OLG Frankfurt am Main, 28.11.2018 – 11 SV 109/18

März 14, 2019

OLG Frankfurt am Main, 28.11.2018 – 11 SV 109/18
Leitsatz:

1.

Beantragen beide Parteien in Bezug auf eine Gerichtsstandsvereinbarung gemäß § 38 Abs. 1 ZPO übereinstimmend die Verweisung, macht hierbei eine Partei jedoch ausdrücklich geltend, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses als Privatperson gehandelt zu haben, ist die Verweisung willkürlich, wenn der Verweisungsbeschluss keine Begründung dazu enthält, warum das Gericht trotzdem von der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung ausgeht.
2.

Die Verweisung ist in diesem Fall mangels Begründung auch nicht deshalb bindend, weil anzunehmen wäre, dass das verweisende Gericht von einer Prorogation gemäß § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO ausgegangen wäre und lediglich rechtsirrig übersehen hätte, dass dieser § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO entgegensteht.

Tenor:

Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 26.6.2018 wird aufgehoben.
Gründe

I.

Der Kläger nimmt mit seiner vor dem Landgericht Frankfurt am Main erhobenen Klage die Beklagten auf Zahlung einer Gewinnbeteiligung aus einem partiarischen Darlehen in Anspruch.

Nach seinem Vorbringen in der Anspruchsbegründung gewährte der Kläger der Beklagten zu 1) auf der Grundlage eines Darlehensvertrags ein partiarisches Darlehen und vereinbarte eine Gewinnbeteiligung. Obwohl der Gewinn zwischenzeitlich feststehe, weigere sich die Beklagte zu 1) ihm die Gewinnbeteiligung auszuzahlen.

Der Kläger erwirkte zunächst gegen die Beklagte zu 1) einen Mahnbescheid. Nachdem diese Widerspruch erhoben hat, ist der Rechtsstreit an das vom Kläger benannte Landgericht Frankfurt am Main, Zivilkammer, abgegeben worden. Der Kläger erweiterte sodann in der Anspruchsbegründung seine Klage zunächst auf die Beklagte zu 2), bei der es sich nach seinem Vorbringen um die persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten zu 1) handele.

Die Beklagten zu 1) und 2) rügten nach Zustellung der Anspruchsbegründung die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main (Bl. 42ff. d.A.). Die Parteien hätten in dem Darlehensvertrag eine Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen. Diese sei dahin auszulegen, dass das prorogierte Landgericht Düsseldorf für die vom Kläger erhobene Klage ausschließlich zuständig sei. Es handele sich zudem um eine Handelssache iSv § 95 GVG. Denn der Kläger habe Anlagegelder Dritter „gepoolt“ und diese einheitlich unter Umgehung des einschlägigen Kapitalanlagerechts als vermeintliches Darlehen gewährt. Es habe sich damit für beide Teile um ein Handelsgeschäft gehandelt. Die Beklagten zu 1) und zu 2) haben daher beantragt, den Rechtsstreit an die Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main/ Landgericht Düsseldorf zu verweisen.

Sodann erweiterte der Kläger die Klage durch Einbeziehung der Beklagten zu 3). Die Beklagte zu 2) sei als Komplementärin der Beklagten zu 1) ausgeschieden und die Beklagte zu 3) als neue Komplementärin eingetreten. Gleichzeitig erklärte er in diesem Schriftsatz, dass er tatsächlich die Gerichtsstandsvereinbarung im Darlehensvertrag übersehen habe; örtlich zuständig sei daher das Landgericht Düsseldorf. Er beantrage daher, die Klage an das örtlich zuständige Landgericht Düsseldorf zu verweisen. Allerdings sei er bei der Darlehensvergabe als Privatmann tätig gewesen. Er vertreibe nicht gewerbsmäßig Kapitalanlageprodukte und habe die Darlehenssumme ausschließlich aus seinem Vermögen aufgebracht.

Das Landgericht Frankfurt am Main hat sich mit Beschluss vom 26.6.2018 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Landgericht – Zivilkammer – Düsseldorf verwiesen (Bl. 57 d.A.). Der Beschluss ist nicht begründet worden.

Das Landgericht Düsseldorf hat sich mit Beschluss vom 17.8.2018 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit „an das zuständige Landgericht Frankfurt am Main“ verwiesen (Bl. 60ff. d.A.). Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt am Main entfalte keine Bindungswirkung, da er willkürlich sei. Der Beschluss sei bereits nicht begründet, so dass nicht erkennbar sei, auf welcher gesetzlichen Grundlage er beruhe. Die Begründung sei auch nicht deshalb entbehrlich, weil beide Parteien einen übereinstimmenden Verweisungsantrag gestellt hätten. Denn die Beklagten hätten die Verweisung an die Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf beantragt, während der Kläger an seinem Vortrag festgehalten habe, das streitgegenständliche Darlehen als Privatmann gewährt zu haben. Es sei nicht nachvollziehbar, wenn das Landgericht Frankfurt am Main einerseits entsprechend dem Vortrag des Klägers zu seinem Handeln als Privatmann nicht an die Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf, sondern an die dortige Zivilkammer verwiesen habe, andererseits aber eine Verweisung vorgenommen habe, obwohl die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nach § 38 Abs. 1 ZPO offensichtlich voraussetze, dass der Kläger Kaufmann sei. Eine Stellung des Klägers als Kaufmann lasse sich auf der Grundlage des Vortrags und der vorgelegten Unterlagen nicht feststellen.

Das Landgericht Frankfurt am Main hat nach Zustellung der Klageerweiterung an die Beklagte zu 3) mit Beschluss vom 25.10.2018 die Sache dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt (Bl. 94f. d.A.). Es stehe zwischen den Parteien im Streit, ob es sich bei dem Kläger um einen Kaufmann handele und damit – wie die Beklagten meinten – die Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf zuständig sei, oder ob – wie der Kläger vortrage – eine Kaufmannseigenschaft fehle und daher die Zivilkammer am Landgericht Düsseldorf zuständig sei. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf ergebe sich bereits aus § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Selbst wenn man mit der herrschenden Meinung annehme, dass eine Prorogation nicht mehr zulässig sei, wenn das angegangene Gericht zuständig geworden sei, ändere dies an der Bindung des Verweisungsbeschlusses nichts.

Der Kläger hat im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren vorgetragen, da er bei Abschluss des Darlehensvertrags nicht Kaufmann gewesen sei, sei die Gerichtsstandsvereinbarung nach § 38 ZPO unwirksam, so dass das Landgericht Frankfurt am Main örtlich zuständig sei. Die Beklagten haben vorgetragen, sie hätten die Kaufmannseigenschaft des Klägers und damit die Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf bereits substantiiert dargelegt; die Verweisung an das Landgericht Düsseldorf sei daher jedenfalls nicht willkürlich. Jedenfalls sei der Verweisungsbeschluss wegen des im Vorlagebeschluss ausgeführten Hinweises auf § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO nicht willkürlich.

II.

Das Oberlandesgericht Frankfurt ist zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit berufen, da das Landgericht Frankfurt am Main zunächst mit der Sache befasst war (§ 36 Abs. 2 ZPO).

Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Landgericht Frankfurt am Main als auch das Landgericht Düsseldorf haben sich in unanfechtbaren Beschlüssen für örtlich unzuständig erklärt.

Das Landgericht Frankfurt am Main ist für die weitere Prüfung der örtlichen Zuständigkeit zuständig, so dass der Verweisungsbeschluss aufzuheben war.

1. Das Landgericht Düsseldorf ist nicht durch den Verweisungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt am Main für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig geworden.

Grundsätzlich haben Verweisungsbeschlüsse Bindungswirkung, auch wenn sie möglicherweise fehlerhaft sind. Die Bindungswirkung entfällt erst, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen worden ist oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (BGH, Beschluss vom 9.6.2015 – X ARZ 115/15). Es genügt hierfür nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BGH, aaO – Beschluss vom 9.6.2015; BGH, Beschluss vom 19.2.2013 – X ARZ 507/12). Da eine Verweisung die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichts voraussetzt, kann die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses darüber hinaus auch dann entfallen, wenn sich ein nach geltendem Recht unzweifelhaft zuständiges Gericht gleichwohl über diese Zuständigkeit hinwegsetzt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verweist, weil es eine klare Zuständigkeitsnorm nicht beachtet oder zur Kenntnis nimmt (vgl. BGH NJW-RR 2011, 1364 [BGH 17.05.2011 – X ARZ 109/11]; BGH NJW 1993, 1273 [BGH 19.01.1993 – X ARZ 845/92]; BayObLG NJW-RR 2002, 1295 [BayObLG 18.04.2002 – 1 Z AR 36/02]) oder dem Verweisungsbeschluss keinerlei Begründung zu entnehmen ist, warum das verweisende Gericht örtlich nicht zuständig sein soll (BGH NJW 2006, 847) und damit objektiv der Anschein erweckt wird, das Gericht sehe das Fehlen der eigenen Zuständigkeit nicht als Voraussetzung für eine Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Abs. 1 ZPO an (vgl. BayObLGR 2000, 56).

Auf dieser Grundlage ergibt sich, dass dem Verweisungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt am Main keine Bindungswirkung zukommt, weil ihm keine Begründung zu entnehmen ist, warum das verweisende Gericht örtlich nicht zuständig sein sollte, so dass objektiv der Anschein erweckt wird, das Gericht sehe das Fehlen der eigenen Zuständigkeit nicht als Voraussetzung für eine Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Abs. 1 ZPO an.

a) Zwar ist eine Verweisung, die zur Begründung lediglich auf das Bestehen einer Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 38 Abs. 1 ZPO verweist, nicht willkürlich, wenn beide Parteien diese unter Bezugnahme auf eine vertragliche Gerichtsstandsvereinbarung begehrt haben, da das Gericht daraus ohne Willkür den Schluss ziehen konnte, dass die Parteien eine ausschließliche Zuständigkeit des prorogierten Gerichts vereinbart haben (BGH, Beschluss vom 27.5.2008 – X ARZ 45/08). Eine solche Konstellation liegt hier jedoch nicht vor:

Das Landgericht Frankfurt am Main hat in seinem Verweisungsbeschluss bereits nicht auf das Bestehen einer Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 38 Abs. 1 ZPO verwiesen.

Zudem ergibt sich mangels Begründung des Verweisungsbeschlusses nicht, warum das Landgericht von der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung im Darlehensvertrag gemäß § 38 Abs. 1 ZPO ausgegangen wäre. Denn der Kläger hatte in dem Schriftsatz, in dem er die Verweisung beantragte, ausdrücklich geltend gemacht, das Darlehen als Privatmann gegeben zu haben, so dass auf der Grundlage seines Vortrags mangels Kaufmannseigenschaft eine Gerichtsstandsvereinbarung gemäß § 38 Abs. 1 ZPO nicht wirksam gewesen wäre. Dass auch das Landgericht Frankfurt am Main davon ausgeht, dass die Kaufmannseigenschaft des Klägers bei Abschluss des Darlehensvertrags im Streit steht, ergibt sich aus der Begründung des Vorlagebeschlusses vom 25.10.2018. Damit ergibt sich nicht, dass das Landgericht Frankfurt am Main ohne Willkür aus dem übereinstimmenden Verweisungsantrag den Schluss auf eine Vereinbarung der ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf ziehen konnte.

b) Mangels Begründung fehlt dem Verweisungsbeschluss auch die Bindungswirkung, soweit das Landgericht Frankfurt am Main in dem Vorlagebeschluss vom 25.10.2016 geltend macht, das Landgericht Düsseldorf sei durch eine nach Entstehen der Streitigkeit getroffene Gerichtsstandsvereinbarung (§ 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) zuständig geworden.

Das Landgericht hat seinen Verweisungsbeschluss bereits nicht auf eine solche nachträgliche Zuständigkeitsvereinbarung iSv § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO gestützt. Insoweit genügt der Umstand, dass die Parteien übereinstimmend die Verweisung an das örtlich zuständige Landgericht Düsseldorf beantragt haben, nicht. Denn die Verweisungsanträge nahmen Bezug auf die bereits im Darlehensvertrag (möglicherweise) getroffene Gerichtsstandsvereinbarung, dh. eine solche iSv § 38 Abs. 1 ZPO.

Mangels Begründung ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass das Landgericht Frankfurt am Main angenommen hätte, dass die Parteien durch ihre Verweisungsanträge unabhängig hiervon nachträglich konstitutiv die ausschließliche örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf hätten vereinbaren wollen.

Zudem stände der nachträglichen Prorogation des Landgerichts Düsseldorf gemäß § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO entgegen, dass die Klage am allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten zu 1) und zu 2) gemäß §§ 12, 17 ZPO erhoben worden war, so dass die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main nach Rechtshängigkeit gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO durch eine nachträgliche Prorogation nicht mehr entfallen konnte (BGH, Beschluss vom 18.2.2010 – Xa ARZ 14/10; Zöller/Schultzky, ZPO, 32. Auflage, § 38 Rn. 15). Da sich mangels jeder Begründung bereits nicht hinreichend feststellen lässt, dass die Verweisung des Rechtsstreits im Hinblick auf eine nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarung gemäß § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO erfolgte, ergibt sich auch nicht, dass das Landgericht Frankfurt am Main lediglich rechtsirrig davon ausgegangen wäre, unzuständig geworden zu sein (vgl. zu einer solchen Konstellation: BGH, aaO – Beschluss vom 18.2.2010) oder sich der Auffassung angeschlossen hätte, nach der § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO einer nachträglichen Prorogation nicht entgegensteht (vgl. in diesem Sinne: Becker-Eberhard in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage, § 261 Rn. 92).

2. Es kann derzeit nicht festgestellt werden, welches Gericht zur Entscheidung des Rechtsstreits örtlich zuständig ist. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf könnte gemäß § 38 Abs. 1 ZPO eröffnet sein, wenn der Kläger im Zeitpunkt des Abschlusses des Darlehensvertrags Kaufmann war. Andernfalls ist das Landgericht Frankfurt am Main zur Entscheidung des Rechtsstreits gemäß §§ 12, 13 ZPO zuständig, das damit auch die erforderliche weitere Prüfung der örtlichen Zuständigkeit, nämlich die Frage der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung im Darlehensvertrag, vorzunehmen hat.

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