OLG Frankfurt am Main, 23.05.2013 – 3 U 219/12

April 20, 2019

OLG Frankfurt am Main, 23.05.2013 – 3 U 219/12
Leitsatz

1.

Zum Vertrauensschutz des § 406 BGB bei einem Vorprozess gegen eine andere Person als den Zedenten
2.

Zur Frage der Aussetzung eines Rechtsstreits nach § 148 ZPO über eine Vollstreckungsgegenklage gegen die Zedentin wegen eines Zweitverfahrens, in dem die gegen den Zedenten primär zur Aufrechnung gestellte Forderung gegen die Zessionarin geltend gemacht wird

Tenor:

In dem Rechtsstreit … wird die Verhandlung gemäß § 148 ZPO bis zur Erledigung des Rechtsstreits zum Aktenzeichen 3 O 334/12 vor dem Landgericht Saarbrücken ausgesetzt.
Gründe
1

I.

Die Klägerin wendet sich mit der vorliegenden Vollstreckungsgegenklage gegen die mögliche Zwangsvollstreckung durch die Beklagte aus zwei Kostenfestsetzungsbeschlüssen aus einem vorausgegangenen Rechtsstreit.
2

Die Klägerin forderte in einem vorausgegangenen Rechtsstreit vor dem Landgericht Wiesbaden unter dem Aktenzeichen 5 O 294/03 von der – am vorliegenden Rechtsstreit nicht beteiligten -X AG (X) die Rückzahlung von 16.361.340,20 € aus ungerechtfertigter Bereicherung und als Schadensersatz. Die Klägerin hatte diesen Betrag 1999 an die X überwiesen. Diese behandelte die Zahlung als Leistungen auf Lebensversicherungsverträge, die die A GmbH abgeschlossen hatte. Motivation der Klägerin für die Zahlung waren Finanzierungspläne für die Erweiterung ihrer Produktionsanlagen.
3

Die Klage wurde mit Urteil vom 22.11.2006 (Bl. 6 ff. d.A.) abgewiesen; Berufung und Nichtzulassungsbeschwerde blieben ohne Erfolg. Nach Streitverkündung war die A GmbH dem Rechtsstreit in der ersten Instanz auf Seiten der X beigetreten.
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Ihre Kostenerstattungsansprüche aus dem von der Klägerin verlorenen damaligen Rechtsstreit 5 O 294/03 hatte die A GmbH mit Vereinbarung vom 16.11.2005 (Anlage B 1 = Bl. 149 d.A.) an die hiesige Beklagte abgetreten, durch deren Rechtsanwälte sie sich damals auch vertreten ließ. Zwei Kostenfestsetzungsbeschlüsse über 127.498,- € und 80.837,80 € (Anlage 4 = Bl. 65 f. d.A. und Anlage 5 = Bl. 68 ff. d.A.) ergingen unter dem 21.7.2011 daher auf den Namen der Beklagten. Die Abtretung zeigte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 17.9.2009 (Anlage B 2 = Bl. 150 d.A.) an.
5

In der Klageschrift vom 4.8.2011 (Bl. 1 ff. d.A.) hat die Klägerin gegen die Forderungen aus den Kostenfestsetzungsbeschlüssen die Aufrechnung mit einem angeblichen Anspruch auf Rückzahlung von 16.361.340,20 € gegen die A GmbH erklärt. Dabei stützt sie sich auf dieselbe Forderung, die sie im vorausgegangenen Prozess 5 O 294/03 gegen die X geltend gemacht hat.
6

Außerdem hat die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit die Klage gegen die A GmbH auf Zahlung eines Teils des behaupteten Rückzahlungsanspruchs (9.089.491,42 €) erweitert (vgl. Bl. 185 ff. d.A.). Das Landgericht Wiesbaden hat diesen Teil der Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit mit Beschluss vom 30.4.2012 (Bl. 374 d.A.) abgetrennt und an das Landgericht Saarbrücken verwiesen. Im dortigen Verfahren zum Aktenzeichen 3 O 334/12 ist Verhandlungstermin im September 2013 bestimmt worden.
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Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die von der Klägerin gegen die Kostenerstattungsansprüche erklärte Aufrechnung mit dem zwischen den Parteien streitigen Rückzahlungsanspruch gegen die A GmbH scheitere schon daran, dass keine Aufrechnungslage bestehe. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.
8

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sowie begründete Berufung der Klägerin, mit der sie unter Vertiefung ihres Vorbringens ihren erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt. Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
9

II.

Wie in der mündlichen Verhandlung vom heutigen Tage erörtert, war die (weitere) Verhandlung nach pflichtgemäßem Ermessen des erkennenden Senats gemäß § 148 ZPO wegen Vorgreiflichkeit der abgetrennten Klage gegen die A GmbH bis zur Erledigung des entsprechenden Rechtsstreits zum Aktenzeichen 3 O 334/12 vor dem Landgericht Saarbrücken auszusetzen.
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Die Begründetheit der hier zu entscheidenden Vollstreckungsgegenklage hängt von zwei Fragen ab:
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1. Kann die Klägerin von der A GmbH die Rückzahlung von 16.361.340,20 € verlangen? Besteht also die Forderung, mit der die Klägerin aufrechnen will, überhaupt?
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2. Wenn eine Forderung der Klägerin gegen die A GmbH besteht, kann sie dann gegen die an die Beklagte abgetretenen Kostenerstattungsansprüche aufgerechnet werden?
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Das Landgericht hat sich nur mit Frage 2. beschäftigt, schon die Aufrechnungsmöglichkeit verneint und damit – aus seiner Sicht konsequent – die Frage 1. dahinstehen lassen. Dabei verneint das Landgericht die Möglichkeit der Aufrechnung primär deshalb, weil § 406 BGB, der über das Fehlen eines Gegenseitigkeitsverhältnisses zwischen Hauptforderung und Gegenforderung im Falle der Abtretung hinweghilft, jedenfalls voraussetze, dass schon zum Zeitpunkt der Abtretung im Jahr 2005 eine Aufrechnungslage bestanden habe. Dies sei jedoch nicht der Fall, weil die Hauptforderung (Kostenerstattungsansprüche) erst mit Erlass des Urteils des Vorprozesses, also im Jahr 2006, entstanden sei.
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Hilfsweise führt das Landgericht weiter aus, dass der Klägerin selbst dann die Aufrechnung verwehrt sein müsse, wenn für die Anwendung des § 406 BGB auf die Kenntnis von der Abtretung abzustellen sei. Zum Zeitpunkt der Kenntnis der Klägerin von der Abtretung im Jahr 2009 habe dann zwar schon die Hauptforderung (Kostenerstattungsansprüche) bestanden, es habe aber an einer subjektiven Aufrechnungslage gefehlt. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits 5 O 294/03 im November 2011 nämlich – so das Landgericht weiter – sei die Klägerin ja davon ausgegangen, dass ihre Gegenforderung gegen die X und nicht gegen die A GmbH bestehe. § 406 BGB schütze aber nur das Vertrauen des Schuldners, die Hauptforderung seines Gläubigers mit einer Gegenforderung durch Aufrechnung tilgen zu können, das auch im Falle des Gläubigerwechsels nicht enttäuscht werden solle. Ein solches Vertrauen habe die Klägerin aber gar nicht gehabt, da sie ja bis ins Jahr 2011 davon ausgegangen sei, die Gegenforderung stehe ihr gegen die X zu.
15

Diese Argumentation überzeugt nicht.
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Zutreffend ist allerdings § 406 BGB anzuwenden, weil die Vorschrift für die – wie hier – in Kenntnis der Abtretung erklärte Aufrechnung gilt. Bei Erklärung der Aufrechnung in der Klageschrift im August 2011 kannte die Klägerin die Abtretung aus dem Jahr 2005. Dass es sich dabei um eine Vorausabtretung handelte, weil die abzutretenden Forderungen ja erst später mit dem Urteil im November 2006 entstanden, ändert an der Kenntnis der Klägerin nichts (vgl. Staudinger-Busche BGB, 12. Auflage, § 406 Rn 27 – m.w.N.).
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Dass von einer Aufrechnungslage frühestens im November 2006 – nach Entstehung der Kostenerstattungsansprüche – ausgegangen werden kann (insoweit zutreffend vgl. Staudinger-Busche BGB, 12. Auflage, § 406 Rn 31), dürfte hingegen entgegen der Auffassung des Landgerichts im Hinblick auf die Anwendung des § 406 BGB unproblematisch sein. Entscheidend ist nicht, ob schon im Jahr 2005 (bei Abtretung) eine Aufrechnungslage bestanden hat, sondern allein, ob die Klägerin auf eine Aufrechnungslage gegenüber der A GmbH vertrauen durfte, diese ihr aber durch die Abtretung genommen wurde. § 406 BGB schützt danach auch bei Fehlen einer Aufrechnungslage die bloße begründete Aussicht, dass eine solche Aufrechnungslage bei Fälligkeit der Schuld eintritt (vgl. auch Münchener-Kommentar/Roth BGB, § 406 Rn 2).
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Soweit das Landgericht die Anwendbarkeit von § 406 BGB unter Hinweis auf den Aufsatz von Schwarz (AcP 2003, 240 ff.) hilfsweise damit verneinen will, dass es eine „subjektive Aufrechnungslage“ verlangt – also das Bewusstsein der Klägerin, dass Schuldnerin ihrer Gegenforderung die A GmbH war – und diese subjektive Aufrechnungslage deshalb verneint, weil die Klägerin bis November 2011 die Gegenforderung ausschließlich gegenüber der X verfolgt habe, überzeugt dies ebenfalls nicht. Selbst wenn man dem Landgericht nämlich insoweit folgen wollte und die Notwendigkeit einer subjektiven Aufrechnungslage forderte, dürfte sie vorliegend nicht zu verneinen sein.
19

Für die Klägerin kamen zunächst mehrere Personen alternativ als Schuldner ihres Rückforderungsanspruchs in Betracht. Wenn sie sich in dieser Situation entschließt, einen der in Betracht kommenden zu verklagen und den anderen den Streit verkündet, reicht dies für das geforderte Bewusstsein von der Aufrechnungslage aus. Jedenfalls erscheint die Klägerin im Hinblick auf den Umstand, dass sie es für möglich gehalten hat, dass auch die A GmbH als ihre Schuldnerin in Betracht kommt, nicht weniger schutzbedürftig als hätte sie von Anfang an keine Zweifel über die A GmbH als Schuldnerin des Rückforderungsanspruchs gehabt.
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Hinzu kommt, dass die A GmbH einen Kostenerstattungsanspruch gegen die Klägerin nur dann erwerben konnte, wenn diese den Prozess gegen die X verlor. Dann aber war Schuldnerin der Forderung aus der Sicht der Klägerin A GmbH. Die Klägerin konnte deswegen bei der vorliegenden Sachlage davon ausgehen, dass der A GmbH entweder kein Kostenerstattungsanspruch zustehen würde oder sie dieser gegenüber mit ihrer Forderung aufrechnen konnte. Die Aufrechnungslage stellte sich der Klägerin damit nicht nur als möglich, sondern sogar als sicher dar.
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Im Ergebnis ist danach die Klägerin nicht daran gehindert, mit ihrem (vermeintlichen) Rückzahlungsanspruch gegen die A GmbH auch gegenüber der Beklagten aufzurechnen. Für den Erfolg der Klage kommt es damit auch darauf an, wie die Frage 1. zu beantworten ist.
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Ein Rechtsstreit, in dem diese Frage geklärt wird, ist bereits anhängig: Das Landgericht hat die entsprechende Klageerweiterung im vorliegenden Rechtsstreit abgetrennt und an das Landgericht Saarbrücken verwiesen, wo sie unter dem Aktenzeichen 3 O 334/12 anhängig ist.
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Es erscheint sinnvoll, auf den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens vor dem Landgericht Saarbrücken zu warten (so für den Fall der doppelten Aufrechnung: BGH vom 8.1.2004, III ZR 401/02). Zwar ist das nicht zwingend, denn die gleichzeitige Geltendmachung einer Forderung klageweise und im Wege der Aufrechnung ist nach h.M. ausdrücklich zulässig (vgl. Zöller-Greger ZPO, 29. Auflage, § 261 Rn 4 mit Verweis auf § 145 Rn 18). Es kommt hinzu, dass das Landgericht Saarbrücken nur über einen Teil der von der Klägerin geltend gemachten Rückzahlungsforderung bindend entscheiden kann (- die andere Hälfte ist dort nicht anhängig). Wenn schon nicht aus prozessökonomischen Gründen – zur Feststellung, ob der Klägerin der geltend gemachte Rückforderungsanspruch tatsächlich zusteht, wird wie im Verfahren 5 O 294/03 eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich sein – sollte aber der Ausgang des Rechtsstreits vor dem Landgericht Saarbrücken deshalb abgewartet werden, um die Gefahr sich widersprechender Urteile über die geltend gemachte Forderung zu vermeiden.
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Diese Gefahr ist nicht wegen des vorausgegangenen Urteils des Landgerichts Wiesbaden zum Aktenzeichen 5 O 294/03 ausgeschlossen. In diesem Urteil wurde zwar festgestellt, dass der Klägerin kein Rückforderungsanspruch gegen die X zusteht; hieraus ergibt sich aber nicht zwingend, dass damit nur die Streitverkündete A GmbH als Schuldnerin der Klägerin verbleibt.
25

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §§ 252, 574 ZPO liegen nicht vor.

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