OLG Hamm, Beschluss vom 03.05.2017 – 3 U 30/17

Mai 8, 2021

OLG Hamm, Beschluss vom 03.05.2017 – 3 U 30/17

Die Regeln des Art. 40 Abs. 1 EGBGB sind im Falle eines Distanzdelikts als Sachnormverweisungen zu verstehen.

Zur Haftung des französischen Haftpflichtversicherers im sog. Brustimplantate-Skandal.
Tenor

weist der Senat nach Vorberatung darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung der Klägerin gegen das am 12.12.2016 verkündete Urteil des Landgerichts Essen durch einstimmigen Senatsbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe

I.

Die Klägerin unterzog sich am 04.04.2007 im Haus der Beklagten zu 1. einer Mammaaufbauplastik, bei der ihr silikongefüllte, von der französischen Firma Q (Q) produzierte und von der niederländischen Firma S vertriebene Brustimplantate eingesetzt wurden. Die Implantate wurden im März 2013 ausgetauscht. Die Klägerin behauptet, dass die am 04.04.2007 eingesetzten Implantate mit minderwertigem Industriesilikon gefüllt gewesen seien. Sie macht Ansprüche gegen die Beklagte zu 3., bei der es sich um eine französische Aktiengesellschaft handelt, als Haftpflichtversicherer der Q geltend.

Neben den Beklagten zu 1. und 3. hat die Klägerin auch die W GmbH als Beklagte zu 2. in Anspruch genommen. Sie hat erstinstanzlich beantragt, die drei Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes i.H.v. mindestens 45.000 € sowie weiterer 288 € (Fahrtkosten) zu verurteilen, ferner hat sie die Feststellung der gesamtschuldnerischen Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz weiterer materieller und immaterieller Schäden begehrt.

Zur näheren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und der erstinstanzlich gestellten Anträge der Parteien wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht Essen hat das Verfahren gegen die Beklagte zu 2. abgetrennt und sodann die Klage gegen die Beklagten zu 1. und 3. mit dem angefochtenen, am 12.12.2016 verkündeten Urteil abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des Urteils wird Bezug genommen.

Die Berufung der Klägerin richtet sich allein gegen die Beklagte zu 3.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die zwischen der Beklagten zu 3. und der Q vereinbarte Beschränkung des Versicherungsschutzes auf Frankreich unwirksam sei. Zu diesem Ergebnis führe eine europarechtskonforme Auslegung der Versicherungsverträge. Die territoriale Beschränkung des Versicherungsschutzes stelle eine gemäß Art. 18 AEUV unzulässige indirekte Diskriminierung nichtfranzösischer Patienten dar. Zudem verstoße die Beschränkung gegen die unionsrechtliche Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit.

Die Klägerin beantragt,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils

1. die Beklagte zu 3. zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit;

2. festzustellen, dass die Beklagte zu 3. verpflichtet ist, ihr sämtliche weiteren, materiellen und – im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbaren – immateriellen Schäden zu ersetzen, welche ihr anlässlich der Implantation von Brustimplantaten aus dem Hause der Firma (Q) entstanden sind und noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden;

hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Essen zurückzuverweisen.

Die Beklagte zu 3. verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die deutschen Gerichte sind international zuständig.

Die internationale Zuständigkeit ist trotz § 513 Abs. 2 ZPO auch in der Berufungsinstanz von Amts wegen zu prüfen (vgl. BGH NJW-RR 2015, 941 Rn. 14 m.w.N.). Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt vorliegend aus Art. 13 Abs. 2 EuGVVO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 b) EuGVVO, da der Geschädigte nach materiellem französischen Recht, das hier anwendbar ist, einen Direktanspruch gegen den Versicherer geltend machen kann (vgl. EuGH NJW 2008, 819 zur EuGVVO a.F.; näher zum IPR und zum Direktanspruch unten). Die internationale Zuständigkeit folgt außerdem aus Art. 13 Abs. 2, Art. 12 EuGVVO und schließlich auch aus Art. 26 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO, da sich die Beklagte zu 3. rügelos auf die Klage eingelassen hat.

III.

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Überprüfung stand. Es beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere, der Klägerin günstigere Entscheidung. Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin keine Ansprüche gegen die Beklagte zu 3. zustehen.

Es bestehen keine vertraglichen Beziehungen der Klägerin zur Beklagten zu 3. oder zur Q. Die Klägerin macht Ansprüche aus unerlaubter Handlung geltend, und zwar gegen die Beklagte zu 3. als Haftpflichtversicherer der (insolventen) Q. Voraussetzung derartiger Ansprüche wäre zunächst eine Haftung der Q gegenüber der Klägerin. Ob eine solche Haftung besteht, kann letztlich dahinstehen, da jedenfalls keine Deckung im Versicherungsverhältnis zwischen der Q und der Beklagten zu 3. besteht, was die Klägerin gegen sich gelten lassen muss, sodass ein Direktanspruch gegen die Beklagte zu 3. ausscheidet.

1. Die wegen der Auslandsberührung des Falls gebotene Prüfung des Internationalen Privatrechts ergibt, dass die Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 3. nach französischem materiellen Recht zu beurteilen sind.

a) Die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) ist zeitlich nicht anwendbar. Sie wird gemäß Art. 31 f. Rom II-VO nur auf „schadensbegründende Ereignisse“ angewandt, die ab dem 11.01.2009 eingetreten sind (EuGH NJW 2012, 441). Im Fall der Klägerin lag das schadensbegründende Ereignis spätestens in der Operation vom 04.04.2007.

b) Zeitlich und sachlich anwendbar ist Art. 40 EGBGB. Der Begriff der „unerlaubten Handlung“ i.S.d. Art. 40 EGBGB erfasst alle außervertraglichen Tatbestände der Verschuldens- und Gefährdungshaftung (Junker in MünchKomm-BGB, 6. Aufl. 2015, Art. 40 EGBGB Rn. 8-10), also auch etwaige Ansprüche der Klägerin aus Produkthaftung.

Gemäß Art. 40 Abs. 4 EGBGB kann der Verletzte seinen Anspruch unmittelbar gegen einen Versicherer des Ersatzpflichtigen geltend machen, wenn das auf die unerlaubte Handlung anzuwendende Recht (Deliktsstatut) oder das Recht, dem der Versicherungsvertrag unterliegt, dies vorsieht. Führen die beiden Anknüpfungsalternativen zu unterschiedlichen Rechtsordnungen, ist das für den Geschädigten im konkreten Einzelfall günstigere Recht anzuwenden (BGH NJW 2016, 1648 (Leitsatz)). Im vorliegenden Fall bildet das französische materielle Recht sowohl das Deliktsstatut als auch das Versicherungsvertragsstatut und folglich auch das Statut des Direktanspruchs. Wegen der Identität der Statute spielt der Streit um die Reichweite des Statuts des Direktanspruchs (vgl. BGH a.a.O.) keine Rolle.

aa) Die Ermittlung des Deliktsstatuts hat von Art. 40 Abs. 1 Satz 1 EGBGB auszugehen. Demnach findet französisches Recht Anwendung, da die Q, soweit ersichtlich, bei der Herstellung und dem Inverkehrbringen der Brustimplantate in Frankreich gehandelt hat. Die Klägerin hat nicht gemäß Art. 40 Abs. 1 Satz 2 EGBGB die Anwendung des deutschen materiellen Deliktsrechts verlangt, vielmehr beruft sie sich ausdrücklich auf französisches materielles Recht.

Es spricht zwar Einiges dafür, dass das französische Kollisionsrecht auf das deutsche Recht zurückverweist, dies wäre allerdings im vorliegenden Fall unbeachtlich:

Frankreich ist seit 1977 Vertragsstaat des Haager Übereinkommens vom 02.10.1973 über das auf die Produkthaftung anzuwendende Recht. Art. 4 a) des Abkommens dürfte vorliegend das deutsche materielle Recht zur Anwendung berufen, da der Verletzungs- bzw. Erfolgsort in Deutschland liegt und die Klägerin, soweit ersichtlich, auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Zum selben Ergebnis dürften Art. 4 c) und – hilfsweise – Art. 5 b) des Abkommens führen. Die Anwendung des Abkommens scheitert gemäß Art. 11 nicht daran, dass Deutschland kein Vertragsstaat ist.

Auch die allgemeinen Regeln des französischen internationalen Deliktsrechts könnten auf das deutsche Recht zurückverweisen, da diese das Deliktsstatut wohl i.d.R. an den Erfolgsort anknüpfen, nicht an den Handlungsort (v. Hein, ZEuP 2001, 150 ff. zu einem Urteil der Cour de cassation vom 11.05.1999 – 97-13.972).

Letztlich kann die Frage der Rückverweisung dahinstehen, da eine solche unbeachtlich wäre. Gemäß Art. 4 Abs. 1 EGBGB sind kollisionsrechtliche Rück- und Weiterverweisungen zwar grundsätzlich beachtlich. Bei einem Distanzdelikt, wie es hier in Rede steht, ist allerdings im Interesse einer effektiven Wahlmöglichkeit des Geschädigten gemäß Art. 40 Abs. 1 EGBGB von einer Sachnormverweisung auszugehen (so auch die h.M. in der Literatur, s. Wurmnest in jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, Art. 40 EGBGB Rn. 16 m.w.N.; a.A. Spickhoff in BeckOK-BGB, 41. Ed. 2016, Art. 40 EGBGB Rn. 45). Dass die Annahme einer Sachnormverweisung im vorliegenden Fall letztlich zu einer Verengung der in Betracht kommenden Rechtsordnungen gemäß Art. 40 Abs. 4 EGBGB führt, spielt keine Rolle.

bb) Die Versicherungsverträge zwischen der Beklagten zu 3. (bzw. deren Rechtsvorgängerin B) und der Q wurden aufgrund einer in Frankreich geltenden gesetzlichen Versicherungspflicht für Medizinprodukte abgeschlossen (Art. L1142-2 Code de la santé publique, Art. L251 Code des assurances). Die Verträge unterliegen gemäß Art. 46c EGBGB i.V.m. Art. L182-1 Code des assurances dem französischen materiellen Recht. Sollte Art. 46c EGBGB entsprechend Art. 28 Rom I-VO nur auf Verträge Anwendung finden, die ab dem 17.12.2009 geschlossen wurden, würden insoweit Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 b), Art. 12 Abs. 1 EGVVG a.F. zum gleichen Ergebnis führen.

c) Auch die Parteien gehen übereinstimmend von der alleinigen Anwendbarkeit des materiellen französischen Rechts aus. Ob hierdurch eine konkludente Rechtswahl gemäß Art. 42 Satz 1 EGBGB getroffen wurde, kann dahinstehen.

2. Die von der Klägerin gegen die Beklagte zu 3. geltend gemachten Forderungen sind nach französischem Recht unbegründet. Zwar kann der Geschädigte gemäß Art. L124-3 Code des assurances den Haftpflichtversicherer des Schädigers direkt in Anspruch nehmen („action directe“). Der Fall der Klägerin unterliegt allerdings nicht dem Versicherungsschutz, den die Beklagte zu 3. und die Q vereinbart haben, was die Klägerin gegen sich gelten lassen muss.

a) Die Beklagte zu 3. und die Q haben im Versicherungsvertrag vom 28.07.2005 und in sämtlichen Folgeverträgen (Anlagen B9-B11, B14-B16 zum Schriftsatz der Beklagten zu 3. vom 10.12.2015) vereinbart, dass die Versicherung ausschließlich für Schadensfälle („sinistres“) gelten soll, die sich im französischen Mutterland oder in den französischen Überseegebieten ereignet haben („survenus“). Schadensfall im Sinne dieser Klausel ist nicht etwa schon die Herstellung oder das Inverkehrbringen der Brustimplantate. Maßgeblich ist vielmehr die Implantation in Deutschland, da der Klägerin erst hierdurch ein Schaden entstanden sein kann. Dieses Verständnis, das auch von der Berufung nicht in Zweifel gezogen wird, folgt aus dem Wortlaut der Gebietsklausel und deren Sinn und Zweck, den Versicherungsumfang zu beschränken (vgl. OLG Karlsruhe GesR 2016, 363 Rn. 38). Ob sich der Schadensfall gegebenenfalls auch an dem Ort „ereignet“, an dem (weitere) Gesundheitsschäden eintreten, etwa durch einen Austritt von Silikon, kann dahinstehen, da im Fall der Klägerin nicht ersichtlich ist, dass es ein entsprechendes Ereignis auf französischem Gebiet gegeben hätte. Dahinstehen kann auch, welcher der Versicherungsverträge, die insgesamt den Zeitraum vom 17.02.2005 bis zum 16.02.2011 abdecken, im vorliegenden Fall zeitlich einschlägig ist.

b) Der Direktanspruch des Geschädigten reicht auch nach französischem Recht nicht über das versicherte Risiko hinaus. Damit betrifft die räumliche Beschränkung des Versicherungsschutzes auch den Direktanspruch der Klägerin.

Dass das französische Recht dem Geschädigten einen Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer unabhängig von der Reichweite des Versicherungsschutzes zubilligen würde, wird von der Klägerin nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich, insbesondere ergibt sich dergleichen nicht aus den von der Beklagten zu 3. vorgelegten Rechtsgutachten. Vorgelegt wurde u.a. ein Gutachten von Prof. Dr. U von der Universität des Saarlandes, erstattet unter dem 04.09.2015 für das Landgericht München I (Anlage B34b). Auf S. 56 dieses Gutachtens stellt Prof. Dr. U klar, dass der Anspruch der „action directe“ inhaltlich vom Versicherungsvertrag abhängt und daher von vornherein nur in dessen Rahmen besteht. Bestätigt wird dies durch Art. L112-6 Code des Assurances, der dem Versicherer grundsätzlich die Möglichkeit einräumt, einem Dritten dieselben Einwendungen entgegenzuhalten wie dem Versicherungsnehmer.

Der Einholung eines Rechtsgutachtens gemäß § 293 ZPO zum vorgenannten Punkt oder zu anderen Fragen des französischen Rechts bedarf es nicht. Die entscheidungserheblichen Fragen lassen sich eindeutig und im Einklang mit sämtlichen vorliegenden Rechtsgutachten beantworten. Die Rechtsgutachten, bei denen es sich um qualifizierten Parteivortrag handelt, können als ergänzende Erkenntnisquelle herangezogen werden. Soweit die Ausführungen der Klägerin den Ansichten der Rechtsgutachter widersprechen, betreffen sie im wesentlichen das Europarecht, für das § 293 ZPO ohnehin nicht gilt. Eine förmliche Verwertung der Gerichtsgutachten von Prof. Dr. U oder Prof. Dr. C (Anlage B34a) gemäß § 411a ZPO ist nicht erforderlich.

c) Die vertragliche Beschränkung des Versicherungsschutzes ist wirksam, und zwar sowohl im Verhältnis der Beklagten zu 3. zur Q als auch im Verhältnis der Beklagten zu 3. zur Klägerin. Etwas anderes ergibt sich insbesondere nicht aus den europa- bzw. unionsrechtlichen Vorschriften, auf die sich die Klägerin beruft:

aa) Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 3. folgt nicht aus dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (jetzt Art. 18 AEUV, s. auch Art. 21 Abs. 2 GRCh). Dabei kann dahinstehen, ob das Diskriminierungsverbot, das sich primär an die staatlichen Stellen richtet, auf die hier fragliche Rechtsbeziehung überhaupt Anwendung findet.

In Betracht kommt vorliegend allenfalls eine mittelbare Diskriminierung deutscher Geschädigter dadurch, dass diese wohl zumeist außerhalb Frankreichs operiert wurden und daher regelmäßig nicht in den Genuss des Versicherungsschutzes durch die Beklagte zu 3. kommen, dies im Gegensatz zu französischen Geschädigten, die vermutlich regelmäßig in Frankreich operiert wurden. Diese rein faktische Ungleichbehandlung ist allerdings gerechtfertigt (zur Rechtfertigungsfähigkeit mittelbarer Diskriminierungen im Allgemeinen s. v. Bogdandy in Grabitz/Hilf/Nettesheim, „Das Recht der Europäischen Union“, 60. EL 2016, Art. 18 AEUV Rn. 20 f. m.w.N.).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist eine mittelbare Diskriminierung durch nationale Rechtsvorschriften gerechtfertigt, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruht und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck steht, der mit den Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt wird (Urt. v. 23.03.2004 zu C-138/02 – Collins). Ob sich diese Anforderungen auf privatrechtliche Beziehungen übertragen lassen, kann dahinstehen, da sie im vorliegenden Fall jedenfalls erfüllt sind:

Die Beklagte zu 3. war offenkundig daran interessiert, den Umfang ihrer Einstandspflicht und damit ihr wirtschaftliches Risiko zu begrenzen. Das Interesse der Q ging ersichtlich dahin, möglichst geringe Versicherungsbeiträge zu zahlen. Als Wirtschaftsunternehmen waren beide ohne Weiteres berechtigt, entsprechende Überlegungen anzustellen und umzusetzen. Ein innerer Zusammenhang mit der Staatsangehörigkeit möglicher Geschädigter besteht nicht. Die Begrenzung des Versicherungsschutzes auf Schadensfälle, die innerhalb Frankreichs eintreten, stellte eine praktikable, geeignete und verhältnismäßige Maßnahme zur Risiko- und Prämienbegrenzung dar. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Vorgabe der französischen Behörde BCT zur Prämienhöhe an dem Umsatz der Q auf dem französischen Markt orientierte (Anlagen B8/B8a, B12/B12a).

Auf die von der Berufung kritisierte Überlegung des Landgerichts, dass die unterschiedlichen Lebens- und Rechtsverhältnisse in den verschiedenen Ländern zu unüberschaubaren Haftungsrisiken für die Beklagte zu 3. geführt hätten, kommt es nicht an. Die Beklagte zu 3. durfte auch ohne derartige Erwägungen die Entscheidung treffen, ihr unternehmerisches Risiko auf Schadensfälle innerhalb Frankreichs zu begrenzen.

Die von der Klägerin in der Berufungsbegründung angeführte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Diskriminierungsverbot (Urt. v. 02.02.1989 zu C-186/87 – Cowan) ist auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Die Entscheidung betraf die Gewährung einer staatlichen Entschädigung an das ausländische Opfer einer Gewalttat, die in dem betreffenden Staat stattfand. Im vorliegenden Fall geht es nicht um eine staatliche Leistung. Zudem und vor allem fand die Operation gerade nicht in Frankreich statt. Hätte sich die Klägerin allerdings in Frankreich operieren lassen, wäre sie nicht anders zu behandeln als eine ebenfalls dort operierte französische Staatsangehörige. Umgekehrt wäre eine in Deutschland operierte französische Staatsangehörige nicht besser gestellt als die Klägerin. Eine Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit ist insoweit nicht erkennbar.

Eine nach anderen Vorschriften unzulässige Diskriminierung, etwa gemäß Art. 225-1 Code pénal, ist ebenfalls nicht erkennbar.

bb) Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 3. folgt auch nicht aus dem Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit (jetzt Art. 34 f. AEUV).

Zum einen entfaltet die Warenverkehrsfreiheit schon keine unmittelbare Drittwirkung in Rechtsbeziehungen zwischen Privaten (Leible/Streinz in Grabitz/Hilf/Nettesheim, „Das Recht der Europäischen Union“, 60. EL 2016, Art. 34 AEUV Rn. 40, Art. 35 AEUV Rn. 4, jeweils m.w.N.).

Zum anderen ist die Warenverkehrsfreiheit auch sachlich nicht betroffen. Die räumliche Beschränkung des zwischen der Beklagten zu 3. und der Q vereinbarten Versicherungsschutzes hat den grenzüberschreitenden Vertrieb der fraglichen Brustimplantate in keiner Weise behindert. Die Beschränkung war weder geeignet, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, noch bezweckte oder bewirkte sie eine spezifische Beschränkung der Ausfuhrströme (vgl. EuGH NJW 1975, 515 – Dassonville – zu Art. 34 AEUV; NJW 1980, 1212 – Groenveld – zu Art. 35 AEUV).

cc) Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg auf die Dienstleistungsfreiheit (jetzt Art. 56 ff. AEUV) berufen. Ein grenzüberschreitender Dienstleistungsverkehr hat nicht stattgefunden. Die räumliche Beschränkung des Versicherungsschutzes hätte die Klägerin auch in keiner Weise daran gehindert, die Operation in Frankreich durchführen zu lassen, womit sie in den Genuss des Versicherungsschutzes gekommen wäre.

dd) Ob die Q nach französischem Recht verpflichtet gewesen wäre, auch den Einsatz ihrer Produkte außerhalb Frankreichs zu versichern, wofür indes nichts ersichtlich ist, kann dahinstehen. Aus einem etwaigen Pflichtverstoß könnte die Klägerin nämlich jedenfalls keinen Anspruch gegen die Beklagte zu 3. herleiten. Entsprechendes gilt für die Frage, ob der französische Gesetzgeber die Versicherungspflicht für französische Medizinprodukte auf den Einsatz in der gesamten EU hätte ausdehnen müssen, wobei auch hierfür nichts spricht, zumal eine solche Regelung die französischen Hersteller im EU-weiten Wettbewerb benachteiligen würde (vgl. OLG Karlsruhe GesR 2016, 363 Rn. 43).

3. Vorsorglich ist noch festzuhalten, dass auch die Anwendung des materiellen deutschen Rechts, vgl.o. 1. b), zu keinem Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 3. führen würde. Die Anwendung des materiellen Rechts eines Drittstaates kommt nicht in Betracht.

Das deutsche Recht gewährt dem Geschädigten grundsätzlich keinen Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers. Die Ausnahmevorschrift des § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VVG ist – unabhängig von der Frage der zeitlichen Anwendbarkeit – nicht einschlägig, da die Herstellung und der Vertrieb von Medizinprodukten in Deutschland keiner Versicherungspflicht unterliegt. Auf § 110 VVG bzw. § 157 VVG a.F. könnte die Klägerin ebenfalls keine Zahlungsklage gegen die Beklagte zu 3. stützen, da die Haftung der Q bislang, soweit ersichtlich, nicht bindend festgestellt wurde (vgl. zum neuen VVG OLG Nürnberg VersR 2013, 711 Rn. 11 f.).

Zudem würde der Anspruch der Klägerin auch nach deutschem Recht an der fehlenden Deckung im Versicherungsverhältnis zwischen der Beklagten zu 3. und der Q scheitern. Die oben gemachten Ausführungen zur wirksamen territorialen Begrenzung des Versicherungsschutzes gelten auch hier.

IV.

Auch die weiteren Voraussetzungen einer Beschlusszurückweisung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2-4 ZPO sind erfüllt. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats durch Urteil. Die Existenz einer Vielzahl ähnlicher Fälle ist insoweit unerheblich. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.

V.

Es ist beabsichtigt, den Feststellungsantrag der Klägerin bei der Streitwertfestsetzung mit 10.000 € zu berücksichtigen. Die abweichende Wertangabe der Klägerin (50.400 €, S. 34 der Klageschrift) erscheint deutlich übersetzt. Der Ansatz eines künftigen monatlichen Schadens i.H.v. 1.500 € wird vom konkreten Vortrag der Klägerin nicht getragen. Der Eintritt erheblicher körperlicher oder wirtschaftlicher Spätschäden erscheint unwahrscheinlich.

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