OLG Frankfurt am Main, 16.04.2013 – 11 W 23/13 Eine Rücknahmeerklärung i. S.d. § 269 Abs. 1 ZPO ist als Bewirkungshandlung der Auslegung zugänglich.

April 20, 2019

OLG Frankfurt am Main, 16.04.2013 – 11 W 23/13
Eine Rücknahmeerklärung i. S.d. § 269 Abs. 1 ZPO ist als Bewirkungshandlung der Auslegung zugänglich.
Würde der Antragssteller zur Erhebung der Hauptsacheklage gem. § 926 ZPO aufgefordert und erklärt nachfolgend unter dem Aktenzeichen des Verfügungsverfahrens, er nehme die – tatsächlich nicht eingereichte – Klage zurück, ist diese Erklärung nicht im Wege der Auslegung auf die Rücknahme des Auftrags auf Erlass der einstweiligen Verüfung zu beziehen.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde wird der Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 24.1.2013 aufgehoben und die Wirkungen des Beschlusses der Kammer vom 31.8.2012 – einstweilige Verfügung – wieder hergestellt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beschwerdegegnerin zu tragen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf EUR 100.000,00 festgesetzt.
Gründe
1

I.

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen einen Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 24.1.2013, mit welchem der Beschluss der Kammer vom 31.8.2012 – einstweilige Verfügung – unter Anwendung von § 269 Abs. 3, Abs. 4 ZPO aufgehoben wurde.
2

Nachdem die Kammer mit Beschluss vom 31.8.2012 die beantragte einstweilige Verfügung erlassen hatte, wurde der Antragstellerin auf Antrag der Antragsgegnerin eine Frist zur Erhebung der Hauptsacheklage bis zum 31.8.2012 gesetzt (GA 37, 38). Unter Hinweis auf eine in Aussicht gestellte Abschlusserklärung und außergerichtliche Einigungsgespräche beantragte die Antragstellerin, diese Frist mit Einverständnis der Antragsgegnerin (GA 47) bis zum 6.11.2012 zu verlängern (GA 45f). Nachdem dies antragsgemäß erfolgte (GA 48), beantragte die Antragstellerin erneut eine Fristverlängerung bis zum 30.11.2012 mit der bereits im ersten Fristverlängerungsantrag verwendeten Begründung (GA 51) und wiederum unter Vorlage einer Einverständniserklärung der Antragsgegnerin (GA 54). Die Frist wurde mit Beschluss vom 31.10.2012 antragsgemäß verlängert. Mit Schriftsatz vom 26.11.2012 nahm die Antragsgegnerin ihren Antrag nach § 926 ZPO zurück (GA 58). Mit Schriftsatz vom 28.11.2012, welcher die Parteien und das Aktenzeichen des Eilverfahrens aufwiesen, erklärte die Antragstellerin: „nehmen wir namens und im Auftrag der Klägerin die Klage vollumfänglich zurück.“ (GA 59).
3

Der Vorsitzende der Kammer verfügte am 4.12.2012, diesen Schriftsatz der Gegenseite zuzuleiten und die Akte wegzulegen (GA 59r). Der Beisitzer nahm am 7.12.2012 telefonischen Kontakt zum Antragstellervertreter auf und vermerkte, dass dieser bekundet habe, nicht der Eilantrag, sondern eine vermeintlich bereits erhobene Hauptsacheklage habe mit dem Schriftsatz vom 28.11.2012 zurückgenommen werden sollen (GA 60). Dies erklärte der Antragstellervertreter auch schriftsätzlich am 7.12.2012 (GA 62).
4

Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 17.12.2012, die einstweilige Verfügung im Hinblick auf die nicht einem Widerruf zugängliche Rücknahmeerklärung aufzuheben (GA 62). Diese Aufhebung erfolgte mit Beschluss der Kammer vom 24.1.2013 (GA 63ff). Zur Begründung wies die Kammer darauf hin, dass für eine Auslegung der Rücknahmeerklärung dahingehend, dass die Hauptsacheklage zurückgenommen werden solle, mangels Anhängigkeit einer solchen, kein Raum bestanden habe. Es sei nicht zulässig, einer Erklärung nachträglich den Sinn zu geben, der dem Interesse des Erklärenden am besten diene. Für eine berichtigende Auslegung bestünde nur im Fall eines – hier nicht vorliegenden – offensichtlichen Irrtums Raum.
5

Gegen diesen der Antragstellerin am 8.2.2013 zugegangenen Beschluss richtet sich ihre am 22.2.2013 eingegangene sofortige Beschwerde. Sie verweist darauf, im Hinblick auf eine bereits gefertigte und in der Akte des Prozessbevollmächtigten in Kopie vorhandenen Hauptsacheklage irrtümlich davon ausgegangen zu sein, dass diese bereits am 22.10.2012 bei Gericht eingereicht worden sei. Aus den Formulierungen „Klägerin“ und „Klage“ habe sich hinreichend deutlich ergeben, dass nicht der Eilantrag zurückgenommen werden sollte. Die Angaben des Aktenzeichens aus dem einstweiligen Verfügungsverfahren sei allein darauf zurückzuführen, dass ein Aktenzeichen des vermeintlich eingeleiteten Hauptsacheverfahrens noch nicht bekannt gewesen sei. Erst nach dem telefonischen Hinweis vom 7.11.2012 sei bewusst geworden, dass eine Hauptsacheklage noch nicht erhoben wurde. Eine an ihrem Interesse ausgerichtete Auslegung der Rücknahmeerklärung, die im Hinblick auf ihre Formulierungen nicht eindeutig gewesen sei, führe eindeutig dazu, dass der Eilantrag selbst nicht zurückgenommen werden sollte.
6

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 24.1.2013 aufzuheben und die Wirkung der einstweiligen Verfügung vom 31.8.2012 wieder herzustellen.

7

Die Antragsgegnerin beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

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Sie ist der Ansicht, dass vorliegend im Hinblick auf die Angabe des Aktenzeichens kein Raum für eine Auslegung bestünde. Der Umstand, dass eine Abschlusserklärung abgegeben wurde, hindere nicht an einer wirksamen Rücknahme des Antrags.
9

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 2.4.2013 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
10

II.

Die frist- und formgerecht eingelegte sofortige Beschwerde gemäß §§ 269 Abs. 5, 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO hat in der Sache Erfolg. Die Rücknahmeerklärung ist nicht als Rücknahme des Eilantrags auszulegen, so dass keine Grundlage für einen Ausspruch der Folgen des §§ 269 Abs. 3, 4 ZPO besteht.
11

Die Rücknahmeerklärung unterfällt dem Bereich der sog. Bewirkungshandlungen die die Prozesslage unmittelbar beeinflussen (Greger in: Zöller, ZPO, 29. Aufl., vor § 128 Rd. 14). Diese Handlungen werden grundsätzlich mit ihrer Erklärung – hier durch Einreichung des Schriftsatzes – wirksam (ebenda Rd. 17). Wegen ihrer unmittelbar prozessgestaltenden Wirkung sind Bewirkungshandlungen – mit Ausnahme des Vorliegens von Restitutionsgründen – zwar unwiderruflich (ebenda Rd. 18) und unterliegen auch nicht der Anfechtung. Als Prozesshandlung ist die Rücknahmeerklärung jedoch auslegungsfähig und –bedürftig (ebenda Rd. 25). Gemäß § 133 BGB ist der objektive, dem Empfänger erkennbare Sinn maßgebend (ebenda Rd. 18). Dabei ist ggf. eine Gesamtbetrachtung mehrerer gleichzeitiger Erklärungen anzustellen. Insoweit ist – wie vom Landgericht zu Recht ausgeführt – im Zweifel davon auszugehen, dass die Partei das anstrebt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der Partei entspricht (BGH NJW 2003, 3418, 3419). Nicht zulässig ist es allerdings, einer eindeutigen Erklärung nachträglich den Sinn zu geben, der dem Interesse des Erklärenden am besten dient (ebenda Rd. 25). Bei einem offensichtlichen Irrtum – etwa der Angabe des falschen Aktenzeichens – ist jedoch auch eine berichtigende Auslegung möglich (BGH NJW 2003, 3418, 3419).
12

Wendet man diese Grundsätze an, so ist der Schriftsatz vom 28.11.2012 nicht als Rücknahme des Eilantrags aufzufassen, sondern einer – tatsächlich nicht erhobenen – Hauptsacheklage:
13

Die Rücknahmeerklärung ist auslegungsfähig und –bedürftig, da sie nicht eindeutig ist. Der Antragstellervertreter hat zum Aktenzeichen des Eilverfahrens die Rücknahme einer „Klage“ seitens der „Klägerin“ erklärt. Eine eindeutige, nicht mehr auslegungsfähige Erklärung würde nur vorliegen, wenn die Rücknahme des Eilantrags seitens der Antragstellerin erklärt worden wäre. Die Bezugnahme auf eine (Hauptsache-)Klage und der Klägerin als Partei im Zusammenspiel mit dem Aktenzeichen des Eilverfahrens führte – auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich um ein anwaltlich verfasstes Schriftstück handelte – damit dazu, dass mangels eindeutiger Zuordnung der Erklärung durch Auslegung zu ermitteln war, welche Erklärung dem Schriftsatz vom 28.11.2012 entnommen werden sollte. Im Rahmen des vernünftigerweise erkennbaren Sinns der Erklärung lag keine aus dem vorausgegangenen Prozessverlauf zu entnehmende Grundlage dafür vor, dass der Antragstellervertreter die ihm zuerkannte Rechtsposition in Form des Beschlusses vom 31.8.2012 – einstweilige Verfügung – aufgeben wollte. Die vor Eingang der Rücknahmeerklärung zur Akte gereichten Schriftsätze der Parteien zeigten vielmehr, dass die Parteien sich in Vergleichsverhandlungen befanden und die Abgabe einer Abschlusserklärung der Antragsgegnerin angekündigt worden war. Grundlage der Abschlusserklärung war die einstweilige Verfügung gemäß Beschluss vom 31.8.2012. Ob tatsächlich die Abschlusserklärung abgegeben worden war, war der Kammer zwar nicht ausdrücklich mitgeteilt worden. Da aber die Fristverlängerungsgesuche der Antragstellerin im Rahmen der Beschlussfassung nach § 926 ZPO damit begründet worden waren, dass die Antragsgegnerin die Abgabe einer Abschlusserklärung angekündigt hatte, und nachfolgend der Antragsgegnervertreter seinen Antrag nach § 926 ZPO mit Schriftsatz vom 26.10.2012 zurückgenommen hatte, hätte es angesichts der nicht eindeutigen Formulierungen der Rücknahmeerklärung weiterer eindeutiger Umstände bedurft, um dennoch diese Rücknahmeerklärung auf das hiesige Eilverfahren zu beziehen. Derartige Umstände liegen nicht vor. Allein die Angabe des dem Eilverfahren zugeordneten Aktenzeichens sowie der Umstand, dass tatsächlich ein Hauptsacheverfahren noch nicht anhängig war, genügten angesichts der eindeutigen Interessenlage der Antragstellerin nicht für die Annahme, diese habe den Eilantrag zurücknehmen wollen. Vielmehr führten diese Angaben allein dazu, dass eine nicht eindeutige Erklärung vorlag. Dies war offensichtlich auch der Grund für die telefonische Kontaktaufnahme seitens der Kammer am 7.12.2012, innerhalb derer bereits der Antragstellervertreter erklärte, dass nicht die Rücknahme des Eilantrags erklärt wurde.
14

Soweit die Angabe eines falschen Aktenzeichens grundsätzlich einer berichtigenden Auslegung zugänglich (BGH NJW 2003, 3418, 3419) ist, gilt dies hier entsprechend. Auch wenn ein falsches Aktenzeichen angegeben wird, tatsächlich aber ein richtiges Aktenzeichen mangels Anhängigkeit des gemeinten Rechtsstreits nicht ermittelbar ist, ist Raum für eine berichtigende Auslegung des entsprechenden Schriftsatzes dergestalt, dass nicht das Aktenzeichen, sondern der Inhalt über die gewollte Zuordnung der Erklärung entscheidet.
15

Soweit die Kammer zu Recht darauf verwiesen hat, dass einer Erklärung nicht nachträglich ein anderer Sinn gegeben werden dürfe, liegt hier eine abweichende Konstellation vor. Die Erklärung vom 28.11.2012 hatte bereits bei ihrer Abgabe den Sinn, ein – irrtümlicherweise als anhängig angesehenes – Hauptsacheverfahren zurückzunehmen. Sie wurde nicht nachträglich geändert, sondern nur im Rahmen des Telefonats und des Schriftsatzes vom 7.11.2012 erläutert.
16

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
17

Die Wertfestsetzung folgt aus § 3 ZPO und ist identisch mit dem Wert des Eilverfahrens, dessen Wiederherstellung in Form des Beschlusses vom 31.8.2012 – einstweilige Verfügung – angestrebt wird.

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