OLG Frankfurt am Main, 26.02.2018 – 14 SV 3/18

März 19, 2019

OLG Frankfurt am Main, 26.02.2018 – 14 SV 3/18
Tenor:

Das Amtsgericht Fritzlar wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.
Gründe

I.

Die in Stadt1 geschäftsansässige Klägerin nimmt die in Stadt2 und damit im Amtsgerichtsbezirk Fritzlar mit einer Niederlassung geschäftsansässige Beklagte auf Schadensersatz wegen Lieferfristüberschreitung in Anspruch. Eingereicht worden ist die Klage bei dem Amtsgericht Fritzlar unter Hinweis auf die sich aus §§ 12, 13 ZPO ergebende Zuständigkeit für den Sitz des Beklagten (Bl. 15 d.A.).

Mit Terminsaufhebungsverfügung vom 24.10.2017 (Bl. 168 R.) hat das Amtsgericht Fritzlar darauf hingewiesen, dass nach den vorgelegten Aufträgen (BLD 3 und 4, Bl. 21 bis 24 d.A.) das Amtsgericht München als Gerichtsstand vereinbart sei, und Gelegenheit zur Stellungnahme, ggf. Stellung eines Verweisungsantrages gegeben.

Die Klägerin hat hierauf mit Schriftsatz vom 8.11.2017 (Bl. 183 f. d.A.), der am 13.11.2017 an die Beklagte abgesandt worden ist, hilfsweise, für den Fall, dass die Beklagte sich nicht rügelos einlässt, Verweisung beantragt.

Mit Beschluss vom 15.11.2017 (Bl. 186 d.A.) hat sich das Amtsgericht Fritzlar ohne nähere Begründung für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht München verwiesen.

Dieses hat nach Anhörung der Parteien (Bl. 194 d.A.) mit Beschluss vom 18.12.2017 den Rechtsstreit an das Amtsgericht Fritzlar zurückverwiesen. Das Amtsgericht Fritzlar sei gemäß § 21 ZPO örtlich zuständig. Etwas anderes könne nur gelten, wenn eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung vorliege, was jedenfalls für AktivProzesse des Verwenders nach herrschender Meinung regelmäßig nicht der Fall sei.

Dem Verweisungsbeschluss komme keine Bindungswirkung zu. Er sei willkürlich, weil sich das Amtsgericht Fritzlar nicht mit der Frage, ob die Gerichtsstandsvereinbarung überhaupt eine ausschließliche sei und daher die allgemeinen Zuständigkeitsregeln verdränge, befasst und zudem der Beklagten nicht hinreichend rechtliches Gehör zu dem Verweisungsantrag gewährt habe.

Das Amtsgericht Fritzlar hat die Übernahme des Rechtsstreits mit Verfügung vom 9.1.2018 (Bl. 251 R. d.A.) abgelehnt und die Akte dem Senat mit der Bitte um Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt.

II.

Der Senat, zu dessen Bezirk das Amtsgericht Fritzlar als das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört, ist zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts an Stelle des Bundesgerichtshofs als das zunächst höhere Gericht für die Amtsgerichte Fritzlar und München gemäß § 36 Abs. 2 ZPO berufen. Beide Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, haben sich durch den Parteien mitgeteilte Beschlüsse rechtskräftig für unzuständig erklärt, § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO.

Örtlich zuständig ist gemäß § 21 Abs. 1 ZPO das Amtsgericht Fritzlar. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Fritzlar ist fehlerhaft, weil dort der besondere Gerichtsstand der Niederlassung der Beklagten gemäß § 21 Abs. 1 ZPO eröffnet war und die Parteien keinen entgegenstehenden ausschließlichen Gerichtsstand vereinbart haben. Soweit es in den Auftragsformularen unter der Mitteilung der Anschrift und der Benennung der Geschäftsführer der Kläger heißt „Wir arbeiten ausschließlich auf Grund der ADSp 2016. Gerichtsstand München.“, lässt sich hieraus die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes der Klägerin in München nicht herleiten.

Nach allgemeiner Meinung spricht allein der Umstand, dass ein Gerichtsstand in den AGB vereinbart wurde, weder für noch gegen seine Ausschließlichkeit; erforderlich ist vielmehr die Auslegung der Klausel, wobei bei fehlenden Anhaltspunkten der mutmaßliche Wille des AGB-Verwenders dafür spricht, dass er eine Ausschließlichkeit für Klagen gegen sich selbst herbeiführen will, während bei Aktivprozessen die Wahlmöglichkeit nach § 35 für ihn offen bleiben soll (Musielak/Voit/Heinrich ZPO § 38 Rn. 12, beck-online; MüKoZPO/Patzina ZPO § 38 Rn. 40-43, beck-online; BeckOK ZPO/Toussaint ZPO § 38 Rn. 16-20, beck-online, jeweils m.w.N.).

Anhaltspunkte, die für die Annahme sprechen könnten, die Parteien hätten einen ausschließlichen Gerichtsstand der Klägerin in München vereinbaren wollen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Zuständigkeit des Amtsgerichts München ergibt sich auch nicht aus § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wonach der Verweisungsbeschluss für dasjenige Gericht, an das der Rechtsstreit abgegeben wird, bindend ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kommt einem Verweisungsbeschluss ausnahmsweise dann keine Bindungswirkung zu, wenn der Verweisung jede rechtliche Grundlage fehlt und sie als willkürlich zu beurteilen ist oder wenn sie auf einer Versagung des rechtlichen Gehörs beruht (Zöller-Greger, ZPO, 31. Aufl., § 281 Rdn. 17; OLG Hamm Beschluss vom 16.3.2012 – 32 SA 12/12 -, juris).

Diese Voraussetzungen stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der zuletzt in der Entscheidung vom 09. Juni 2015 (- X ARZ 115/15 -, Rn. 9, juris) Folgendes ausgeführt hat:

„Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Dies folgt aus der Regelung in § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wonach ein auf der Grundlage von § 281 ZPO ergangener Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das die Sache verwiesen wird, bindend ist. Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BGH, Beschluss vom 19. Februar 2013 – X ARZ 507/12, NJW-RR 2013, 764 Rn. 7; Beschluss vom 17. Mai 2011 – X ARZ 109/11, NJW-RR 2011, 1364 Rn. 9).“

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

Das Amtsgericht Fritzlar hat den Parteien unzureichend rechtliches Gehör gewährt, indem es bereits zwei Tage nach Übersendung des Schriftsatzes der Klägerin, in welchem diese lediglich hilfsweise, für den Fall, dass die Beklagte sich nicht rügelos einlässt, Verweisung beantragt hat, an die Beklagte die Verweisung beschlossen hat, ohne die Reaktion der Beklagten abzuwarten. Auch bei einer vorgerichtlichen Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes bleibt es den Parteien unbenommen, durch eine nachträgliche Vereinbarung bzw. einen bindenden Rügeverzicht des Beklagten eine Zuständigkeit des angegangenen (zunächst unzuständigen) Gerichts herbeizuführen. Einer solchen erneuten Gerichtsstandsvereinbarung steht weder die Vorschrift des § 261 Abs. 2 Nr. 2 ZPO noch § 40 Abs.2 Nr. 2 ZPO entgegen (vgl. Zöller-Schultzky, ZPO, 32. Aufl., § 40 Rn. 6).

Zudem fehlt der Verweisung eine rechtliche Grundlage; sie ist nach den vorstehenden Grundsätzen als willkürlich zu beurteilen. Das Fehlen einer rechtlichen Grundlage bzw. Willkür kann in Betracht kommen, wenn das Gericht von der Gesetzeslage bzw. der ganz einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum abweicht, ohne diese wenigstens gesehen und die eigene Auffassung begründet zu haben, ferner, wenn es die Tatsachen, die der Verweisung entgegenstehen, völlig außer Betracht lässt.

So liegt es hier. Das Amtsgericht hat seine Zuständigkeit nach § 17 ZPO (bzw. § 21 ZPO) nicht in Betracht gezogen, obwohl bereits in der Klageschrift auf seine Zuständigkeit für den Sitz des Beklagten hingewiesen worden ist. Dieser eigene Hinweis der Klägerin sprach gegen die Annahme, es könne sich bei der Gerichtsstandsvereinbarung um eine ausschließliche handeln. Schließlich hat sich das Amtsgericht Fritzlar mit der Frage, ob die Gerichtsstandsvereinbarung als ausschließliche und damit seiner Zuständigkeit nach § 17 ZPO entgegenstehende Vereinbarung aufzufassen ist, und der hierzu existierenden allgemeinen Meinung überhaupt nicht auseinandergesetzt.

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