OLG Frankfurt am Main, 24.08.2018 – 24 U 158/17

März 16, 2019

OLG Frankfurt am Main, 24.08.2018 – 24 U 158/17
Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 29.08.2017 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gegen ihn vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des Betrages leistet, dessen Vollstreckung er betreibt.

Der Wert des Streitgegenstandes für die Berufungsinstanz wird auf 360.000,- € festgesetzt.
Gründe

I.

Am 26.01.2017 ging bei dem Amtsgericht Stadt1 ein Antrag des Klägers auf Erlass eines Mahnbescheids gegen den Beklagten ein. Der Gegenstand des geltend gemachten Anspruchs wurde betreffend die Hauptforderung bezeichnet als „Darlehensrückzahlung gem. vom 02.01.17“ und mit 360.000,- € beziffert. Zudem begehrte der Kläger im Mahnverfahren vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 4.902,21 € und 8,- € Kosten einer Melderegisterauskunft. Das Amtsgericht Stadt1 erließ am 31.01.2017 antragsgemäß einen Mahnbescheid. Unter dem gleichen Datum sandte das Amtsgericht Stadt1 eine Kostenrechnung betreffend die Kosten des Mahnverfahrens an den Prozessbevollmächtigten des Klägers. Ausweislich der entsprechenden Zustellungsurkunde wurde der Mahnbescheid am 03.02.2017 durch Einlegen in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten an den Beklagten zugestellt unter der Anschrift „Straße1, Stadt2“.

Auf den Antrag des Klägers auf Erlass eines Vollstreckungsbescheides vom 21.02.2017 erging am 28.04.2017 auf Grundlage des Mahnbescheids ein Vollstreckungsbescheid. An diesem Tag war der Zahlungseingang der angeforderten Gerichtskosten erfolgt (Bl. I d.A.). Ausweislich der Zustellungsurkunde wurde der Vollstreckungsbescheid am 08.05.2017 unter der Anschrift „Straße2, Stadt2“ einer erwachsenen Familienangehörigen des Beklagten, nämlich Frau A, übergeben.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 02.06.2017 seines späteren Prozessbevollmächtigten, das am gleichen Tag bei dem Amtsgericht Stadt1 einging, ließ der Beklagte Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid einlegen und beantragte zudem die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung führte er mittels eigener eidesstattlicher Versicherung an, er sei vom 06. bis 17.05.2017 in Land1 gewesen und nach der Rückreise nach Deutschland direkt zu seinem Cousin B nach Stadt3 gefahren und von dort erst am 24.05.2017 zurückgekehrt. Seine aktuelle Anschrift teilte der Beklagte im Berufungsverfahren nicht mit.

Der Beklagte hat behauptet, er habe erst nach Ablauf der Einspruchsfrist von dem Vollstreckungsbescheid Kenntnis nehmen können. Er hat die Auffassung vertreten, für eine nur 18-tägige Abwesenheit habe er keine besonderen Vorkehrungen treffen müssen, zumal seit Zustellung des Mahnbescheids mehr als drei Monate vergangen gewesen seien und er daher nicht mehr mit Zustellungen habe rechnen müssen. Zudem sei der geltend gemachte Anspruch nicht hinreichend individualisiert, so dass weder Mahn- noch Vollstreckungsbescheid hätten ergehen dürfen.

Wegen der weiteren Feststellungen und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 31 d. A.) verwiesen.

Das Landgericht hat nach entsprechendem Hinweis vom 19.06.2017 (Bl. 13 f. d. A.) mit Urteil vom 29.08.2017 (Bl. 30 ff. d.A.) den Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Einspruchsfrist sei bei Eingang des Einspruchs abgelaufen gewesen. Einen Wiedereinsetzungsgrund hat das Landgericht nicht als gegeben angesehen, da nicht glaubhaft gemacht sei, dass der Beklagte ohne eigenes Verschulden an der Fristwahrung gehindert gewesen sei. Da der Beklagte aufgrund des vorhergehenden Mahnbescheids mit gerichtlichen Zustellungen habe rechnen müssen, habe er auch für den Fall der nur vorübergehenden Abwesenheit geeignete Maßnahmen ergreifen müssen, um einen fristgerechten Einspruch gegen den zu erwartenden Vollstreckungsbescheid einlegen zu können. Der Kläger habe das Verfahren zügig und ohne Unterbrechungen betrieben, die Zeitdauer sei nicht so lange, dass der Beklagte nicht mehr mit Zustellungen habe rechnen müssen. Der verfassungsrechtlich besonders geschützte „erste Zugang“ zum Gericht sei angesichts des unbestritten zuvor zugestellten Mahnbescheids nicht mehr berührt. Die lückenhafte Bezeichnung der Hauptforderung sei vor dem Hintergrund des Rechtsverhältnisses der Parteien einer Auslegung zugänglich, da der Beklagte nicht behauptet habe, dass angesichts des nicht näher zugeordneten Datums mehrere Darlehensverträge in Betracht kämen.

Mit der Berufung rügt der Beklagte Verfahrensfehler sowie die Verletzung materiellen Rechts und trägt vor, es bestünden Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen. Er wendet sich gegen die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das Landgericht habe sich bei seiner Entscheidung nicht mit der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinandergesetzt. Nach dieser sei der Beklagte nicht verpflichtet gewesen, bei einer Abwesenheit von unter drei Wochen Vorkehrungen für Zustellungen zu treffen. Zudem habe das Landgericht nicht berücksichtigt, dass maßgeblich sei, ob der Beklagte gerade im Zeitraum seiner Abwesenheit mit Zustellungen habe rechnen müssen, was angesichts des seit Zustellung des Mahnbescheids vergangenen Zeitraums von drei Monaten nicht mehr der Fall gewesen sei. Die Annahme des Landgerichts, Wiedereinsetzung sei nur im Ausnahmefall zu gewähren und es seien strenge Maßstäbe anzusetzen, sei mit verfassungsrechtlichen Vorgaben unvereinbar. Zudem seien diese nicht auf den „ersten Zugang“ zum Gericht beschränkt, sondern hätten unbeschränkte Geltung. Da der Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei, Vorkehrungen für die Dauer seiner Abwesenheit zu treffen, seien die Ausführungen des Landgerichts zur Reaktion der erwachsenen Familienangehörigen bei Erhalt des Dokuments nicht von Bedeutung, zumal der Beklagte für entsprechendes Fehlverhalten nicht einzustehen habe. Letztlich sei die Forderung zu Unrecht seitens des Landgerichts als ausreichend spezifiziert angenommen worden, da zwischen den Parteien keine Darlehensverhältnisse bestünden und kein Ereignis vom 02.01.2017 bekannt sei.

Wegen der Einzelheiten seines Vorbringens wird insbesondere auf die Berufungsbegründung vom 22.12.2017 (Bl. 78 ff d. A.) sowie den weiteren schriftsätzlichen Vortrag in zweiter Instanz Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt,

dem Beklagten auf seinen Antrag vom 02.06.2017 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist gegen den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Stadt1 vom 28.04.2017 (Geschäfts-Nr. …) zu gewähren,

den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Stadt1 vom 28.04.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Zudem beantragt der Beklagte,

die Sache an das Landgericht zurück zu verweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und stimmt hilfsweise dem Zurückverweisungsantrag zu.

Der Kläger tritt der Berufung entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil. Der Beklagte habe die Umstände, auf die er seinen Wiedereinsetzungsantrag stützt, nicht glaubhaft gemacht. Die seitens des Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei auf Strafverfahren bezogen und die Gründe zudem stets im Einzelfall zu prüfen. Vorliegend habe der Beklagte eine ungeeignete Person mit der Entgegennahme des Schriftstücks beauftragt, so dass ein Auswahlverschulden vorliege. Jedenfalls komme es aufgrund der erfolgten Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an eine erwachsene Familienangehörige auf Vorkehrungen zur Abwesenheit nicht an, da das Schriftstück durch die Zustellung in die Sphäre des Beklagten gelangt sei.

Wegen der Einzelheiten seines Vorbringens wird insbesondere auf die Berufungserwiderung vom 08.02.2018 (Bl. 95 ff d. A.) und den weiteren schriftsätzlichen Vortrag in zweiter Instanz Bezug genommen.

Seitens des Vorsitzenden wurde dem Beklagten mit Verfügung vom 20.04.2018 (Bl. 104 d. A.) aufgegeben, Unterlagen vorzulegen, die dessen Ortsabwesenheit belegen. Daraufhin legte der Beklagte Unterlagen vor, aus denen eine Reisebuchung nach Land1 vom 06.05.2017 bis zum 17.05.2017 hervorgeht, sowie Kopien seines Reisepasses, aus dem sich die Einreise nach Land1 am 06.05.2017 ergibt. Bezüglich des Aufenthaltes in Stadt3 bot der Beklagte vorsorglich Beweis durch Vernehmung seines Cousins als Zeugen an und legte eine eidesstattliche Versicherung des B vom 16.07.2018 (Bl. 174 d.A.) vor.

Der Beklagte wurde informatorisch angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.08.2018 (Bl. 178 – 180 d.A.) Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig.

Auch das bewusste Verschweigen der Anschrift seitens des Beklagten und Berufungsklägers hindert die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht. Die gesetzlichen Anforderungen an die Berufungsschrift gemäß § 519 ZPO, dass sich aus dieser ergeben muss, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt wird, erfordert nicht die Anschrift einer Partei, um ihre Parteirolle in der Rechtsmittelinstanz zu bestimmen (BGH, Urteil vom 09. Dezember 1987 – IVb ZR 4/87 – BGHZ 102, 332-338). Selbst bei bewusstem Verschweigen der Anschrift hindert dies die Zulässigkeit der Berufung nicht, da anders als im erstinstanzlichen Verfahren bei Klageerhebung kein unzulässiger Angriff aus dem Verborgenen erfolgt (BGH, a.a.O.). Diese Grundsätze lassen sich auf die Berufungsinstanz nicht übertragen (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2005 – XI ZR 398/04 – NJW 2005, 3773 – 3775).

Die zunächst unrichtige Parteibezeichnung des Beklagten mit dem Nachnamen „C1“ in Mahn- und Vollstreckungsbescheid sowie im Urteil des Landgerichts, anstatt „C2“, wie der Beklagte ausweislich seines Reisepasses tatsächlich heißt, ist unschädlich. Der Beklagte ist durch die Angabe der zutreffenden Vornamen und des lediglich um einen Buchstaben falschen Nachnamens genau bezeichnet. Die Unrichtigkeit kann jederzeit von Amts wegen berichtigt werden (OLG Koblenz, Beschluss vom 23. September 1996 – 5 W 429/96 -, juris; Althammer, Zöller, ZPO, 32. Aufl., vor § 50 Rn. 7 m.w.N.).

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Der Einspruch des Beklagten vom 02.06.2017 gegen den Vollstreckungsbescheid ging nicht binnen der zweiwöchigen Einspruchsfrist gemäß §§ 700 Abs. 1, 339 Abs. 1 ZPO bei Gericht ein. Der Vollstreckungsbescheid vom 28.04.2017 wurde dem Beklagten am 08.05.2017 zugestellt, im Wege der Ersatzzustellung gemäß § 178 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO durch Übergabe an eine erwachsene Familienangehörige. Dementsprechend endete die Einspruchsfrist gemäß § 222 ZPO i.V.m. §§ 187, 188 Abs. 2 BGB am 22.05.2017 und mithin vor Eingang des Einspruchs am 02.06.2017 bei dem Mahngericht.

Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf die Versäumung der Einspruchsfrist gemäß § 233 ZPO gewährt.

Der Antrag ist zulässig, insbesondere innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO gestellt, jedoch unbegründet, da keine unverschuldete Versäumung der Einspruchsfrist vorliegt.

Unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben liegt ein Verschulden vor, wenn ein Antragsteller diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist. Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht dürfen jedoch nicht überspannt werden; es kommt darauf an, ob dem Betroffenen nach den gesamten Umständen des Falles ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er die Frist versäumt hat bzw. nicht alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, damit das Hindernis baldmöglichst wegfällt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 23. März 2018 – 2 BvR 2126/17 -, Rn. 20, juris).

Zwar kann entgegen der Ansicht des Landgerichts eine schuldhafte Fristversäumung durch das Unterlassen von Vorkehrungen hinsichtlich möglicher Zustellungen während der behaupteten Abwesenheit des Beklagten nicht angenommen werden. Im Regelfall müssen nämlich für die Zeit vorübergehender Abwesenheit von einer ständigen Wohnung keine besonderen Vorkehrungen hinsichtlich möglicher Zustellungen getroffen werden (BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 1992 – 2 BvR 805/91, NJW 1993, 847). Als Zeitraum einer vorübergehenden und relativ kurzfristigen Abwesenheit, für die generell keine besonderen Vorkehrungen für den Erhalt von Postsendungen gefordert werden, wird ein Zeitraum von längstens etwa sechs Wochen angenommen (BVerfG, Beschluss vom 18. Oktober 2012 – 2 BvR 2776/10 – NJW 2013, 592 – 593). Für den Zeitraum der behaupteten Abwesenheit von lediglich 18 Tagen, ist die Annahme eines Verschuldens durch unterlassene Zustellungsvorkehrungen allein aufgrund der Abwesenheitsdauer nicht anzunehmen.

Anders verhält es sich vorliegend auch nicht deshalb, weil der Beklagte gerade in der Zeit seiner Abwesenheit mit dem Eingang an ihn gerichteter Schriftstücke hätte rechnen müssen. Ist ein Zustellungsempfänger an einem gerichtlichen Verfahren beteiligt oder hat er konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein solches gegen ihn beginnen und während seiner Abwesenheit Fristen in Lauf gesetzt oder Termine bestimmt werden, so obliegt es ihm, seinen Posteingang zu kontrollieren und für eine rechtzeitige Erledigung fristwahrender Handlungen zu sorgen (Nichtannahmebeschluss vom 07. August 2007 – 1 BvR 685/07 – NJW 2007, 3486-3488 m.w.N.). Im vorliegenden Fall waren jedoch zwischen der Zustellung des Mahnbescheides am 03.02.2017 und der Zustellung des Vollstreckungsbescheides am 08.05.2017 zum Zeitpunkt der Reise des Beklagten nach Land1 bereits drei Monate vergangen. Dieser Zeitraum trat ein, da der Kläger der Aufforderung zur Einzahlung des Kostenvorschusses vom 31.01.2017 erst am 28.04.2017 (Zahlungseingang) Folge leistete (Bl. I d.A). Die Annahme einer Obliegenheit dahingehend, Vorkehrungen während des kurzen Zeitraums der Abwesenheit zu treffen, überspannt nach der Auffassung des Senats die im privaten Rechtsverkehr zu stellenden Anforderungen (OLG Braunschweig, Beschluss vom 11.04.1997, 5 U 4/97, juris).

Den Beklagten trifft jedoch ein Verschuldensvorwurf im Hinblick auf seine bewusste Untätigkeit gegenüber dem ihm zugestellten Mahnbescheid des Amtsgerichts Stadt1 vom 31.01.2017.

Der Beklagte räumte im Rahmen seiner informatorischen Anhörung ein, dass er den durch Einlegung in den Briefkasten zugestellten Mahnbescheid erhalten hat. Die Zustellung erfolgte zu einem Zeitpunkt, zu dem der Beklagte nach eigener Einlassung unter der Zustellungsanschrift „Straße1, Stadt2“ gewohnt hat. Dass er untätig blieb, obwohl er von dem zugestellten Schriftstück wusste und keinen mittels des beigefügten Formulars leicht möglichen Widerspruch eingelegt hat, beruht vorwerfbar auf seiner Nachlässigkeit. Zu seiner Entschuldigung gab der Beklagte an, zu diesem Zeitpunkt sei er zur Räumung der Wohnung verurteilt gewesen und habe versucht eine Räumungsfrist zu erreichen. Zudem sei er mit der Wohnungssuche für die sechsköpfige Familie beschäftigt gewesen. Aufgrund dieser Umstände und wegen einer am XX.01.2017 erfolgten Operation seiner Tochter, habe er keine Zeit gehabt, sich um die Angelegenheit zu kümmern; die Sache mit dem Mahnbescheid sei daher liegen geblieben. Diese Einlassung ist nicht geeignet, die vorwerfbare Nachlässigkeit zu entschuldigen. Ein Aspekt ist insoweit, dass der Beklagte im Hinblick auf eine erwartete Bescheidung seines Antrags auf Bewilligung einer Räumungsfrist sogar gerichtliche Post erwartet haben dürfte und mithin einer Zustellung besondere Aufmerksamkeit entgegen gebracht haben sollte. Zudem ändert auch die noch vor der Zustellung des Mahnbescheids erfolgte Operation der Tochter hieran nichts, da es sich – nach den Angaben des Beklagten – nicht um einen akuten Notfall, sondern um eine nach einem Unfall im Dezember 2016 geplanten Eingriff handelte. Maßgeblich ist jedoch, dass der Beklagte einen erheblichen Zeitraum, nämlich von der Zustellung des Mahnbescheids am 03.02.2017 bis zum Ablauf der Einspruchsfrist gegen den Vollstreckungsbescheid am 22.05.2017 Gelegenheit gehabt hätte, Widerspruch einzulegen. Ein verspäteter Widerspruch wäre gemäß § 694 Abs. 2 Satz 1 ZPO als Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid behandelt worden. Innerhalb dieses mehrmonatigen Zeitraums hätte sich der Beklagte die Zeit nehmen müssen, die zugestellte Sendung zur Kenntnis zu nehmen und zu reagieren. Wenn er gleichwohl den Inhalt des Mahnbescheids nicht zur Kenntnis genommen oder jedenfalls dem geltend gemachten Anspruch nicht widersprochen hat, so beruht dies auch unter Berücksichtigung der schwierigen Umstände auf seiner Nachlässigkeit. Wer ein förmlich zugestelltes Schreiben des Gerichts nicht durchliest, handelt nachlässig. Eine Erklärung seines Verhaltens hat der Beklagte nicht zu geben vermocht. Seine Einlassung dahingehend, er habe nicht die Zeit gehabt, die Post zu bearbeiten, genügt zur Entschuldigung angesichts der Dauer der Reaktionsmöglichkeit nicht. Hätte der Beklagte den Inhalt des Mahnbescheids zur Kenntnis genommen, dann hätte er Widerspruch gegen den Mahnbescheid eingelegt, da er hinsichtlich der dort geltend gemachten Hauptforderung erklärte, es gäbe keinen entsprechenden Darlehensvertrag. Dass das nicht geschehen ist, beruht ausschließlich auf der Nachlässigkeit des Beklagten nach der Zustellung des Mahnbescheids. Ohne dieses Versäumnis wäre es nicht zum Erlass und zur Zustellung des Vollstreckungsbescheids sowie der anschließenden Versäumung der Einspruchsfrist gekommen (BGH, Beschluss vom 14. Juli 1987 – IX ZB 48/87 – VersR 1988, 158; zu Nachforschungspflichten nach Zustellung eines Mahnbescheids: OLG München, Beschluss vom 12. Februar 1998 – 5 W 2010/97 – juris; zur Versäumung der Frist zur Anzeige der Verteidigungsbereitschaft nach Klagezustellung: OLG Koblenz, Beschluss vom 08. Juli 2015 – 11 WF 640/15, beck-online).

Damit wäre für den Beklagten auch der „erste Zugang“ zum Gericht eröffnet gewesen. Zwar kann der Zugang zu Gerichten nicht generell auf den sog. „ersten Zugang“ beschränkt werden. Etwa bei Verzögerungen der Briefbeförderung und Briefzustellung darf im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Bürger dies nicht als Verschulden zugerechnet werden. Dies gelte sowohl für Fälle des ersten Zugangs zum Gericht wie für Fälle des Zugangs zu einer weiteren von der Prozessordnung vorgesehenen Instanz (BVerfG, Beschluss vom 04. Mai 1977 – 2 BvR 616/75 -, BVerfGE 44, 302-307 [BVerfG 04.05.1977 – 2 BvR 616/75]). Die vorwerfbare Untätigkeit in einem vorausgegangenen Verfahrensstadium ist damit jedoch nicht vergleichbar. Die Gesetzessystematik sieht in vielen Fällen gestaffelte Fristen vor, die im Falle der Versäumung der ersten Frist den Lauf weiterer Fristen hindern. Beispielhaft kann insoweit die Berufungsfrist gemäß § 517 ZPO und die Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 ZPO genannt werden. Sofern die Berufung aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18.10.2012 herleiten will, dass die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung nicht auf den „ersten Zugang“ zu Gericht beschränkt seien und für jede Rechtsmittelfrist gelten, greift dieser Einwand nicht durch. In der zitierten Entscheidung wird beanstandet, das Gericht habe im Wiedereinsetzungsverfahren die Anforderungen an die Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ersichtlich überspannt und dem Bf. dadurch den ersten Zugang zum Gericht verwehrt (BVerfG, Beschluss vom 18. Oktober 2012 – 2 BvR 2776/10, NJW 2013, 592-593, Hervorhebung der Unterzeichner). Aus den dargelegten Gründen kommt es hierauf zudem nicht entscheidungserheblich an.

Die Annahme eines Verschuldensvorwurfs im Mahnverfahren und damit die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verletzen den Beklagten entgegen dem Berufungsvorbringen nicht in grundrechtlich geschützten Positionen. Das Bundesverfassungsgerichts sieht eine eher formale Anwendung von Zustellungs- und Fristvorschriften aus dem rechtsstaatlichen Gebot der Rechtssicherheit und damit auch eines prozessökonomischen Verfahrens, als gerechtfertigt an, solange dadurch eine effektive Rechtsausübung und das rechtliche Gehör nicht unterlaufen werden (BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 2009 – 1 BvR 2333/09, NJW-RR 2010, 421-422 [BVerfG 15.10.2009 – 1 BvR 2333/09]). Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu mit Beschluss vom 06. Oktober 1992 aus: „Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG schützen nicht denjenigen, der der Wahrnehmung seiner Rechte mit vermeidbarer Gleichgültigkeit gegenübersteht. Von einem Betroffenen kann verlangt werden, dass er selbst zumutbare Anstrengungen zum „Wegfall des Hindernisses“ unternimmt, wenn er dazu Anlass hat und in der Lage ist.“ (BVerfG, Beschluss vom 06. Oktober 1992 – 2 BvR 805/91 -, NJW 1993, 847-848). Auch gegen die Beachtung von Fristen und Förmlichkeiten, ohne die ein geordnetes Verfahren und damit Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit nicht zu erreichen sind, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG, Beschluss vom 7.4.1976 – 2 BvR 728/75 – NJW 1976, 1021-1022; BVerfG, Beschluss vom 15.12.1982 – 2 BvR 893/79 – NJW 1984, 2148). Mithin kann die Versagung der Wiedereinsetzung auf die schuldhafte Nachlässigkeit des Beklagten gegenüber dem Mahnbescheid und die damit einhergehende Fristversäumung gestützt werden.

Die Berufung wendet erfolglos gegen die landgerichtliche Entscheidung ein, der Vollstreckungsbescheid sei hinsichtlich der Forderungsbezeichnung „Darlehensrückzahlung gem. . vom 02.01.17“ nicht hinreichend spezifiziert.

Zwar ist grundsätzlich ein Vollstreckungsbescheid dann nicht der Rechtskraft fähig, wenn er unbeanstandet erlassen wird, obwohl die gemäß §§ 691, 690 Abs. 1 Ziffer 3 ZPO notwendige Bezeichnung des Anspruchs unter bestimmter Angabe der verlangten Leistung nicht erfolgt ist. Die hinreichende Individualisierung des Anspruchs im Mahnverfahren setzt voraus, dass der Antragsgegner bereits mit Zustellung des Mahnbescheids entscheiden können muss, ob er sich gegen den Anspruch durch Einlegung des Widerspruchs zu Wehr setzen will oder nicht (OLG Frankfurt, Urteil vom 09. Juli 2014 – 17 U 172/13 -, Rn. 31, juris). Hierzu gehört, dass die Bezeichnung eine Abgrenzung von anderen in Betracht kommenden Ansprüchen ermöglicht (BGH, NJW 2007, 1952 [BGH 12.04.2007 – VII ZR 236/05]; BGH, NJW 2008, 1220 [BGH 23.01.2008 – VIII ZR 46/07]; BGH, NJW 2009, 56 [BGH 21.10.2008 – XI ZR 466/07]; BGH, NJW 2009, 685 [BGH 16.10.2008 – IX ZR 135/07]; BGH, NJW 2013, 3509 [BGH 10.10.2013 – VII ZR 155/11][BGH 10.10.2013 – VII ZR 155/11] ); die Erkennbarkeit für den Adressaten genügt (BGH, NJW 2007, 1952 [BGH 12.04.2007 – VII ZR 236/05] Rn. 46; BGH, NJW 2008, 1220 [BGH 23.01.2008 – VIII ZR 46/07] Rn. 13; BGH, NJW 2009, 685 [BGH 16.10.2008 – IX ZR 135/07][BGH 16.10.2008 – IX ZR 135/07] Rn. 19). Die Anforderungen richten sich im Ergebnis nach dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis und der Art des konkreten Anspruchs, die Umstände entscheiden (BGH, NJW 2008, 1220 [BGH 23.01.2008 – VIII ZR 46/07] Rn. 13; BGH, NJW 2011, 613 [BGH 17.11.2010 – VIII ZR 211/09][BGH 17.11.2010 – VIII ZR 211/09] Rn. 9 – jew. m.w.N.), maßgebend ist der „Horizont“ des Antragsgegners. Wann diesen Anforderungen genüge getan ist, kann nicht allgemein und abstrakt festgelegt werden; vielmehr hängen Art und Umfang der erforderlichen Angaben im Einzelfall von dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis und der Art des Anspruchs ab (BGH, NJW 2008, 1220-1221 [BGH 23.01.2008 – VIII ZR 46/07], Rn. 13). Vorliegend wurde nicht behauptet, dass eine Mehrzahl von Darlehensvertragsverhältnissen zwischen den Parteien bestünde und dem Beklagten daher eine Zuordnung unmöglich sei. Vielmehr wird das Vorliegen eines Darlehensvertrages zwischen den Parteien von dem Beklagten gänzlich in Abrede gestellt. Die Angabe des Rechtsgrundes und des Datums stellt eine ausreichende Individualisierung dar, der Zusatz „gem. .“ ist lückenhaft, aber auch überflüssig und führt jedenfalls nicht zu einer Unklarheit.

Die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 97 Abs. 1 ZPO und §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Festsetzung des Wertes der Berufungsinstanz basiert auf § 3 ZPO.

Zu der Zulassung der Revision besteht kein Anlass, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert.

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