OLG Frankfurt am Main, 20.06.2018 – 11 SV 27/18

März 17, 2019

OLG Frankfurt am Main, 20.06.2018 – 11 SV 27/18
Tenor:

Das Amtsgericht Frankfurt am Main ist örtlich zuständiges Gericht (§ 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO).
Gründe

I. Die Klägerin nimmt beide Beklagte als Gesamtschuldner auf Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch.

Der beim Amtsgericht Frankfurt am Main erhobenen Klage liegt Folgendes zu Grunde: Nach dem klägerischen Vortrag verursachte der Beklagte zu 1) mit einem bei der Beklagten zu 2) versicherten Fahrzeug im Bezirk des Amtsgerichts Offenbach einen Verkehrsunfall, bei dem dem Ehemann der Klägerin ein Schaden entstand. Diesen Anspruch hat der Ehemann an die Klägerin abgetreten. Die Klägerin benannte als Adresse des Beklagten zu 1) eine solche in Frankfurt am Main. Der Sitz der Beklagten zu 2) befindet sich im Bezirk des Amtsgerichts Coburg.

Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat am 7.3.2018 das schriftliche Vorverfahren angeordnet und die Parteien darauf hingewiesen, dass Bedenken hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts beständen. Der Unfall solle sich in Ort1 ereignet haben, was zum Bezirk des Amtsgerichts Offenbach gehöre.

Daraufhin trug die Klägerin vor, dass die Beklagte zu 2) eine Niederlassung in Ort2 unterhalte, nämlich die Schadensaußenstelle Ort 2 in der Straße1 . Diese sei zumindest zum Teil involviert gewesen. Daher ergebe sich die Zuständigkeit des Amtsgerichts Frankfurt am Main. Vorsorglich und hilfsweise beantragte sie die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Offenbach (Bl. 20 d.A.). Hierzu gewährte das Amtsgericht Frankfurt am Main den Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme (Bl. 26 d.A.).

Die Zustellung der Klageschrift an den Beklagten zu 1) unter der angegebenen Anschrift in Ort2 scheiterte. Die Klägerin wurde zur Mitteilung einer zustellungsfähigen Anschrift des Beklagten aufgefordert (Bl. 24 d.A.). Dem kam sie – auch zwischenzeitlich – nicht nach.

Daraufhin erklärte sich das Amtsgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 10.4.2018 für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht Offenbach. Zur Begründung verwies es auf den Hinweis vom 7.3.2018 (Bl. 29f. d.A.).

Das Amtsgericht Offenbach hat am 26.4.2018 (Bl. 34f. d.A.) beschlossen, den Rechtsstreit nicht zu übernehmen und hat die Sache dem OLG Frankfurt am Main zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main dürfe willkürlich sein. Der Beklagte zu 1), gegen den die Klage noch nicht zugestellt worden sei, habe zum Zeitpunkt des Unfalls noch in Ort2 gewohnt, so dass das Amtsgericht Frankfurt am Main gemäß §§ 29 ZPO, 269 BGB insoweit zuständig sei. Sein jetziger Wohnsitz sei noch nicht festgestellt. Die Beklagte zu 2) habe ihren Sitz zwar in Ort3, habe aber im Bezirk des Amtsgerichts Frankfurt am Main nach ihrem unbestrittenen Vortrag eine Zweigniederlassung. Damit wäre das Amtsgericht Frankfurt am Main auch insofern zuständig. Die vorstehenden Erkenntnisse lägen auf der Hand, so dass sich deren Übersehen als willkürlich erweise. Jedenfalls hätte es sich durch die mitgeteilte Anschrift des Beklagten zu 1) und den ausdrücklichen Hinweis zur Beklagten zu 2) aufgedrängt, sich in dem Verweisungsbeschluss hiermit zu befassen.

Die Parteien haben zu dem Bestimmungsantrag keine Stellung genommen.

II. Das Oberlandesgericht Frankfurt ist als das gemeinsam nächsthöhere Gericht zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit berufen (§ 36 Abs. 1 ZPO).

Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Frankfurt am Main als auch das Amtsgericht Offenbach haben sich in unanfechtbaren Beschlüssen für örtlich unzuständig erklärt.

Das Amtsgericht Frankfurt am Main ist für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig.

1. Auf der Grundlage des unwidersprochen gebliebenen Vortrags der Klägerin bestand im Bezirk des Amtsgerichts Frankfurt am Main für die Beklagte zu 2) der Gerichtsstand der Niederlassung (§ 21 ZPO). Dabei hat die Klägerin unwidersprochen vorgetragen, dass die dortige Niederlassung als Schadensaußenstelle zum Teil in die Abwicklung involviert gewesen sei. Sie hat damit hinreichend den Bezug der Klage zum Geschäftsbetrieb der Niederlassung dargelegt, der bei Klagen aus unerlaubter Handlung dann besteht, wenn z.B. die Niederlassung zur Schadensabwicklung tätig wird (Heinrich in: Musielak/ Voit, ZPO, 15. Auflage, § 21 Rn. 8).

Die Klägerin hat daher mit Erhebung der Klage gegen die Beklagte zu 2) vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main von ihrem nach § 35 ZPO bestehenden Wahlrecht zwischen dem besonderen Gerichtsstand der Niederlassung nach § 21 ZPO beim Amtsgericht Frankfurt am Main und dem besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO beim Amtsgericht Offenbach, bindend Gebrauch gemacht.

Zum Zeitpunkt des hilfsweise gestellten Antrages der Klägerin vom 14.3.2018, den Rechtsstreit an das Amtsgericht Offenbach zu verweisen, war das Amtsgericht Frankfurt am Main mithin unwiderruflich und bindend durch die wirksam getroffene Wahl zuständig geworden. Der Klägerin stand kein Wahlrecht nach § 35 ZPO mehr zu, welches dem Antrag vom 14.3.2018 hätte zu Grunde gelegt werden können.

Damit war der Verweisungsbeschluss, soweit er die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage betraf, fehlerhaft.

2. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Offenbach wurde bezüglich der gegen die Beklagte zu 2) erhobenen Klage auch nicht durch den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 10.4.2018 begründet. Diesem Verweisungsbeschluss kommt ausnahmsweise keine Bindungswirkung zu.

a) Grundsätzlich haben Verweisungsbeschlüsse Bindungswirkung, auch wenn sie möglicherweise fehlerhaft sind. Die Bindungswirkung entfällt erst, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen worden ist oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (BGH, Beschluss vom 9.6.2015 – X ARZ 115/15). Es genügt hierfür nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BGH ebd.; BGH, Beschluss vom 19.2.2013 – X ARZ 507/12). Da eine Verweisung die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichts voraussetzt, kann die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses darüber hinaus auch dann entfallen, wenn sich ein nach geltendem Recht unzweifelhaft zuständiges Gericht gleichwohl über diese Zuständigkeit hinwegsetzt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verweist, weil es eine klare Zuständigkeitsnorm nicht beachtet oder zur Kenntnis nimmt (vgl. BGH NJW-RR 2011, 1364 [BGH 17.05.2011 – X ARZ 109/11]; BGH NJW 1993, 1273 [BGH 19.01.1993 – X ARZ 845/92]; BayObLG NJW-RR 2002, 1295 [BayObLG 18.04.2002 – 1 Z AR 36/02]) oder dem Verweisungsbeschluss keinerlei Begründung zu entnehmen ist, warum das verweisende Gericht örtlich nicht zuständig sein soll (BGH NJW 2006, 847) und damit objektiv der Anschein erweckt wird, das Gericht sehe das Fehlen der eigenen Zuständigkeit nicht als Voraussetzung für eine Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Absatz 1 ZPO an (vgl. BayObLGR 2000, 56).

b) So liegt es hier:

Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat sich wegen der gegen die Beklagte zu 2) erhobenen Klage trotz des ausdrücklichen und unwidersprochen gebliebenen Vortrags der Klägerin mit der Zuständigkeit für die gegen die Beklagte zu 2) erhobene Klage nicht auseinandergesetzt. Es hat nicht ausgeführt, warum nach Ausübung des Wahlrechts durch Erhebung der Klage bei dem nach § 21 ZPO zuständigen Gericht eine Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Offenbach noch in Betracht kommen sollte. Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Zuständigkeit lässt sich weder dem Beschluss noch dem sonstigen Akteninhalt entnehmen. Vielmehr hat das Amtsgericht Frankfurt am Main aus nicht nachvollziehbaren Erwägungen ohne Beachtung des ausdrücklichen Hinweises auf § 21 ZPO in Reaktion auf die geäußerten Zuständigkeitsbedenken die eigene Zuständigkeit verneint. Diese Vorgehensweise erscheint schlechterdings nicht mehr verständlich und nimmt dem Verweisungsbeschluss insgesamt die Bindungswirkung.

3. Es kann daher offen bleiben, ob der Verweisungsbeschluss auch deshalb fehlerhaft und willkürlich ist, weil sich das Amtsgericht Frankfurt am Main auch für die gegen den Beklagten zu 1) erhobene Klage als unzuständig angesehen hat.

Der Beklagte zu 1) hatte nach der Angabe der Klägerin in der Klageschrift seinen Wohnsitz in Ort2. Daher erscheint der Hinweis des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 7.3.2018, es beständen Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit, in Bezug auf die gegen den Beklagten zu 1) erhobene Klage nicht nachvollziehbar. Denn auf der Grundlage des damaligen Kenntnisstandes wäre das Amtsgericht Frankfurt am Main jedenfalls gemäß §§ 12, 13 ZPO als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands für die gegen den Beklagten zu 1) erhobene Klage örtlich zuständig gewesen.

Sollte dieser Hinweis dahin verstanden werden, dass das Amtsgericht Frankfurt am Main zum damaligen Zeitpunkt annahm, alleine das Amtsgericht Offenbach sei gemäß § 32 ZPO für die gegen beide Beklagte erhobene Klage zuständig (da zu diesem Zeitpunkt die Klägerin den besonderen Gerichtsstand der Niederlassung der Beklagten zu 2) in Ort2 noch nicht vorgetragen hatte), änderte dies nichts an der (nach damaligem Kenntnisstand) bestehenden Zuständigkeit des Amtsgerichts Frankfurt am Main für die gegen den Beklagten zu 1) erhobene Klage, die einer wirksamen Ausübung des Wahlrechts gemäß § 35 ZPO entgegengestanden hätte. Das Amtsgericht Frankfurt am Main hätte das Verfahren gegen die Beklagten zu 2) abtrennen und den Rechtsstreit lediglich insoweit an das Amtsgericht Offenbach verweisen dürfen.

Zwar bestanden sodann im Zeitpunkt des Verweisungsbeschlusses Zweifel, ob beim Amtsgericht Frankfurt am Main für die gegen den Beklagten zu 1) erhobene Klage der allgemeine Gerichtsstand eröffnet war, da in diesem Zeitpunkt die Zustellung der Klageschrift unter der angegebenen Anschrift gescheitert war. Doch hatte das Amtsgericht Frankfurt am Main auch noch keine Kenntnis, dass sich der Wohnsitz des Beklagten zu 1) außerhalb seines Bezirks befand. Eine Antwort auf die Bitte um Mitteilung der zustellungsfähigen Anschrift des Beklagten zu 1) lag im Zeitpunkt des Verweisungsbeschlusses (und auch jetzt) nicht vor. Jedenfalls aber hatte im Zeitpunkt des Verweisungsbeschlusses das Amtsgericht Frankfurt am Main Kenntnis davon, dass jedenfalls seine Zuständigkeit für die gegen die Beklagte zu 2) erhobene Klage gemäß § 21 ZPO eröffnet war (s.o.).

4. Der Senat weist vorsorglich auf Folgendes hin: Sollte sich nunmehr ergeben, dass der Beklagte zu 1) im allein relevanten Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) seinen allgemeinen Gerichtsstand nicht im Bezirk des Amtsgerichts Frankfurt am Main hatte, wäre die Klage gegen den Beklagten zu 1) abzutrennen und auf den hilfsweisen Verweisungsantrag an das Amtsgericht Offenbach zu verweisen. Ein Antrag gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auf Bestimmung des gemeinsam zuständigen Gerichts für die gegen beide Beklagte erhobene Klage bliebe ohne Erfolg, da der zunächst bestehende gemeinsame besondere Gerichtsstand gemäß § 32 ZPO durch wirksame Ausübung des Wahlrechts gegenüber der Beklagten zu 2) durch Klageerhebung in Ort2 verloren gegangen ist (vgl. Zöller/Schultzky“ 32. Auflage, § 36 Rn. 23).

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