OLG Frankfurt am Main, 15.09.2017 – 3 U 196/15

März 20, 2019

OLG Frankfurt am Main, 15.09.2017 – 3 U 196/15
Leitsatz:

Unzulässigkeit der Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Ziff. 3 InsO wegen Erlangung der Möglichkeit zur Aufrechnung durch eine gem. § 131 Abs. 1 Ziff. 2 InsO anfechtbare Rechtshandlung.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 28.09.2015 verkündete Urteil des Landgerichts Hanau abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 18.943,66 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.07.2013 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 24 % und die Beklagte 76 % zu tragen. Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz hat die Beklagte alleine zu tragen.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe

I.

Der Kläger als Insolvenzverwalter verfolgt mit der Berufung den erstinstanzlich geltend gemachten Anspruch auf Zahlungen aus dem mit der Beklagten geschlossenen Marke1-Partner-Händlervertrag sowie diesen ergänzenden Vereinbarungen teilweise in Höhe von 18.943,66 € weiter.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen Frau B, ehemals Inhaberin des Marke1-Autohauses C in Stadt1 (im Folgenden: Schuldnerin). Die Beklagte ist eine durch Marke1 autorisierte Vertragshändlerin. Am 08.06.2011 schloss die Beklagte mit der Schuldnerin einen Marke1-Partner-Händlervertrag und vereinbarte mit der Beklagten Liefer- und Zahlungsbedingungen.

§ 5 Abs. 2 der Liefer- und Zahlungsbedingungen enthält folgende Vereinbarung betreffend die Fälligkeit des Kaufpreises von durch die Beklagte an die Schuldnerin gelieferten Fahrzeugen: „Der Rechnungsbetrag wird sofort fällig, wenn der Vertragspartner [Schuldnerin] die durch die Bank_004 verwalteten Kfz-Briefe (…) zur endgültigen Verfügung abfordert.“ Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag in der Anlage K 2 (Bl. 11 ff. d. A.) verwiesen.

Die Schuldnerin war spätestens seit dem 31.07.2012 überschuldet und zahlungsunfähig.

Unter dem 29.10.2012 erteilte die Beklagte der Schuldnerin eine Rechnung für die Lieferung eines Marke1a über 29.533,49 €. Am 28.11.2012 versuchte die Beklagte den Rechnungsbetrag per Lastschrift vom Konto der Schuldnerin einzuziehen. Die Lastschrift wurde jedoch mangels Deckung nicht eingelöst.

Für das Kalenderjahr 2012 galt ein den Händlervertrag ergänzendes Bonusprogramm (Anlage K 4, Bl. 40 ff. d. A.). Aufgrund ihrer Umsätze hatte die Schuldnerin für das Jahr 2012 gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung eines Bonus in Höhe von 11.705,70 €.

Weiter galt für das vierte Quartal 2012 ein den Händlervertrag ergänzendes Absatzförderprogramm (Anlage K 10, Bl. 102 ff., 198 ff. d. A.). Aufgrund des Absatzförderprogramms hatte die Schuldnerin gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von Prämien in Höhe von 6.500,- €.

Aus dem Verkauf eines bei der Beklagten zum Preis von 14.919,48 € bestellten Marke1b mit der FIN -… an den Endkunden D, bei dem die finanzierende Bank_004 den Verkaufspreis in Höhe von 15.657,44 € am 20.12.2012 direkt an die Beklagte überwies, stand der Schuldnerin gegen die Beklagte aus dem Händlervertrag bzw. den getroffenen Absprachen noch die Differenz von Verkaufs- und Einkaufspreis in Höhe von 737,96 € zu.

Am 03.01.2013 beantragte die Schuldnerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen.

Mit Schreiben vom 08.01.2013 erklärte die Beklagte gegenüber der Schuldnerin die fristlose Kündigung des Händlervertrags wegen wiederholter Zahlungsrückstände (Anlage K 3, Bl. 39 d. A.).

Durch Beschluss des Amtsgerichts Stadt2 Geschäfts-Nr.: … vom 01.03.2013 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt (Anlage K 1, Bl. 8 d. A.).

Die Beklagte hat die Aufrechnung mit Gegenforderungen aus der Rechnung vom 29.10.2012 sowie aus weiteren Rechnungen betreffend deutlich später abgewickelte Geschäfte erklärt.

Die Beklagte hat behauptet, die Schuldnerin habe den Marke1a am 31.07.2012 bestellt. Am gleichen Tag habe die Beklagte das Fahrzeug bei Marke1 bestellt. Marke1 habe das Fahrzeug am 24.10.2012 direkt an die Schuldnerin ausgeliefert. Die Schuldnerin habe bereits bei Anforderung des Fahrzeugbriefs am 26.11.2012 positiv gewusst, dass sie die Rechnung nicht habe zahlen können.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Aufrechnung scheitere an § 96 Abs. 1 Ziff. 3 InsO, da die Beklagte die Aufrechnungslagen gem. §§ 131, 133 InsO in anfechtbarer Weise erlangt habe.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Schuldnerin habe sie vorsätzlich sittenwidrig geschädigt, indem sie trotz Kenntnis ihrer Zahlungsunfähigkeit den Fahrzeugbrief angefordert habe. Damit könne sich der Kläger nicht auf die fehlende Aufrechnungsmöglichkeit gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO berufen.

Im Übrigen wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen E, F und der Zeugin G die Klage abgewiesen und dies begründet wie folgt:

Der Schuldnerin hätten aus dem beendeten Partner-Händlervertrag zwar Ansprüche in Höhe von 18.943,66 € gegen die Beklagte zugestanden. Diese seien aber durch Aufrechnung der Beklagten mit ihrem Anspruch auf Bezahlung der Rechnung vom 29.10.2012 über 29.533,49 € für die Lieferung eines Marke1a in vollem Umfang erloschen. Nach Ziff. 5 Abs. 2 der Liefer- und Zahlungsbedingungen zu dem Händlervertrag (Bl. 32 ff. d. A.) sei der Rechnungsbetrag mit der Anforderung des Fahrzeugbriefs durch die Schuldnerin am 26.11.2012 fällig geworden. Spätestens mit Ablauf des 31.12.2012 hätten sich die wechselseitigen Forderungen aufrechenbar gegenüber gestanden.

Die Aufrechnung sei auch nicht deswegen gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unwirksam, weil die Beklagte die Möglichkeit der Aufrechnung durch anfechtbare Rechtshandlung erlangt habe. Der Zeitpunkt für die Vornahme der Rechtshandlung sei nach § 140 InsO zu bestimmen. Dessen Abs. 3 stelle klar, dass bedingte oder befristete Rechtshandlungen nicht erst mit dem Eintritt der Bedingung oder des Termins als vorgenommen gälten. Nach dem Grundgedanken des § 140 InsO sei damit auch in anderen Fällen der Zeitpunkt entscheidend, in dem durch die Rechtshandlung eine Rechtsposition begründet worden sei, die im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens – ohne die Anfechtung – beachtet werden müsse. Damit komme es hier auf den Zeitpunkt der Bestellung des Marke1a am 31.07.2012 an, so dass die Rechtshandlung nicht in die kritische Zeit der §§ 130, 131 InsO von drei Monaten vor dem Insolvenzantrag falle.

Von einer vorsätzlichen Benachteiligung im Sinne des § 133 InsO sei ebenfalls nicht auszugehen. Der Kläger habe die Vermutung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes mit seinem Vortrag im Schriftsatz vom 30.04.2015 widerlegt. Auch sei nicht davon auszugehen, dass die Beklagte einen solchen Vorsatz gekannt habe. Zu Rücklastschriften sei es erstmals am 28.11.2012, also erst nach der Anforderung des Briefes gekommen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Ziel teilweise weiter.

Der Kläger rügt Rechtsfehler des Landgerichts (§§ 513 Abs. 1 Alt. 1, 546 ZPO), auf denen das Urteil beruht (§ 545 Abs. 1 ZPO). Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft angenommen, dass der Zahlungsanspruch durch Aufrechnung erloschen sei, weil § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht greife.

Das Landgericht nehme rechtsirrig an, weil die Bestellung vom 31. Juli 2012 datiere, komme es für den Zeitpunkt der anfechtbaren Rechtshandlung gem. § 140 InsO auf diesen Zeitpunkt an. Fälligkeit sei jedoch erst am 26.11.2012 bzw. 31.12.2012 entstanden, so dass auch die Aufrechnungslage nicht zuvor eingetreten sein könne. Der Zeitpunkt des Eintritts der Aufrechnungslage sei der maßgebliche Zeitpunkt für die Frage, wann die Rechtshandlung, die in anfechtbarer Weise erfolgt sei, die Aufrechnungslage herbeigeführt habe. Zu diesem Zeitpunkt sei jedoch die Schuldnerin eindeutig überschuldet und zahlungsunfähig gewesen.

Die Herbeiführung der Aufrechnungslage sei inkongruent, so dass maßgeblicher Anfechtungstatbestand § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO sei. Selbst wenn man auf den 26.11.2012 abstelle und damit auf den zweiten Monat vor dem Eröffnungsantrag greife die Anfechtung der Herbeiführung der Aufrechnungslage, da die Zahlungsunfähigkeit bereits seit 31.07.2012 bestanden habe. Inkongruent sei die Herbeiführung der Aufrechnungslage, weil die aufrechnende Beklagte keinen Anspruch auf Abschluss des Kaufvertrags als die Aufrechnungslage herbeiführender Vereinbarung gehabt habe. Der Anspruch ergebe sich insbesondere nicht aus dem Händlervertrag, auch wenn danach die Beklagte berechtigt gewesen sei die Schuldnerin zu beliefern.

Jedenfalls sei die Herbeiführung der Aufrechnungslage anfechtbar gem. § 133 InsO. Die Bestellung sei eine anfechtbare Rechtshandlung der Schuldnerin. Bei Inkongruenz wie hier werde vermutet, dass der Schuldner mit Benachteiligungsabsicht gehandelt und der Gläubiger hiervon Kenntnis habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Hanau vom 28.09.2015 (Az. 9 O 1148/14) abzuändern und wie folgt zu erkennen:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 18.943,66 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 06.07.2013 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und hat auch in der Sache Erfolg:

1. Der Kläger hat gegen die Beklagte nach den mit der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts Hanau Anspruch auf Zahlung von insgesamt 18.943,66 € aus dem Marke1-Partner-Händlervertrag und den diesen ergänzenden Vereinbarungen wie dem Bonusprogramm und dem Absatzförderprogramm.

2. Dieser Anspruch ist, wie der Kläger mit der Berufung zu Recht geltend macht, nicht durch Aufrechnung erloschen (§§ 94 InsO, 389 BGB).

a) Zwar bestand zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung am 01.03.2013 eine Aufrechnungslage gem. § 387 BGB, die die Beklagte als Insolvenzgläubigerin (§ 38 InsO) gem. § 94 InsO trotz Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich zur Aufrechnung berechtigte. Die Beklagte hatte eine die Klageforderung übersteigende fällige Forderung gegen die Schuldnerin aus dem Kaufvertrag über einen Marke1a auf Zahlung eines Kaufpreises von 29.533,49 €. Dem stand die erfüllbare Gegenforderung der Schuldnerin in Höhe von 18.943,66 € gegenüber. Die Beklagte hat auch die Aufrechnung erklärt (§ 388 BGB). Dennoch ist die Klageforderung nicht gem. § 389 BGB durch Aufrechnung erloschen.

b) Denn die Aufrechnung war gem. § 96 Abs. 1 Ziff. 3 InsO unzulässig, da die Beklagte als Insolvenzgläubigerin die Möglichkeit zur Aufrechnung durch eine gem. § 131 Abs. 1 Ziff. 2 InsO anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat.

aa) Anfechtbare Rechtshandlung im Sinne des § 129 InsO war hier die Begründung der Aufrechnungslage, die frühestens am 26.11.2012 eingetreten sein kann. Entgegen der durch die Beklagte vertretenen Ansicht kommt es entscheidend auf die die Aufrechnungslage begründende Rechtshandlung an, da erst die Aufrechnungslage die Möglichkeit zur Aufrechnung bietet. Ohne besondere vertragliche Regelung muss daher die Aufrechnungslage grundsätzlich im vollen Umfang des § 387 BGB entstanden sein, ehe die anfechtbare Rechtshandlung im Sinne von § 140 Abs. 1 InsO vorgenommen ist. Entscheidend ist der Zeitpunkt, zu dem die spätere Forderung entstand ist und damit das Gegenseitigkeitsverhältnis begründet hat. Bei mehraktigen Rechtshandlungen treten deren Wirkungen erst mit dem letzten zur Erfüllung des Tatbestands erforderlichen Teilakt ein. Von einer solchen mehraktigen Rechtshandlung ist auch bei der Herstellung der Aufrechnungslage auszugehen (so ausdrücklich BGH, Urteil vom 11.02.2010, Az. IX ZR 104/907, Rn. 11 und 13, zitiert nach juris, auch durch Landgericht falsch verstandene Entscheidung BGH, Urteil vom 11.06.2015, Az. IX ZR 110/13, Rn. 21, zitiert nach juris). Der erfüllbare Anspruch der Schuldnerin in Höhe von insgesamt 18.943,66 € und der fällige Anspruch der Beklagten auf Zahlung des Kaufpreises für den Marke1a standen sich frühestens am 26.11.2012 im Sinne des § 387 BGB aufrechenbar gegenüber:

– Der erfüllbare Anspruch der Schuldnerin in Höhe von insgesamt 18.943,66 € ist erst Ende des Jahres 2012 entstanden: Der Anspruch auf Zahlung des Bonus von insgesamt 11.705,70 € war ausweislich der Anlage K 4, Bl. 40 f. d. A. abhängig vom Gesamtumsatz und von der Gesamtanzahl der im Jahr 2012 durch die Schuldnerin veräußerten Marke1-Fahrzeuge. So hatte die Schuldnerin bei nur 80 – 84 verkauften Fahrzeugen einen Bonusanspruch in Höhe von 0,80 % des Gesamtumsatzes und bei 85 – 89 verkauften Fahrzeugen einen Bonusanspruch von 0,85 % des Gesamtumsatzes. Erst mit dem letzten im Dezember 2012 verkauften Fahrzeug war damit der Bonusanspruch der Schuldnerin für das Jahr 2012 für die Beklagte berechenbar, entstanden und erfüllbar. Die Prämien aus dem Absatzförderprogramm für das letzte Quartal 2012 in Höhe von insgesamt 6.500,- € waren frühestens ab 01.10.2012 berechenbar, entstanden und erfüllbar. Der Anspruch auf Zahlung der Differenz zwischen Verkaufs- und Einkaufspreis aus dem Verkauf des Marke1b in Höhe von 737,96 € war erst mit der Überweisung des Verkaufspreises an die Beklagte am 20.12.2012 entstanden und erfüllbar. Damit kann dahinstehen, ob für die Fälligkeit des Kaufpreisanspruchs der Beklagten auf den behaupteten Zeitpunkt der Bestellung des Marke1a am 31.07.2012 abzustellen ist. Denn zu diesem Zeitpunkt bestand jedenfalls noch keine Aufrechnungslage, da die Gegenforderung der Schuldnerin noch nicht entstanden und erfüllbar war.

– Selbst wenn man ein früheres Entstehen der erfüllbaren Forderung der Schuldnerin in Höhe von insgesamt 18.943,66 € unterstellt, wäre für den Zeitpunkt des Entstehens der dann späteren die Aufrechnungslage begründenden Forderung der Beklagten auch unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens aus § 140 Abs. 3 InsO frühestens auf den 26.11.2012 abzustellen, da erst am 26.11.2012 die Zahlungsforderung werthaltig geworden ist: Nach dem durch die Berufung nicht angegriffenen Ergebnis der Beweisaufnahme in erster Instanz durch Vernehmung des Zeugen F und der Zeugin B (Schuldnerin) steht fest, dass der Marke1a am 24.10.2012 an die Zeugin G ausgeliefert wurde, die am 26.11.2012 den Fahrzeugbrief anforderte, um das Fahrzeug zuzulassen. Denn auch für die spätere, die Aufrechnungslage begründende Forderung kann § 140 Abs. 3 InsO nach der Rechtsprechung bei Zahlungsforderungen aus gegenseitigen Verträgen den Zeitpunkt der Fälligkeit nicht auf den Zeitpunkt des Entstehens der Forderung mit Vertragsschluss vorverlagern, sondern nur auf den späteren Zeitpunkt, in dem die Forderung werthaltig wird. Zwar stellt die Fälligkeitsvereinbarung für einen späteren Zeitpunkt wie hier die Vereinbarung in Ziff. 5 Abs. 2 der Liefer- und Zahlungsbedingungen regelmäßig eine Befristung im Sinne des § 140 Abs. 3 InsO dar (so MüKo-InsO-Kirchhoff, 3. Auflage 2013 , § 140 Rn. 53). Unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Fälligkeit sind Zahlungsforderungen aus gegenseitigen Verträgen wie hier die Forderung auf Zahlung des Kaufpreises für den Marke1a aber erst durchsetzbar, wenn die geschuldete Leistung, hier die Lieferung des Marke1a und die Übergabe des Fahrzeugbriefs erbracht ist. Denn vorher steht der Durchsetzbarkeit die Einrede des nichterfüllten Vertrags aus § 320 BGB entgegen (vgl. § 390 BGB). Erst nach Lieferung des Marke1 und Übergabe des Fahrzeugbriefs konnte damit hier die Aufrechnungslage als einer Vollstreckung gleichkommende Befriedigungsmöglichkeit entstehen (so BGH, Urteil vom 04.10.2001, Az. IX ZR 207/00, Rn. 13, zitiert nach juris).

bb) Die Begründung der Aufrechnungslage ist eine inkongruente Sicherung im Sinne des § 131 Abs. 1 Inso, die die Beklagte so nicht beanspruchen konnte. Es kann auch hier dahinstehen, welcher der gegenseitigen Ansprüche später entstanden ist und die Aufrechnungslage begründet hat:

– Sofern und soweit der jedenfalls erst im letzten Quartal 2012 entstandene erfüllbare Anspruch der Schuldnerin auf Zahlung von Bonus- und Prämienzahlungen die Aufrechnungslage begründet hat, handelt es sich um inkongruente Deckung. Denn die Beklagte konnte das Entstehen des Anspruchs auf Bonus- und Prämienzahlungen nicht durch eigenes pflichtgemäßes Verhalten beeinflussen. Das Entstehen des Anspruchs war vielmehr allein von den Verkaufsbemühungen und Umsätzen der Schuldnerin abhängig. Die Verpflichtung der Schuldnerin aus § 2 des Marke1-Partner-Händlervertrags, sich nach besten Kräften um den Absatz von Vertragsfahrzeugen zu bemühen, genügt dazu noch nicht, auch wenn die Beklagte der Schuldnerin Bonus- und Prämienzahlungen in umsatzabhängiger Höhe schon vor der Krise versprochen hatte (so Müko-InsO-Kayser, 3. Auflage 2013, § 131 Rn. 17).

– Das Werthaltigmachen der Kaufpreisforderung am 26.11.2012 durch Lieferung und Übergabe des Fahrzeugbriefs war ebenfalls inkongruent. Bei dem die Aufrechnungslage begründenden nachträglichen Werthaltigmachen einer Forderung handelt es sich um eine inkongruente Sicherung, wenn diese Wertung bereits für die Entstehung der Forderung zutraf (stRspr, siehe nur BGH, Urteil vom 11.06.2015, Az. IX ZR 110/13, Rn. 17, zitiert nach juris). Bei Entstehung der Forderung mit Bestellung am 31.07.2012 hatte die Beklagte aber keinen Anspruch gegen die Schuldnerin auf Abschluss gerade dieses Kaufvertrags (stRspr, siehe nur BGH, Urteil vom 09.02.2006, Az. IX ZR 121/03, Rn. 15, zitiert nach juris). Ein solcher ergibt sich insbesondere nicht aus dem Marke1-Partner-Händlervertrag. Darin sind bestimmte Liefer- und Zahlungsbedingungen für den Fall des Fahrzeugkaufs vereinbart, aber keine Pflicht der Schuldnerin zum Kauf bei der Beklagten.

cc) Die relevanten Rechtshandlungen liegen auch im gem. § 131 Abs. 1 Ziff. 2 InsO genannten Zeitraum innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag am 03.01.2013. Sofern und soweit das Werthaltigmachen der Kaufpreisforderung am 26.11.2012 die Aufrechnungslage begründet hat, liegt diese Rechtshandlung im zweiten Monat vor dem Eröffnungsantrag. Sofern und soweit Bonus- und Prämienansprüche erst später entstanden sind und erst später die Aufrechnungslage begründet haben, liegen sie im zweiten oder sogar im Monat vor dem Eröffnungsantrag. Unstreitig war die Schuldnerin bereits seit dem 31.07.2012 zahlungsunfähig im Sinne von § 17 Abs. 2 InsO.

dd) Damit kann dahinstehen, ob die Aufrechnungslage auch gem. § 133 InsO anfechtbar ist, ob also die Schuldnerin die Aufrechnungslage mit dem Vorsatz geschaffen hat die Gläubigergesamtheit zu benachteiligen.

c) Dem Kläger war es schließlich nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB verwehrt, sich auf § 96 Abs. 1 Ziff. 3 InsO zu berufen. Dabei kann dahinstehen, ob die Schuldnerin die Beklagte vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat, indem sie den Fahrzeugbrief für den Marke1a und weitere Fahrzeuge angefordert hat, obwohl sie wusste, dass sie den Kaufpreis nicht würde zahlen können. Denn das Aufrechnungsverbot aus § 96 Abs. 1 Ziff. 3 InsO schützt, wie der Kläger zu Recht ausführt, nicht die Schuldnerin, sondern soll zugunsten der Gesamtheit der Gläubiger eine Schmälerung der Masse verhindern. Ein vorsätzliches sittenwidriges Verhalten der Schuldnerin ist nicht dem Kläger als Insolvenzverwalter zuzurechnen und kann nicht zulasten der Gläubigergesamtheit gehen. Denn der Schutz der Beklagten als einzelner Gläubigerin gebietet es nicht den Schutz der Gesamtheit der Gläubiger zurücktreten zu lassen (so auch BGH, Urteil vom 11.12.2008, Az IX ZR 195/07, Rn. 21, zitiert nach juris; BGH, Urteil vom 02.04.2009, Az. IX ZR 221/07, Rn. 13, zitiert nach juris).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Eine Zulassung der Revision kommt nicht in Betracht, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Der Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Zulassung der Revision war auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich.

Streitwert: 18.943,66 €

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