OLG Koblenz, Urteil vom 25. November 2009 – 1 U 1611/06

Juli 10, 2020

OLG Koblenz, Urteil vom 25. November 2009 – 1 U 1611/06
Prozessfähigkeit: Amtsermittlung bei Zweifeln an der Prozessfähigkeit des Klägers; Bestellung eines Prozesspflegers; Prozessunfähigkeit des Berufungsklägers seit Klageerhebung
Tenor
Das Versäumnisurteil des Senats vom 22. August 2007 ist wirkungslos.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 26. Oktober 2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Klägerin nimmt das beklagte Land wegen einer – vom Oberlandesgericht Zweibrücken als rechtswidrig festgestellten – Unterbringung in der …klinik … (X) im Zeitraum 16. März bis 24. April 2006 auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch.
Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht hat mit Urteil vom 26. Oktober 2006 die Klage abgewiesen; es hat den Feststellungsantrag zu 2. bereits als unzulässig erachtet und im Übrigen einen – allerdings noch nicht verjährten – Amtshaftungsanspruch mangels Verschuldens („Vertretbarkeit der [vorläufigen] Unterbringung“) oder jedenfalls mangels (haftungsausfüllenden) Ursachenzusammenhangs verneint. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die zuletzt in der Sache allein noch den Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeld weiter verfolgt.
Am Vortage der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 22. August 2007 hat die Klägerin ihrem damaligen Prozessbevollmächtigten „mit sofortiger Wirkung“ das Mandat entzogen; die Berufung der Klägerin wurde durch Versäumnisurteil des Senats vom 22. August 2008 zurückgewiesen, gegen das die Klägerin form- und fristgerecht Einspruch eingelegt hat. Der (neue) Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat – vor der Einspruchsbegründung – das Mandat niedergelegt; er hat den Senat um einen Hinweis an die Klägerin dahingehend gebeten, „dass ihre Eingaben vom Gericht nicht beachtet werden, sondern ausschließlich über einen Rechtsanwalt erfolgen müssen“. Die Mutter der Klägerin hat dem Senat ein ärztliches Attest vom 26. September 2007 zugeleitet, in dem es wie folgt heißt:
„[Die Klägerin] befindet sich in meiner hausärztlich-internistischen Behandlung. Aus medizinischen Gründen ist sie derzeit für die Dauer von ca. 6 Wochen nicht belastungs- und verhandlungsfähig.
Jegliche, vor allem emotionale Belastungen, auch postalischer Art müssen daher bis zur Wiederherstellung der Gesundheit vermieden werden.“
Die neu bestellten Prozessbevollmächtigten der Klägerin haben ein Folgeattest vorgelegt ( „ (…) weiterhin für die Dauer von 4 Wochen nicht belastungsfähig“ ); sie haben zugleich das Mandat niedergelegt.
Das beklage Land hat nachfolgend ausdrücklich die Prozessfähigkeit der Klägerin bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung sowie eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung aller bisherigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin bestritten und eine Beweiserhebung von Amts wegen angeregt. Die – neuen – Prozessbevollmächtigten der Klägerin haben in der Folge ein (ergänzendes) ärztliches Attest vorgelegt, in dem es – unter Bezugnahme auf die bereits vorliegenden Atteste – wie folgt heißt:
„(…) Hieraus ist nicht zu entnehmen, dass es sich um eine gravierende chronische neurologische oder psychiatrische Erkrankung handelt, die zu einer eventuellen Prozessunfähigkeit auf Dauer führen könnte. Daher ist auch die Einrichtung einer Betreuung der Patientin aus medizinischer Sicht keinstenfalls [sic!] indiziert.
Die Patientin weiß, dass sie geschäftsfähig ist und nach entsprechender Stabilisierung ihrer gesundheitlichen Situation auch die für sie anberaumten Gerichtstermine wieder wahrnehmen kann. (…)“
Der Senat hat mit Beschluss vom 20. November 2007 – unter Hinweis auf § 56 Abs. 1 ZPO – die Aufklärung der Prozessfähigkeit der Klägerin angeordnet; auf der Grundlage einer mündlichen (nicht öffentlichen) Anhörung der Klägerin vor dem Senat sollte ein Sachverständigengutachten erstattet werden. Die Klägerin war in der Folge nicht zu einer persönlichen Anhörung (auch nicht zunächst ohne Beisein eines Sachverständigen; s. Senatsbeschluss vom 6. März 2008) zu bewegen; die Bestellung eines – wiederum neuen – Prozessbevollmächtigten erfolgte am 28. April 2008. Im Einverständnis mit den Prozessbevollmächtigten beider Parteien (Protokoll vom 25. Juni 2008) hat der Senat mit Beschluss vom 9. Juli 2008 das zuständige Vormundschaftsgericht um die Bestellung eines Betreuers für die Klägerin mit dem Aufgabenkreis der gesetzlichen Vertretung im vorliegenden Rechtsstreit ersucht. Das Amtsgericht – Vormundschaftsgericht – Koblenz hat mit Beschluss vom 6. August 2009 – 2 XVII 331/08 – das Betreuungsverfahren ohne Begutachtung eingestellt; zur Begründung heißt es:
„Eine Begutachtung und die Einrichtung einer Betreuung lehnt [Klägerin] mit großer Entschiedenheit und Konsequenz ab. Eine Fortführung des vorliegenden Verfahrens schien daher nicht sachgerecht. Eine Betreuung (…) wäre rein tatsächlich nicht durchführbar. Die [Klägerin] ließe dies nicht zu.“
Der Senat hat mit Beschluss vom 1. September 2009 der Klägerin Gelegenheit zur Vorlage einer aktuellen fachärztlichen Bescheinigung über ihre Geschäfts- und Prozessfähigkeit gegeben und Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmt.
Die Klägerin stellt – zur Sache – die „grobe Fehlerhaftigkeit“ der gerichtlichen Unterbringungsbeschlüsse heraus; es seien dort zwingende Verfahrensrechte missachtet und konkrete Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 11 PsychKG RP (BS 2126-20) unterlassen worden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 26. Oktober 2006 aufzuheben und das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des erkennenden Gerichts gestellt werde, zu zahlen;
– hilfsweise – auf die Berufung der Klägerin die Klage als unzulässig abzuweisen.
Das beklagte Land beantragt,
den Einspruch der Klägerin gegen das Versäumnisurteil des Senats vom 22. August 2007 als unzulässig zu verwerfen;
– hilfsweise – das Versäumnisurteil des Senats vom 22. August 2007 aufrechtzuerhalten.
Das beklagte Land rügt die Prozessfähigkeit der Klägerin und hält des Weiteren die Berufung jedenfalls für unzulässig (keine eigenhändige Unterzeichnung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift; keine hinreichende Berufungsbegründung); im Übrigen – zur Sache – hält es die Verjährungseinrede ausdrücklich aufrecht und bekämpft den streitgegenständlichen Schadensersatzanspruch nach Grund und Höhe.
Die Akten Landgericht Koblenz – 10 O 491/02 – und – 1 O 441/04 – sowie Amtsgericht Andernach – 10 XIV 187/02.L – waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat.
II.
Auf den – fristgerechten und auch im Übrigen als zulässig zu behandelnden – Einspruch der Klägerin gegen das Versäumnisurteil des Senats vom 22. August 2007 wurde der Rechtsstreit im zweiten Rechtszug in die Lage vor dem Eintritt der Säumnis zurückversetzt (§ 342 i.V.m. § 539 Abs. 1 und 3 ZPO).
Die – hier ebenfalls als zulässig zu behandelnde – Berufung führt zur Feststellung der von Anfang an bestehenden Prozessunfähigkeit der Klägerin und demzufolge zur Abweisung bereits der Klage als unzulässig.
1. Das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen – im Besonderen auch der Prozessfähigkeit (§§ 51 Abs. 1, 52 ZPO) – hat das erkennende Gericht in jeder Lage des Verfahrens – auch im Berufungsrechtszug – von Amts wegen zu prüfen (§ 56 Abs. 1 ZPO). Eine nähere Aufklärung – im Wege des Freibeweises (BGH NJW 1996, 1059; 2000, 289, 290) – ist jedenfalls dann angezeigt, wenn hinreichende Anhaltspunkte für das Fehlen der betreffenden Prozess-(handlungs-)voraus-setzung bestehen (vgl. BGHZ 86, 184; 159, 94, 99). Verbleiben nach Erschöpfung aller erschließbaren Erkenntnisquellen immer noch nicht mehr weiter aufklärbare Zweifel an der Prozessfähigkeit, so geht dies zu Lasten der betroffenen Partei (BGHZ 86, 184, 189; NJW 1996, 1059 f.; 2000, 289, 290; BAG NJW 2009, 3051; Vollkommer in: Zöller, ZPO, 27. Auflage 2009, § 56 Rn. 8 f.); ein Sachurteil darf dann nicht ergehen (BGH NJW 1962, 1510 f.). Bis zur rechtskräftigen Feststellung des Mangels ist die betroffene Partei aber als prozessfähig zu behandeln; sie kann mithin insoweit Prozessvollmachten erteilen, Ablehnungsgesuche anbringen und Rechtsbehelfe wie Rechtsmittel einlegen (BGH NJW-RR 2004, 1505, 1506; OLG Koblenz, Urteil vom 22. Februar 2008 – 10 U 1328/06 – = NJW-RR 2008, 1394; Vollkommer a.a.O. Rn. 13).
2. Im Streitfall hat das beklagte Land im Verlauf des Berufungsverfahrens ausdrücklich das Bestehen der Prozessfähigkeit der Klägerin – schon zum Zeitpunkt des Beginns des vorliegenden Rechtsstreits – gerügt (vgl. zur objektiven Beweislast BGH NJW 1996, 1059; MDR 2005, 1306, 1307; Vollkommer a.a.O. Rn. 9). Unter dem Eindruck der hervorgetretenen tatsächlichen Anhaltspunkte – wie im Beschluss vom 9. Juli 2008 offengelegt – ist der Senat in die Amtsermittlung nach § 56 Abs. 1 ZPO eingetreten. Als deren Ergebnis verbleiben durchgreifende – nicht mehr weiter aufklärbare – Zweifel daran, ob die Klägerin sich rechtswirksam durch Verträge verpflichten kann (§ 52 ZPO i.V.m. § 104 Nr. 2 BGB). Für den Senat besteht – jedenfalls im Zusammenhang mit dem vorliegenden Lebenssachverhalt – der dringende und nicht zu entkräftende Verdacht einer zumindest partiellen Geschäftsunfähigkeit der Klägerin aufgrund krankhafter Störung der Geistestätigkeit bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung und durchgängig bis zum heutigen Tag. Die im Auftrag der Klägerin vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen erwecken den Eindruck von Gefälligkeitsattesten; eine aktuelle Bescheinigung wurde nicht mehr vorgelegt (vgl. Senatsbeschluss vom 1. September 2009).
a) Die Klägerin wehrt sich – wie durch ihre zahlreichen Eingaben, den Vortrag ihrer (auch ehemaligen) Prozessbevollmächtigten sowie den Gang und das Ergebnis des Betreuungsverfahrens dokumentiert – unverrück- und unbeeinflussbar gegen ihre – auch nur – persönliche Anhörung zur Aufklärung ihrer Prozessfähigkeit. Eine auch nur rudimentäre Einsicht in die prozessualen Fragestellungen ist offenkundig nicht mehr vorhanden und bei vernünftiger Abwägung aus derzeitiger Sicht wohl auch nicht mehr zu erwarten; der Senat geht – insofern in Übereinstimmung mit dem Vortrag des beklagten Landes – davon aus, dass die Klägerin ihre Ladung zur persönlichen Anhörung im Termin vom 14. Oktober 2009 bewusst vereitelt hat. Das zuständige Vormundschaftsgericht sah sich zur Anordnung einer Betreuung für die Klägerin außer Stande (Beschluss vom 6. August 2009).
b) Bei dieser Sachlage sieht der Senat – aus verfassungsrechtlichen Erwägungen (vgl. BGH NJW 2007, 3535; NJW-RR 2009, 1223 f.; Vollkommer a.a.O. § 56 Rn. 8 a.E.) – von der (zwangsweisen) Durchsetzung einer psychiatrischen Begutachtung ab. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat gegen die – vom Senat im Einzelnen offengelegte – Bewertung der Prozesslage in der letzten mündlichen Verhandlung nichts erinnert; er hat – hilfsweise – die Abweisung der Klage als unzulässig beantragt.
c) Die Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 ZPO (vorläufige Zulassung) lagen nicht vor; eine andere natürliche Person ist von der Klägerin nicht wirksam mit ihrer gerichtlichen Vertretung bevollmächtigt worden (§ 51 Abs. 3 ZPO). Der Senat hält auch daran fest, dass die Bestellung eines Prozesspflegers nach § 57 Abs. 1 ZPO im Fall der – wie hier – prozessunfähigen klagenden Partei schon aus Rechtsgründen nicht in Betracht kommt ( Vollkommer a.a.O. § 57 Rn 1; Stein/Jon-as/ Bork , ZPO, 22. Auflage 2004, § 57 Rn. 2; s. auch BGH NJW 1962, 1510 f.: „… für die beklagte Partei“ ). Soweit nach der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – ausnahmsweise – eine analoge Anwendung des § 57 Abs. 1 ZPO für die klagende Partei in Betracht kommen soll (BAG NJW 2009, 3051, 3052 Tz. 12), teilt der Senat – im Einklang mit der vorliegenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH NJW 1962, 1510) – diese den Wortlaut verlassende und damit in den Kompetenzbereich des Bundesgesetzgebers eingreifende Auslegung nicht.
3. Ergibt sich – wie hier – im Berufungsverfahren, dass die im ersten Rechtszug in der Sache unterlegene (Berufungs-)Klägerin bereits seit dem Zeitpunkt der Klageerhebung prozessunfähig war oder verbleiben insofern nicht mehr aufklärbare Zweifel, muss die Klage als unzulässig abgewiesen werden (BGH NJW 2000, 289; OLG Koblenz NJW-RR 2008, 1394). Die nachfolgenden prozessualen Erklärungen und Entscheidungen sind damit gegenstandslos geworden; hinsichtlich des Versäumnisurteils des Senats vom 22. August 2007 war dies klarstellend im Tenor auszusprechen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 i.V.m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. BGHZ 121, 397, 399 zur Kostentragungspflicht des Prozessunfähigen). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
IV.
Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird gemäß §§ 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO festgesetzt auf 10.979 Euro.

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