OLG Frankfurt am Main, 06.12.2017 – 3 U 196/16

März 19, 2019

OLG Frankfurt am Main, 06.12.2017 – 3 U 196/16
Leitsatz:

1.

Vereinbaren die Parteien für die Vertretung einer Tierarztpraxis als Tagespauschale 1800,-€ zuzüglich Provisionen, obwohl eine solche von 250,- bis 300,- € üblich ist, liegt ein zur Irrtumsanfechtung berechtigender Schreibfehler vor.
2.

Die Anfechtungserklärung erfolgt unverzüglich, wenn sie innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis vom Irrtum und Einholung von Rechtsrat erfolgt

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 13.09.2016 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main (Az. 2-01 O 52/16) wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Gebührenstreitwert für die Berufung wird auf 20.965,00 € festgesetzt.
Gründe

I.

Wegen des Sach- und Streitstands wird auf die Darstellung im Hinweisbeschluss vom 24.10.2017 (Bl. 192 ff. d.A.) sowie den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 114 ff. d.A.) verwiesen.

Auf den Hinweisbeschluss hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 01.12.2017 (Bl. 227 ff. d. A.) Stellung genommen, auf den verwiesen wird.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil abzuändern und der Klage nach den erstinstanzlichen Anträgen stattzugeben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

II.

Das Rechtsmittel der Klägerin war gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss des Senats zurückzuweisen, weil die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch ist aus Gründen der Rechtsfortbildung oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung durch Urteil erforderlich. Zur Begründung wird auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss vom 24.10.2017 (Bl. 192 ff. d.A.) verwiesen.

A. Soweit die Klägerin auf die Hinweise des Senats mit Schriftsatz vom 01.12.2017 Stellung genommen hat, gibt das darin Vorgebrachte keine Veranlassung, von der Einschätzung im Hinweisbeschluss abzuweichen:

1. Anders als die Klägerin meint, hat diese den ausführlichen Vortrag der Beklagten in der Klageerwiderung, sie habe sich bei Entwurf des Vertrags vertippt, nicht bestritten, sondern lediglich die Rechtsansicht geäußert, es liege kein Erklärungsirrtum vor. Die bloße Äußerung einer Rechtsansicht kann kein ausreichendes Bestreiten darstellen, weder einfaches noch substantiiertes. Entgegen der durch die Klägerin vertretenen Auffassung hat die Beklagte bereits in der Klageerwiderung ausreichend zum Vorliegen eines Erklärungsirrtums vorgetragen und diesen Vortrag in dem im Termin zur mündlichen Verhandlung überreichten Schriftsatz lediglich noch ergänzt.

2. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Annahme zutreffend, die Beklagte hätte bei verständiger Würdigung eine Erklärung dieses Inhalts nicht abgegeben. Denn eine Grundvergütung von 1.800,- € netto pro Tag der Rufbereitschaft nebst Provisionspauschalen übersteigt – wie schon im Hinweisbeschluss ausgeführt – die von der Bundestierärztekammer empfohlenen insgesamt 250,- bis 350,- € netto pro Tag (ohne Provisionspauschalen) um das Sechsfache. Eine Grundvergütung von 1.800,- € netto pro Tag erscheint selbst zahlreichen Einsätzen der Klägerin rund um die Uhr nicht angemessen, da zahlreiche Einsätze auch mit zahlreichen zusätzlichen Provisionspauschalen vergütet werden. Der Vergleich der Klägerin mit der Vergütung von Rechtsanwälten hinkt.

3 Anders als die Klägerin meint, ist die Anfechtungsfrist gewahrt. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat gerade nicht ausreichend zu einem früheren Fristbeginn vorgetragen, da sie sich darauf beschränkt hat, den Auslandsaufenthalt der Beklagten bis zum 19.02.2016 zu bestreiten.

4. Das Landgericht hätte die Klägerin nicht darauf hinweisen müssen, sich zur behaupteten Ortsüblichkeit der Vergütung von 1.800,- € genauer zu erklären. Denn die Erklärungsnot der Klägerin war offensichtlich, nachdem die Beklagte schon mit der Klageerwiderung substantiiert vorgetragen hatte, dass eine Vergütung von 180,- € netto nebst Provisionspauschalen sich in dem von der Bundestierärztekammer empfohlenen Rahmen bewegt, während 1.800,- € pro Tag nebst Provisionspauschalen diesen Rahmen eindeutig sprengen.

5. Die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel der Klägerin sind in der Berufungsinstanz nicht zuzulassen, da die Klägerin diese aus den oben und im Hinweisbeschluss genannten Gründen in erster Instanz nicht gem. § 531 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO infolge eines Verfahrensmangels nicht geltend gemacht hat.

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 I ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in § 708 Nr. 10 S. 2 ZPO.

Vorausgegangen ist unter dem 24.10.2017 folgender Hinweis (die Red.):

In dem Rechtsstreit (…)

wird darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, die Berufung der Klägerin durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Nach Vornahme der gemäß § 522 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO gebotenen Prüfungen ist der Senat einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat und auch eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Die Sache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung durch Urteil.

I.

Die Klägerin verfolgt mit der Berufung ihren im Urkundenprozess erstinstanzlich geltend gemachten Anspruch auf Zahlung einer Vergütung in Höhe von insgesamt 23.240,70 € weiter.

Die Parteien sind Tierärztinnen. Die Beklagte betreibt einen mobilen Tiernotdienst und bietet auf Anruf Hausbesuche von Tierärzten rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche an. Die Parteien führten im Dezember 2015 ein Telefonat, in dem sich die Klägerin an einer Mitarbeit im Tiernotdienst der Beklagten interessiert zeigte. In der Folge übersandte die Beklagte der Klägerin den Entwurf eines Vertrags über eine freie Mitarbeit (Anlage K 4, Bl. 160 d. A.).

Dieser Entwurf enthielt unter „§ 3 Vergütung“ folgende Regelung:

„(1) Als Vergütung wird ein Festbetrag von 1800€ zuzüglich der jeweiligen gesetzlichen Mehrwertsteuer für 24 h Rufbereitschaft vereinbart, zusätzlich eine Provisionspauschale ab dem ersten Einsatz von 10 bis 30 € je nach Nettoumsatz des Einsatzes. (…)“

Wegen der Einzelheiten wird auf den Vertragsentwurf in der Anlage K 1, Bl. 5 ff. d. A. verwiesen.

Am 03.01.2016 half die Klägerin der Beklagten für einen Drittelarbeitstag zwischen 10.00 und 18.00 Uhr aus. Im Zeitraum vom 03.01.2015 18.00 Uhr bis zum 13.01.2016 18.00 Uhr hielt sich die Klägerin über zehn Tage jeweils für 24 Stunden in Rufbereitschaft.

Für diese Tätigkeit stellte die Klägerin der Beklagten mit Rechnung vom 08.02.2016 insgesamt 23.240,70 € in Rechnung, wobei sie einen „Tagessatz lt. Vertrag“ von 1.800,- € nebst 930,- € an Provisionen zuzüglich Umsatzsteuer zugrunde legte (Anlage K 2, Bl. 12 d. A.).

Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 29.02.2016, das der Klägerin am 01.03.2016 zuging, erklärte die Beklagte die Anfechtung der von ihr abgegebenen Vertragserklärung vom 03.01.2016 wegen Erklärungsirrtums (Anlage B 2, Bl. 39 d. A.).

Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 03.03.2016 forderte die Klägerin die Beklagte zur Zahlung der insgesamt 23.240,70 € nebst vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten von 1.044,40 € bis 15.03.2016 auf.

Ein im Internet abrufbarer Mustervertrag der Bundestierärztekammer empfiehlt in einer Anmerkung für eine Praxisvertretung auf Basis freier Mitarbeiterschaft ein auch die Teilnahme am tierärztlichen Notdienst abgeltendes Tageshonorar in Höhe von insgesamt 250,- bis 350,- € zzgl. Umsatzsteuer.

Die Klägerin hat behauptet, im Telefonat im Dezember 2015 sei es lediglich um eine Festanstellung gegangen. Dies habe die Beklagte abgelehnt und stattdessen eine freie Mitarbeit angeboten.

Die Beklagte hat behauptet, in dem Telefonat sei es konkret um eine Beschäftigung der Klägerin als freie Mitarbeiterin gegangen. Sie habe der Klägerin angeboten, ihr für eine 24-Stunden-Rufbereitschaft eine Vergütung von 180,- € netto nebst pauschalen Provisionen für jeden Einsatz in Höhe von 10,- bis 30,- € netto abhängig von Nettoumsatz zu zahlen. Die Klägerin habe sich an einer Beschäftigung zu diesen Bedingungen interessiert gezeigt.

Die Beklagte hat vorgetragen, bei Unterschrift unter den Vertrag am 03.01.2016 sei sie davon ausgegangen, dass die von ihr abgegebene Vertragserklärung eine Vergütung der Klägerin in Höhe eines Tagessatzes von netto 180,- € beinhaltet habe. Damit könne die Klägerin lediglich eine Vergütung in Höhe von einschließlich Provisionen und Mehrwertsteuer 3.320,10 € verlangen.

Die Beklagte hat weiter vorgetragen, sie habe ihren Irrtum erst am Freitag 19.02.2016 abends bemerkt, da sie sich vom 09.02.2016 bis 19.02.2016 abends im Ausland aufgehalten habe. Sie habe sich am Montag 22.02.2016 um anwaltliche Beratung bemüht, die sie am 25.02.2016 erhalten habe.

Im Übrigen wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat der im Urkundenprozess erhobenen Klage teilweise in Höhe von 3.320,10 € stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Diese Entscheidung hat das Landgericht begründet wie folgt:

Der Klägerin stehe gegen die Beklagte kein weitergehender Vergütungsanspruch zu. Denn die Beklagte habe den am 03.01.2016 geschlossenen Vertrag mit am 01.03.2016 zugegangenem Schreiben wirksam angefochten. Ein Anfechtungsgrund gem. § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB habe vorgelegen, da bei Abgabe ihrer Willenserklärung der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen der Beklagten entsprochen habe. Die Beklagte habe sich vertippt und versehentlich eine Null zu viel aufgeschrieben. Dies habe die Klägerin nicht substantiiert bestritten. Der pauschale Vortrag, ein Irrtum liege nicht vor, genüge dazu nicht. Der Vortrag der Klägerin mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 01.09.2016 sei gem. § 296 a ZPO zurückzuweisen. Der verspätete Schriftsatz vom 15.08.2016 habe zu dieser Frage kein neues Vorbringen enthalten, so dass kein Schriftsatznachlass habe gewährt werden müssen.

Das Verschreiben habe sich in der Annahmeerklärung vom 03.01.2016 fortgesetzt, da die Beklagte bei Unterschrift irrtümlich davon ausgegangen sei eine Tagespauschale von 180,- € netto in den Vertragsentwurf geschrieben zu haben und nun eine entsprechende Erklärung abzugeben.

Mit Schreiben vom 29.02.2016 habe die Beklagte den Vertrag wirksam unverzüglich – ohne schuldhaftes Zögern – angefochten. Der Anfechtende dürfe vor Anfechtung – soweit erforderlich – Rechtsrat einholen. Wie die vorgerichtliche Einschaltung von Rechtsanwälten auf beiden Seiten zeige, sei die Inanspruchnahme von Rechtsrat hier nicht überflüssig. Es sei nach dem substantiierten Vortrag der Beklagten davon auszugehen, dass die Klägerin erst am 19.02.2016 Kenntnis vom Anfechtungsgrund erlangt und sodann den Vertrag mit am 01.03.2016 zugegangener Erklärung unverzüglich angefochten habe. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin habe demgegenüber eine Verfristung der Anfechtungserklärung nicht dargelegt.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Ziel der Zahlung von insgesamt 23.240,70 € weiter.

Die Klägerin rügt Rechtsverletzungen des Landgerichts (§§ 513 Abs. 1 Alt. 1, 546 ZPO), auf denen das Urteil beruht (§ 545 Abs. 1 ZPO), insbesondere Verstöße gegen die richterliche Hinweispflicht.

Das Landgericht habe das Bestreiten des Erklärungsirrtums durch die Klägerin nicht als unsubstantiiert zurückweisen dürfen. Denn tatsächlich habe die Klägerin in dem Vortrag aus dem Schriftsatz vom 28.07.2016 den Anfechtungsgrund vollumfänglich bestritten. Auch sei der Zusammenhang zwischen Verschreiben und Fortwirken des Irrtums bei Abgabe der Vertragserklärung durch die Beklagte zunächst nicht vorgetragen worden. Auf diesen Zusammenhang, der erst im verspäteten Schriftsatz der Beklagten vom 15.08.2016 klar geworden sei, hätte das Landgericht in der mündlichen Verhandlung hinweisen müssen. Nur bei Erteilung eines entsprechenden Hinweises sowie der Gewährung von Schriftsatznachlass auf den Hinweis, hätte die Klägerin Gelegenheit gehabt, den Vortrag der Beklagten zum Erklärungsirrtum substantiiert zu bestreiten.

Auch die Angemessenheit und Ortsüblichkeit einer Vergütung von 180,- € für eine 24-Stunden-Rufbereitschaft stütze das Landgericht darauf, dass die Klägerin den Vortrag der Beklagten dazu nicht substantiiert bestritten habe. Die Beklagte habe aber erstmals mit dem verspäteten Schriftsatz vom 15.08.2016 umfassend zur Angemessenheit und Ortsüblichkeit vorgetragen. Daher hätte das Landgericht im Termin am 22.08.2016 die Klägerin darauf hinweisen müssen, dass es eine Vergütung von 180,- € für angemessen und ortsüblich halte, und der Klägerin einen Schriftsatznachlass auf diesen Hinweis gewähren müssen. Auch verkenne das Landgericht, dass die Klägerin die Angemessenheit und Ortsüblichkeit bereits bestritten habe.

Schließlich gehe das Landgericht rechtsirrig davon aus, dass die Beklagte die Anfechtung unverzüglich gem. § 121 BGB erklärt habe. Denn entgegen der durch das Landgericht vertretenen Ansicht sei es nicht erforderlich gewesen vor Anfechtungserklärung den Rat eines Rechtskundigen einzuholen, da die Beklagte in der Vergangenheit schon öfter solche Verträge abgeschlossen habe. Andernfalls könne ein Anfechtungsberechtigter immer durch die Einholung von Rechtsrat die Frist verlängern. Auch sei nicht erklärbar, weshalb die Beklagte eine Woche gebraucht habe, um einen Rechtsanwalt aufzusuchen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13.09.2016 (Az. 2-01 O 52/16) teilweise abzuändern und wie folgt zu erkennen:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus weitere 20.965,- € nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 19.920,60 € seit dem 23.02.2016 sowie aus 1.044,40 € seit dem 03.03.2016 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin hat in der Sache keine Aussicht auf Erfolg, da das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat. Weder die vorgebrachten Berufungsgründe noch die gemäß § 529 Abs. 2 S. 2 ZPO von Amts wegen durchzuführende Prüfung lassen erkennen, dass die Klageabweisung auf einer Rechtsverletzung beruht oder dem Berufungsverfahren zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 ZPO).

Zu Recht ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Klägerin gegen die Beklagte über den mangels Widerspruch der Beklagten gem. § 599 Abs. 1 ZPO im Urkundenprozess vorbehaltlos zuerkannten Betrag in Höhe von 3.320,10 € hinaus kein weiterer Vergütungsanspruch zusteht. Die Klage war im Übrigen gem. § 597 Abs. 1 ZPO endgültig abzuweisen, nachdem (1.) die Klägerin der Anfechtung wegen Erklärungsirrtums nicht substantiiert entgegen getreten ist (siehe nur BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf/Kratz, 26. Edition, Stand 15.09.2017, § 597 Rn. 4) und (2.) die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin eine Verfristung der ihr am 03.01.2016 zugegangenen Anfechtungserklärung der Beklagten nicht schlüssig dargelegt hat sowie (3.) die auch insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin zur Angemessenheit und Ortsüblichkeit einer Vergütung von 1.800,- € netto nebst Provisionspauschalen nicht schlüssig vorgetragen hat.

1. Die Beklagte konnte dem vertraglichen Vergütungsanspruch der Klägerin die begründete Einrede der Anfechtung entgegengehalten, die die Klägerin nicht bestritten hat. Mit dem Landgericht ist davon auszugehen, dass der Klägerin gegen die Beklagte nach wirksamer Anfechtung des Vertrags vom 03.01.2016 kein vertraglicher Vergütungsanspruch mehr zusteht, da der Vertrag damit als von Anfang an nichtig anzusehen ist (§ 142 Abs. 1 BGB).

a) Der Beklagten ist ein Irrtum in der Erklärungshandlung im Sinne des § 119 Abs. 1 2. Fall BGB unterlaufen, indem sie infolge eines Vertippens bei Entwurf des Vertrags im Dezember 2015 bei Abgabe der Vertragserklärung am 03.01.2016 irrig angenommen hat, eine Vergütung von 180,- € netto zu vereinbaren. Die Beklagte hat eine Erklärung dieses Inhalts nicht abgeben wollen. Das unbemerkte Vertippen bei Entwurf des Vertrags hat zu der irrigen Annahme der Beklagten bei Unterschrift unter den Vertrag am 03.01.2016 geführt, eine Vergütung von 180,- € netto zu vereinbaren. Die Beklagte hat schon in der Klageerwiderung vom 08.07.2016 (Bl. 36 d. A.) dazu substantiiert und sehr ausführlich wie folgt vorgetragen:

„Bei dem eingesetzten Festbetrag von „1800€“ handelt es sich um einen Tippfehler. Gemeint war von Seiten der Beklagten der telefonisch vereinbarte Festbetrag von 180,00 € für eine Rufbereitschaft mit einer Dauer von 24 Stunden. Dass der Beklagten hier bei Eingabe der Ziffern ein Fehler unterlaufen ist, ergibt sich bereits daraus, dass zwischen dem Betrag und dem Euro-Zeichen kein Leerzeichen eingefügt ist. Auch ein Punkt nach der Tausender-Stelle des Betrags fehlt. Bei der Angabe der Provisionspauschale findet sich dagegen das Leerzeichen zwischen dem Betrag und dem Euro-Zeichen.

Die Beklagte befand sich bei Unterzeichnung des Vertrags am 03.01.2016 in einem Erklärungsirrtum. Sie ging davon aus, dass die von ihr abgegebene Vertragserklärung eine Vergütung der Klägerin für einen Tagessatz in Höhe von 180,00 € netto zzgl. Umsatzsteuer und nicht in Höhe von 1.800,00 € netto zzgl. Umsatzsteuer beinhaltete.“

b) Entgegen der durch die Klägerin vertretenen Ansicht, hat die Klägerin diesen ausführlichen Vortrag der Beklagten zum Vertippen bei Entwurf des Vertrags und dem daraus folgenden Erklärungsirrtum bei Unterzeichnung des Vertrags am 03.01.2016 mit Schriftsatz vom 28.07.2016 nicht bzw. jedenfalls nicht ausreichend bestritten. Wie das Landgericht richtig ausgeführt hat, stellt allein die Mitteilung der Rechtsansicht, es liege schon kein Inhalts- oder Erklärungsirrtum vor, kein bzw. angesichts des sehr ausführlichen Vortrags der Beklagten kein ausreichendes Bestreiten dar.

c) Das Bestreiten der Klägerin erst in der Berufungsbegründung ist gem. § 531 Abs. 1 ZPO als neues Verteidigungsmittel ausgeschlossen ebenso wie das Bestreiten der Klägerin im Schriftsatz vom 01.09.2016 nach Schluss der mündlichen Verhandlung gem. § 296 a ZPO. Denn die Klägerin hat dieses Verteidigungsmittel in erster Instanz nicht im Sinne des § 531 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO infolge eines Verfahrensmangels nicht geltend gemacht (siehe dazu nur Zöller-Heßler, 30. Auflage 2014, § 531, Rn. 28).

Insbesondere war das Landgericht nicht gem. § 139 Abs. 2 ZPO verpflichtet, in der mündlichen Verhandlung am 22.08.2016 noch einmal auf den Zusammenhang von ursprünglichem Vertippen und Fortwirken zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses am 03.01.2016 hinzuweisen. Der Zusammenhang von Vertippen und Fortwirken des Irrtums ist – anders als die Klägerin meint – nicht erst im verspäteten Schriftsatz der Beklagten vom 15.08.2016 klar geworden. Denn die Klägerin war durch den oben zitierten eingehenden und von ihr erfassten Vortrag der Beklagten bereits in der Klageerwiderung vom 08.07.2016 zutreffend über die Sach- und Rechtslage informiert (BGH, Beschluss vom 20.12.2007, Az. IX ZR 207/05, Orientierungssatz, zitiert nach juris; Zöller-Greger, 30. Auflage 2014, § 139, Rn. 6 a). Auch einen Schriftsatznachlass gem. § 283 ZPO auf den wiederholten Vortrag im verspäteten Schriftsatz vom 15.08.2016 musste das Landgericht in der mündlichen Verhandlung nicht gewähren. Denn das Schriftsatzrecht setzt voraus, dass das Vorbringen der säumigen Partei neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel enthält und sich nicht wie hier in der Wiederholung früheren Vorbringens erschöpft (siehe nur Zöller-Greger, 30. Auflage 2014, § 283 Rn. 2 a).

d) Es ist auch im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB anzunehmen, dass die Beklagte bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falls eine solche Erklärung nicht abgegeben haben würde. Denn eine Vergütung in Höhe von 1.800,- € netto nebst Provisionspauschalen übersteigt die durch die Bundestierärztekammer empfohlene Vergütung in Höhe von insgesamt 250,- bis 350,- € netto etwa um das Sechsfache.

2. Die Beklagte hat den Vertrag mit der Klägerin am 01.03.2016 zugegangener schriftlicher Anfechtungserklärung fristgerecht angefochten, nämlich unverzüglich nach Kenntnisnahme vom Anfechtungsgrund im Sinne des § 121 BGB, mithin ohne schuldhaftes Zögern. Auch insoweit hat das Landgericht richtig entschieden, dass die Beklagte nach positiver Kenntnis des Irrtums durch Lesen der Rechnung und Abgleich mit dem Vertrag am 19.02.2016 zunächst hat Rechtsrat einholen dürfen, wobei ihr nach der Rechtsprechung die dafür benötigte Zeit bis zum 01.03.2016 zustand, die noch innerhalb der Höchstfrist von zwei Wochen nach Kenntnis der maßgebenden Tatsachen liegt (OLG Oldenburg, Urteil vom 30.10.2003, Az. 8 U 136/03, Rn. 19, zitiert nach juris; OLG Hamm, Urteil vom 09.01.1990, Az. 26 U 21/89, Rn. 7, zitiert nach juris).

a) Die Anfechtungsfrist hat nach Rückkehr der Beklagten von einem Auslandsaufenthalt am 19.02.2016 zu laufen begonnen, als die Beklagte nach Lesen der durch die Klägerin gestellten Rechnung und Abgleich mit dem Vertrag ihren Irrtum erkannt hat. Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat demgegenüber zu einer Kenntnisnahme von der Rechnung schon vor dem 19.02.2016 nicht schlüssig vorgetragen. Die Klägerin als Anfechtungsgegnerin ist, wenn sie wie hier eine Verfristung der Anfechtungserklärung geltend macht, für den Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Beklagten vom Anfechtungsgrund als Beginn des Fristlaufs ebenso darlegungs- und beweisbelastet wie für den Zeitpunkt der Anfechtung selbst (siehe nur Palandt-Ellenberger, 76. Auflage 2017, § 121 Rn. 6). Den Anforderungen an einen schlüssigen Vortrag zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme genügt das bloße Bestreiten des Auslandsaufenthalts der Beklagten vom 09.02.2016 bis zum Abend des 19.02.2016 nicht.

b) Ab Kenntnisnahme vom Anfechtungsgrund am 19.02.2016 stand der Beklagten nach den Umständen des Einzelfalls noch eine Prüfungs- und Überlegungsfrist jedenfalls bis zum 01.03.2016 zu: Angesichts der Schwierigkeit der Rechtsfragen durfte die Beklagte zunächst Rechtsrat einholen. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte bereits mehrere ähnliche Verträge mit als freie Mitarbeiter tätigen Tierärzten abgeschlossen hatte. Denn es handelte sich um den ersten Fall, in dem sich die Beklagte bei der zu vereinbarenden Vergütung vertippt hat.

Im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast (Palandt-Elleberger, a.a.O. Rn. 6) hat die Beklagte auch substantiiert vorgetragen und plausibel erklärt, weshalb sie erst am 25.02.2016 Rechtsrat erhalten hat, so dass sie erst mit Schreiben vom 29.02.2016 den Vertrag anfechten konnte: Der 19.02.2016 war ein Freitag, so dass die Beklagte sich erst am Montag 22.02.2016 mit einem Rechtsanwalt in Verbindung setzen konnte, mit dem sie einen Beratungstermin erst für Donnerstag 25.02.2016 vereinbaren konnte. Nach dieser Beratung hat die Beklagte den Rat bereits am übernächsten Werktag, nämlich Montag 29.02.2016 mit einem Anfechtungsschreiben umgesetzt, das der Klägerin im Rahmen der normalen Postlaufzeit am 01.03.2017 zugegangen ist.

3. Der Klägerin steht nach wirksamer Anfechtung des Vertrags aus ungerechtfertigter Bereicherung gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 Wertersatz nach § 818 Abs. 2 BGB vorbehaltlos in Höhe von 3.320,10 € zu, entsprechend 10,1/3mal 24-Stunden-Rufbereitschaften zu jeweils 180,- € netto nebst den in Rechnung gestellten Provisionspauschalen und zuzüglich Mehrwertsteuer.

a) Denn die Beklagte hat der Klage insoweit nicht im Sinne des § 599 Abs. 1 ZPO widersprochen, indem sie in der Klageerwiderung auf Bl. 36 d. A. substantiiert zur Angemessenheit und Ortsüblichkeit jedenfalls einer Vergütung von 180,- € netto nebst Provisionspauschalen vorgetragen hat.

b) Das Landgericht hat weiter zutreffend entschieden, dass die Klage im Übrigen gem. § 597 Abs. 1 ZPO endgültig abzuweisen ist. Denn die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat zur Angemessenheit und Ortsüblichkeit der geltend gemachten Vergütung von 1.800,- € netto nebst Provisionspauschalen nicht schlüssig vorgetragen. Der pauschale Vortrag im Schriftsatz vom 28.07.2016, angesichts der Qualifikation der Klägerin als Tierärztin seien 1.800,- € netto nebst Provisionspauschalen angemessen, genügt dazu nicht, nachdem die Beklagte mit der Klageerwiderung vom 08.07.2016 in der Anlage B 5 den Mustervertrag Praxisvertretung der Bundestierärztekammer vorgelegt hat, der als Vergütung gerade von Tierärzten insgesamt (einschließlich Provisionspauschalen) nur 250,- € bis 350,- € netto empfiehlt. Die Beklagte rechnet in der Klageerwiderung vom 08.07.2016 auf Bl. 37 d. A. zudem nachvollziehbar vor, dass sich im konkreten Fall unter Zugrundelegung einer Vergütung von 180,- € netto nebst Provisionspauschalen eine Tagespauschale von durchschnittlich 270,- € netto ergibt, die genau in dem durch die Bundestierärztekammer empfohlenen Rahmen liegt.

c) Der Vortrag der Klägerin in der Berufungsbegründung zur Angemessenheit und Ortsüblichkeit einer höheren Vergütung bleibt gem. § 531 Abs. 1 ZPO als neues Angriffsmittel ausgeschlossen ebenso wie der Vortrag im Schriftsatz vom 01.09.2016 nach Schluss der mündlichen Verhandlung gem. § 296 a ZPO. Denn die Klägerin hat dies Angriffsmittel in erster Instanz nicht gem. § 531 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO infolge eines Verfahrensmangels nicht geltend gemacht.

Das Landgericht hätte der Klägerin auch insoweit keine Hinweise gem. § 139 Abs. 2 ZPO mehr erteilen müssen, nachdem die Beklagte zur Angemessenheit und Ortsüblichkeit einer Vergütung von 180,- € netto nebst Provisionspauschalen bereits in der Klageerwiderung vom 08.07.2016 eingehend und durch die Klägerin erfasst vorgetragen hatte.

Das Landgericht hätte zudem der Klägerin zu dem Vortrag der Beklagten betreffend die Angemessenheit und Ortsüblichkeit einer Vergütung von 180,- € netto nebst Provisionspauschalen im verspäteten Schriftsatz vom 15.08.2016 keinen Schriftsatznachlass gem. § 283 ZPO gewähren müssen. Denn der Schriftsatz vom 15.08.2016 erschöpft sich auch insoweit in der Wiederholung des früheren bereits in der Klageerwiderung gehaltenen Vorbringens.

4. Ein Zinsanspruch besteht schließlich, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, erst ab Rechtshängigkeit, da die Beklagte vorher nicht in Verzug geraten ist, nachdem auf die Rechnung vom 08.02.2016 keine Mahnung folgte und die den deutlich überhöhten vertraglichen Vergütungsanspruch betreffende Rechnung keinen Verzug betreffend den Wertersatzanspruch auslösen kann. Mangels Verzugs hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

5. Der Klägerin bleibt nachgelassen, zum beabsichtigten Vorgehen binnen zweier Wochen ab Zugang dieses Beschlusses Stellung zu nehmen. Sie wird darauf hingewiesen, dass bei Rücknahme der Berufung Gerichtsgebühren in nicht unerheblicher Höhe vermieden werden können.

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