OLG Frankfurt am Main, 11.12.2012 – 10 U 42/12

Mai 2, 2019

OLG Frankfurt am Main, 11.12.2012 – 10 U 42/12
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 04.01.2012 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Das angefochtene Urteil des Landgerichts Wiesbaden und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Der Streitwert für das Verfahren erster und zweiter Instanz wird auf € 22.749,69 festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1

I.

Wegen des Sach- und Streitstands wird auf die Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
2

Das Landgericht hat Beweis durch Vernehmung des Zeugen A erhoben. Es hat die Klage sodann abgewiesen. Ein Schadensersatzanspruch aus dem zwischen den Parteien bestehenden Anlage-Beratungsvertrag sei nach § 37 a WpHG a.F. verjährt. Die Beklagte sei zwar verpflichtet gewesen, die Provision in Höhe von 4 % offen zulegen. Verjährung eines etwaigen Schadensersatzanspruches sei jedoch am 04.07.2011 eingetreten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass die Beklagte ihre Beratungspflicht nicht vorsätzlich verletzt habe. Die Rechtsabteilung der Beklagten habe die Gesetzgebung und Rechtsprechung beobachtet. Sie habe ihre Pflicht zur Offenlegung nicht erkannt. Eine vorsätzliche Pflichtverletzung sei der Beklagten auch nicht im Zusammenhang mit den Angaben im Kundenflyer vorwerfbar. Die darin angesprochene rückwirkende Verzinsung sei nicht fehlerhaft, sie entspreche den Zertifikatsbedingungen.
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung.
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Er macht geltend, der Kundenflyer verspreche eine rückwirkende Verzinsung von 8 % in dem Fall, dass der ML Europe 1 zu einem Beobachtungstag unter dem Dax, an einem nächsten Beobachtungstag jedoch darüber liegt. Tatsächlich werde jedoch lediglich an dem folgenden Beobachtungsstichtag der 8-prozentige Coupon des Vorjahres bezahlt. Die Zahlung eines 8-prozentigen Coupons sei weniger als eine rückwirkende 8- prozentige Verzinsung des Anlagebetrags.
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Der Zeuge A habe sich über die Herausgabepflicht nach den Bestimmungen über die Geschäftsführung und die Entgeltvereinbarung keine Gedanken gemacht. Die Beklagte habe durch das Unterlassen einer Aufklärung dem Kläger die Möglichkeit genommen, die Herausgabe der Provision zu verlangen.
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Die Beklagte habe sich nicht in einem den Vorsatz ausschließenden Rechtsirrtum befunden.
7

Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 26.11.2012 behauptet der Kläger unter Bezugnahme auf den Kunden-Flyer, die Zertifikate seien im Weg des Kommissionsgeschäfts erworben worden. Es sei vor der Durchführung des Geschäfts vereinbart worden, dass ein Nennbetrag zuzüglich eines 1-prozentigen Ausgabeaufschlags gezahlt werden solle. Auch der Zeuge A sei davon ausgegangen, dass die Zertifikate nicht im Wege des Festpreisgeschäfts gekauft worden seien.
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Er beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 18.138,00 zu zahlen nebst Zinsen

aus EUR 60.000,00
vom 12.12.2006 bis zum 31.12.2006 in Höhe von 2,63 %,
vom 01.01.2007 bis zum 31.12.2007 in Höhe von 3,78 %,
vom 01.01.2008 bis zum 31.12.2008 in Höhe von 4,15 %,
vom 01.01.2009 bis zum 31.12.2009 in Höhe von 1,52 %,
vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2010 in Höhe von 1,3 %,
vom 01.01.2011 bis zum 08.03.2011 in Höhe von 2,0 %,

aus Euro 18.138,00 seit dem 04.07.2011 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.

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Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

10

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
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II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist ohne Erfolg, denn dem Kläger stehen keine Schadensersatzansprüche wegen Verletzung vertraglicher Beratungspflichten gegen die Beklagte zu.
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Die Beklagte war insbesondere nicht zur Aufklärung über die an sie von der Emittentin gezahlte Provision verpflichtet, denn die Beklagte hat eine aufklärungspflichtige Rückvergütung nicht vereinnahmt. Aufklärungspflichtige Rückvergütungen liegen dann vor, wenn Teile ausgewiesener Aufgabeaufschläge oder Verwaltungsgebühren, die der Kunde an einen Dritten zahlt, hinter seinem Rücken an die beratende Bank – regelmäßig umsatzabhängig – zurückfließen, so dass die Bank ein für den Kunden nicht erkennbares besonderes Interesse hat, gerade dieses Produkt zu empfehlen (BGH, Urteil vom 26.06.2012, XI ZR 259/11).
14

Nach dem unstreitigen Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils wurde das Geschäft als Festpreisgeschäft ausgeführt. Soweit der Kläger in der Berufungsinstanz geltend macht, es handele sich um ein Kommissionsgeschäft, ist dieses Vorbringen nach § 531 Abs. 2 ZPO verspätet, steht im Übrigen aber auch im Widerspruch zur Wertpapierabrechnung.
15

Wurde das Geschäft aber als Festpreisgeschäft ausgeführt und kein Ausgabeaufschlag ausgewiesen, oblag der Beklagten keine Aufklärungspflicht. Die Maßgeblichkeit der Wertpapierabrechnung hat der BGH zuletzt im Urteil vom 16.10.2012 (Az. XI ZR 368/11) festgestellt. Zahlt der Anleger keine ausgewiesene Provision, stellt sich die Abwicklung des Effektengeschäfts aus seiner Sicht in wirtschaftlicher Hinsicht nicht anders als bei einem Eigengeschäft der Bank dar, so dass es bei der gebotenen wertenden Betrachtungsweise in Bezug auf den Beratungsvertrag ebenso wie dieses zu behandeln ist (BGH a.a.O., Rz. 41).
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Hieran ändert sich nichts durch den Kundenflyer, da es den Parteien unbenommen ist, von diesem Flyer abweichende Erwerbsgeschäfte zu tätigen.
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Jedenfalls wären Ansprüche wegen unterlassener Aufklärung über eine Rückvergütung verjährt. Ein den Vorsatz ausschließender Rechtsirrtum steht nach dem Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme fest.
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Vorsatz im Zivilrecht bedeutet, dass der Handelnde willentlich in Kenntnis der haftungsbegründenden Umstände handelt. Der Vorsatz umfasst dabei folgende drei Fälle:

1. der Handelnde will gerade den missbilligten Erfolg erreichen,

2. der Erfolg ist von ihm zwar nicht beabsichtigt, jedoch als notwendigerweise eintretend gedacht,

3. er hält den missbilligten Erfolg nur für möglich, nimmt ihn aber doch zustimmend in Kauf (bedingter Vorsatz).

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Auch im letzten Fall setzt sich der Handelnde zugunsten der von ihm verfolgten Ziele bewusst über die geschützten Interessen anderer hinweg, so dass die mit der Vorsatzhaftung verbundenen besonderen Sanktionen angemessen sind.
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Ein bewusstes Hinwegsetzen über die Rechtsordnung kann jedoch dann nicht angenommen werden, wenn der Schuldner – wie bei der Auslegung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen – nicht sicher sein kann, ob ihn eine bestimmte Pflicht trifft. Gerade dann, wenn klare Handlungsmaximen weder durch das Gesetz noch durch die Rechtsprechung vorgegeben sind, sondern sich die Rechtslage vielmehr durch ein hohes Maß an Unsicherheit auszeichnet, unterliegt die Feststellung eines Rechtsirrtums daher keine hohen Anforderungen. Entgegen der Ansicht des Klägers muss die Beklagte auch keine Umstände darlegen und beweisen, aus denen sich positiv ergibt, dass sie keine Kenntnis von einer etwa bestehenden Aufklärungspflicht hatte.
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Gesetzliche Vorschriften, die eine ausdrückliche Aufklärungspflicht über Provisionen vor Vertragsschluss begründen, existieren nicht. Die Vorschriften über die Kommission oder die Geschäftsführung statuieren eine solche Aufklärungspflicht nicht. Zwar ist der Geschäftsführer oder Kommissionär zur Herausgabe des Erlangten verpflichtet. Insofern bestehen auch Auskunftsansprüche. Diese sind aber nicht vor Auftragserteilung zu erfüllen. Der BGH hat hierzu im Urteil vom 16.10.2012 (Az. XI ZR 367/11, Rz. 40) ausdrücklich festgestellt, dass „allein eine etwaige auftrags- oder kommissionsrechtliche Herausgabe- und Rechenschaftspflicht der Bank hinsichtlich einer unmittelbar vom Emittenten des Wertpapiers erhaltenen (Vertriebs-)Provision als solche ohnehin nicht die Annahme einer Verletzung des Anlageberatungsvertrages durch das Geldinstitut,“ rechtfertigt „wenn es den Anleger über Erhalt und Höhe dieser Provision nicht aufklärt“. Das Interesse des Geschäftsherrn bzw. Kommittenten ist dadurch hinreichend gewahrt, dass der Geschäftsführer bzw. Kommissionär nach Erhalt des Erlangten hierüber zur Auskunftserteilung verpflichtet ist.
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Im Übrigen spricht gegen einen Vorsatz auch, dass sich – wie der Zeuge A zutreffend ausführte – der BGH erstmals im Urteil vom 12.05.2009 (NJW 2009, 2298 [BGH 12.05.2009 – XI ZR 586/07]) auf die §§ 666, 667 BGB, 384 HGB bezog, während diese in den Kick-Back Entscheidungen des BGH vom 19.12.2006 (NJW 2007, 1876) und 20.01.2009 (NJW 2009, 1416 [BGH 20.01.2009 – XI ZR 510/07]) noch keine Rolle spielten. Dass die Beklagte daher schon im Jahr 2006 aus diesen Bestimmungen eine Aufklärungspflicht hätte herleiten müssen, kann nicht festgestellt werden.
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Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Rückvergütungen nahm ihren Ausgang in zwei Urteilen aus den Jahren 1989 und 1990 (WM 1989, 1047 und NJW-RR 1990, 604 [BGH 06.02.1990 – XI ZR 184/88]). Der Bundesgerichtshof missbilligte in diesen Entscheidungen bei vermittelten Warentermingeschäften heimliche Kick-back-Vereinbarungen zwischen Anlagevermittler und Broker. Die Vermittler seien zur Herausgabe der Rückvergütungen nach §§ 675, 667 BGB verpflichtet. Zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten besagten die Entscheidungen nichts.
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Fortgesetzt wurde die Rechtsprechung zu Rückvergütungen im Urteil vom 19.12.2000 (BGHZ 146, 235). In dieser Entscheidung befasste sich der BGH mit heimlichen Kick-back-Vereinbarungen zwischen einem unabhängigen Vermögensverwalter und der Bank bei vermittelten Warentermingeschäften. Die Vermittler seien zur Herausgabe der Rückvergütungen nach §§ 675, 667 BGB verpflichtet. Zwar erkannte der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung auf eine Schadensersatzverpflichtung nach den Grundsätzen über das Verschulden bei Vertragsschluss und stellte damit eine vorvertragliche Pflichtverletzung fest. Auch diese Entscheidung war für die Banken aber nicht wegweisend, da sie nicht Vergütungen, die der Bank gewährt wurden, zum Inhalt hatte. Vielmehr ging es um die Offenlegungspflicht eines Vermögensverwalters, dem weitergehenden Treuepflichten gegenüber seinem Kunden als dem Berater einer Bank zukommen.
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Schlussfolgerte die Bank aus diesem Urteil, dass sie von den Aufklärungspflichten nicht betroffen ist, hat sie sich damit nicht bewusst der richtigen Erkenntnis verschlossen. Der Zeuge A hat insoweit auch bestätigt, dass der Rechtsabteilung der Beklagten das Urteil des BGH vom 19.12.2000 (BGH NJW 2001, 962 [BGH 19.12.2000 – XI ZR 349/99]) bekannt gewesen sei, sie aber nicht annahm, dass die hierin formulierten Grundsätze auch für Banken gelten.
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Erst mit dem Urteil des BGH vom 19.12.2006 (NJW 2007, 1876) wurde der durch Rückzahlungen an die Bank ausgelöste Interessenkonflikt der Banken in den Mittelpunkt der Diskussion um Beratungspflichten der Bank gerückt. Das Urteil des BGH wurde zwar am 19.12.2006 verkündet; die Urteilsgründe lagen indessen erst im März 2007 vor (Casper, ZIP 2009, 2409, 2415). Erst ab diesem Zeitpunkt konnten die Organe der Banken überhaupt zuverlässig Kenntnis davon haben, dass und in welchem Umfang Aufklärungspflichten bestehen, so dass eine vorsätzliche Begehungsweise vor diesem Zeitpunkt ausscheidet. Der Kläger erwarb seine Zertifikate jedoch bereits am 12.12.2006.
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Auch steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass die Mitarbeiter der Rechtsabteilung die Rechtsprechung und maßgebliche Literatur beobachteten. Insbesondere trifft es nicht zu, dass sich der Zeuge A über eine Entgeltregelung keine Gedanken gemacht hat, wie der Kläger mit der Berufung geltend macht. Der Zeuge hat hierzu ausdrücklich erklärt, es bestünden Beratungsverträge mit den Kunden, aus denen sich auch die Entgeltregelungen ergäben.
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Dass sich die Beklagte nicht auf einen Rechtsirrtum berufen dürfe, weil sie sich widersprüchlich verhält und dem Kläger die Ausübung eines Rechts unmöglich gemacht hat, kann nicht festgestellt werden. Die Beklagte hat zu keinem Zeitpunkt die Mitteilung darüber, welche Provisionen sie erlangt hat, abgelehnt. Im Übrigen verlangt der Kläger auch nicht Herausgabe der Provisionen.
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Nicht fehlerhaft war die Beratung auch insoweit, als der Kläger anhand des Flyers über die rückwirkende Kouponzahlung aufgeklärt wurde. Entgegen der Darstellung des Klägers spricht der Flyer nicht von einer rückwirkenden Verzinsung, sondern von einer Zahlung eines Coupons von 8%.
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Auf S. 11 der Zertifikatsbedingungen heißt es ausdrücklich:
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„Liegt der Meryll Lynch 1 Index auf oder unter dem Niveau des DAX Index, wird kein Coupon gezahlt und die Beobachtung wiederholt sich in den folgenden Jahren mit einem möglichen Coupon von jeweils zusätzlichen 8,00 %.“
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Auch die Final Terms & Conditions bestätigen diese Angabe. Ist am Rückzahlungstag des Zertifikats der Spread größer als 0, d.h. hat sich der ML Europe Index nach der Berechnungsformel besser entwickelt als der DAX Index, wird eine Couponzahlung von 32% (4×8) gezahlt, selbst wenn an einem der vorangegangenen Beobachtungstag der Spread kleiner als 0 war. Nichts anderes sagt der Flyer, der ausschließlich von einem Coupon über 8% spricht. An keiner Stelle verweist er auf eine 8%ige Zinszahlung.
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Der Kläger hat als unterlegene Partei die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 ZPO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Der Streitwert für das Verfahren war unter Abänderung der Streitwertfestsetzung der ersten Instanz auf € 22.749,69 festzusetzen. Die als entgangener Gewinn beanspruchten Zinsen sind nur insoweit streitwertrelevant, als sie nicht Nebenkosten zu der gleichfalls beanspruchten Hauptforderung sind (§ 4 ZPO). Soweit der Kläger Zinsen aus einem Betrag von € 41.682,00 beansprucht, waren diese Zinsen dem Streitwert hinzuzusetzen.
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Die Revision war nicht zuzulassen, weil die diesbezüglichen Voraussetzungen nicht vorliegen (§ 543 ZPO).
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