OLG Köln, Beschluss vom 19.10.2015 – 19 U 93/15

November 14, 2021

OLG Köln, Beschluss vom 19.10.2015 – 19 U 93/15

Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 18.05.2015 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Bonn – 10 O 424/14 – wird gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückgewiesen, mit der Maßgabe, dass sich die vorläufige Vollstreckbarkeit nach diesem Beschluss richtet.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil des Landgerichts Bonn vom 18.05.2015 – 10 O 424/14 – und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe
I.

Einer Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse gemäß § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO bedarf es mangels Anfechtbarkeit des vorliegenden Beschlusses nach § 522 Abs. 3 ZPO nicht. Denn auch gegen ein aufgrund mündlicher Verhandlung ergangenes Urteil wäre keine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision statthaft (§§ 313 a Abs. 1 Satz 1, 540 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO), da der Streitwert nicht mehr als 20.000,00 € beträgt.

II.

Die Berufung ist gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen. Die Berufung des Klägers hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Es ist nicht ersichtlich, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO). Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO). Ebenso wenig ist eine Entscheidung des Senats durch Urteil zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO) oder aus anderen Gründen eine mündliche Verhandlung geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO).

Der Kläger ist auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür mit Beschluss des Senats vom 03.09.2015 hingewiesen worden.

A. Der Senat hat in dem vorgenannten Beschluss Folgendes ausgeführt:

„Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Auf die zutreffenden Gründe des erstinstanzlichen Urteils wird zunächst Bezug genommen. Die Berufungsbegründung sowie die Berufungserwiderung geben lediglich Anlass zu folgenden Ausführungen:

Ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer der Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflicht steht dem Kläger nicht zu, §§ 823 Abs. 1, 249 ff. BGB.

Soweit das Landgericht offen gelassen hat, ob sich der streitgegenständliche Schadensfall vom 06.09.2014 im Verkaufsraum oder im Lager der Beklagten zugetragen hat, ist dies nicht zu beanstanden. Es kann auch als richtig unterstellt werden, dass sich der gewünschte Rasenmäher in dem oberen der auf etwa 2 m Höhe aufgetürmten Kartons befunden hat. Denn aus dem eigenen Vortrag des Klägers folgt keine haftungsbegründende Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten.

Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (vergleiche u.a. BGH, Urteil vom 16.05.2006, VI ZR 189/05; Urteil vom 03.06.2008, VI ZR 223/07; jeweils zitiert nach juris). Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (vergleiche BGH, a.a.O.). Diese Verpflichtung trifft grundsätzlich auch ein Einzelhandelsunternehmen in Bezug auf seine Geschäftsräume. Es hat in den Grenzen des technisch Möglichen und wirtschaftlich Zumutbaren dafür zu sorgen, dass die Kunden durch die angebotene Ware und den Zustand der Geschäftsräume keine Schäden erleiden (vergleiche OLG Hamm, Teilurteil vom 15.03.2013, 9 U 187/12; OLG Köln, Urteil vom 24.07.2008, 12 U 8/08; jeweils zitiert nach juris).

Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden (vergleiche BGH, Urteil vom 16.05.2006, VI ZR 189/05; Urteil vom 03.06.2008, VI ZR 223/07; jeweils zitiert nach juris). Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es reicht anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind (vergleiche BGH, a.a.O.).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Beklagten im vorliegenden Fall eine Pflichtverletzung nicht vorzuwerfen.

Dass die räumlichen Verhältnisse im Baumarkt der Beklagten in irgendeiner Weise ursächlich für den Hergang des Unfalls vom 06.09.2014 gewesen wären, wird klägerseits nicht dargelegt und ist auch ansonsten nicht ersichtlich. Daher kommt es nicht darauf an, ob der Kläger den Rasenmäher im Verkaufsraum oder im Lager der Beklagten auf seinen Einkaufswagen laden wollte. Ebenso wenig hat sich eine etwaige Kippgefahr der angeblich auf 2 m aufgetürmten Kartons in dem streitgegenständlichen Schadensfall verwirklicht. Hierauf weist die Beklagte im Rahmen der Berufungserwiderung zutreffend hin. Der Kläger verkennt offenbar, dass er es selbst gewesen ist, dem – seinem eigenen Vortrag zufolge – durch Herausziehen des Rasenmäherkartons dieser entglitten ist, was schließlich zu der Verletzung geführt hat. Mithin ist es der Kläger selbst gewesen, der die letztlich den Schaden auslösende Gefahrenlage geschaffen hat, nicht die Beklagte.

Das Verhalten des Klägers ist der Beklagten auch nicht zuzurechnen.

Soweit der Kläger behauptet hat, er sei von einem Mitarbeiter der Beklagten dazu aufgefordert worden, den Rasenmäher auf seinen Einkaufswagen zu laden, kann dem nicht gefolgt werden. Der Vortrag ist von Seiten der Beklagten ausdrücklich bestritten worden. Beweis für die Richtigkeit der Behauptung ist von dem beweispflichtigen Kläger nicht angetreten worden, auch nicht durch Zeugnis seiner Ehefrau, die offenbar bei dem Gespräch vor dem Regal nicht zugegen gewesen ist.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist von einer entsprechenden Aufforderung, den Karton alleine dem Regal zu entnehmen, auch dann nicht auszugehen, wenn der Kläger – entsprechend seinem Vortrag – von einem Mitarbeiter der Beklagten nach Hinweis auf den gewünschten Rasenmäher alleine vor dem Regal stehen gelassen worden ist, was im Übrigen – obwohl beklagtenseits bestritten – von dem Kläger ebenfalls nicht unter Beweis gestellt worden ist. Mit dem Landgericht wäre einem schlichten Sich-Entfernen des Verkaufsberaters der Beklagten kein Erklärungswert in diesem Sinne beizumessen.

Letztlich ist es der Kläger selbst gewesen, der seine eigenen Möglichkeiten falsch einschätzend den Karton aus dem Regal gezogen hat, ohne zuvor das Gewicht zu prüfen. Dabei musste ihm klar sein, dass das Paket mit dem Benzinrasenmäher recht schwer sein würde, auch wenn auf dem Karton – unstreitig – keine Gewichtsangabe vermerkt war und die genaue Kg-Zahl dem Kläger nicht bekannt gewesen ist. Damit, dass der große Rasenmäher mit Benzinmotor und 53 cm Schnittbreite ein beträchtliches Gewicht hatte, war ohne Weiteres zu rechnen. Dass sich gerade bei dem Entnehmen über Kopf aus einer Höhe von ca. 2 m die Gefahr des Entgleitens des Pakets und mithin der Verletzung ergab, lag ebenfalls auf der Hand. Damit, dass dennoch ein Kunde es alleine versuchen würde, das schwere Rasenmäherpaket ohne fremde Hilfe dem Regal zu entnehmen, war auf Seiten der Beklagten nicht zu rechnen.

Die maßgeblichen Sicherungserwartungen des Verkehrs sind nämlich herabgesetzt gegenüber Gefahren, die jedem vor Augen stehen müssen und vor denen man sich deshalb durch die zu verlangende eigene Vorsicht ohne Weiteres selbst schützen kann (vergleiche BGH, Urteil vom 11.12.1984, VI ZR 218/83; OLG Hamm, Urteil vom 29.11.2011, 19 U 188/11; jeweils zitiert nach juris).

Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung ist der Beklagten daher nicht vorzuwerfen.

Kommt es in Fällen, in denen keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernt liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Geschädigte – so hart dies im Einzelfall sein mag – den Schaden selbst tragen (vergleiche BGH, Urteil vom 16.05.2006, VI ZR 189/05, zitiert nach juris).

Dies gilt hier unter dem Gesichtspunkt des Eigenverschuldens (§ 254 Abs. 1 BGB) umso mehr, als der Kläger – wie vorstehend ausgeführt – durch sein unvernünftiges Verhalten die Gefahrenlage für sich selbst erst geschaffen hat. Keineswegs konnte, durfte und musste der Kläger davon ausgehen, den Karton alleine verladen zu können, wie er im Rahmen seiner Berufungsbegründung meint. Der Kläger hätte durch vorsichtiges Anheben des Kartons ohne Weiteres feststellen können, dass er das Paket nicht ohne fremde Hilfe aus dem Regal nehmen konnte. Diese hätte er sich bei den Mitarbeitern der Beklagten durchaus beschaffen können. Dass solche gar nicht mehr im Baumarkt anwesend gewesen wären, wird klägerseits nicht vorgetragen. Soweit der Kläger meint, es sei ihm nicht zumutbar gewesen, bei dem – wie er behauptet – unfreundlichen Personal der Beklagten, Hilfe zu erfragen, ist ihm entgegenzuhalten, dass es ihm freigestanden hätte, von dem Kauf des Rasenmähers Abstand nehmend den Baumarkt zu verlassen. Dies wäre ggf. vernünftiger gewesen, als sich der ohne Weiteres erkennbaren Gefahr des Entgleitens des schweren Rasenmäherkartons auszusetzen. Statt der aufgezeigten Handlungsalternativen wollte der Kläger „eigentlich nur noch den Rasenmäher haben, also runter holen, bezahlen und dann nach Hause fahren“, wie er im Rahmen seiner Anhörung vor dem Landgericht selbst bekundet hat. Dass der Kläger – wie von ihm eingeräumt – erst, als es zu spät war, gemerkt hat, dass es so keinen Sinn macht, zeigt letztlich sein eigenes Verschulden.

Für die Folgen seines selbstverschuldeten Unfalls haftet die Beklagte daher nicht.

Aus denselben Gründen entfällt auch eine (quasi-) vertragliche Haftung der Beklagten gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Haftungsmaßstab für vertragliche bzw. vertragsähnliche Schadensersatzansprüche in Fällen wie dem vorliegenden derselbe wie im Deliktsrecht.

Im Ergebnis kann der Kläger von der Beklagten mithin nicht den geltend gemachten materiellen (§ 249 BGB) und immateriellen (§ 253 Abs. 2 BGB) Schaden ersetzt verlangen, weder im Wege der auf Zahlung gerichteten Klageanträge zu 1) und 3) noch mit dem Feststellungsantrag zu 2).

Entsprechend entfallen die auf Zinsen und auf Erstattung vorprozessual ausgelöster Rechtsanwaltskosten gerichteten Nebenforderungen.“

B. Hieran hält der Senat fest. Die ergänzende Stellungnahme des Klägers mit Schriftsatz vom 05.10.2015 veranlasst den Senat nicht, von seiner Auffassung abzurücken. Lediglich zur Klarstellung sei hierzu Folgendes ausgeführt:

Inzwischen räumt der Kläger ausdrücklich ein, dass sein eigenes Verhalten den Schaden erst möglich gemacht hat und dass er in der konkreten Situation seine Kraft in Bezug auf das Gewicht des Rasenmähers überschätzt hat. Soweit klägerseits dennoch der Beklagten die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht vorgeworfen wird, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Denn eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist praktisch nicht erreichbar (vergleiche BGH, Urteil vom 16.05.2006, VI ZR 189/05; Urteil vom 03.06.2008, VI ZR 223/07; jeweils zitiert nach juris). Auch der Betreiber eines Selbstbedienungsgeschäfts muss nicht für alle denkbaren entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen (vergleiche OLG Hamm, Beschluss vom 29.11.2011, 19 U 188/11, zitiert nach juris).

Der vorliegende Fall unterscheidet sich ganz wesentlich von denjenigen, die den klägerseits zitierten Entscheidungen (OLG Koblenz, Urteil vom 27.09.1994, 3 U 1595/93; OLG Hamm, Urteil vom 16.10.2000, 6 U 253/99; OLG Köln, Urteil vom 24.04.1996, 2 U 107/95; OLG Köln, Urteil vom 24.07.2008, 12 U 8/08; jeweils zitiert nach juris) zugrunde gelegen haben und in denen es um die Reinigung sowie Kontrolle des Fußbodens in Ladenlokalen ging. Hier ist es der Kläger selbst gewesen, der durch sein inzwischen von ihm erkanntes Fehlverhalten die Gefahrenlage erst geschaffen hat, ohne dass auf Seiten der Beklagten mit einem derart unvernünftigen Verhalten eines Kunden zu rechnen gewesen wäre.

Die Verkehrssicherungspflicht soll nicht vor Gefahren schützen, die für jedermann ohne Weiteres erkennbar sind und vor denen er sich selbst schützen kann (vergleiche OLG Hamm, Beschluss vom 29.11.2011, 19 U 188/11, zitiert nach juris).

Im vorliegenden Fall hat der Kläger ein von ihm selbstverschuldetes „Unglück“ erlitten und kann der Beklagten als Betreiberin des Baumarktes kein „Unrecht“ vorhalten (vergleiche BGH, Urteil vom 16.05.2006, VI ZR 189/05, zitiert nach juris).

Daher steht ihm gegen die Beklagte weder ein deliktischer (§ 823 Abs. 1 BGB) noch ein vertraglicher oder vertragsähnlicher (§§ 280, 311 BGB) Schadensersatzanspruch zu.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 14.100 €

(Antrag 1: 10.000 €; Antrag 2: 4.000 €;

Antrag 3: 100 €)

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