OLG Frankfurt am Main, 10.04.2013 – 15 W 27/13

April 20, 2019

OLG Frankfurt am Main, 10.04.2013 – 15 W 27/13
Leitsatz

Die klagende – die öffentliche Zustellung beantragende – Partei muss alle im bisherigen Lebenskreis des Zustellungsempfängers aufscheinenden Möglichkeiten einer Klärung seines derzeitigen Aufenthaltes nutzen und deshalb alles das tun, was eine verständige, an der wirtschaftlich sinnvollen Durchsetzung berechtigter Ansprüche interessierte Partei tun würde, gäbe es die Möglichkeit öffentlicher Zustellung nicht (Anschluss an OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16.02.2006 – 24 W 11/06 -, juris)
Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 1. März 2013 (7 O 2431/12), mit dem der Antrag der Klägerin auf öffentliche Zustellung der Klageschrift vom 21. Dezember 2012 abgelehnt worden ist, wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
1

Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zwar nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere binnen der Notfrist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingelegt worden. Der Senat ist zur Entscheidung berufen, nachdem die 7. Zivilkammer des Landgerichts Kassel der sofortigen Beschwerde durch Beschluss vom 12. März 2013 nicht abgeholfen hat.
2

Die sofortige Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, weil die 7. Zivilkammer die öffentliche Zustellung der Klageschrift zu Recht abgelehnt hat.
3

Nach § 185 Nr. 1 ZPO kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung (öffentliche Zustellung) erfolgen, wenn der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist. Wegen der besonderen Bedeutung der Zustellung für die Gewährung rechtlichen Gehörs sind an die Feststellung, dass der Aufenthalt des Zustellungsadressaten unbekannt ist, im Erkenntnisverfahren hohe Anforderungen zu stellen (vgl. BGH, Urteil vom 04.07.2012 – XII ZR 94/10 -, NJW 2012, 3582, 3583). Im Erkenntnisverfahren darf eine öffentliche Zustellung nur angeordnet werden, wenn die begünstigte Partei alle der Sache nach geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen angestellt hat, um eine öffentliche Zustellung zu vermeiden, und ihre ergebnislosen Bemühungen gegenüber dem Gericht dargelegt hat (vgl. BGH, Urteil vom 04.07.2012 – XII ZR 94/10 -, NJW 2012, 3582, 3583; Beschluss vom 06.12.2012 – VII ZR 74/12 -, NJW-RR 2013, 307). Es reicht danach für die Bewilligung der öffentlichen Zustellung einer Klageschrift nicht aus, dass der derzeitige Aufenthalt des Beklagten gerade der Klägerin nicht bekannt ist. Der derzeitige Aufenthalt des Zustellungsempfängers muss vielmehr in einem viel weiteren Sinne – nämlich im gesamten bisherigen Lebenskreis des Zustellungsempfängers – unbekannt sein. Dies wird herkömmlich mit dem Erfordernis umschrieben, „niemand“ dürfe den Aufenthalt des Zustellungsempfängers kennen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16.02.2006 – 24 W 11/06 -, juris; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 03.12.2008 – 19 U 120/08 -, NJW 2009, 2543, 2544). Unbekannt ist der Aufenthalt einer Person daher nur dann, wenn nicht nur das Gericht, sondern auch die Allgemeinheit den Aufenthalt des Zustellungsadressaten nicht kennt (vgl. BGH, Beschluss vom 06.12.2012 – VII ZR 74/12 -, NJW-RR 2013, 307).
4

Die eine öffentliche Zustellung beantragende Partei muss deshalb alle im bisherigen Lebenskreis des Beklagten – des Zustellungsempfängers – aufscheinenden Möglichkeiten einer Klärung seines derzeitigen Aufenthaltes nutzen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16.02.2006 – 24 W 11/06 -, juris). Sie muss alles das tun, was eine verständige, an der wirtschaftlich sinnvollen Durchsetzung berechtigter Ansprüche interessierte Partei tun würde, gäbe es die Möglichkeit öffentlicher Zustellung nicht (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16.02.2006 – 24 W 11/06 -, juris). Eine in diesem Sinne wirtschaftlich vernünftig handelnde Partei würde sich nicht darauf beschränken, das Einwohnermeldeamt anzuschreiben und eine Internet-Recherche vorzunehmen. Sie würde vielmehr vor allem auch Nachbarn, Eltern und Vermieter anschreiben und im Misserfolgsfalle in der Nachbarschaft persönlich vorstellig werden; denn es entspricht der Erfahrung, dass sich auf persönliche Nachfrage oft deutlich höhere Mitteilungsbereitschaft einstellt als auf lediglich schriftliche Anfragen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16.02.2006 – 24 W 11/06 -, juris). Hält die an der Zustellung interessierte Partei eine persönliche Vorsprache in der bisherigen Umgebung des Zustellungsempfängers nicht für angebracht, so kann – und muss – sie sich fachkundiger Hilfe eines Privatdetektivs bedienen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16.02.2006 – 24 W 11/06 -, juris). Eine öffentliche Zustellung kommt erst dann in Betracht, wenn auf dieser Grundlage veranschaulicht werden kann, dass der bisherige Lebenskreis des Zustellungsempfängers „abgeschöpft“ ist, ohne dass sich weiterführende Erkenntnisse ergeben haben (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16.02.2006 – 24 W 11/06 -, juris).
5

Entsprechende Nachforschungen an dem letzten bekannten Aufenthaltsort des Beklagten in D. hat die Klägerin weder selbst noch durch einen Privatdetektiv vorgenommen. Gerade angesichts der Höhe des mit der Klage begehrten Betrages (€ 66.915,69 nebst Zinsen) wären der Klägerin im vorliegenden Fall persönliche Nachforschungen der genannten Art in D. oder aber die Einschaltung eines Privatdetektives ohne Weiteres zumutbar gewesen.
6

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
7

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.
8

Einer Festsetzung des Beschwerdewertes bedurfte es nicht, weil die Gerichtsgebühr nach Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG, KV Nr. 1812 eine Pauschalgebühr ist (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 01.02.2011 – 2 W 91/10 -, juris).

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