OLG Frankfurt am Main, 10.04.2017 – 2 W 51/17

März 20, 2019

OLG Frankfurt am Main, 10.04.2017 – 2 W 51/17
Tenor:

Auf die Beschwerde des Beklagtenvertreters vom 12.9.2017 hin wird der Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main – 13. Zivilkammer (Az. 2-13 S 35/16) vom 27.7.2017 hinsichtlich der Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren abgeändert.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.249,74 € festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe

I.

Der Kläger und Miteigentümer (…/… X) in der Wohnungseigentümergemeinschaft Straße1, 63165 in Stadt1 wendet sich gegen die Nutzung einer anderen Wohnung innerhalb der Gemeinschaft als Physiotherapiepraxis durch zwei weitere Wohnungseigentümer.

In der Wohnungseigentümerversammlung vom 14.3.2015 wurde über die Beschlussvorlage zu TOP 8 abgestimmt. Der Beschlussvorschlag lautete dahingehend, den Verwalter anzuweisen, die Nutzung der Wohnung als Physiotherapiepraxis zu untersagen und künftig im Falle des Verstoßes Abmahnungen zu erteilen. Die Wohnungseigentümer lehnten die Beschussfassung jedoch mehrheitlich ab und beschlossen: „Die Verwaltung wird nicht angewiesen, die Nutzung der Praxis zu untersagen.“

Die gegen diesen Ablehnungsbeschluss gerichtete Anfechtungsklage des Klägers mit dem Antrag, den Beschluss für ungültig zu erklären, sowie den Antrag auf Feststellung, die Wohnungseigentümer hätten beschlossen, den Verwalter anzuweisen, die Nutzung der Wohnung als Physiotherapiepraxis zu untersagen und andernfalls Abmahnungen auszusprechen, hat das Amtsgericht Stadt2 (Az. …) mit Urteil vom 27.1.2016 abgewiesen, im Übrigen der Klage teilweise stattgegeben und diese teilweise abgewiesen.

Die gegen die Abweisung der Anfechtung des Beschlusses zu TOP 8 sowie des aufgeführten Feststellungsantrages gerichtete Berufung des Klägers hat das Landgericht mit Beschluss vom 27.7.2017 zurückgewiesen, da der Kläger selbst gegen die Nutzung im Wege des Individualanspruchs aus § 15 Abs. 3 WEG vorgehen könne. Die Eigentümergemeinschaft selbst besitze keine Kompetenz, einen Abwehranspruch geltend zu machen, da es sich vorliegend nicht um den Fall einer sogenannten „geborenen“ Ausübungskompetenz handele. Diese Kompetenz müsse erst auf die Gemeinschaft übertragen werden. Ob die hier begehrte Beschlussfassung dahingehend auszulegen sei, dass mit ihr zugleich eine Kompetenzübertragung auf die Gemeinschaft verbunden sei, könne dahinstehen. Dem Wohnungseigentümer, der einen eigenen Abwehranspruch geltend machen könne, stehe kein Anspruch auf eine solche Kompetenzübertragung zu (mit Verweis auf OLG Frankfurt am Main, Beschl. vom 3.11.2003 – 20 W 506/01; ZMR 2004, 290).

Den Streitwert für das Berufungsverfahren hat das Landgericht auf 2.000,- € festgesetzt. Der Wert des Verfahrens sei nicht mit demjenigen der begehrten Nutzungsuntersagung anzusetzen. Es handele sich vielmehr um eine vorbereitende Handlung, den Verwalter zum Einschreiten anzuhalten, die ein geringeres Interesse aufweise.

Gegen den dem Beklagtenvertreter am 2.6.2017 zugestellten Beschluss hat dieser mit bei Gericht am 20.9.2017 eingegangenem Schriftsatz hinsichtlich der Streitwertfestsetzung im eigenen Namen Beschwerde eingelegt. Er ist der Auffassung, der Streitwert für das Berufungsverfahren sei an dem Wert der Untersagung zu orientieren sowie dem Interesse der Eigentümer, welche die Praxis betrieben, an deren Fortsetzung, und dem Interesse der übrigen Eigentümer, keine Unterlassung geltend zu machen. Maßgeblich sei daher für beide Anträge basierend auf dem Jahresumsatz der Praxis ein Wert von 60.000,- €. Tatsächlich sei der Streitwert jedoch im Hinblick auf Folgekosten der Untersagung (zB. Anmietung anderer Praxisräume) noch höher zu bewerten.

Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 12.10.2017 nicht abgeholfen und diese dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Streitgegenständlich sei nicht die Untersagung, sondern die Anziehung der Ausübungskompetenz an die Gemeinschaft, also die Vergemeinschaftlichung des Unterlassungsanspruchs zur Generierung der Ausübungskompetenz gem. § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG. Dieser sei wie angesetzt zu bewerten.

Der Klägervertreter hat sich mit Schriftsatz vom 6.3.2018 der Auffassung des Beklagtenvertreters angeschlossen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft und zulässig. Der Beklagtenvertreter ist gem. §§ 68 Abs. 1 GKG; 32 Abs. 1 Satz 1 RVG befugt, diese im eigenem Namen geltend zu machen (VGH München Beschl. v. 7.2.2018 – 5 C 17.2577, BeckRS 2018, 2387; Kießling in Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Kommentar 7. Aufl. 2018 § 32 Rn. 83). Sie ist in der Sache teilweise begründet, im Übrigen unbegründet.

Bei Klagen eines oder mehrerer Miteigentümer gegen die anderen Miteigentümer auf eine Beschlussfeststellung durch die Miteigentümergemeinschaft des Inhalts, der Verwalter werde angewiesen, einem Miteigentümer ein bestimmtes Verhalten – hier Betrieb einer Physiotherapiepraxis – zu untersagen, richtet sich der Streitwert nach § 49 a Abs. 1 GKG. Das gilt vor allem für Anfechtungsklagen nach § 46 WEG und Klagen nach §§ 15 Abs. 3, 21 Abs. 4 und Abs. 8 WEG (vgl. Hügel/Elzer Wohnungseigentumsgesetzes, 2. Aufl., 2018, vor §§ 43 ff. WEG, Rn. 83). Der Streitwert für einen Anweisungsbeschluss beläuft sich in diesem Fall also grundsätzlich auf 50 % des Interesses der Parteien, aller beigeladenen Wohnungseigentümer und, soweit dieser betroffen ist, des Verwalters an der Entscheidung (Normalstreitwert).

Der Senat teilt – was für die Bestimmung des Streitwerts relevant ist – die Rechtsauffassung des Landgerichts, dass der von dem Kläger begehrte Beschluss dahingehend, den Verwalter anzuweisen, eine Untersagung der Nutzung der streitgegenständlichen Wohnung als Physiotherapiepraxis auszusprechen und andernfalls Abmahnungen zu erteilen, auf die Vergemeinschaftlichung dieses an sich den einzelnen Eigentümern selbst zustehenden Rechts gerichtet ist (vgl. zu den Individualansprüchen der Eigentümer bei vertragswidriger Nutzung des Sondereigentums näher Paetzold/Zschieschack NZM 2018, 220 [222]). Denn das Tätigwerden des Verwalters ist ohne Kompetenz der Eigentümergemeinschaft, diesen Anspruch geltend zu machen, nicht möglich. Eine solche Übertragung ist, soweit sie sich nicht auf den Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte der Wohnungseigentümer bezieht, grundsätzlich zulässig und kann durch einfachen Mehrheitsbeschluss gefasst werden (BGH GE 2018, 269; BGH NJW 2010, 3089 [BGH 19.08.2010 – VII ZR 113/09] [3091]). Zwar muss aus dem Beschluss ausreichend deutlich erkennbar sein, dass eine Übertragung der Ausübungskompetenz intendiert ist (Hügel/Elzer Wohnungseigentumsgesetz Kommentar 2. Aufl. 2018 § 10 Rn. 245). Ausreichend hierfür ist es jedoch, wenn aus der Beschlussfassung hervorgeht, dass die Gemeinschaft Rechte geltend machen soll, die an sich nicht ihr, sondern den einzelnen Eigentümern zustehen. Das kann sich auch aus der Beauftragung der Hausverwaltung zu einer bestimmten Tätigkeit ergeben (BGH GE 2018, 269; BGH NZM 2015, 787 [788] [BGH 10.07.2015 – V ZR 169/14]; näher Hügel/Elzer Wohnungseigentumsgesetz Kommentar 2. Aufl. 2018 § 10 Rn.245). Dass die beantragte Beschlussfassung unter TOP 8 vorliegend nur die Anweisung an den Hausverwalter beinhaltet, die Unterlassung geltend zu machen, nicht aber auch eine ausgesprochene „Ermächtigung“ hierzu, wie sie in den vorstehend aufgeführten Entscheidungen enthalten ist, ist dabei unschädlich. Der Bundesgerichtshof stellt bei der Auslegung des Beschlusses primär darauf ab, ob eine Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft nach § 10 Abs. 6 WEG als solches besteht oder nicht, die entsprechende Befugnis also ggf. nur den einzelnen Eigentümern zusteht und daher zwingend zunächst übertragen werden muss. Das ist der Handlungsanweisung an die Verwaltung in diesen Fällen, so auch dem hiesigen, daher grundsätzlich inhärent und bedarf keines zusätzlichen Ausspruchs im Beschluss.

Die Werthaltigkeit eines Beschlusses der Wohnungseigentümer hinsichtlich der Übertragung der ihnen an sich jeweils alleine zustehenden Ansprüche gegen andere Eigentümer oder Dritte auf die Gemeinschaft ist mit dem Interesse anzusetzen, welches die jeweiligen Eigentümer mit dieser Übertragung verfolgen. Dieses kann, das sieht der Senat ebenso wie das Landgericht, nicht mit dem Wert der begehrten Rechtsausübung als solches angesetzt werden – hier also demjenigen des Betreibens der Praxis für Physiotherapie. Das folgt bereits daraus, dass Wohnungseigentümer Ansprüche, die ihnen individuell zustehen, auch individuell ausüben würden, so es ihnen darum geht, den tatsächlich begehrten Erfolg herbeizuführen. In diesem Fall wäre der Wert der Rechtsausübung einschließlich der Unterlassung maßgeblich. Begehren Wohnungseigentümer jedoch anstelle der unmittelbaren Ausübung vorbereitende Maßnahmen, hier insbesondere die Vergemeinschaftlichung der individuellen Rechte, liegt hierin ein eigenes Interesse begründet, dessen Wert maßgeblich ist und sich an dem Ziel der Vorbereitungshandlung orientiert.

Der wirtschaftliche Vorteil der Vergemeinschaftung, also der Übertragung der Ausübungskompetenz von Ansprüchen, die den Wohnungseigentümern an sich jeweils einzeln zustehen, auf die Gemeinschaft, liegt in der Abmilderung des Kostenrisikos, gerade im Hinblick auf ein gerichtliches Verfahren. Geht der einzelne Eigentümer alleine gegen einen anderen Eigentümer oder sonstigen Dritten vor, so trägt er selbst das Risiko, die Kosten eines verlorenen Rechtsstreits zu tragen, in der Regel also die Anwaltsgebühren beider Seiten und die Gerichtsgebühren. Durch die Übertragung individueller Kompetenzen auf die Gemeinschaft wird auch die drohende Kostentragung im Falle des Unterliegens bei der Rechtsdurchsetzung vergemeinschaftlicht. Diese fallen zunächst bei der Eigentümergemeinschaft an und werden sodann auf die Wohnungseigentümer nach den bestehenden Kostentragungsregelungen verteilt. Das Kostenrisiko des einzelnen Wohnungseigentümers reduziert sich somit alleine auf den von ihm nach § 16 Abs. 2 WEG zu tragenden Anteil. Sein wirtschaftliches Interesse an einer Vergemeinschaftlichung beträgt daher der Höhe nach die möglichen Kosten eines Unterliegens, die sodann von allen Eigentümern getragen werden, abzüglich seines in jedem Fall ihm aufzuerlegenden Einzelanteils. Diese Intension und somit der hieraus folgende Wert sind, da andere Gründe (vgl. etwa Paetzold/Zschieschack NZM 2018, 220 [224]), gerade wirtschaftlicher Art für die Vergemeinschaftlichung nicht ersichtlich sind, auch hier zugrundezulegen.

Dabei ist gem. § 49a Abs. 1 Satz 1 GKG zunächst das Interesse aller an dem Rechtsstreit Beteiligten maßgeblich, welches somit die Höhe der insgesamt zu tragenden Kosten wiedergibt. Hiervon ist jedoch einerseits nur die Hälfte anzusetzen, dieser Betrag darf andererseits das Fünffache des sich aus § 16 Abs. 2 WEG anteilig an den Gesamtkosten zu berechnenden Anteils des Klägers, seinem Einzelinteresse, nicht übersteigen.

Für die Kosten des Rechtsstreits als Grundlage der Wertbestimmung des Beschlusses über die Kompetenzübertragung sind mangels anderweitiger Kenntnisse jedenfalls diejenigen I. und II. Instanz (mit mündlicher Verhandlung) anzusetzen. Die Kosten eines Revisionsverfahrens nur dann, wenn diese erkennbar zulässig wäre und durchgeführt werden solle, wobei letzteres in der Regel zunächst nicht anzunehmen ist. So in einem drohenden Verfahren aller Wahrscheinlichkeit nach Kosten für die Beweisaufnahme anfallen, insbesondere etwa die Einholung eines Sachverständigengutachtens, sind auch diese im Wege der Schätzung zu berücksichtigen. Gerade hier haben die einzelnen Wohnungseigentümer ein erhebliches Interesse an einer Minimierung ihres Kostenrisikos. Eine Erhöhung gem. Nr. 1008 Abs. 3 VV RVG erfolgt nicht automatisch, da sowohl bei dem Individualanspruch des einzelnen Eigentümers als auch der Ausübung durch die Gemeinschaft jedenfalls auf der Klägerseite nur eine Partei vorhanden ist. Eine solche kommt nur dann in Betracht, wenn eine Parteimehrheit im späteren Prozess, insbesondere auf der Beklagtenseite, absehbar ist. Ob es im Nachhinein tatsächlich zu einer Beweisaufnahme kam oder das Verfahren einen anderen Verlauf genommen hat, weil etwa eine Seite freiwillig unterliegt oder eine mündliche Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht stattfindet, ist ohne Relevanz, da die Wertbestimmung auf den Zeitpunkt des Beschlusses abstellt und das Kostenrisiko, welches zu diesem Zeitpunkt gerade nicht absehbar ist, abdeckt.

Für den vorliegenden Fall bedeutet das:

Der Streitwert einer Unterlassungsklage hinsichtlich der Nutzung der streitgegenständlichen Wohnung als Praxis für Physiotherapie ist schätzungsweise mit 60.000,- € anzusetzen, insoweit besteht zwischen den Beteiligten auch Einigkeit. Somit ergeben sich (zum Zeitpunkt der Beschlussfassung voraussichtliche) Gesamtkosten für die I. und II. Instanz in Höhe von 20.499,48 €.

Hierbei handelt es sich um das Interesse aller Beteiligten an der Beschlussfassung über die Kompetenzübertragung, so dass 50% 10.249,74 € ausmachen. Das Einzelinteresse des Klägers beträgt bei einem Anteil in Höhe von 82/1000 an den Gesamtkosten, der 1.680,96 € ausmacht, 20.499,48 € – 1.680,96 € = 18.818,52 €. In diesem Umfang wäre er potentiell bei einem gerichtlichen Vorgehen der Gemeinschaft gegen die Nutzung der streitgegenständlichen Eigentumswohnung als Physiotherapiepraxis gegenüber einer eigenen Klage von dem Kostenrisiko befreit worden. Da dieser Betrag die Hälfte des Interesses aller Beteiligten, das hier auch nicht jeweils unter Abzug der Eigenanteile zu addieren sondern auf die Gesamtkosten beschränkt ist, übersteigt, bleibt es bei einem Streitwert von 10.249,74 €.

Eine Kostenentscheidung oder Festsetzung des Beschwerdewertes ist nicht veranlasst (§ 68 Abs. 3 GKG).

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