO ist einer Partei Wiedereinsetzung gegen die Versäumung einer Notfrist – wie hier der Berufungsfrist – zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten. Gemäß § 85 II ZPO muss sie sich dabei das Verschulden ihres Bevollmächtigten zurechnen lassen.

Die Beklagte bzw. ihre Prozessbevollmächtigten waren nicht ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert. Insoweit müssen sich Rechtsanwalt Y und Rechtsanwalt X vorwerfen lassen, gleich für mehrere Umstände verantwortlich zu sein, die bedingt haben, dass die Berufungsfrist versäumt wurde.

Stellt man nur auf Rechtsanwalt X ab, ist schlechterdings nicht nachvollziehbar, warum er die Zustellung des Urteils unter seiner neuen Kanzleiadresse ignoriert und – sofern mit Rechtsanwalt Y vereinbart war, dass dieser das Mandat nach der Trennung allein weiterbearbeiten sollte – das Urteil nicht zeitnah an diesen weiterleitete.

Rechtsanwalt Y seinerseits muss sich vorhalten lassen, dass er das Landgericht nicht darüber informiert hat, dass Rechtsanwalt X aus den gemeinsamen Kanzleiräumen in der Straße2 ausgezogen und für das Mandat nicht mehr zuständig war. Er muss sich weiter vorwerfen lassen, dass er geduldet hat, dass das Landgericht Zustellungen auch nach dem Auszug von Rechtsanwalt X aus den gemeinsamen Kanzleiräumen unter der Adressierung „X und Kollegen“ vornahm. Schließlich – und das ist der entscheidende Punkt – hat er es versäumt, dem Landgericht im Oktober 2016 seinen eigenen Umzug in die Kanzleiräume in der Straße3 mitzuteilen.

Soweit Rechtsanwalt Y im Schriftsatz vom 11.10.2017 angibt, er habe „die Adressänderung an die Kammer und das Finanzamt sofort mitgeteilt“, kann damit nicht die entscheidende Kammer des Landgerichts, sondern muss die Rechtsanwaltskammer gemeint sein. Jedenfalls befindet sich in den Akten keine schriftsätzliche Mitteilung oder sonstiger Vermerk über die Adressänderung.

Auch der vorgelegte Nachsendeantrag der Deutschen Post (Bl. 506 d.A.) entlastet Rechtsanwalt Y nicht. Zum einen ergibt sich aus der Bestätigung über die Verlängerung des Nachsendeantrags nicht, ob ein solcher überhaupt schon gestellt war, als das Urteil im April 2017 zugestellt wurde. Zum anderen hätte Rechtsanwalt Y aufgrund der oben geschilderten Umstände damit rechnen müssen, dass ein Nachsendeantrag auf seinen Namen allein nicht ausreichen würde, um die sichere Nachsendung solcher Sendungen an seine neue Adresse zu gewährleisten, die nur ihn, aber nicht Rechtsanwalt X betrafen, nachdem er es – wie hier – vorher duldete, dass Sendungen an die „Rechtsanwälte X und Kollegen“ adressiert wurden.

Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob daneben die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO gewahrt ist und die Voraussetzungen des § 236 II ZPO vorliegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 I ZPO.

Die Festsetzung des Gebührenstreitwerts entspricht dem Verurteilungsbetrag aus dem angefochtenen Urteil.

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