OLG Frankfurt am Main, 07.04.2017 – 1 U 141/14

März 20, 2019

OLG Frankfurt am Main, 07.04.2017 – 1 U 141/14
Leitsatz:

1.

In Hessen ist die allgemeine Straßenverkehrssicherungspflicht privatrechtlich ausgestalttet. Anders ist dies nur für die den Gemeinden gemäß § 10 Abs. 1 und 4 Hessisches Straßengesetz zugewiesene Reinigungs- und Streupflicht für die öffentlichen Straßen innerhalb der geschlossenen Ortsanlage.
2.

Die Verletzung der sich aus der in § 9 Hessisches Straßengesetz geregelten Straßenbaulast ergebenden Pflichten gewährt keine Schadenersatzansprüche wegen Amtspflichtverletzung.
3.

Überträgt eine Gemeinde die Verkehrssicherungspflicht für einen in Ihrem Eigentum stehenden Wirtschaftsweg auf eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, weil diese den Weg für die Nutzung von Lastkraftwagen befestigen will, bleibt die Gemeinde verpflichtet, die zur Sicherung des Verkehrs getroffenen Maßnahmen zu überwachen.

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerinnen wird das am 23. Juni 2014 verkündete Grundurteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Gießen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klageanträge der Klägerin zu 1) und der Klägerin zu 2) werden dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Die weitergehende Berufung der Klägerinnen und die Anschlussberufung der Beklagten werden zurückgewiesen.

Die Sache wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über die Höhe der Ansprüche und über die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der im Berufungsverfahren angefallenen Kosten der Streithelferin an das Landgericht zurückverwiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe

I.

Die Klägerinnen machen gegenüber der beklagten Stadt Schadensersatzansprüche aus einem Unfall eines Entsorgungsfahrzeugs der Klägerin zu 2) geltend, dessen Haftpflicht- und Kaskoversicherer die Klägerin zu 1) ist.

Die Streithelferin ist Eigentümerin des bebauten Grundstücks „A …“ in O1. Der hintere Teil des Gebäudes ist von der Straße aus über einen Wirtschaftsweg, den Feldweg Nr. …, zu erreichen. Eigentümerin des Wirtschaftsweges ist die Beklagte. Nachdem die Streithelferin zunächst ohne Rücksprache mit der Beklagten begonnen hatte, den Weg zu befestigen, kam es im Mai 2011 zu einem Gespräch zwischen der Beklagten und der Streithelferin und im Anschluss zu einer schriftlichen „Vereinbarung zur Benutzung des Feldweges Nr. …, A“ (Bl. 34 d.A., im Folgenden kurz: „Vereinbarung“), nach welcher sich die Streithelferin gegenüber der Beklagten u.a. dazu verpflichtete, „die Verkehrssicherungspflicht und die damit verbundene Instandsetzung“ zu übernehmen. Über den zwischen den Parteien streitigen Inhalt des vorangegangenen Gesprächs existiert eine auf den 17. Mai 2011 datierte Aktennotiz der Beklagten (Bl. 36 d.A.), in der es u.a. heißt: „Der Unterzeichner wies Herrn B explizid darauf hin, dass der Weg so auszubauen ist, dass eine Nutzung durch den zu erwartenden Schwerverkehr (Müllfahrzeuge und landwirtschaftliche Fahrzeuge) problemlos möglich ist. Insbesondere in den Bereichen, in denen die Böschung extrem hoch und steil ist, sollten entsprechende ‚Mauerwinkel‘ eingebaut werden.“ Die Streithelferin pflasterte in der Folge den Wirtschaftsweg.

Am … 2011 gegen 03:45 Uhr fuhr der Fahrer der Klägerin zu 2) nach Leerung der Müllcontainer auf dem der Streithelferin gehörenden Grundstück den Wirtschaftsweg zurück, um wieder zur Straße zu gelangen. Während der Fahrt kippte das Entsorgungsfahrzeug auf die linke Seite, rutschte die Böschung hinunter und kam auf der linken Seite zum Liegen.

Die Klägerinnen haben gestützt auf die Behauptung, der Wirtschaftsweg sei unzureichend befestigt gewesen, von der Beklagten Schadensersatz verlangt, die Klägerin zu 1) in Höhe von 55.976,35 Euro und die Klägerin zu 2) in Höhe von 24.267,00 Euro jeweils nebst Zinsen.

Sie haben vorgetragen, die Beklagte sei als Trägerin der Straßenbaulast und als Eigentümerin für die ordnungsgemäße Errichtung des Weges verantwortlich. Der Weg sei jedoch nicht für Entsorgungsfahrzeuge ausgelegt gewesen. Unter dem Gewicht des Lkw sei die Pflasterung an der Böschung zur angrenzenden Wiese abgebrochen, weshalb der Lkw zur Seite gekippt sei. Für den Fahrer der Klägerin zu 2) sei der Unfall unvermeidbar gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und der erstinstanzlich von den Parteien gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf das am 23. Juni 2014 verkündete Grundurteil des Landgerichts Bezug genommen.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Beklagte verurteilt, dem Grunde nach 50% des den Klägerinnen entstandenen Schadens zu erstatten.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerinnen, mit der sie ihre bezifferten Klageanträge weiterverfolgen. Sie rügen, das Grundurteil sei nicht in zulässiger Weise ergangen. Es sei nicht ersichtlich, dass das Grundurteil alle Anspruchsgrundlagen erledigt habe. Es sei durchaus möglich, dass bei der Höhe der Schadensersatzansprüche theoretisch eine andere Haftungsquote ausgeurteilt werde. Das Landgericht habe ihnen auch fehlerhaft nur 50% des geltend gemachten Schadens zugesprochen. Es habe hierbei zu Unrecht mit einem vermeintlichen Verschulden des Fahrers der Klägerin zu 2) „aufgerechnet“. Es habe aus der Verpflichtung der Beklagten, gegenüber der Streithelferin die Einhaltung der sich aus der Straßenbaulast und der Verkehrssicherungspflicht ergebenden Maßnahmen zu kontrollieren, keine weitergehende Haftung der Beklagten hergeleitet. Das Landgericht führe zwar aus, dass die Beklagte die Verkehrssicherungspflicht und die Anforderungen aus § 45 Abs. 2 Hessisches Straßengesetz nicht in vollem Umfange erfüllt habe, doch habe es keine umfassenden Konsequenzen hieraus abgeleitet. Die Tatsache, dass die Beklagte Maßnahmen der Streithelferin nicht kontrolliert habe, sei das maßgebliche Verschulden. Dieses Verschulden dürfe nicht genauso gewürdigt werden wie ein „Verschulden“ des Fahrers. Schließlich habe der Fahrer nichts getan, außer einen für ihn ersichtlichen Weg zu benutzen. Für den Fahrer sei nicht erkennbar gewesen, dass die Straße beim Befahren durch den Lkw an Halt verliert und abrutscht. Auch die Betriebsgefahr des Fahrzeugs habe sich nicht ausgewirkt. Auf den Schaden habe sich nur der Zustand der Straße, nicht das Gewicht des Lkws ausgewirkt. Der Lkw sei nicht über den Wegesrand hinausgefahren. Weder erhöhe die Benutzung des Weges mit dem Lkw die Gefährdungshaftung, noch erhöhe die Fahrt am Fahrbahnrand entlang die Betriebsgefahr. Es sei unstreitig, dass das Gesamtgewicht nicht erreicht gewesen sei. Das Landgericht habe bei Würdigung der Haftungsanteile übersehen, dass die Beklagte nicht die Benutzung des Weges beschränkt oder verboten habe. Sie habe den Verkehr auf dem früheren Feldweg auch für das Fahrzeug der Klägerin zu 2) eröffnet, ohne dass ein Hinweisschild vorhanden gewesen wäre. Die Beklagte hafte daher vollständig aufgrund der Eröffnung des Verkehrs auch für den vorliegenden Zweck, der gerade durch den Bau der Straße habe erreicht werden sollen.

Sie beantragen,

1.

das Grundurteil des Landgerichts Gießen vom 23.06.2014 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihnen dem Grunde nach 100% des ihnen zustehenden Schadensersatzes aus dem streitgegenständlichen Unfallgeschehen vom ….2011 auf dem Wirtschaftsweg/Feldweg Nr. … auf dem Grundstück in O1, Gemarkung C, Flur …, A …, zuzusprechen,
2.

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) 55.976,35 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.09.2012 zu zahlen,
3.

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) 24.267,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.09.2012 zu zahlen,
4.

die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu 1) von Ansprüchen auf Zahlung vorprozessualer Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.761,08 Euro gegenüber ihren Prozessbevollmächtigten, der Kanzlei D, E-Straße …, O2, freizustellen,
5.

die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu 2) von Ansprüchen auf Zahlung vorprozessualer Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.085,04 Euro gegenüber ihren Prozessbevollmächtigten, der Kanzlei D, E-Straße …, O2, freizustellen,
6.

hilfsweise,

unter Aufhebung des Grundurteils und des Verfahrens den Rechtsstreit an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte und die Streithelferin beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit ihrer Anschlussberufung verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Sie rügt, sie habe keine ihr noch obliegenden Verkehrssicherungspflichten verletzt. Zudem trete ein etwaiger Pflichtenverstoß hinter einem Mitverschulden des Fahrers zurück. Dass die Randbefestigung des Weges nicht mit Mauerwinkeln, sondern mit gemauerten Betonstreifen versehen worden sei, sei nach Abschluss der Bauarbeiten nicht zu erkennen gewesen. Sie habe vielmehr aufgrund einer Sichtprüfung davon ausgehen dürfen, dass die Randbefestigung den von ihr vorgegebenen Anforderungen genüge. Bauüberwachungspflichten würden die Anforderungen an die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht überspannen. Die Annahme einer Kontrollpflicht dahin, die Bausubstanz nach Fertigstellung des Straßenkörpers nicht nur auf Sicht, sondern auch in der Tiefbaukonstruktion zu überprüfen, sei überzogen. Ein solcher Eingriff in den Straßenkörper setze zudem einen Verdacht auf eine mangelhafte Gründung des Straßenkörpers voraus, an welchem es aber gefehlt habe. Im Übrigen habe sie nach § 9 Abs. 1 Satz 2 Hessisches Straßengesetz die Verkehrssicherung nur im Rahmen des Zumutbaren geschuldet. Die Straße müsse nur dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügen, nicht dem außergewöhnlichen durch ein Sonderfahrzeug. Das Landgericht habe zudem verkannt, dass der äußerste Wegesrand nicht zum Befahren vorgesehen sei.

Sie beantragt,

das Grundurteil des Landgerichts Gießen vom 23.06.2014 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren zur Akte gereichten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Klägerinnen hat teilweise Erfolg, während die Anschlussberufung der Beklagten ohne Erfolg bleibt.

I. Das Grundurteil ist zulässig. Nach § 304 Abs. 1 ZPO darf ein Grundurteil nur ergehen, wenn ein Anspruch nach Grund und Höhe streitig ist, alle Fragen, die zum Grund des Anspruchs gehören, erledigt sind und wenn nach dem Sach- und Streitstand der Anspruch mit hoher Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe besteht. Das vorliegende Grundurteil ist danach nicht zu beanstanden. Die Berufung zeigt weder auf noch ist sonst ersichtlich, welche den Grund des Anspruchs betreffenden Fragen noch ungeklärt sein könnten.

II. Die Klägerinnen haben gemäß § 823 Abs. 1 BGB – die Klägerin zu 1) aus übergegangenem Recht – dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen Verletzung einer Überwachungs- und Kontrollpflicht, die als Teil der der Beklagten obliegenden allgemeinen Straßenverkehrssicherungspflicht nach deren Übertragung auf die Streithelferin bei der Beklagten verblieben ist.

1. Die Beklagte ist als Eigentümerin und als Trägerin der Straßenbaulast für den Wirtschaftsweg straßenverkehrssicherungspflichtig.

a) Der Straßenverkehrssicherungspflicht liegt der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, dass derjenige, der eine Gefahrenquelle geschaffen hat, die Vorkehrungen treffen muss, die zur Abwehr der daraus Dritten drohenden Gefahren notwendig sind. Dieser Grundsatz wird entsprechend auf öffentliche Verkehrswege angewandt. Die Straßenverkehrssicherungspflicht will den Gefahren begegnen, die aus der Zulassung eines öffentlichen Verkehrs auf öffentlichen Straßen entstehen können (BGH, Urteil vom 20. März 1967 – III ZR 29/65 – Rn. 16, juris).

Die Beklagte hat den Wirtschaftsweg dem öffentlichen Verkehr zur Verfügung gestellt. Soweit die Beklagte dies bestreitet und vorbringt, der Feldweg sei ausschließlich dem landwirtschaftlichen Verkehr und der Streithelferin gewidmet, kann sie damit nicht durchdringen. Der Öffentlichkeit eines Weges steht nämlich nicht entgegen, wenn sich die Bestimmung des Weges auf einzelne Verkehrsarten (Fußgänger-, Reit- oder Radverkehr) oder auf einzelne Verkehrszwecke (Verkehr zur Kirche, Schule, Mühle, zum Friedhof usw.) beschränkt („beschränkt-öffentliche“ Wege), sofern der Weg nur in diesem Umfang jedermann offen steht (Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl., Kap. 5, Rn. 9). Dies ist hier der Fall, indem der Weg nicht nur Müllfahrzeugen, sondern auch dem landwirtschaftlichen Verkehr offen stehen sollte. Die Beklagte kann daher nicht geltend machen, die Streithelferin habe den Wirtschaftsweg im Wege der faktischen Sondernutzung für sich in Anspruch genommen. Wie sich aus der „Vereinbarung“ ergibt, hatte sich die Streithelferin verpflichtet, „den Weg für die Landwirtschaft jederzeit zugänglich zu lassen“. Dem sollte nach dem auf die Aktennotiz gestützten Vortrag der Beklagten dadurch Rechnung getragen werden, dass der Weg so auszubauen ist, „dass eine Nutzung durch den zu erwartenden Schwerverkehr (Müllfahrzeuge und landwirtschaftliche Fahrzeuge) problemlos möglich“ wird (Seite 4 f. der Klageerwiderung).

b) Die aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht abgeleitete Pflicht zur Sorge für die Sicherheit im Straßenverkehr ist grundsätzlich privatrechtlich ausgestaltet. Anderes gilt nur, soweit der Landesgesetzgeber die Straßenverkehrssicherungspflicht als Amtspflicht in Ausübung öffentlicher Gewalt geregelt hat. Das ist in Hessen (nur) für die den Gemeinden gemäß § 10 Abs. 1, 4 Hessisches Straßengesetz zugewiesene Reinigungs- und Streupflicht für die öffentlichen Straßen innerhalb der geschlossenen Ortslage der Fall. Im Übrigen ist die allgemeine Straßenverkehrssicherungspflicht in Hessen privatrechtlich ausgestaltet (Senat, Urteil vom 01. März 2004 – 1 U 187/03 – Rn. 9; vgl. BGH, Urteil vom 20. März 1967 – III ZR 29/65 – Rn. 19; BGH, Urteil vom 13. Juni 1996 – III ZR 40/95 – Rn. 35 – jeweils juris).

c) Soweit die Berufung der Klägerinnen zur Begründung einer Haftung der Beklagten weitergehend unter Verweis auf § 45 Abs. 2 Hessisches Straßengesetz auf die der Beklagten obliegenden Straßenbaulast abhebt, ergeben sich aus der Straßenbaulast keine Ansprüche der Klägerinnen gegenüber der Beklagten. Entgegen der von der Anschlussberufung vertretenen Ansicht folgt dies allerdings nicht daraus, dass die Beklagte die Straßenbaulast wirksam auf die Streithelferin übertragen hätte mit der Folge, dass die Straßenbaulast der Beklagten erloschen wäre.

Wie sich aus § 45 Abs. 1 Hessisches Straßengesetz ergibt, wird die Straßenbaulast auf Grund von Vorschriften oder auf Grund öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen anderen Trägern übertragen. An einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung fehlt es bei der vorliegend getroffenen „Vereinbarung“, bei der es sich um einen privatschriftlichen Vertrag handelt. Bürgerlich-rechtliche Verpflichtungen Dritter zur Erfüllung von Aufgaben aus der Straßenbaulast lassen aber gemäß § 45 Abs. 2 Hessisches Straßengesetz die Straßenbaulast als solche unberührt. Ungeachtet dessen sollte auch nach dem Inhalt der „Vereinbarung“ lediglich die Verkehrssicherungspflicht übertragen werden, während die Straßenbaulast dort keine Erwähnung findet.

Gleichwohl können die Klägerinnen aus einer Verletzung der Straßenbaulast keine Ansprüche gegenüber der Beklagten herleiten. Die in § 9 Hessisches Straßengesetz geregelte Straßenbaulast ist eine lediglich der Allgemeinheit, der Aufsichtsbehörde beziehungsweise der Wegepolizeibehörde gegenüber bestehende öffentlich-rechtliche Verpflichtung („Last“), die – anders als die Straßenverkehrssicherungspflicht – für die einzelnen Wegebenutzer keine Ansprüche auf Erfüllung und keine Schadensersatzansprüche wegen ihrer Verletzung gewährt. Eine Verletzung dieser nur der Allgemeinheit gegenüber bestehenden, öffentlich-rechtlichen Pflicht kann nur zu Maßnahmen der Straßenaufsicht führen. Ihre Verletzung begründet insbesondere keinen Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB, weil die aus der Straßenbaulast folgenden Pflichten keine Amtspflichten sind, die den einzelnen Wegebenutzern gegenüber bestehen. Eine der öffentlichen Hand im Interesse der Allgemeinheit auferlegte Last ist auch kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Etwaige Versäumnisse der Straßenaufsichtsbehörden begründen ebenfalls keine Schadensersatzansprüche, weil auch die staatlichen Aufsichtsorgane bei der Staatsaufsicht grundsätzlich nur im allgemeinen staatlichen oder öffentlichen Interesse tätig werden und keine Amtspflichten erfüllen, die ihnen einzelnen begünstigten Personen gegenüber bestehen, hier also den Wegebenutzern gegenüber (BGH, Urteil vom 20. März 1967 – III ZR 29/65 – Rn. 19, juris zu § 9 Hessisches Straßengesetz).

2. Die Beklagte ist von der ihr obliegenden Straßenverkehrssicherungspflicht nicht dadurch frei geworden, dass sie die Verkehrssicherungspflicht auf die Streithelferin übertragen hat. Denn sie ist verpflichtet geblieben, die Arbeiten der Streithelferin zu überwachen, zumindest jedenfalls den fertig gestellten Weg dahin zu überprüfen, ob er den gestellten Anforderungen an den erwarteten Schwerverkehr genügt. Die Pflicht zur Verkehrssicherung kann zwar durch Vertrag übertragen werden. Trotz der Übertragung der Verkehrssicherungspflicht bleibt aber die Verpflichtung, die zur Sicherung des Verkehrs getroffenen Maßnahmen zu überwachen (vgl. BGH, Urteil vom 30. September 1970 – III ZR 81/67 – juris; BGH, Urteil vom 11. Juni 1992 – III ZR 134/91 – Rn. 20, juris jeweils zur Übertragung der Reinigungs- und Streupflicht; BGH, Urteil vom 28. März 1985 – III ZR 20/84 – Rn. 16, juris zur Übernahme der Gehwegreinigung). Dies gilt insbesondere im vorliegenden Fall, in dem an die Straßenverkehrssicherungspflicht wegen des als Damm ausgeführten Weges und der erwarteten Nutzung durch Schwerverkehr besondere Anforderungen zu stellen waren.

3. Diese Pflicht zur Kontrolle und Überwachung hat die Beklagte schuldhaft verletzt.

a) Auch auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil, dass die Beklagte selbst nicht behaupte, die mit Blick auf die Tragfähigkeit des Weges getroffenen Maßnahmen kontrolliert zu haben, hat die Anschlussberufung der Beklagten hierzu nichts vorgetragen. Sie macht lediglich geltend, nach Abschluss der Bauarbeiten sei für die Beklagte nicht erkennbar gewesen, dass die Randbefestigung des Weges nicht mit den von ihr verlangten Mauerwinkeln, sondern nur mit einem Betonstreifen versehen worden sei. Hiermit kann sie nicht durchdringen.

Für einen Fachmann der zuständigen Fachbehörde der Beklagten wären jedenfalls die augenscheinlichen der vom Sachverständigen F festgestellten bautechnischen Mängel in der Konstruktion des Weges ohne weiteres zu erkennen gewesen. Wie sich aus den gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen F ergibt, ist offensichtlich auf der Böschungsseite des Weges eine Art „Betonstreifen“ lediglich gegen die Bordsteine gestellt worden. Die Tiefbordsteine und die Rückenstütze hätten aber Teil des Fundaments sein müssen. Die unzureichende Befestigung durch den lediglich an die Tiefborde gelegten Betonstreifen ist aus den dem Privatgutachten der G GmbH beigefügten Lichtbildern, insbesondere Bild 5 auf Seite 19 (Bl. 45 d.A.), auf die der Sachverständige F Bezug nimmt, deutlich ersichtlich. Gerade der erkennbar unregelmäßig ausgeführte und an die Tiefbordsteine gelegte Betonstreifen hätte für einen Fachmann aus dem Ressort Bauwesen der Beklagten Anlass zur Nachfrage nach dem Fundament geben müssen. Der Klägervertreter hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf den Einwand des Beklagtenvertreters, dass die hier gesetzten Tiefbordsteine von oben wie L-Steine aussähen, zutreffend darauf hingewiesen, dass jedenfalls sichtbar die Böschung nicht bearbeitet worden und daher erkennbar gewesen sei, dass keine Mauerwinkel gesetzt worden waren. Jedenfalls hat Anlass zur Nachfrage bestanden.

Nicht zuletzt fehlt es offenkundig an einer Bankette. Bankette dienen nach den Ausführungen des Sachverständigen F als Sicherheit für abkommende Fahrzeuge und zum Ausweichen zweier entgegenkommender Fahrzeuge und sind daher standfest auszubilden. Sie wirken als Widerlager im Fall des Auftretens von Horizontalkräften auf die Pflasterbefestigung und sind aus Gründen der Verkehrssicherheit und Stabilität auch eines ländlichen Weges, der auf einem Damm hergestellt wurde, erforderlich.

b) Die von der Beklagten im Rahmen ihrer Kontroll- und Überwachungsverpflichtungen zu fordernden Maßnahmen gehen auch nicht über das zumutbare Maß hinaus. Entgegen der von der Anschlussberufung vertretenen Auffassung war es zur Erfüllung der Überwachungs- und Kontrollverpflichtung der Beklagten nicht erforderlich, jeden einzelnen Bauabschnitt zu überwachen oder nach Fertigstellung des Straßenkörpers eine Öffnung zur Prüfung der Tiefbaukonstruktion vorzunehmen. Ihrer Überwachungs- und Kontrollpflicht hätte die Beklagte auch genügt, wenn sie sich von der Streithelferin die Pläne des Planungsbüros oder der ausführenden Baufirma hätte vorlegen lassen. Dann wäre bereits zu erkennen gewesen, ob Planung und Ausführung der Befestigung des Weges den von ihr gemachten Vorgaben entsprechen.

Für eine sorgfältige Überwachung und Kontrolle der Arbeiten bestand entgegen der von der Anschlussberufung vertretenen Auffassung auch Anlass. Der Beklagten waren die gefahrbegründenden Umstände bekannt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen F bestand die Topographie des Geländes aus einer Dammaufschüttung mit einem im Bereich der Unfallstelle gegebenen Böschungswinkel von ca. 42 Grad. Ausweislich der Aktennotiz machte die Beklagte gerade deshalb Vorgaben für die Bereiche, „in denen die Böschung extrem hoch und steil ist“. Die Streithelferin betreibt kein Bauunternehmen, sondern ist eine Hauseigentümergemeinschaft. Die Anschlussberufung kann auch nicht geltend machen, die Beklagte habe auf die Zuverlässigkeit der Streithelferin als Anwohnerin und derjenigen, die am meisten von einer sicheren Zufahrt zu dem Gelände profitiert habe, vertrauen dürfen. Denn es ging in gleicher Weise auch um die Sicherheit des landwirtschaftlichen Verkehrs.

Die Anschlussberufung kann auch nicht in Widerspruch zu der Aktennotiz der Beklagten darauf verweisen, dass die Straße dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügen müsse, nicht aber einem außergewöhnlichen durch ein Sonderfahrzeug. Denn gerade für diesen „zu erwartenden Schwerverkehr“ durch Müllfahrzeuge und landwirtschaftliche Fahrzeuge sollte der Weg befestigt werden. Der Wirtschaftsweg sollte fast ausschließlich dem Schwerverkehr dienen.

4. Die Klägerinnen müssen sich weder die Betriebsgefahr des Entsorgungsfahrzeugs noch ein Verschulden des Fahrers anspruchsmindernd vorhalten lassen.

Zwar muss sich der Halter des beschädigten Fahrzeugs die Betriebsgefahr und im Rahmen der Betriebsgefahr als ein die allgemeine Betriebsgefahr erhöhender Umstand auch ein für den Unfall mitursächliches Verhalten des Fahrers in erweiternder Auslegung des § 254 BGB entgegenhalten lassen, wenn er Ersatz seines Unfallschadens nach § 823 Abs. 1 BGB verlangt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 2013 – VI ZR 150/12 – Rn. 20, juris). Nach den Feststellungen, die der Sachverständige H aufgrund seiner Auswertung der Videoaufzeichnungen der Überwachungskamera getroffen hat, ist der Fahrer der Klägerin zu 2) dicht entlang des linken Fahrbahnrandes gefahren. Wie der Sachverständige F festgestellt hat, ist es infolge einer Abbremsung des Entsorgungsfahrzeugs zu einer zusätzlichen dynamischen Erhöhung der Achslast und damit zu einer erhöhten Krafteinwirkung auf die Pflasterung und dann zum Bruch des Tiefbordes gekommen. Schon ein spurgetreues, mittiges Befahren des Wirtschaftsweges hätte das Abrutschen des Entsorgungsfahrzeugs verhindert.

Diese Umstände mindern jedoch die Ansprüche der Klägerinnen nicht. Ist es dadurch, dass der Fahrer der Klägerin zu 2) dicht am linken Fahrbahnrand gefahren ist, zum Bruch der Rückenstütze der Wegbefestigung gekommen, hat sich nicht die Gefahr verwirklicht, zu deren Abwehr das Rechtsfahrgebot bestimmt ist. Das Rechtsfahrgebot will nur den sich in Längsrichtung abwickelnden Begegnungs- und Überholverkehr schützen (BGH, Urteil vom 19. Mai 1981 – VI ZR 8/80 – Rn. 6, juris).

Die Anschlussberufung verweist auch ohne Erfolg darauf, dass der äußerste Wegesrand nicht zum Befahren mit schweren Lkw gedacht sei. Denn bei der Hinfahrt zu den zu leerenden Mülltonnen hätte die Befestigung des Weges, insbesondere die später ausgebrochene Stelle, ebenfalls dem Gewicht des Entsorgungsfahrzeugs standhalten müssen, wenn es im Begegnungsverkehr auf den äußersten rechten Fahrbahnrand ausgewichen und hierbei abgebremst worden wäre. Gerade für diese Fälle, dass der äußerste Wegesrand be- oder überfahren wird, bedarf es der Ausbildung einer befahrbaren, standfesten Bankette, die hier fehlte. Dass das Entsorgungsfahrzeug hingegen „stark“ abbremste, wie die Streithelferin geltend macht, hat der Sachverständige H nicht festgestellt. Auch der Sachverständige F hat die Möglichkeit, dass es zum Bruch der Rückenstütze durch die bei einer Vollbremsung auftretenden Reibungskräfte gekommen ist, ausdrücklich ausgeschlossen. Nicht zuletzt mit Blick auch auf das Gewicht des Entsorgungsfahrzeugs hatte die Beklagte die Vorgabe gemacht, dass der Weg so auszubauen ist, dass eine Nutzung durch den zu erwartenden Schwerverkehr problemlos möglich ist. Dann können diese Umstände, denen gerade der Weg standhalten sollte, den Klägerinnen nicht im Rahmen einer Mitverursachung entgegen gehalten werden.

Die Betriebsgefahr des Entsorgungsfahrzeugs war schließlich auch nicht durch eine „viel zu schnelle Rückwärtsfahrt“ erhöht. Der Sachverständige H hat die Videoaufzeichnung ausweislich seines Gutachtens im Einzelnen ausgewertet. Eine nicht angepasste Geschwindigkeit während der Rückfahrt des Entsorgungsfahrzeuges hat der Sachverständige aber nicht feststellen können. Der Fahrer hat sich auch nicht im Zeitpunkt des Unfalls in „Rückwärtsfahrt“ befunden. Vielmehr hat der Fahrer nach den Feststellungen des Sachverständigen nach Abschluss einer „S-„Bogenfahrt vorwärtsfahrend die Rückfahrt angetreten (Erläuterung zu Bild A 7, Seite 11 des Gutachtens).

5. Da die Beklagte wegen Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht haftet, kann sie sich nicht auf das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB berufen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 – III ZR 23/12 – Rn. 18, juris).

III. Soweit die Klägerinnen weitergehend Ersatz des bezifferten Schadens verlangen, hat ihre Berufung keinen Erfolg. Auf den Hilfsantrag der Klägerinnen war daher der Rechtsstreit zur Entscheidung über die Höhe der Ansprüche an das Landgericht zurückzuverweisen. Denn der Rechtsstreit ist zur Höhe des Schadens nicht entscheidungsreif, nachdem die Beklagte die geltend gemachten zahlreichen Schadenspositionen bestritten hat und eine aufwändige Beweisaufnahme durchzuführen ist. Würde diese in der Berufungsinstanz erfolgen, würde den Parteien eine Tatsacheninstanz verloren gehen, was der Senat in Abwägung mit der Prozessökonomie nicht als sachdienlich erachtet.

IV. Die Kostenentscheidung war dem Schlussurteil im Betragsverfahren vorzubehalten. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.

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