OLG Köln, Beschluss vom 06.06.2016 – 17 W 79/16

November 6, 2021

OLG Köln, Beschluss vom 06.06.2016 – 17 W 79/16

Tenor
Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin.

Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren: 259,90 €

Gründe
I.

Mit Urteil vom 10. Juli 2013 legte das Landgericht Köln der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auf. Am 18. Juli 2013 erließ der Rechtspfleger antragsgemäß Kostenfestsetzungsbeschluss zu Gunsten der Beklagten. Unter dem 22. Juli 2013 ging die Berufungsschrift der Klägerin beim Oberlandesgericht Köln ein, die dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten erster Instanz ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 3. August 2013 zugestellt wurde. Bereits mit Schreiben vom 24. Juli 2013 hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin demjenigen der Beklagten mitgeteilt, es sei Berufung eingelegt worden und unter Hinweis darauf um Mitteilung gebeten, ob Einverständnis damit bestehe, die Durchsetzung des Kostenerstattungsanspruchs bis zum Abschluss der Rechtsmittelinstanz zurückzustellen. Hierauf erwiderte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit Schreiben vom 26. Juli 2013: „Ich gehe davon aus, dass meine Mandantin damit einverstanden ist, wenn der Ausgleich der festgesetzten Kosten bis zum rechtskräftigen Abschluss der Sache zurückgestellt wird. Sollte das wider Erwarten nicht der Fall sein, würde ich Sie entsprechend unterrichten.“ Mit Urteil vom 20. Dezember 2013 wurde die Berufung der Klägerin kostenpflichtig zurückgewiesen. Antragsgemäß wurden zu Gunsten der Beklagten für die Berufungsinstanz am 22. Januar 2014 1.776,43 € als Kostenerstattungsanspruch festgesetzt. Der Beschluss ist rechtskräftig.

Mit Schriftsatz vom 23. November 2015 stellte die Beklagte Nachfestsetzungsantrag in Höhe von 259,90 €. Zur Begründung führt sie aus, es sei seinerzeit für die zweite Instanz irrtümlich auf der Grundlage der bis zum 31. Juli 2013 gültigen Gebührentabelle zu § 13 RVG Kostenfestsetzung beantragt worden. Da sie einen Auftrag an ihre Prozessbevollmächtigten, für sie in zweiter Instanz tätig zu werden, erst nach dem vorgenannten Datum erteilt habe, das heißt, erst nach Zustellung der Berufungsschrift, sei die neue, ab 1. August 2013 gültige Gebührentabelle zu Grunde zu legen.

Dem tritt die Klägerin entgegen. Sie ist der Ansicht, das Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 26. Juli 2013 belege, dass diese bereits vor dem 1. August 2013 von ihrer Mandantin für die zweite Instanz mandatiert worden seien, so dass die dafür angefallenen Gebühren nach der alten Gebührentabelle abzurechnen seien. Deshalb scheide eine Nachfestsetzung aus. Zudem stehe einer solchen die Rechtskraft des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 22. Januar 2014 entgegen, worin über die hier in Rede stehende Verfahrens- bzw. Terminsgebühr für die Rechtsmittelinstanz bereits befunden worden sei.

Der Rechtspfleger hat die Nachfestsetzung zunächst antragsgemäß unter dem 27. November 2015 durchgeführt. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat er seinen Kostenfestsetzungsbeschluss mit Beschluss vom 4. Januar 2016 aufgehoben. Auf das nunmehr von der Beklagten eingelegte Rechtsmittel hat er sodann Letzteren aufgehoben und mit Beschluss vom 11. Februar 2016 den Beschluss vom 27. November 2015 wieder hergestellt. Der hiergegen eingelegten sofortigen Beschwerde der Klägerin hat er nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Zur Begründung hat er ausgeführt, es sei neues Gebührenrecht zu Grunde zu legen. Maßgeblich sei § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG, wonach es auf die Auftragserteilung ankomme. § 60 Abs. 1 Satz 2 RVG beziehe sich auf den Rechtsmittelführer. Zudem sei über die zur Festsetzung beantragten Beträge noch nicht entschieden worden, so dass eine Nachfestsetzung möglich sei.

II.

Die gemäß §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 ff. ZPO i. V. m. § 11 Abs. 1 RPflG statthafte und auch ansonsten unbedenklich zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache selbst keinen Erfolg.

Die vom Rechtspfleger durchgeführte Nachfestsetzung ist rechtsfehlerfrei erfolgt.

1.

a)

Es besteht in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit darüber, dass versehentlich in einem ersten Kostenfestsetzungsverfahren nicht geltend gemachte Posten der Nachliquidation zugänglich sind (BVerfG NJW 1995, 1886; BGH NJW 2009, 3104; FamRZ 2011, 1222; NJW 2011, 1367 = AGS 2010, 580 mit zust. Anm. N. Schneider AGS 2010, 585; OLG München MDR 2003, 55; OLG Düsseldorf AGS 2006, 201; OLG Stuttgart NJW-RR 2009, 1004; OLG Celle AGS 2010, 582 mit zust. Anm. N. Schneider AGS 2010, 585; LG Trier JurBüro 2012, 250; Zöller/Herget, ZPO, 31. Aufl., § 104 Rdn. 21 „Nachliquidation“ m.w.N.). Dem steht nicht entgegen, dass auch Kostenfestsetzungsbeschlüsse der materiellen Rechtskraft fähig sein können. Diese bezieht sich nur auf die im Antrag geforderten und im Beschluss beschiedenen Beträge. Sie steht einer Nachfestsetzung bisher nicht geltend gemachter Positionen deshalb nicht entgegen.

b)

Anders ist es aber dann, wenn über denselben Streitgegenstand vormals bereits entschieden worden ist. Dies ist etwa dann der Fall (s. BGH NJW 2003, 1462), wenn auf Grund eines früheren Antrags über die Höhe der Verzinsung des zu erstattenden Betrages rechtskräftig befunden wurde, später auf Grund einer Änderung ein höherer Zinssatz gesetzlich festgelegt wird und sodann insofern Nachfestsetzung beantragt wird. In einem solchen Fall ist über den Zinssatz in voller Höhe und nicht nur über einen Teil entschieden worden, das heißt so, wie er dem Gläubiger seinerzeit von Gesetzes wegen zustand. Es ist daher kein Rest verblieben, der einer Nachfestsetzung zugänglich wäre (BGH, a.a.O.).

c)

Mit vorstehender Konstellation ist der vorliegend zu entscheidende Sachverhalt nicht zu vergleichen. Die Fälle, in denen die Rechtsprechung die Möglichkeit der Nachfestsetzung bejaht hat, sind dadurch gekennzeichnet, dass der Kostengläubiger eine Position ganz oder zumindest teilweise – so wie hier – zunächst nicht zur Kostenfestsetzung angemeldet hat, obwohl er dies aus Rechtsgründen erfolgreich hätte machen können. Bei ihrem ersten Kostenfestsetzungsantrag hatte die Beklagte übersehen, dass sie – wie unten noch darzulegen sein wird – einen Auftrag für die Vertretung in zweiter Instanz erst nach dem 31. Juli 2013 an ihre Prozessbevollmächtigten erteilt hatte, so dass dieser berechtigt war, nach der ab dem 1. August 2013 geltenden (höheren) Gebührentabelle abzurechnen. Da sie insoweit, das heißt wegen des Differenzbetrages, seinerzeit keinen Antrag gestellt hatte, ihn aber hätte stellen können, stehen der Nachfestsetzung keine rechtlichen Bedenken entgegen.

Davon abweichend lag der Sachverhalt in dem vom Bundesgerichtshof (NJW 2003, 1462) entschiedenen Fall dahingehend, dass die Kostenfestsetzung im Hinblick auf die Zinsen nach der seinerzeit geltenden Rechtslage rechtskräftig durchgeführt worden war und erst zeitlich danach auf Grund einer Änderung ein höherer Zinssatz gesetzlich verankert wurde. In einem solchen Fall ist eine Nachfestsetzung aus Gründen der Rechtskraft nicht möglich, weil über den Anspruch vollumfänglich bereits entschieden worden war.

2.

Die Beklagte kann ihrem Antrag auf Nachfestsetzung erfolgreich die ab dem 1. August 2013 geltende Gebührentabelle nach § 13 RVG zu Grunde legen.

a)

Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG gilt der allgemeine Grundsatz, dass es für die Frage, ob die Vergütung des Rechtsanwalts nach altem oder neuem Recht vorzunehmen ist, auf den Tag der unbedingten Auftragserteilung ankommt. Lag dieser vor dem 1. August 2013, so gilt für beide Rechtsanwälte die alte Gebührentabelle; lag er nach dem 31. Juli 2013, ist die neue zu Grunde zu legen.

Von diesem Grundsatz macht § 60 Abs. 1 Satz 2 RVG jedoch für das Rechtsmittelverfahren eine Ausnahme. Es ist danach zu differenzieren, ob der Rechtsanwalt bereits in der vorhergehenden Instanz tätig war oder nicht. Falls nein, bleibt es bei dem in § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG normierten Grundsatz, das heißt, maßgeblich ist das Datum der Auftragserteilung. Anderenfalls bestimmt § 60 Abs. 1 Satz 2 RVG, dass es auf den Tag der Einlegung des Rechtsmittels ankommt, wenn der Rechtsanwalt den Mandanten auch schon in der Vorinstanz vertreten hat. Hat der Rechtsanwalt des Rechtsmittelführers die Rechtsmittelschrift vor dem 1. August 2013 bei Gericht eingereicht, gilt für ihn altes Gebührenrecht. Beim Rechtsanwalt des Rechtsmittelgegners ist hinsichtlich der bei der Berechnung seiner Honorierung zu Grunde zu legenden Tabelle entscheidend, ob ihm der unbedingte Auftrag zur Vertretung in der Rechtsmittelinstanz vor dem 1. August 2013 – dann gilt altes Recht – oder nach dem 31. Juli 2013 – dann gilt neues Recht – erteilt wurde. Wird das Rechtsmittel nach dem 31. Juli 2013 eingelegt, gilt für beide Rechtsanwälte neues Recht (s. Hartung/Schons/Enders, RVG, 2. Aufl., § 60 Rdn. 22 ff.; Mayer, in: Gerold/Schmidt u. a., RVG, 22. Aufl., § 60 Rdn. 59 ff.; N. Schneider/Wolf, RVG, 7. Aufl., § 61 Rdn. 7 ff.; N. Schneider AnwBl 2013, 586, 587 f.; Riedel/Sußbauer/H. Schneider, RVG, 10. Aufl., § 60 Rdn. 24 ff.).

b)

Da es – wie dargelegt – dazu kommen kann, dass die beiden Rechtsanwälte für dasselbe Berufungsverfahren unterschiedlich honoriert werden, wird die Regelung in § 60 Abs. 1 Satz 2 RVG heftig kritisiert. Während N. Schneider (§ 61 Rdn. 8) meint, wegen der Ungleichbehandlung, der sich der Gesetzgeber wohl nicht bewusst gewesen sei, solle die Vorschrift nicht angewendet werden, will Hartung (Rdn. 24 f.) sie dahingehend auslegen, dass sie nur auf den vorinstanzlich tätig gewesenen Rechtsanwalt anzuwenden ist, der ein Rechtsmittel nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung einlegt. Für dessen Vergütung soll es ausnahmsweise nicht auf die Auftragserteilung, sondern die Einlegung des Rechtsmittels ankommen.

Demgegenüber weisen Mayer (Rdn. 60), H. Schneider (Rdn. 25) und Jungbauer (Bischof/Jungbauer u. a., RVG, 4. Aufl., § 61 Rdn. 75) wohl zu Recht darauf hin, dass von einem Versehen des Gesetzgebers nicht (mehr) ausgegangen werden kann, da dieser anlässlich des zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes in Kenntnis der Kritik keinen Anlass gesehen hat, § 60 Abs. 1 Satz 2 RVG zu ändern. Bis zu einer Gesetzesänderung oder aber einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist die in Rede stehende Vorschrift deshalb geltendes Recht und damit auch anzuwenden.

c)

Dies vorausgeschickt ist der Antrag der Beklagten auf Nachfestsetzung erfolgreich. Denn sie kann bei der Berechnung des ihr gegen die Klägerin zustehenden Kostenerstattungsanspruchs die neue Gebührentabelle zu Grunde legen. Ihre Prozessbevollmächtigten waren für sie bereits in erster Instanz tätig. Deshalb ist maßgeblicher Zeitpunkt das Datum, an dem sie diesen einen unbedingten Auftrag für ihre Vertretung im Berufungsverfahren erteilt hat.

Hierzu hat die Beklagte substantiiert und nachvollziehbar dargelegt, dies sei erst nach dem 31. Juli 2013 geschehen. Denn damit korrespondiert der Umstand, dass die Berufungsschrift vom 20. Juli 2013 ausweislich des Empfangsbekenntnisses den Prozessbevollmächtigten der Beklagten erst am 3. August 2013 zugestellt wurde. Dass schon zuvor ein Auftrag für das Berufungsverfahren erteilt worden sein könnte, erscheint als nicht plausibel. Zudem hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten, Rechtsanwalt Dr. I, schriftsätzlich erklärt, solches sei nicht der Fall gewesen, mithin im Sinne des § 294 ZPO die Behauptung der Beklagten glaubhaft gemacht. Denn was der Rechtsanwalt in dieser Eigenschaft selbst wahrgenommen hat, kann er Erklärung anwaltlich versichern (Zöller/Greger, § 294 Rdn. 5 m.w.N.).

In diesem Zusammenhang kann sich die Klägerin nicht erfolgreiche auf dessen Schreiben vom 26. Juli 2013 berufen. Zwar hat Rechtsanwalt Dr. I auf die Anfrage des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Juli 2013, ob Einverständnis bestehe, die Vollstreckung aus dem für die erste Instanz erlassenen Kostenfestsetzungsbeschluss bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsmittelverfahrens zurückzustellen, unter dem 26. Juli 2013 schriftsätzlich geantwortet, er „gehe davon aus, dass seine Mandantin einverstanden sei, werde sich anderenfalls melden“. Dem kann aber zur Überzeugung des Senats gerade nicht entnommen werden, dass Rechtsanwalt Dr. I zu diesem Zeitpunkt bereits ein unbedingter Auftrag zur Vertretung der Beklagten im Berufungsverfahren erteilt worden war. Die Formulierung „Ich gehe davon aus“ spricht gerade dafür, dass er zur Mandantin, der Beklagten, noch keinen Kontakt hatte, was sich auch darin zeigt, dass er sich melden wollte, falls diese nicht mit dem Vorschlag des heutigen Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin einverstanden sein sollte.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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