OLG Frankfurt am Main, 12.11.2013 – 15 U 204/12

April 19, 2019

OLG Frankfurt am Main, 12.11.2013 – 15 U 204/12
Leitsatz

§ 315 Abs. 1 Satz 3 AO schützt grundsätzlich nur den guten Glauben des Drittschuldners im Verhältnis zum Vollstreckungsschuldner.
Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 14. August 2012 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Kassel unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung wie folgt abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 9.579,82 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz für den Zeitraum vom 23. Oktober 2009 bis zum 3. September 2012 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1

I.

Der Kläger macht als Insolvenzverwalter über das Vermögen der A1 (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) gegen den Beklagten einen Zahlungsanspruch in Höhe von € 9.579,82 nebst Zinsen geltend.
2

Mit Beschluss des Amtsgerichts Kassel – Insolvenzgericht – vom 28. September 2009 (Az.: … IN …/09) wurde über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Insolvenzschuldnerin war im Bereich von Dachdeckerarbeiten und Dachbeschichtungen tätig. Die Insolvenzschuldnerin war nicht im Handelsregister eingetragen; es gab auch keinen Gesellschaftsvertrag.
3

Der Beklagte ist Teil einer Erbengemeinschaft und gab aufgrund eines Angebotes vom 23. Januar 2008 (Bl. 52 f. d. A.) Dachdeckerarbeiten in Auftrag. Das Angebot enthält hinsichtlich des Auftragnehmers im Briefkopf die Angabe „A Dachrenovierungen“. Am Ende des Angebotes ist ein Firmenstempel enthalten, der die Gesellschaftsform der Insolvenzschuldnerin (Limited & Co. KG) wiedergibt.
4

Die Insolvenzschuldnerin stellte dem Beklagten ihre Leistungen unter dem 24. September 2008 in Höhe von € 20.285,11 in Rechnung. Auch diese Rechnung weist zunächst im Briefkopf lediglich die Angabe „A Dachrenovierung“ auf, die Gesellschaftsform (Limited & Co. KG) wird erst am Ende der Rechnung angegeben.
5

Am 13. Januar 2009 überwies der Beklagte einen Betrag in Höhe von € 9.579,82 an das Finanzamt O1. Dem lag eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Finanzamtes für die A1vom 9. Januar 2009 zu Grunde (Anlage K7, Bl. 23 d.A.). Die deutsche Zweigniederlassung der A2 (im Folgenden: die Vollstreckungsschuldnerin) ist im Handelsregister B des Amtsgerichts Kassel eingetragen (HRB …).
6

Unter dem 8. Oktober 2009 forderte der Insolvenzverwalter den Beklagten zur Zahlung dieses Betrages auf. Der Beklagte teilte diesem daraufhin mit, dass sämtliche Außenstände beglichen seien.
7

Die Parteien streiten nunmehr über die Frage, ob der Beklagte den Anspruch der Insolvenzschuldnerin in Höhe von € 9.579,82 durch die Überweisung eines Betrages in dieser Höhe an das Finanzamt O1 erfüllt hat.
8

Der Kläger ist der Ansicht, die Zahlung des Beklagten an das Finanzamt habe keine schuldbefreiende Wirkung gegenüber der Insolvenzschuldnerin, da die streitgegenständliche Forderung nicht der Vollstreckungsschuldnerin, der A2, sondern der Insolvenzschuldnerin – der A1 – zugestanden habe.
9

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn € 9.579,82 nebst Zinsen in Höhe hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23. Oktober 2009 zu zahlen.

10

Der Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Er ist der Ansicht, die Zahlung an das Finanzamt O1 wirke schuldbefreiend. Bei Vertragsschluss sei die Gesellschaftsform der Vertragspartnerin nicht erkennbar gewesen. Er habe auch immer auf das in den Briefbögen ausgewiesene Konto der Firma „A“ gezahlt. Dem Anspruch stehe § 242 BGB entgegen. Die Insolvenzschuldnerin habe in ihrer Rechnung vom 24. September 2008 eine Steuernummer angegeben, die ebenfalls in der Verfügung des Finanzamtes unter „Mein Zeichen“ angegeben sei. Der Beklagte habe wegen der Identität der Steuernummer von der Identität des Vertragspartners und des Vollstreckungsschuldners ausgehen dürfen. Mithin habe er im guten Glauben geleistet. Außerdem sei zu beachten, dass die A2 immerhin für die Insolvenzschuldnerin hafte.
12

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird ergänzend Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
13

Die 7. Zivilkammer des Landgerichts Kassel hat mit dem angegriffenen Urteil den Beklagten verurteilt, an den Kläger € 9.579,82 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23. Oktober 2009 zu zahlen.
14

Vertragspartner des Beklagten sei die Insolvenzschuldnerin und nicht die A2 gewesen. Die Auslegung der Willenserklärungen ergebe, dass gerade die Insolvenzschuldnerin habe berechtigt und verpflichtet werden sollen.
15

Die Werklohnforderung in Höhe von € 9.579,82 sei auch nicht gemäß § 362 BGB dadurch erloschen, dass der Beklagte aufgrund der Pfändungs- und Überweisungsverfügung des Finanzamtes O1 den entsprechenden Betrag an das Finanzamt überwiesen habe. Mit dieser Verfügung sei nicht eine der Insolvenzschuldnerin zustehende Forderung gepfändet und eingezogen worden, sondern Ansprüche der Vollstreckungsschuldnerin, der A2.
16

Wenn der A2 die Forderung nicht zugestanden habe, sei die Pfändung dieses Anspruchs ins Leere gegangen. Eine solche Pfändung sei grundsätzlich unwirksam und wirkungslos. Obwohl der Beklagte auf die Einziehungsverfügung gezahlt habe, sei er dadurch nicht von seiner Leistungspflicht gegenüber der wahren Gläubigerin frei geworden.
17

Dem Beklagten helfe auch nicht § 315 Abs. 1 Satz 3 der Abgabenordnung– AO -. Diese Bestimmung finde im Verhältnis zwischen dem Beklagten und der wahren Gläubigerin keine Anwendung. Dem Anspruch des Klägers stünde schließlich auch nicht § 242 BGB entgegen.
18

Wegen der weiteren Einzelheiten der Argumentation der 7. Zivilkammer wird auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
19

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 18. August 2012 zugestellte Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner am 13. September 2012 eingelegten und – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 16. November 2012 – mit Anwaltsschriftsatz vom 12. November 2012 begründeten Berufung, die hier noch am selben Tage eingegangen ist.
20

Bereits am 4. September 2012 hatte der Beklagte einen Betrag in Höhe von € 10.980,14 an die Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers überwiesen (s. Anlage K10, Bl. 159 d. A.). Zuvor hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Beklagten mit Schreiben vom 21. August 2012 an dessen Prozessbevollmächtigten aufgefordert, umgehend, spätestens jedoch bis zum 4. September 2012, den „Gesamtforderungsbetrag in Höhe von € 10.980,14“ auf das Kanzleikonto zu überweisen. Andernfalls werde er seinem Mandanten empfehlen, unverzüglich und ohne weitere Ankündigung Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Beklagten einzuleiten. Wegen der weiteren Einzelheiten des Schreibens vom 21. August 2012 wird auf die als Anlage 1 zur Akte gereichte Kopie Bezug genommen (Bl. 165 d. A.).
21

Mit der Berufungsbegründung rügt der Beklagte u. a., die 7. Zivilkammer habe verkannt, dass er den Anspruch der Insolvenzschuldnerin erfüllt habe. Der Beklagte habe bereits in seinem Schreiben vom 1. Oktober 2008 an die A1 im Rahmen der Abrechnung mitgeteilt, dass er die Restzahlung von € 9.000,00 an das Finanzamt überweisen werde. Auch auf dieses Schreiben habe die spätere Insolvenzschuldnerin nicht weiter reagiert. Es sei sodann zu der hier in Rede stehenden Verfügung des Finanzamtes gekommen. Der Beklagte habe davon ausgehen müssen, dass die durch das Finanzamt geltend gemachte Forderung auch den richtigen Vollstreckungsschuldner betroffen habe, also seine Vertragspartnerin, die A1. Zudem sei die in der Rechnung vom 14. September 2008 angegebene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer identisch mit der in der Pfändungsverfügung genannten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, wenn man einmal von den letzten drei Ziffern absehe, die lediglich interne Bearbeitungszahlen darstellten und mit der eigentlichen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer nichts zu tun hätten.
22

Die 7. Zivilkammer sei auf die Frage, ob und inwieweit die Leistungen des Beklagten aufgrund einer Pfändungsverfügung, die angeblich nur die persönlich haftende Gesellschafterin A2 betroffen habe, hier schuldbefreiende Wirkung gehabt hätten, nicht näher eingegangen. Selbst dann, wenn die Pfändungsverfügung nur die A2 betroffen haben sollte, seien die Leistungen, die der Beklagte gegenüber dem Finanzamt erbracht habe, als Leistungen an die Vertretungsberechtigte – die persönlich haftende Gesellschafterin A2 – zu würdigen. Wenn es hinsichtlich der beiden Überweisungsvorgänge Probleme hinsichtlich der schuldbefreienden Wirkung gegeben hätte, wäre es nach Ansicht des Beklagten die Aufgabe des Finanzamtes O1 gewesen, für eine Klarstellung zu sorgen. Die Frage der „ordnungsgemäßen Feststellung der Steuerschuldnerschaft“ sei bis heute nicht geklärt. Es könne nicht angehen, dass ein normaler Steuerbürger, der im Vertrauen auf die Richtigkeit einer Pfändungsverfügung Leistungen erbringe, nur deshalb in Beweisnot komme, weil das Finanzamt sich nicht eindeutig zu der Frage der Richtigkeit des Buchungsverhaltens äußern wolle. Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Anwaltsschriftsatz vom 12. November 2012 (Bl. 128 ff. d. A.) Bezug genommen.
23

Der Beklagte beantragt,

das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 14. August 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

24

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

25

Er verteidigt das angegriffene Urteil.
26

II.

Die Berufung des Beklagten ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
27

Der Zulässigkeit der Berufung steht hier auch nicht entgegen, dass der Beklagte weder in dem Berufungsschriftsatz noch innerhalb der Berufungsbegründungsfrist einen förmlichen Berufungsantrag gestellt hat.
28

Allerdings muss nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO die Berufungsbegründung u. a. die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge). Dabei erfordert das Gesetz nicht unbedingt einen förmlichen Antrag. Vielmehr reicht es aus, wenn die innerhalb der Berufungsbegründungsfrist eingereichten Schriftsätze des Berufungsklägers ihrem gesamten Inhalt nach eindeutig ergeben, in welchem Umfang und mit welchem Ziel das Urteil angefochten werden soll (vgl. etwa Senat, Beschluss vom 05.08.2013 – 15 U 265/11). Dafür genügt grundsätzlich auch ein lediglich auf Aufhebung und Zurückverweisung gerichteter Antrag (vgl. etwa BGH, Versäumnisurteil vom 22.03.2006 – VIII ZR 212/04, NJW 2006, 2705).
29

Ein förmlicher Berufungsantrag des Beklagten liegt hier nicht vor. Allerdings lässt sich aus dem Berufungsbegründungsschriftsatz mit der gebotenen Eindeutigkeit darauf schließen, dass der Beklagte das Urteil der 7. Zivilkammer in vollem Umfange anfechten möchte.
30

Auch die erforderliche Beschwer des Beklagten liegt vor. Zwar entfällt die Beschwer einer zur Zahlung verurteilten Partei, wenn sie nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung und vor Einlegung eines Rechtsmittels den Urteilsbetrag vorbehaltlos zahlt (vgl. BGH, Urteil vom 16.11.1993 – X ZR 7/92, NJW 1994, 942, 943; Beschluss vom 13.01.2000 – VII ZB 16/99, NJW 2000, 1120). In diesen Fällen ist von einer materiellen Erledigung der Hauptsache zwischen den Instanzen auszugehen, so dass ein rechtsschutzwürdiges Interesse der verurteilten Partei an der Beseitigung des Urteilsausspruchs nicht mehr besteht (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 07.12.2010 – VI ZB 87/09, NJW-RR 2011, 488, 489).
31

Von einer vorbehaltlosen Zahlung durch den Beklagten ist hier jedoch nicht auszugehen. Die Überweisung des Beklagten auf das Konto des Bevollmächtigten des Klägers erhielt keinen erläuternden Zusatz. Daher ist die Überweisung an sich weder in der einen Richtung, dass (lediglich) zur Abwendung einer nunmehr aufgrund des vorläufigen vollstreckbaren Urteils möglichen Zwangsvollstreckung gezahlt werde, noch in der Richtung, dass es mit dem Unterliegen in der ersten Instanz für den Beklagten sein Bewenden haben solle, hinreichend aussagekräftig. Immerhin kann sich die in der ersten Instanz unterlegene Partei auch ohne Androhung einer Zwangsvollstreckung aus dem vorläufig vollstreckbaren Urteil der ersten Instanz veranlasst sehen, den ausgeurteilten Betrag nebst Zinsen zu begleichen, um ein weiteres Auflaufen von Zinsen zu verhindern. Es kann auch die Überlegung eine Rolle spielen, weitere Kosten für eine Zwangsvollstreckung zu vermeiden (vgl. BGH, Urteil vom 16.11.1993 – X ZR 7/92, NJW 1994, 942, 943).
32

Bei dieser Sachlage muss wegen des verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatzes der prozessualen Meistbegünstigung (vgl. etwa BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 27.09.1978 – 1 BvR 361/78, BVerfGE 49, 220, 226) angenommen werden, dass auf eine gerichtliche Überprüfung des Anliegens in einer höheren Instanz nicht verzichtet werde. Wenn die verurteilte Partei die Urteilssumme – wie hier – bezahlt, ist nämlich auch zu erwägen, ob sie damit zugleich auf das hier noch zur Verfügung stehende Rechtsmittel verzichtet (vgl. etwa BGH, Urteil vom 16.11.1993 – X ZR 7/92, NJW 1994, 942, 943). Wegen der einschneidenden Rechtsfolgen ist jedoch in Anbetracht des aufgezeigten verfassungsrechtlichen Hintergrunds bei der Annahme eines Rechtsmittelverzichts, der hier mangels einer darauf abzielenden ausdrücklichen Erklärung des Beklagten nur konkludent ausgedrückt sein könnte, Zurückhaltung geboten.
33

III.

In der Sache erzielt die Berufung jedoch lediglich hinsichtlich der Zinsentscheidung einen geringen Teilerfolg. Ansonsten beruht das angefochtene Urteil weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (vgl. § 513 Abs. 1 ZPO).
34

Der Insolvenzschuldnerin stand gegen den Beklagten ursprünglich eine Werklohnforderung zu. Dabei kann offen bleiben, ob der Vertrag hier durch den Beklagten oder aber durch den Beklagten als Vertreter der Erbengemeinschaft abgeschlossen worden ist, da auch im zweiten Fall der Kläger den Beklagten mit der sog. Gesamtschuldklage (§ 2058 BGB) in Anspruch nehmen kann.
35

Werkunternehmer im Sinne des § 631 BGB war im vorliegenden Fall nicht etwa die A2 (HRB …), sondern vielmehr die A1 (die Insolvenzschuldnerin). Dies ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus der im Unterschriftenfeld des Angebots vom 23. Januar 2008 angebrachten Bezeichnung der Gesellschaft.
36

Die der Rechnung vom 24. September 2008 zu Grunde liegenden Leistungen wurden seitens der Insolvenzschuldnerin auch erbracht, so dass der Insolvenzschuldnerin nach Abzug der geleisteten Zahlungen gegen den Beklagten noch ein Werklohnanspruch in Höhe von € 9.579,82 zustand.
37

Dieser Anspruch ist nicht gemäß § 362 BGB dadurch erloschen, dass der Beklagte nach Erhalt der Pfändungs- und Überweisungsverfügung des Finanzamtes O1 den entsprechenden Betrag an das Finanzamt überwiesen hat.
38

Wie die 7. Zivilkammer zutreffend erkannt hat, wurden mit dieser Verfügung nämlich keine der Insolvenzschuldnerin zustehenden Forderungen gepfändet, sondern vielmehr Forderungen der Vollstreckungsschuldnerin, der A2. Die Verfügung bezeichnete nämlich (im Fettdruck) nur diese als Vollstreckungsschuldnerin. Vor diesem Hintergrund diente die Angabe der Steuernummer in der Verfügung im Feld „Mein Zeichen“ nicht der Erläuterung und Bezeichnung der Vollstreckungsschuldnerin, sondern lediglich der internen Zuordnung in der Behörde.
39

Soll die Pfändung eines Anspruchs Wirkungen äußern, so setzt dies notwendig eine im Zeitpunkt der Pfändung bestehende Forderung des Vollstreckungsschuldners gegen den Drittschuldner voraus, deren Erfüllung diesem verboten werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 26.05.1987 – IX ZR 201/86, NJW 1988, 495; Schreiber, JK 88, ZPO § 836/1). Da die Vollstreckungsschuldnerin – die A2 – zum Zeitpunkt der Pfändung keine Ansprüche gegen den Beklagten hatte, ging die Pfändung der Forderungen der Vollstreckungsschuldnerin gegen den Beklagten ins Leere. Eine solche Pfändung ist grundsätzlich nichtig und wirkungslos. Vor diesem Hintergrund ist der Beklagte durch seine Zahlung auf die Einziehungsverfügung an das Finanzamt nicht von seiner Leistungspflicht gegenüber der wahren Gläubigerin – der Insolvenzschuldnerin – frei geworden.
40

Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus § 315 Abs. 1 Satz 3 AO. Zwar gilt nach dieser Bestimmung zugunsten des Drittschuldners eine zu Unrecht ergangene Einziehungsverfügung dem Vollstreckungsschuldner gegenüber solange als rechtmäßig, bis sie aufgehoben ist und der Drittschuldner hiervon erfährt. § 315 Abs. 1 Satz 3 AO findet jedoch im Verhältnis zwischen dem Beklagten als Drittschuldner und der richtigen Gläubigerin keine Anwendung. Diese Bestimmung schützt nämlich – wie bereits der Wortlaut deutlich macht – den guten Glauben des Drittschuldners nur im Verhältnis zum Vollstreckungsschuldner (vgl. BGH, Urteil vom 26.05.1987 – IX ZR 201/86, NJW 1988, 495, 495 f.; Fritsch, in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl. 2009, § 315, Rdnr. 3). Die Vollstreckungsschuldnerin – die A2 – war nicht Inhaberin der Forderung, die als ihre gepfändet und überwiesen werden sollte. Vielmehr war die Insolvenzschuldnerin (die A1), gegen die sich die Vollstreckung nicht richtete, die wahre Gläubigerin; sie hatte ihre Forderung auch nicht an die Vollstreckungsschuldnerin abgetreten. In einem solchen Fall befreit § 315 Abs. 1 Satz 3 AO den Drittschuldner – hier: den Beklagten – nicht von seiner Leistungspflicht (vgl. BGH, Urteil vom 26.05.1987 – IX ZR 201/86, NJW 1988, 495, 496; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, 34. Aufl. 2013, § 836, Rdnr. 10).
41

Im Übrigen wird ein Schuldner, der an einen Nichtberechtigten leistet, den er (gutgläubig) für empfangsberechtigt hält, nur in den gesetzlich besonders bestimmten Fällen (vgl. z. B. die §§ 370, 407, 408 BGB) frei. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
42

Entgegen der Ansicht des Beklagten kann eine Erfüllungswirkung der Zahlung, die der Beklagte an das Finanzamt erbracht hat, auch nicht mit der Erwägung begründet werden, die Insolvenzschuldnerin werde durch die Vollstreckungsschuldnerin vertreten. Die Leistung an einen gesetzlichen Vertreter führt nur dann zur Erfüllung, sofern sie den geschuldeten Leistungserfolg herbeiführt (vgl. etwa Grüneberg, in: Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, § 362, Rdnr. 4; Muscheler/Bloch, JuS 2000, 729, 739; Taupitz, JuS 1992, 449, 452 ff.). Dies war hier nicht der Fall. Treten im Rechtsverkehr eine Limited und eine Limited & Co. KG, deren Komplementärin die Limited ist, nebeneinander auf, so kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass die Limited berechtigt ist, Gelder für die Limited & Co. KG zu vereinnahmen. Dies käme allenfalls dann in Betracht, wenn entsprechende – dem Leistenden bekannte – Abreden zwischen der Limited und der Limited & Co. KG bestünden. Dies ist hier weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
43

Dem Anspruch des Klägers steht auch nicht § 242 BGB entgegen. Der Beklagte durfte hier – wie von der 7. Zivilkammer zutreffend erkannt – nicht nach Treu und Glauben aufgrund der Verwendung der Steuernummer durch die Insolvenzschuldnerin in der Rechnung vom 24. September 2008 davon ausgehen, diese sei Vollstreckungsschuldnerin. Dem Beklagten hätte aufgrund seiner Vertragsunterlagen bekannt sein müssen, dass die Vollstreckungsschuldnerin, die A2, nicht seine Vertragspartnerin ist. Aufgrund der klaren und durch Fettdruck hervorgehobenen Bezeichnung der Vollstreckungsschuldnerin, der A2, in der Verfügung des Finanzamtes hätte sich ihm aufdrängen müssen, dass die Verfügung allein Forderungen der Vollstreckungsschuldnerin betrifft, die aber gerade nicht seine Vertragspartnerin ist.
44

Dieses Ergebnis ist auch nicht unbillig. Denn der Beklagte hat an das Finanzamt geleistet, obwohl aus der Bezeichnung der Forderung, die gepfändet und überwiesen werden sollte, sich der Vollstreckungsschuldner nicht zweifelsfrei als Gläubiger dieser Forderung ergab; vielmehr kam als Inhaberin des Anspruchs auch eine andere, am Vollstreckungsverfahren nicht Beteiligte, nämlich die Insolvenzschuldnerin, in Betracht, da mit dieser der Werkvertrag geschlossen worden war. Der Drittschuldner leistet in einem solchen Fall an einen der in Betracht kommenden Gläubiger auf eigene Gefahr. Ihr kann er ohne Weiteres dadurch entgehen, dass er nach den §§ 372 ff. BGB den geschuldeten Betrag hinterlegt. Deshalb ist der Beklagte ebensowenig schutzwürdig wie jeder andere Schuldner, von dem zwei Forderungsprätendenten Leistung verlangen und der nicht weiß, wer der wahre Gläubiger ist (vgl. BGH, Urteil vom 26.05.1987 – IX ZR 201/86, NJW 1988, 495, 496). Überdies hat der Drittschuldner (hier: der Beklagte) grundsätzlich bereicherungsrechtliche Ansprüche gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger (Finanzamt O1), wenn der Drittschuldner – wie im vorliegenden Fall – an den Vollstreckungsgläubiger deswegen leistet, weil er irrtümlich davon ausgeht, dass die gepfändete Forderung besteht (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 13.06.2002 – IX ZR 242/01, NJW 2002, 2871, 2871 f.; K. Schmidt, JuS 2003, 93 [BGH 13.06.2002 – IX ZR 242/01]). Derartige Ansprüche des Beklagten gegenüber dem Finanzamt sind jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
45

Der Anspruch des Klägers ist im vorliegenden Fall auch nicht dadurch untergegangen, dass der Beklagte am 4. September 2012 einen Betrag in Höhe von € 10.980,14 an die Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers überwiesen hat. Bei diesem Umstand handelt es sich um eine zwar neue, aber unstreitige Tatsache, die in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 18.11.2004 – IX ZR 229/03, BGHZ 161, 138, 141 ff.).
46

Ein Schuldverhältnis erlischt allerdings erst dann, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger endgültig bewirkt worden ist (§ 362 Abs. 1 BGB). Hieran fehlt es, wenn der Schuldner ohne Anerkennung seiner Schuld unter dem Vorbehalt einer Rückforderung seine Leistung erbringt (vgl. BGH, Urteil vom 06.10.1998 – XI ZR 36/98, BGHZ 139, 357, 367 f.; BAG, Urteil vom 14.12.2011 – 10 AZR 283/10, NZA 2012, 501, 503). Zahlungen auf Grund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils sind in der Regel dahin zu verstehen, dass sie nur eine vorläufige Leistung darstellen sollen und unter der aufschiebenden Bedingung der rechtskräftigen Bestätigung der zu Grunde liegenden Verbindlichkeit erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 15.03.2012 – IX ZR 35/11, NJW 2012, 1717; BAG, Urteil vom 14.12.2011 – 10 AZR 283/10, NZA 2012, 501, 503). Angesichts der engen zeitlichen Abfolge (Zahlungsaufforderung durch das Anwaltsschreiben vom 21. August 2012 unter Fristsetzung bis zum 4. September 2012; Überweisung am 4. September 2012) und der Identität der in dem Schreiben vom 21. August 2012 genannten und der sodann durch den Beklagten gezahlten Summe (€ 10.980,14) spricht im vorliegenden Fall alles dafür, dass der Beklagte zunächst allein zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung geleistet hat. Die unter einer solchen Bedingung stehende Zahlung stellte nicht die von dem Beklagten geschuldete Leistung dar. Eine Leistung unter dem Vorbehalt der Rückforderung hat daher keine Erfüllungswirkung (vgl. etwa BGH, Urteil vom 15.03.2012 – IX ZR 35/11, NJW 2012, 1717).
47

Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus den §§ 280 Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 BGB. Der Beklagte befand sich nach Ablauf der bis zum 22. Oktober 2009 gesetzten Zahlungsfrist in Verzug. Allerdings endete der Verzug hier infolge der von dem Beklagten veranlassten Überweisung des Betrages in Höhe von € 10.980,14. Leistet der Schuldner nämlich eine Zahlung an den Gläubiger, so endet insoweit ein Verzug mit der Geldschuld auch dann, wenn die Zahlung – wie hier – nur zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erfolgt und das Schuldverhältnis deshalb nicht erlischt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 24.06.1981 – IVa ZR 104/80, NJW 1981, 2244; Urteil vom 03.12.2008 – IV ZR 58/07, NJW 2009, 1143, 1146; BAG, Urteil vom 19.03.2008 – 5 AZR 429/07, NZA 2008, 757, 758; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, § 286, Rdnr. 36, und § 362, Rdnr. 15). Der entsprechende Betrag ging am 4. September 2012 auf dem Konto des Prozessbevollmächtigten des Klägers ein, so dass von diesem Tage an kein Anspruch auf Verzugszinsen mehr bestand. Das angegriffene Urteil war daher in diesem Punkt abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen, als damit Zinsen für den Zeitraum über den 3. September 2012 hinaus geltend gemacht worden sind.
48

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
49

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit dieses Urteils findet seine Grundlage in den §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 713 ZPO.
50

Die Revision ist nicht zuzulassen.
51

Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Sache eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.11.2008 – 1 BvR 2587/06, NJW 2009, 572, 573; Beschluss vom 27.05.2010 – 1 BvR 2643/07, FamRZ 2010, 1235, 1236; Beschluss vom 29.09.2010 – 1 BvR 2649/06, juris; BGH, Beschluss vom 04.07.2002 – V ZB 16/02, NJW 2002, 3029; Ball, in: Musielak (Hrsg.), Kommentar zur ZPO, 10. Aufl. 2013, § 543 ZPO, Rdnr. 5; Heßler, in: Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 543, Rdnr. 11; Kessal-Wulf, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar ZPO, Stand: 01.04.2013, § 543, Rdnr. 19). Klärungsbedürftig sind dabei solche Rechtsfragen, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht oder nicht hinreichend höchstrichterlich geklärt sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.07.2007 – 1 BvR 650/03, NJW-RR 2008, 26, 29; Beschluss vom 27.05.2010 – 1 BvR 2643/07, FamRZ 2010, 1235, 1236; Heßler, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 29. Aufl. 2012, § 543, Rdnr. 11). Hat der Bundesgerichtshof eine Rechtsfrage bereits geklärt, kann sich weiterer Klärungsbedarf ergeben, wenn nicht nur einzelne Instanzgerichte oder Literaturstimmen der Auffassung des Bundesgerichtshofes (weiterhin) widersprechen oder wenn neue Argumente ins Feld geführt werden, die den Bundesgerichtshof zu einer Überprüfung seiner Auffassung veranlassen könnten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.11.2008 – 1 BvR 2587/06, NJW 2009, 572, 573; Beschluss vom 27.05.2010 – 1 BvR 2643/07, FamRZ 2010, 1235, 1236; Ball, in: Musielak (Hrsg.), Kommentar zur ZPO, 10. Aufl. 2013, § 543 ZPO, Rdnr. 5a).
52

Nach diesen Maßstäben wirft die vorliegende Sache keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf.
53

Vor diesem Hintergrund kommt es auf die Frage nicht an, ob der Einzelrichter im Berufungsverfahren die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zulassen kann (diese Frage grundsätzlich bejahend BGH, Urteil vom 16.07.2003 – VIII ZR 286/02, NJW 2003, 2900, 2901).
54

Die Zulassung der Revision ist im vorliegenden Fall auch nicht zur „Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“ (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Dieser Zulassungsgrund ist insbesondere dann gegeben, wenn das Berufungsgericht von einer Entscheidung eines höherrangigen Gerichts, namentlich des Bundesgerichtshofes, abweicht. Eine Abweichung in diesem Sinne liegt dann vor, wenn das Berufungsgericht ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, also einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit dem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten Rechtssatz nicht deckt (vgl. BGH, Beschluss vom 04.07.2002 – V ZR 75/02, NJW 2002, 2295; Beschluss vom 27.03.2003 – V ZR 291/02, NJW 2003, 1943, 1945; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 34. Aufl. 2013, § 543, Rdnr. 4b; Kessal-Wulf, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar ZPO, Stand: 01.04.2013, § 543, Rdnr. 26).
55

Eine so verstandene Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes findet im vorliegenden Fall gerade nicht statt.

Haben Sie Fragen? 

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.
© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.