OLG Frankfurt am Main, 15.12.2016 – 8 U 129/16

März 20, 2019

OLG Frankfurt am Main, 15.12.2016 – 8 U 129/16
Leitsatz:

1.

Ordnet der Durchgangsarzt die besondere Heilbehandlung an und schädigt den Patienten bei deren Vornahme aufgrund eines Behandlungsfehlers, so haftet er persönlich.
2.

Eine Haftung des gesetzlichen Unfallversicherungsträgers bei Fehlern im Rahmen der Erstuntersuchung kommt allenfalls dann in Betracht, wenn diese sich in der Weise auswirken, dass der Verletzte nicht einer adäquaten Form der Heilbehandlung zugeführt wird.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 20. April 2016 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für den zweiten Rechtszug wird auf € 19.061,11 festgesetzt.
Gründe

I.

1. Die Berufung war nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten. Die Sach- und Rechtslage kann mit dem Kläger im schriftlichen Verfahren angemessen erörtert werden.

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil und auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 24. Oktober 2016 (Bl. 217 ff. d. A.) wird Bezug genommen. Des Weiteren wird auf die Ausführungen unter II. der Gründe des Beschlusses des Senats vom 24. Oktober 2016 verwiesen. Weitere Ausführungen sind nicht veranlasst, denn der Kläger hat hierzu innerhalb der bis zum 14. Dezember 2016 verlängerten Frist keine Stellungnahme abgegeben.

Der offenbar noch in Unkenntnis des Senatsbeschlusses vom 24. Oktober 2016 eingereichte Anwaltsschriftsatz vom 3. November 2016 (Bl. 230 ff. d. A.) vermag schon deswegen kein anderes Ergebnis zu tragen, weil dieser sich allein mit den von dem Kläger beklagten Operationsfolgen, nicht aber mit der im Streitfall entscheidenden Frage der (fehlenden) Passivlegitimation der Beklagten beschäftigt.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Das angefochtene Urteil war nach den §§ 708 Nr. 10 Satz 2, 713 ZPO ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären.

Der Streitwert für das Rechtsmittelverfahren beträgt € 19.061,11. Auf die diesbezüglichen Erläuterungen unter III. in dem Hinweisbeschluss des Senats vom 24. Oktober 2016 wird Bezug genommen.

Vorausgegangen ist unter dem 24.10.2015 folgender Hinweis (die Red.)

In dem Rechtsstreit (…)

weist der Senat auf seine Absicht hin, die Berufung des Klägers gegen das am 20. April 2016 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main (2-04 O 485/14) durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Der Kläger hat Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 16. November 2016.

I.

Der Senat ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen einer Beschlussentscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO vorliegen. Insbesondere erachtet er die Berufung als offensichtlich unbegründet und hält eine mündliche Verhandlung nicht für geboten.

Im Einzelnen:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie die Feststellung der Ersatzpflicht in Bezug auf eine ärztliche Behandlung.

Am 22. Dezember 2011 erlitt der Kläger einen Unfall im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit. Bei einem Sturz zog er sich eine distale Handgelenkstrümmerfraktur der körperfernen Speiche im rechten Arm zu.

Der Kläger stellte sich beim Durchgangsarzt der Beklagten vor. Die Fraktur wurde geröntgt und mit einer Unterarmschiene ruhiggestellt. Der Kläger wurde in die besondere ambulante Heilbehandlung überwiesen.

Die operative Versorgung erfolgte sodann am 29. Dezember 2011 im Hause des Klinik1. Wenige Tage nach der Erstoperation wurde eine Schraubenrevision vorgenommen.

Am 2. April 2012 wurden die Osteosyntheseplatten in der Klinik2 entfernt. Weitere Behandlungen in der Klink2 schlossen sich in der Folgezeit an.

Am 6. Juni 2013 wurde ein Morbus Sudeck (Stadium II) in der rechten Hand des Klägers festgestellt.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte sei passivlegitimiert, da ein Durchgangsarzt tätig geworden sei. Er – der Kläger – habe sich auf Geheiß der Beklagten im Klinik1 behandeln lassen. Ursprung aller Schmerzen und aller Folgen sei die Behandlung im Hause Klinik1 gewesen. Seit der Operation leide der Kläger unter starken Schmerzen im rechten Handgelenk. Die Behandlung sei behandlungsfehlerhaft erfolgt, da der Morbus Sudeck zunächst nicht festgestellt worden und die zur Vermeidung von Morbus Sudeck notwendige Therapie nicht eingeleitet worden sei.

Der Kläger behauptet ferner, er leide unter massiven Schmerzen am Tag und Nacht, die vom Arm in die Schulter, das Schulterblatt sowie in den Kopf ausstrahlen. Er nehme Schmerzmittel ein und habe auch psychische Beeinträchtigungen.

Der Kläger hat zunächst Klage gegen die Klinik1 erhoben. Mit Anwaltsschriftsatz vom 1. September 2015 hat der Kläger die Klage gegen die Klinik1 zurückgenommen und im Wege des Parteiwechsels Klage gegen die Beklagte, die Berufsgenossenschaft A, erhoben (Bl. 61 d. A.).

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens € 10.000,00, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit „sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit“ zu zahlen, und

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger sämtliche aus der fehlerhaften Behandlung resultierenden weiteren materiellen Schäden der Vergangenheit und Zukunft sowie die nicht vorhersehbaren immateriellen Zukunftsschäden zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Beklagte, die die Einrede der Verjährung erhoben hat, hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, sie sei nicht passivlegitimiert. Überdies sei die Behandlung bei dem Durchgangsarzt am 22. Dezember 2011 beendet gewesen. Die Entscheidung des Durchgangsarztes sei zutreffend und abgeschlossen gewesen.

Ferner hat die Beklagte behauptet, die eingebrachten Schrauben hätten eine korrekte Lage aufgewiesen. Die proximale Fixierung der Platte sei mittels einer Fixationsschraube in der Radiusdiaphyse erfolgt; auch diese Schrauben seien winkelstabil eingebracht worden.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die zulässige Klage sei unbegründet. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz wegen der Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht. Der Durchgangsarzt der Beklagten habe hinsichtlich des Klägers keine drittschützende Amtspflicht verletzt. Eine Pflichtverletzung des Durchgangsarztes sei nach dem Vorbringen des Klägers weder von ihm vorgetragen noch ersichtlich. Denn nach dem Vortrag des Klägers sei Ursprung aller Schmerzen und aller Folgen die Behandlung in der Klinik1 gewesen. Diese habe erst am 29. Dezember 2011 und damit eine Woche nach der Untersuchung durch den Durchgangsarzt am 22. Dezember 2011 stattgefunden. Die von dem Kläger behauptete fehlerhafte Behandlung sei nicht vom Durchgangsarzt, sondern von Ärzten der Klinik1 vorgenommen worden. Einen Fehler des Durchgangsarztes bei der Entscheidung über das „Ob“ und das „Wie“ der Behandlung trage der Kläger nicht vor.

Entgegen der Ansicht des Klägers sei die Behandlung durch die Ärzte in der Klinik1 rechtlich auch nicht auf Geheiß der Beklagten vorgenommen worden. Die von dem Kläger behaupteten Behandlungsfehler der Ärzte in der Klinik1 seien der Beklagten weder zuzurechnen, noch habe sie für diese einzustehen. Die öffentlich-rechtliche Tätigkeit der Berufsgenossenschaft ende mit der Entscheidung des Durchgangsarztes über das „Ob“ und das „Wie“ der Heilbehandlung. Eine rechtliche Beziehung zwischen der Beklagten und der Klinik1 bestehe damit nicht. Vielmehr kämen mit den die Behandlung vornehmenden Ärzten bzw. der Klinik eigene Verträge zustande.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf das angegriffene Urteil vom 20. April 2016 (Bl. 137 ff. d. A.) Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er seine Klageanträge der Sache nach weiterverfolgt.

Die Ärzte hätten hier nicht auf privatrechtlicher Basis gehandelt, sondern gerade als „Entscheidungsorgan für die Berufsgenossenschaft“; es handele sich um ein Handeln auf öffentlich-rechtlicher Grundlage. Liege eine originäre durchgangsärztliche Tätigkeit vor, sei allein die Berufsgenossenschaft passivlegitimiert. Dies hätten ausweislich der Ausführungen in der Klageerwiderung auch die Prozessbevollmächtigten der ursprünglichen Beklagten so gesehen. Es sei also in diesem Zusammenhang nicht zum konkludenten Abschluss eines Behandlungsvertrages mit dem Träger des Krankenhauses gekommen.

Insbesondere der vorliegende Befunderhebungsfehler des Durchgangsarztes im Rahmen der Untersuchung führe zu einer Haftung der Beklagten. Die Befunderhebung diene nämlich der Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe, insbesondere handele es sich dabei um vorbereitende Maßnahmen für die vom Durchgangsarzt zu treffende Entscheidung über den richtigen Weg der Heilbehandlung.

Eine Haftung des Unfallversicherungsträgers aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG komme selbst dann in Betracht, wenn die Heilbehandlung – anders als vorliegend – als solche als fehlerfrei zu beurteilen sei, aber auf einem unzutreffenden Ausgangsbefund beruhe.

Eine Haftung des Unfallversicherungsträgers sei auch in den Fällen anzunehmen, in welchen ein Diagnosefehler oder ein Untersuchungsfehler „fortwirke“. Es liege eine „Kausalität des Fehlers für die weiteren Behandlungsmaßnahmen in öffentlich-rechtlicher Hinsicht vor“, da „Befunderhebungsfehler im Rahmen der Erstuntersuchung dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzurechnen seien“.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Anwaltsschriftsatz vom 2. September 2016 (Bl. 186 ff. d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

unter Abänderung des am 20. April 2016 verkündeten Urteils der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main

1.

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, mindestens jedoch € 10.000,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basissatz hieraus seit Rechtshängigkeit;
2.

den Beklagten ferner zu verurteilen, an den Kläger € 1.317,57 (Rechtsanwaltskosten außergerichtlich) zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basissatz hieraus seit Rechtshängigkeit;
3.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche aus der fehlerhaften Behandlung resultierenden weiteren materiellen Schäden der Vergangenheit und Zukunft sowie die nicht vorhersehbaren immateriellen Zukunftsschäden zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Anwaltsschriftsatz vom 10. Oktober 2016 (Bl. 208 ff. d. A.) Bezug genommen.

II.

Der Berufung wird der Erfolg zu versagen sein. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (vgl. § 513 Abs. 1 ZPO).

1. Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass die Beklagte nicht passivlegitimiert ist.

Nach Art. 34 Satz 1 GG haftet anstelle eines Bediensteten, soweit dieser in Ausübung des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt hat, der Staat oder die Körperschaft, in dessen Dienst er steht. Die persönliche Haftung des Bediensteten ist in diesem Fall ausgeschlossen. Ob sich das Handeln einer Person als Ausübung eines öffentlichen Amts darstellt, bestimmt sich danach, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn der Betreffende tätig wurde, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und ob zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. Dabei ist nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion, das heißt auf die Aufgabe abzustellen, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient (vgl. etwa BGH, Urteil vom 22.06.2006 – III ZR 270/05, VersR 2006, 1684; Urteil vom 09.03.2010 – VI ZR 131/09, NVwZ-RR 2010, 485, 486; Senat, Urteil vom 13.09.2016 – 8 U 198/14, Entscheidungsumdruck, S. 12).

Allerdings ist die ärztliche Heilbehandlung von Kranken regelmäßig nicht Ausübung eines öffentlichen Amtes im Sinne von Art. 34 GG (vgl. etwa BGH, Urteil vom 09.12.1974 – III ZR 131/72, BGHZ 63, 265, 270 f.; Urteil vom 09.03.2010 – VI ZR 131/09, NVwZ-RR 2010, 485, 486). Auch ist die ärztliche Behandlung nach einem Arbeitsunfall keine der Berufsgenossenschaft obliegende Aufgabe (vgl. BGH, Urteil vom 09.12.2008 – VI ZR 277/07, BGHZ 179, 115, 119; Urteil vom 09.03.2010 – VI ZR 131/09, NVwZ-RR 2010, 485, 486; Senat, Urteil vom 13.09.2016 – 8 U 198/14, Entscheidungsumdruck, S. 12). Der Arzt, der die Heilbehandlung durchführt, übt deshalb kein öffentliches Amt aus und haftet für Fehler persönlich (vgl. BGH, Urteil vom 09.03.2010 – VI ZR 131/09, NVwZ-RR 2010, 485, 486).

Die Tätigkeit eines Durchgangsarztes ist jedoch nicht ausschließlich dem Privatrecht zuzuordnen. Bei der gemäß § 34 Abs. 1 SGB VII zu treffenden Entscheidung, ob es erforderlich ist, eine besondere unfallmedizinische oder Berufskrankheiten-Versorgung einzuleiten, erfüllt der Durchgangsarzt nämlich eine der Berufsgenossenschaft obliegende Pflicht. Deshalb ist diese Entscheidung als Ausübung eines öffentlichen Amtes zu betrachten (vgl. BGH, Urteil vom 09.12.2008 – VI ZR 277/07, BGHZ 179, 115, 120; Urteil vom 09.03.2010 – VI ZR 131/09, NVwZ-RR 2010, 485, 486; Senat, Urteil vom 13.09.2016 – 8 U 198/14, Entscheidungsumdruck, S. 13; Bergmann/Middendorf, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer (Hrsg.), Gesamtes Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, § 630a BGB, Rdnr. 50). Insoweit stellen die Berufsgenossenschaften die Heilverfahrensarten „allgemeine Heilbehandlung“ und „besondere Heilbehandlung“ zur Verfügung (vgl. dazu näher vgl. BGH, Urteil vom 09.03.2010 – VI ZR 131/09, NVwZ-RR 2010, 485, 486).

Ob die allgemeine oder die besondere Heilbehandlung erforderlich ist, entscheidet grundsätzlich der Durchgangsarzt nach Art und Schwere der Verletzung (vgl. § 28 Abs. 4 SGB VII). Bei dieser Entscheidung erfüllt er eine der Berufsgenossenschaft obliegende Aufgabe und übt damit ein öffentliches Amt aus. Ist seine Entscheidung über die Art der Heilbehandlung fehlerhaft und wird der Verletzte dadurch geschädigt, haftet in diesem Fall für Schäden nicht der Durchgangsarzt persönlich, sondern gemäß Art. 34 Satz 1 GG, § 839 BGB die Berufsgenossenschaft (vgl. BGH, Urteil vom 09.03.2010 – VI ZR 131/09, NVwZ-RR 2010, 485, 486; Senat, Urteil vom 13.09.2016 – 8 U 198/14, Entscheidungsumdruck, S. 13). Gleiches gilt, wenn der Durchgangsarzt den Verletzten bei einer die Entscheidung vorbereitenden Untersuchung schädigt. Ordnet der Durchgangsarzt hingegen die besondere Heilbehandlung an und schädigt den Patienten bei deren Vornahme aufgrund eines Behandlungsfehlers, so haftet er persönlich nach zivilrechtlichen Grundsätzen (vgl. Senat, Urteil vom 13.09.2016 – 8 U 198/14, Entscheidungsumdruck, S. 13; OLG Bremen, Beschluss vom 29.10.2009 – 5 U 12/09, GesR 2010, 21, 22; OLG Oldenburg, Urteil vom 30.06.2010 – 5 U 15/10, VersR 2010, 1654, 1655; OLG Jena, Urteil vom 30.04.2015 – 4 U 893/13, juris; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl. 2014, Abschnitt A, Rdnr. 88).

Dass der Durchgangsarzt im Streitfall die besondere Heilbehandlung angeordnet hat, steht zwischen den Parteien nicht im Streit und ergibt sich im Übrigen auch aus den Eintragungen in dem Feld Nr. 12 („Art der Heilbehandlung“) des in Kopie (Bl. 34 f. d. A.) vorgelegten Durchgangsarztberichtes („besondere Heilbehandlung“, „ambulant“). Der Kläger macht hier aber gerade nicht geltend, dass die Anordnung der besonderen Heilbehandlung fehlerhaft gewesen sei. Er rügt vielmehr die Art und Weise der Durchführung der (besonderen) Heilbehandlung. Diese erfolgte im Streitfall jedoch offenbar gerade nicht durch den Durchgangsarzt. Dies ergibt sich aus der Eintragung in dem Feld „Behandlung durch“ (S. 2 oben des Durchgangsarztberichtes, Bl. 36 d. A.): Dort ist nicht das Feld „mich“, sondern vielmehr das Feld „anderen Arzt“ ausgewählt worden.

In dem Anwaltsschriftsatz vom 1. September 2015 (Bl. 61 ff. d. A.) hat der Kläger überdies den Behandlungsfehler in der „operativen Versorgung als Heilbehandlung“ gesehen (vgl. S. 3, Bl. 63 d. A.). Der sog. Morbus Sudeck sei nicht festgestellt und nicht behandelt worden (vgl. S. 4, Bl. 64 d. A.). Auch im Rahmen des Verfahrens vor der Gutachter- und Schlichtungsstelle für ärztliche Behandlungen bei der Landesärztekammer Hessen hatte der Kläger den damaligen Antragsgegnern – den Ärzten B und C sowie dem Klinik1 – Fehler „bei der ersten Operation“ vorgeworfen (vgl. S. 3 des Gutachtens von D vom 23. Oktober 2012, Bl. 50 d. A., und S. 5 f. des Entscheids der Gutachterkommission vom 1. März 2013 in dem Verfahren III/2/17449, Bl. 56 f. d. A.).

Vor diesem tatsächlichen Hintergrund hat das Landgericht vollkommen zutreffend betont, dass die von dem Kläger behauptete fehlerhafte Behandlung nicht von dem Durchgangsarzt, sondern von den Ärzten der Klinik1 und dies auch erst ab dem 29. Dezember 2011 vorgenommen worden ist. Einen Fehler des Durchgangsarztes bei der Entscheidung über das „Ob“ und das „Wie“ der Behandlung hat der Kläger im ersten Rechtszug hingegen nicht vorgetragen.

Im Übrigen nimmt der Senat zur Vermeidung von Bezug auf die zutreffenden Erwägungen des Landgerichts Bezug.

Soweit der Kläger in der Berufungsbegründung nunmehr im Anschluss an eine Auffassung in der Literatur die Ansicht vertritt, im Falle eines „Fortwirkens“ eines Diagnose- oder Befunderhebungsfehlers auf die weitere Behandlung habe der Unfallversicherungsträger dafür haftungsrechtlich einzustehen, verkennt er in rechtlicher Hinsicht, dass der gesetzliche Unfallversicherungsträger nur verpflichtet ist, das durchgangsärztliche Verfahren zu organisieren und zur Verfügung zu stellen. Sowohl Diagnose als auch Befunderhebung sind elementare ärztliche Aufgaben, welche nicht zu einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe werden. Darüber hinaus überzeugt es nicht, eine Haftung des Unfallversicherungsträgers auch in den Fällen anzunehmen, in welchen ein Diagnosefehler oder ein Untersuchungsfehler nur in der Weise „fortwirkt“, dass die sich anschließende Therapie unsachgemäß durchgeführt wird, aber der Durchgangsarzt die Entscheidung über die Durchführung einer allgemeinen Heilbehandlung und einer besonderen Heilbehandlung zutreffend getroffen hat. Hat der Durchgangsarzt trotz etwaigen Diagnosefehlers sich für die Anordnung der besonderen Heilbehandlung entschieden, hat er in öffentlich-rechtlicher Hinsicht alles getan, was er tun musste. In öffentlich-rechtlicher Hinsicht konnte und musste er nicht mehr tun, als die besondere Heilbehandlung anzuordnen (vgl. OLG Bremen, Beschluss vom 29.10.2009 – 5 U 12/09, GesR 2010, 21; Stein/Itzel/Schwall, Praxishandbuch des Amtshaftungs- und Staatshaftungsrechts, 2. Aufl. 2012, Rdnr. 618; Ziegler, GesR 2014, 65, 69).

Daher kommt eine Haftung des gesetzlichen Unfallversicherungsträgers bei Fehlern im Rahmen der Erstuntersuchung allenfalls dann in Betracht, wenn diese sich in der Weise auswirken, dass der Verletzte nicht einer adäquaten Form der Heilbehandlung zugeführt wird. Adäquate Heilbehandlung in öffentlich-rechtlicher Hinsicht ist entweder die allgemeine oder die besondere Heilbehandlung. Über mehr muss der Durchgangsarzt in Erfüllung seiner Amtspflichten nicht entscheiden. Daher können sich etwaige Amtspflichtverletzungen auch nur auf diese Entscheidung beziehen (vgl. etwa Ziegler, GesR 2014, 65, 69).

Es kommt in tatsächlicher Hinsicht hinzu, dass vollkommen unklar bleibt, worin der in der Berufungsbegründung nunmehr ohne jede inhaltliche Substanz postulierte „Befunderhebungsfehler des Durchgangsarztes“ liegen soll. Zudem fehlt jeder Vortrag dazu, warum dieses neue Angriffsmittel im zweiten Rechtszug zulässig sein soll (§ 531 Abs. 2 ZPO).

Im Übrigen bedarf es keiner näheren Begründung, dass der Inhalt etwaiger Telefongespräche zwischen dem Prozessbevollmächtigten des Klägers und einzelnen Mitgliedern des im ersten Rechtszug zuständigen Spruchkörpers für das Berufungsverfahren vollkommen irrelevant ist.

2. Auch die übrigen Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO liegen vor. Die Beurteilung, dass eine Berufung offensichtlich unbegründet ist, setzt nicht voraus, dass ihre Unbegründetheit auf der Hand liegt; sie kann auch das Ergebnis vorgängiger gründlicher Prüfung sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.09.1990 -2 BvE 2/90, BVerfGE 82, 316, 319 f.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.11.2013 – 18 U 1/13, juris).

Nach der Funktion des Verfahrens nach § 522 Abs. 2 ZPO ist eine erneute mündliche Verhandlung nur dann geboten, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts auf eine umfassend neue rechtliche Würdigung gestützt wird und diese mit den Parteivertretern im schriftlichen Verfahren nicht sachgerecht erörtert werden kann (vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss vom 02.03.2012 – I-20 U 228/11, VersR 2013, 604; OLG Koblenz, Beschluss vom 16.02.2012 – 10 U 817/11, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.11.2013 – 18 U 1/13, juris; Wöstmann, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 6. Aufl. 2015, § 522, Rdnr. 12a). Eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung hingegen reicht nicht, um eine mündliche Verhandlung als geboten anzusehen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 16.02.2012 – 10 U 817/11, juris; Wöstmann, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, 6. Aufl. 2015, § 522, Rdnr. 12a). Im vorliegenden Fall ist eine Erörterung der Sach- und Rechtslage im schriftlichen Verfahren ohne weiteres möglich.

Nach alldem rät der Senat dem Kläger, zur Vermeidung weiterer unnötiger Kosten der Berufung eine Zurücknahme derselben ernsthaft in Betracht zu ziehen. Neuem Sachvortrag setzt die Zivilprozessordnung enge Grenzen.

III.

Der Senat beabsichtigt, den Streitwert des Berufungsverfahrens auf € 19.061,11 (€ 10.000,00 für den Antrag zu 1; € 6.061,11 [= 80 % von € 7.576,39] + € 3.000,00 für den Antrag zu 3) festzusetzen.

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