OLG Hamm, Beschluss vom 19.06.2017 – 3 U 30/17

Mai 8, 2021

OLG Hamm, Beschluss vom 19.06.2017 – 3 U 30/17

Die Regeln des Art. 40 Abs. 1 EGBGB sind im Falle eines Distanzdelikts als Sachnormverweisungen zu verstehen.

Zur Haftung des französischen Haftpflichtversicherers im sog. Brustimplantate-Skandal.
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 12.12.2016 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zu 3. vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 55.000 € festgesetzt.
Gründe

1. Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die angefochtene Entscheidung hält rechtlicher Überprüfung stand. Sie beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere, der Klägerin günstigere Entscheidung. Auch die weiteren Voraussetzungen einer Beschlusszurückweisung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2-4 ZPO sind erfüllt.

Zur näheren Begründung und zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss des Senats vom 03.05.2017 Bezug genommen. Die hierzu erfolgte Stellungnahme der Klägerin vom 01.06.2017 gibt keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung:

a) Die Klägerin meint, dass durch Einholung eines Rechtsgutachtens zu klären sei, ob die territoriale Begrenzung des zwischen der Beklagten zu 3. und der Q vereinbarten Versicherungsschutzes das versicherte Risiko beschreibe oder einen sekundären Risikoausschluss darstelle. Ein Risikoausschluss unterliege nach französischem Recht strengen formalen Voraussetzungen, die im vorliegenden Fall nicht erfüllt seien.

Der Einwand der Klägerin verfängt nicht. Bereits die Überschrift „Etendue géographique“ („Geografischer Geltungsbereich“) in den Versicherungsverträgen verdeutlicht, dass die fragliche Klausel das versicherte Risiko als solches beschreibt und nicht etwa eine Ausnahme vom generell versicherten Risiko regelt. Zum selben Ergebnis sind übereinstimmend auch die Rechtsgutachter Prof. Dr. X, Prof. Dr. C, Prof. Dr. B und Prof. L gelangt. Die Klägerin setzt sich mit den substantiierten und nachvollziehbaren Ausführungen der Rechtsgutachter nicht auseinander. Die Einholung eines weiteren Rechtsgutachtens gemäß § 293 ZPO ist nicht veranlasst. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein weiterer Gutachter wesentliche neue Erkenntnisse zur Qualifikation der Gebietsklausel liefern könnte.

b) Die Klägerin hält daran fest, dass die territoriale Begrenzung des Versicherungsschutzes gegen Gemeinschaftsrecht verstoße und daher nicht anzuwenden sei. Dem ist, wie bereits im Hinweisbeschluss des Senats dargelegt, nicht zu folgen.

Die nunmehr von der Klägerin angeführten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs können nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden. So betrafen die Urteile vom 28.04.1998 zum Aktenzeichen C-158/96, vom 16.01.2003 zu C-388/01 und vom 13.04.2010 zu C-73/08 jeweils den freien Zugang von Unionsbürgern zu Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat. Der vorliegende Fall ist ein anderer, denn die Beschränkung des Versicherungsschutzes hat die Klägerin nicht daran gehindert, sich in Frankreich (oder einem anderen Staat) operieren zu lassen.

Der Senat hält auch daran fest, dass die faktische Ungleichbehandlung der Geschädigten in Abhängigkeit vom Operationsort gerechtfertigt ist, selbst wenn darin eine mittelbare Diskriminierung nichtfranzösischer Geschädigter zu sehen sein sollte. Die Klägerin wendet ein, dass wirtschaftliche Erwägungen als Rechtfertigungsgrund generell unzulässig seien. Dem ist jedenfalls für das Handeln privater Wirtschaftsunternehmen nicht zu folgen. Ob die Beklagte zu 3. gegen entsprechend höhere Prämien bereit gewesen wäre, einen unions- oder weltweiten Versicherungsschutz zu gewähren, wie die Klägerin behauptet, ist unerheblich. Im Übrigen spricht der Umstand, dass die Beklagte zu 3. schon zum Abschluss des beschränkten Versicherungsvertrags behördlich gezwungen werden musste, deutlich gegen eine Bereitschaft zum Abschluss eines erweiterten Vertrags.

Letztlich betreffen die Ausführungen der Klägerin zum Gemeinschaftsrecht vor allem die Frage, ob der französische Staat eine unionsweite Versicherungspflicht hätte einführen müssen. Wie der Senat bereits ausgeführt hat, kommt es hierauf indes nicht an, da ein etwaiger staatlicher Rechtsverstoß – der weiterhin nicht ersichtlich ist – zu keiner Einstandspflicht der Beklagten zu 3. gegenüber der Klägerin führen würde. Selbst wenn die französischen Rechtsvorschriften erweiternd ausgelegt werden müssten, um dem Unionsrecht zur Wirksamkeit zu verhelfen, beträfe dies nicht das Versicherungsverhältnis zwischen der Beklagten zu 3. und der Q, auf das sich die Klägerin beruft.

c) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist eine mündliche Verhandlung nicht gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO geboten. Eine sachgerechte Erledigung des Berufungsverfahrens erfordert keine mündliche Erörterung der Sach- und Rechtslage. Die Klägerin hatte hinreichend Gelegenheit, ihre Einwendungen gegen die Auffassung des Senats darzulegen. Sie konnte dies sogar eingehender und nach gründlicherer Prüfung tun, als dies im Rahmen einer mündlichen Verhandlung möglich gewesen wäre. Eine persönliche Anhörung der Klägerin zu den Beschwerden, die sie auf die fraglichen Brustimplantate zurückführt, ist nicht geboten, weil eine Haftung der Beklagten zu 3. schon dem Grunde nach aus Rechtsgründen ausscheidet.

Eine „existenzielle Bedeutung“ (vgl. BT-Drucks. 17/6406, S. 9) hat der Rechtsstreit für die Klägerin ersichtlich nicht, insbesondere ist nicht erkennbar, dass die Entscheidung ihre wirtschaftliche Existenz gefährden würde. Aus der besonderen Erwähnung der Arzthaftungssachen in der Gesetzesbegründung zu § 522 ZPO folgt nichts anderes. Dort heißt es nämlich nicht, dass jede Arzthaftungssache existenziell bedeutsam sei (vgl. den Wortlaut „wie es etwa in Arzthaftungssachen der Fall sein kann“, a.a.O.). Ob die „existenzielle Bedeutung“ überhaupt ein maßgebliches Kriterium für die Gebotenheit einer mündlichen Verhandlung darstellt, kann dahinstehen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgen aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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