OLG Frankfurt am Main, 09.10.2013 – 4 U 33/13

April 19, 2019

OLG Frankfurt am Main, 09.10.2013 – 4 U 33/13
Leitsatz

Konnte ein Zeuge unter der angegebenen Anschrift aus unbekannten Gründen nicht geladen werden, so darf auch dann, wenn dieser Umstand der beweisführenden Partei rechtzeitig mitgeteilt worden war, die mündliche Verhandlung im Beweisaufnahmetermin nicht geschlossen werden. Das Gericht hat dem Beweisführer zuvor nach § 356 ZPO eine Frist zur Behebung des Hindernisses zu setzen.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 9. Januar 2013 verkündete Urteil des Landgerichts Gießen, 4. Zivilkammer, aufgehoben. Der Rechtsstreit wird an das Landgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Berufung vorbehalten bleibt.

Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1

I.

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld und Erstattung von Heilbehandlungskosten in Gesamthöhe von 10.749,66 € in Anspruch, weil der Beklagte ihn mit Faustschlägen rechtswidrig ins Gesicht geschlagen und erheblich verletzt habe.
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Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
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Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung von sechs Zeugen und Anhörung der Parteien abgewiesen, weil der Beklagte den Kläger zwar geschlagen habe, dies aber durch Notwehr gerechtfertigt gewesen sei. Die vom Kläger für seine Darstellung vom Hergang der Auseinandersetzung des weiteren benannte Zeugin Z1 hat das Landgericht nicht vernommen, weil der Kläger deren ladungsfähige Anschrift erst nach der letzten mündlichen Verhandlung nachgereicht hat, obwohl ihm bereits am 12.9.2012 mitgeteilt worden war, dass die Zeugin unter der zunächst angegebenen Adresse nicht habe geladen werden können.
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Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der in erster Linie rügt, dass das Landgericht die von ihm für die Behauptung, der Beklagte habe ihn „grundlos getreten und ins Gesicht geschlagen“, benannte Zeugin Z1 rechtsfehlerhaft nicht vernommen habe. Auf die von ihm am Tag nach der mündlichen Verhandlung nachgereichte Adresse der Zeugin habe das Landgericht die Verhandlung wiedereröffnen müssen.
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Nach Hinweis auf die Rechtsauffassung des Senats hat der Kläger beantragt, das Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen.
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II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist in der Sache insoweit erfolgreich, als seine Berufung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht führt, weil das Landgericht zu Unrecht die angebotenen Beweis nicht ausgeschöpft hat. Das Urteil beruht damit auf einem wesentlichen Verfahrensfehler, dessen Behebung in der Berufungsinstanz eine aufwändige Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht erforderlich machen würde (§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
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1. Der Kläger rügt mit seiner Berufungsbegründung zu Recht, dass das Landgericht die von ihm am Tag nach der mündlichen Verhandlung gemachte Mitteilung, die Zeugin Z1 könne nunmehr unter der angegebenen Adresse geladen werden, hätte zum Anlass nehmen müssen, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen und die Zeugin zu vernehmen.
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a) Die Wiedereröffnung war gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO geboten, weil das Landgericht am Tag zuvor, am 5.12.2012, die mündliche Verhandlung nicht hätte schließen dürfen. Die mündliche Verhandlung darf das Gericht erst schließen, wenn die Sache entscheidungsreif, insbesondere die notwendigen Beweise erhoben worden sind (Zöller/Greger, a.a.O., § 296a Rz. 1 i.V.m. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 300 Rz. 2). Der Kläger hatte hier wirksam Beweis angetreten durch Benennung der Zeugin Z1. Zu einem wirksamen Beweisantritt gehört allein die Benennung einer individualisierbaren Person. Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift dagegen kann nachgereicht werden (BGH NJW 1993, 1926 unter I. 2. b) bb). Die Einreichung einer ladungsfähigen Anschrift ist deshalb Teil des Beweisaufnahmeverfahrens.
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Steht der Durchführung einer angeordneten Beweisaufnahme ein Hindernis von ungewisser Dauer entgegen, muss das Gericht das Verfahren nach § 356 ZPO beschreiten, also eine Frist zu dessen Behebung setzen. Das Fehlen einer ladungsfähigen Anschrift eines Zeugen stellt ein behebbares Hindernis im Sinne von § 356 BGB dar (BGH a.a.O.). Nichts anderes gilt, wenn – wie hier – die Ladung an der angegebenen Adresse aus unbekannten Gründen misslungen ist. Das Landgericht hätte deshalb, da ein entsprechender Beschluss bislang unterblieben war, im Anschluss an die Zeugenvernehmung am 5.12.2013 dem Kläger nach § 356 ZPO durch Beschluss eine Beibringungsfrist setzen müssen. Erst nach deren fruchtlosem Ablauf hätte es von der Vernehmung der Zeugin Z1 absehen dürfen.
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b) Den nachträglichen Hinweis zur ladungsfähigen Anschrift durfte das Landgericht weder auf der Grundlage von § 296 Abs. 2 ZPO noch – obwohl der Hinweis erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangen war – auf der Grundlage von § 296a ZPO unberücksichtigt lassen. Die (nachträgliche) Benennung der Adresse eines Zeugen stellt kein Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Sinne der §§ 296, 296a ZPO dar (Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 296 Rz. 4). Angriffsmittel ist allein der Beweisantritt, der hier wirksam erfolgt war und zur Aufnahme der Zeugin Z1 in den Beweisbeschluss des Landgerichts vom 5.9.2012 geführt hatte (oben a). Die verspätete Nachforschung des Klägers nach dem Hinweis des Landgerichts vom 12.9.2012 betrifft allein eine Verzögerung in der Beweisaufnahme, für die ausschließlich § 356 ZPO gilt.
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c) Die in das Wissen der Zeugin Z1 gestellte Tatsache, der Beklagte habe den Kläger „grundlos getreten und in`s Gesicht geschlagen“, hätte zur Folge, dass die Körperverletzungshandlung des Beklagten nicht durch Notwehr gerechtfertigt war. Sie ist deshalb auch auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Landgerichts entscheidungserheblich. Die Beweisaufnahme ist mithin unvollständig, so dass das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 2 Nr. 1 ZPO an die tatsächliche Feststellung des Landgerichts nicht gebunden ist und die Beweisaufnahme fortzuführen und gegebenenfalls Teile zu wiederholen hätte.
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2. Das Berufungsgericht macht von dem ihm in § 538 Abs. 2 S. 1 ZPO Ermessen Gebrauch und verweist statt eigener Sachentscheidung den Rechtsstreit unter Aufhebung des Urteils an die erste Instanz zurück, weil es allein zweckmäßig erscheint, dass das Landgericht die Zeugin Z1 noch vernimmt. Andernfalls drohte eine umfangreiche Wiederholung der Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht. Das Landgericht hat nämlich aufgrund der Vernehmung der Zeugen Z2, Z3 und Z4 die Überzeugung gewonnen, das der Beklagte aus einer Notwehrlage gehandelt hat. Die Zeugin Z1 ist nunmehr gegenbeweislich dafür benannt, dass eine Notwehrlage nicht gegeben gewesen sei. Sollte die Zeugin das Beweisthema bestätigen bedürfte, es einer Abwägung mit den Zeugenaussagen Z2, Z3 und Z4. Dies wäre dem Berufungsgericht nur auf der Grundlage eines eigenen Eindrucks von den Zeugen möglich. Demgegenüber kann das Landgericht, welches diese Zeugen schon vernommen hat, diese Würdigung ohne Wiederholung der Beweisaufnahme vornehmen. Eine wesentliche Verzögerung der Erledigung des Gesamtverfahrens ist durch die Zurückverweisung gegenüber der Vernehmung im Berufungsverfahren nicht zu erwarten.
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III.

Die Entscheidung über die Nichterhebung der Gerichtsgebühren für das Berufungsverfahren beruht auf § 21 GKG.
14

Eine Kostenentscheidung im Übrigen ist, da mit der Zurückverweisung an die erste Instanz weder über die Klage im Sinne der §§ 91, 92 ZPO entschieden noch die Berufung im Sinne von § 97 Abs. 1 ZPO ohne Erfolg eingelegt ist, derzeit nicht möglich, sondern vom Landgericht mit der Endentscheidung vorzunehmen.
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Eine Zulassung der Revision war nicht geboten, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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