OLG Frankfurt am Main, 21.08.2013 – 19 U 80/13

April 19, 2019

OLG Frankfurt am Main, 21.08.2013 – 19 U 80/13
Leitsatz

1. Werden künftig entstehende Forderungen gepfändet, kann ein Pfändungspfandrecht gem. § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar sein, wenn es dadurch entstanden ist, dass der Schuldner ärztliche Leistungen erbracht hat, die seinen Honoraranspruch entstehen lassen.

2. Die Erhöhung der Aktivmasse durch die zur Entstehung gebrachten Honorarforderungen steht der Annahme der Gläubigerbenachteiligung durch das zugleich entstandene Pfändungspfandrecht nicht entgegen.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 13.03.2013 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.670,65 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.09.2010 zu zahlen.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1

I.

Von der Darstellung eines Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO).
2

II.

Die Berufung des Klägers ist begründet. Ihm steht gegen den Beklagten aus dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung ein Rückgewähranspruch von 16.670,65 EUR zu (§§ 143, 133 Abs. 1 InsO).
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Der Beklagte hat die Zahlung der ärztlichen Verrechnungsstelle in Höhe von 16.670,55 EUR am 20.04.2010 zurück zu gewähren, da sie auf der Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Finanzamts O1, der kassenärztlichen Vereinigung Hessen am 27.06.2008 zugestellt, beruht, die gemäß § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar ist.
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Allerdings hat der Beklagte das Pfändungspfandrecht an der Forderung der Schuldnerin gegen die ärztliche Verrechnungsstelle vor der „kritischen“ Zeit und damit als kongruente Sicherung erlangt. Gleichwohl unterliegt das Pfändungspfandrecht der Anfechtung gemäß § 133 Abs. 1 InsO, da seine Entstehung auf einer Rechtshandlung der Schuldnerin beruht, die diese mit dem Vorsatz, ihre Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat und der Beklagte den Vorsatz der Schuldnerin kannte.
5

Rechtshandlung ist jedes von einem Willen getragene Handeln, das rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann. Hierzu gehören auch Realakte, denen das Gesetz Rechtswirkungen beimisst (BGH, Urt. v. 09.07.2009, IX ZR 86/08, Rn. 21 m.w.N., juris). Rechtshandlungen in diesem Sinne sind hier die von der Schuldnerin erbrachten ärztlichen Leistungen, die unmittelbar ihre Honoraransprüche gegen die ärztliche Verrechnungsstelle und zugleich auch das Pfändungspfandrecht des Beklagten haben entstehen lassen.
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Soweit sich die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Beklagten auf künftig entstehende Forderungen der Schuldnerin bezog, entstand das Pfändungspfandrecht nicht bereits mit der Zustellung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung an den Drittschuldner, sondern mit der Entstehung des Honoraranspruchs. Auf diesen Zeitpunkt ist anfechtungsrechtlich abzustellen (BGH, Urt. v. 26.06.2008, IX ZR 87/07, Rn. 10 m.w.N.).
7

An der gläubigerbenachteiligenden Wirkung der Entstehung des Pfändungspfandrechts bestehen keine Zweifel. Der Umstand, dass das Erbringen ärztlicher Leistungen auch die Honoraransprüche der Schuldnerin entstehen ließ und damit die Aktivmasse erhöhte, steht der Annahme einer Gläubigerbenachteiligung nicht entgegen. Denn eine Saldierung der Vor- und Nachteile findet im Anfechtungsrecht nicht statt (BGH, Urt. v. 09.07.2009, IX ZR 86/08, Rn. 26, juris). Die isolierte Betrachtung der Entstehung des Pfandrechts als gläubigerbenachteiligend rechtfertigt sich vor dem Hintergrund, dass angefochten und im Interesse der Gläubigergesamtheit nach § 143 Abs. 1 InsO rückgängig zu machen genau genommen nicht die Rechtshandlung selbst ist, sondern deren gläubigerbenachteiligende Wirkung, die durch die Rechtshandlung verursacht wird. Mit der Anfechtung wird nicht ein Handlungsunrecht sanktioniert. Angefochten wird vielmehr allein die durch die Rechtshandlung ausgelöste Rechtswirkung, die gläubigerbenachteiligend ist (BGH, Rn. 29, a.a.O.).
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Der anfechtungsrechtlich gemäß § 140 Abs. 1 InsO maßgebliche Zeitpunkt ist hier das erste Quartal des Jahres 2009, in welchem die Honoraransprüche der Schuldnerin, welche der Beklagte pfändete, entstanden. In diesem Zeitraum handelte die Schuldnerin mit dem Vorsatz, ihre Gläubiger zu benachteiligen. Da sich die Schuldnerin – wie vom Kläger in der Klageschrift substantiiert dargelegt – in diesem Zeitraum bereits seit längerem in einer mit Rücksicht auf ihre Einkommens- und Schuldensituation derart ungünstigen wirtschaftlichen Lage befand, dass sie ihre Verbindlichkeiten bei zahlreichen Gläubigern in erheblichem Umfang nicht ausgleichen konnte, kannte sie ihre Zahlungsunfähigkeit. In einem solchen Fall ist der Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung grundsätzlich gegeben (BGH, Urt. v. 14.06.2012, IX ZR 145/09, Rn. 31 m.w.N., juris). Gemäß § 133 Abs. 1 S. 2 InsO wird vermutet, dass die zuständigen Mitarbeiter des Finanzamtes den Vorsatz der Schuldnerin kannten. Denn sie wussten, dass deren Zahlungsunfähigkeit drohte und dass das Pfandrecht die Gläubiger benachteiligte. Im ersten Quartal 2009 konnten die Mitarbeiter des Finanzamtes nicht mehr davon ausgehen, dass in den Steuerrückständen lediglich ein Liquiditätsengpass der Schuldnerin zum Ausdruck komme, der innerhalb von drei Wochen geschlossen werden könne. Vielmehr folgt die vom Kläger bereits in der Klageschrift dargelegte und vom Beklagten nicht bestrittene Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin daraus, dass der Pfändungs- und Einziehungsverfügung rückständige Lohn- und Kirchensteuern sowie Solidaritätszuschlag aus einem Zeitraum von annähernd zwei Jahren und in einer Gesamthöhe von 30.022,27 EUR zugrunde lagen, vorangegangene Mahnungen und der Versuch einer Mobiliarzwangsvollstreckung erfolglos geblieben waren sowie festgesetzte Zwangsgelder wegen Nichtabgabe der Erklärung zur gesonderten Feststellung der Einkünfte gemäß Schreiben des Finanzamts O1 vom 26.05.2008 als uneinbringlich bezeichnet wurden.
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Der Zinsanspruch auf die Hauptforderung ist in der begehrten Höhe ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens berechtigt (§ 143 Abs. 1 S. 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4 BGB).
10

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da er unterliegt (§ 91 Abs. 1 ZPO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 ZPO.
11

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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