OLG Frankfurt am Main, 07.09.2018 – 16 W 38/18

März 15, 2019

OLG Frankfurt am Main, 07.09.2018 – 16 W 38/18
Leitsatz:

Zum Streitwert für einen im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens verfolgten Anspruch auf Unterlassung der Löschung eines Kommentars auf der Plattform eines sozialen Netzwerks und auf Unterlassung der Sperre des Betroffenen
Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers und die Streitwertbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Wiesbaden vom 6. Juli 2018 – 8 O 123/18 – werden zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das einstweilige Verfügungsverfahren – und zwar beider Instanzen – wird auf je 3.000,- € festgesetzt.
Gründe

I.

Der Antragsteller postete bei „A“ in der X4. Kalenderwoche des Jahres 2018 den Kommentar

(Von der Darstellung wird abgesehen – die Red.)

Die Antragsgegnerin machte diese Nachricht für alle Nutzer der Plattform mit Ausnahme des Antragstellers mit der Begründung unsichtbar, der Kommentar verstoße gegen ihre „Standards hinsichtlich Hassrede“ und sperrte den Antragsteller überdies für einen Zeitraum von 30 Tagen für das Posten von Nachrichten.

Hinsichtlich der Mitteilungen der Antragsgegnerin wird auf Bl. 55 bis 57 d. A. Bezug genommen.

Der Antragsteller hat beantragt,

im Wege der einstweiligen Verfügung – der Dringlichkeit wegen ohne mündliche Verhandlung – der Antragsgegnerin bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann,

einer Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,- €, Ordnungshaft

insgesamt höchstens zwei Jahre) zu verbieten, den Kommentar des Antragstellers

(Von der Darstellung wird abgesehen – die Red.)

zu löschen und/oder den Antragsteller wegen dieses Kommentars auf „A“ zu sperren.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 28. Juni 2018 den Streitwert vorläufig auf 3.000,- € festgesetzt und dem Antragsteller Gelegenheit gegeben, einen Verweisungsantrag zu stellen. Der Antragsteller hat keinen Verweisungsantrag gestellt und einen Streitwert von 10.000,- € für angemessen erachtet.

Mit Beschluss vom 6. Juli 2018 hat das Landgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 19. Juni 2018 zurückgewiesen, weil es sachlich unzuständig sei. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass selbst für die Hauptsache der Streitwert für den geltend gemachten Anspruch 5.000,- € nicht übersteige, sodass gemäß § 23 Nr. 1 GVG das Amtsgericht sachlich zuständig sei.

Gegen diesen ihm am 9. Juli 2018 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit einer am 11. Juli 2018 beim Landgericht eingegangenen Schrift Streitwertbeschwerde und sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt, den Streitwert anderweitig auf 10.000,- festzusetzen und die einstweilige Verfügung – wie beantragt – zu erlassen.

Zur Begründung macht der Antragsteller geltend, dass im Vergleich zum Streitwert von 3.000,- €, der für die Zusendung einer unerwünschten Mail angenommen werde, ein Streitwert von 10.000,- € im vorliegenden Fall nicht unangemessen sei, da die Löschung eines Kommentars einen potenziell unbegrenzten Zeitraum betreffe und einen Streitwert von 150,- € pro Tag rechtfertige und daneben eine Sperrung von 30 Tagen für sämtliche Posts einen Eingriff in die Kommunikationsfreiheit darstelle, für die pro Tag 200,- € zu veranschlagen seien.

Zahlreiche Landgerichte und Oberlandesgerichte hätten auch einen Streitwert von über 5.000,- angenommen.

Das Landgericht hat den Beschwerden nicht abgeholfen und sie dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Die originäre Einzelrichterin hat die Beschwerde dem Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zur Entscheidung übertragen (§ 568 Satz 2 Ziff. 1 ZPO).

Die Beschwerden des Antragstellers haben keinen Erfolg.

II.

Soweit der Antragsteller mit seinem Schreiben vom 2. Juli 2018 gegen die Streitwertfestsetzung im Beschluss vom 28. Juni 2018 Streitwertbeschwerde eingelegt hat, war diese unzulässig, da es sich lediglich um eine vorläufige Streitwertfestsetzung handelte, die nicht angefochten werden kann. Der Senat geht davon aus, dass der Antragsteller sie nach dem entsprechenden Hinweis des Landgerichts nicht weiterverfolgen wollte.

Unzulässig ist aber auch die Streitwertbeschwerde im Schreiben vom 11. Juli 2018, die der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers in seinem und im Namen des Antragstellers eingelegt hat. Denn das Landgericht hat keine endgültige Streitwertfestsetzung im Sinne von § 63 Abs. 2 GKG vorgenommen, auch nicht konkludent. Der Beschluss des Landgerichts vom 6. Juli 2018 erwähnt lediglich an einer Stelle seine vorläufige Streitwertfestsetzung, bleibt im Übrigen aber betragsmäßig vage, weil lediglich festgestellt wird, dass der Streitwert jedenfalls 5000,- € nicht übersteigt.

Schließlich hat auch die in formeller Hinsicht unbedenkliche sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Wiesbaden vom 6. Juli 2018, durch den der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen worden ist, in der Sache keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Landgericht den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Auch nach Auffassung des Senats hat das Landgericht zu Recht seine Zuständigkeit verneint, weil der Streitwert 5.000,- € nicht übersteigt (§ 23 Nr. 1 GVG).

Nach Auffassung des Senats ist im vorliegenden Fall der Streitwert für die Sperre auf 2.500,- € festzusetzen und der Streitwert für die Unterlassung der Unsichtbarmachung bzw. Löschung des einzelnen Posts auf 500,- €, sodass es an der sachlichen Zuständigkeit des Landgerichts fehlt.

Dabei lässt sich der Senat von folgenden Erwägungen leiten: Der geltend gemachte Anspruch des Antragstellers ist vertraglicher Natur. Die Tragweite einer Löschung/Sperre ist nicht zu vergleichen mit einem Eingriff Dritter in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Betroffenen durch unwahre Tatsachenbehauptungen und/oder Schmähkritik, die von anderen wahrgenommen werden können. Der Antragsteller ist zwar für eine Zeit von 30 Tagen an der Kommunikation mit seinen A-Freunden gehindert und seinen Post können andere Nutzer, die er erreichen will, nicht lesen.

Diese Einschränkung seiner Kommunikationsfreiheit ist jedoch auf die Plattform bei A beschränkt. Er kann weiterhin auf andere Weise – über Leserbriefe, E-Mails, andere Plattformen, Telefonate u.a. kommunizieren, ist also nur auf eine bestimmte Weise an einer Kommunikation mit anderen gehindert, und zwar auf der Grundlage der Entscheidung seines eigenen, von ihm gewählten Vertragspartners. Deshalb spielt es keine Rolle, wie viele Nutzer sonst noch bei A aktiv sind. Auch mit der Zusendung unerwünschter E-Mails, auf die der Antragsteller abhebt, ist die Löschung eines Posts und die Sperrung des Nutzers für 30 Tage nicht zu vergleichen, zumal sie auf einem automatisierten Verfahren beruht. Dass für die Zusendung unerwünschter E-Mails von der Rechtsprechung ein Streitwert von mindestens 3.000,- € angenommen wird, worauf der Antragsteller unter Hervorhebung des geringen Zeitaufwandes für die Lektüre einer solchen Mail im Gegensatz zur Dauerhaftigkeit der Löschung bzw. 30-tägigen Dauer der Sperre verweist, rechtfertigt ebenfalls nach Auffassung des Senats keinen höheren Streitwert, da es dabei um einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht durch Dritte geht, vorliegend aber um das Verhalten des Vertragspartners des Antragstellers.

Ohne Erfolg verweist der Antragsteller auch auf anderslautende Entscheidungen, die in vergleichbaren Fällen einen höheren, die Zuständigkeit des Landgerichts begründenden Streitwert angenommen haben.

Im Beschluss des Landgerichts Berlin vom 23. März 2018 (31 O 21/18), den der Antragsteller zur Akte gereicht hat (Anlage JS10, Bl. 58 d.A.) ist der Streitwert zwar auf 10.000,- € festgesetzt worden. Entsprechendes gilt für den Beschluss des OLG München vom 24. August 2018 (18 W 1294/18, Anlage JS 14, Bl. 154 ff. d.A.). Auch beruft sich der Antragsteller noch auf Entscheidungen anderer Landgerichte, die ihre Zuständigkeit angenommen haben (LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14. Mai 2018, 2-03 O 182/18; LG Essen, Beschluss vom 29. Mai 2018, 2 O 170/18; Landgericht Mosbach, Beschluss vom 1. Juni 2018, 1 O 108/18). Schließlich hat das OLG Stuttgart mit Beschluss vom 13. März 2018 (4 W 17/18, Anlage JS 12, Bl.82 d.A.) einen Streitwert von sogar 15.000,- € festgesetzt. Diese Entscheidungen weisen zur Frage des Streitwerts – soweit das übersehen werden kann – aber keine Begründung auf, sodass nicht erkennbar ist, aufgrund welcher Erwägungen ein höherer Streitwert als 5.000,- € angenommen wurde.

Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des OLG München im Beschluss vom 2. August 2018 (18 W 1173/18), wonach das Interesse an der Unterlassung der von der dortigen Antragstellerin befürchteten Sperrung auf A wegen des streitgegenständlichen Textbeitrages mit 10.000,- € und der Antrag, eine (erneute) Löschung zu untersagen, mit 5.000,- € zu bemessen sei, weil www.(…).com klar marktbeherrschend sei und derjenige, der sich in Deutschland politisch oder anderweitig äußern und andere Menschen erreichen wolle, zwingend auf A angewiesen sei.

Denn auch angesichts von 31 Mio. Nutzern allein in Deutschland kommt es bei der Festsetzung des Streitwertes auf eine angemessene Einordnung im Gesamtgefüge der Bewertung nicht vermögensrechtlicher Gegenstände an. Vorliegend geht es um die Untersagung, einen einzigen kurzen Wortbeitrag nicht für Dritte unsichtbar zu machen und eine 30-tägige Sperre zu verhängen. Da mit dem Verlangen, der Antragsgegnerin eine Sperre von 30 Tagen zu untersagen, ein (vertraglicher) Leistungsanspruch auf Weitergabe eigener Äußerungen im Kommunikationsraum der Antragsgegnerin geltend gemacht wird, kann als Orientierung ein Betrag dienen, den ein Nutzer für diese Leistung zu zahlen bereit wäre, wenn sie nicht – wie hier – kostenlos und /oder werbungsfinanziert angeboten würde. Dies würde 2.500,- € monatlich keinesfalls übersteigen.

Vergleicht man diese Beträge von 2.500,- € und 500,- € mit der Höhe des Schmerzensgeldes, das bei körperlichen Verletzungen zugesprochen wird, erscheinen die vom Landgericht festgesetzten Beträge als angemessen. Im Übrigen handelt es sich um ein einstweiliges Verfügungsverfahren, bei dem grundsätzlich ohnehin ein Abschlag von einem Drittel bis zur Hälfte gerechtfertigt ist (vgl. Übersicht bei Zöller-Herget, ZPO, § 3 Rn. 16 „Einstweilige Verfügung“) bzw. eine analoge Anwendung von § 41 S. 2 FamGKG in Betracht kommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Hinsichtlich der Streitwertbeschwerde gilt § 68 Abs.3 GKG.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 GKG, 3 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, §§ 574 Abs. 1, 542 Abs. 2 ZPO.

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