OLG Köln, Beschluss vom 21.12.2018 – 5 U 47/18

Oktober 17, 2021

OLG Köln, Beschluss vom 21.12.2018 – 5 U 47/18

Ein ziviler Beschäftigter der NATO, der in einem Verfahren nach den NATO-Zivilpersonalvorschriften (NCPR) die Feststellung seiner beruflich bedingten Invalidität anstrebt, kann nicht vor einem deutschen Zivilgericht die Einsichtnahme in seine im dortigen Verfahren angelegten Patientenunterlagen verlangen, wenn die das Invaliditätsverfahren betreffenden Vorschriften ein Einsichtsrecht nicht ausdrücklich vorsehen und der NATO-interne Rechtsweg zuvor vergeblich ausgeschöpft wurde. Eine entsprechende Klage ist wegen fehlender deutscher Gerichtsbarkeit schon unzulässig.

Tenor
Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 07.03.2018 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen – 11 O 231/17 – gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Hinweis innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses (§ 522 Abs. 2 S. 3 ZPO).

Gründe
I.

Die Berufung hat nach gründlicher Prüfung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Urteil weder auf eine Rechtsverletzung beruht noch nach § 529 ZPO zugrunde liegenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§§ 522 Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1 ZPO).

Die Klage ist bereits unzulässig, denn die deutsche Gerichtsbarkeit ist gemäß § 20 GVG nicht gegeben.

1.

Die Befreiung von der deutschen Gerichtsbarkeit ist ein selbständiges Hindernis prozessualer Art, das dem gerichtlichen Tätigwerden entgegensteht und daher vorrangig vor anderen Prozessvoraussetzungen zu prüfen ist (BAG, Urteil vom 30. April 1992 – 2 AZR 548/91 -, Rn. 38, juris; Lückemann in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, Vorbemerkungen zu §§ 18-20, Rn. 3).

2.

Zwar können die Parteien auf eine Befreiung von der deutschen Gerichtsbarkeit verzichten. Ein solcher Verzicht liegt hier jedoch auf Seite des Beklagten nicht vor. Er hat sich mit Schriftsatz vom 07.11.2017 auf die Unzulässigkeit der Klage berufen und dabei die Auffassung vertreten, dass die Inanspruchnahme der Zivilgerichte nicht zulässig sei.

3.

Die deutsche Gerichtsbarkeit erstreckt sich nach § 20 GVG nicht auf solche Personen, die nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen oder sonstigen Rechtsvorschriften von ihr befreit sind. Als solche völkerrechtliche Vereinbarungen sind sowohl das Nato-Truppenstatut vom 19.06.1951 (BGBl II 1961, 1190), und die dazugehörigen Zusatzabkommen vom 3.08.1959 (BGBl II 1218); geändert durch Abkommen von 18.03.1993 (BGBl II 1994, 2594, 2598) und StreitkräfteaufenthaltsG vom 20.07.1995 (BGBl II 554), zuletzt geändert durch Art 229. VO von 31.08.2015, BGBl. I 1474, 1508 (Lückemann in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 20 GVG, Rn. 5) als auch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik und dem Obersten Hauptquartier der Alliierten Mächte, Europa (Ergänzungsabkommen zum Hauptquartierprotokoll (BGBl. II, 1969, S.2009) anzusehen.

a) Die zuvor genannten Vertragsbestimmungen (Nato-Truppenstatut, Zusatzabkommen zum Truppenstatut, Hauptquartierprotokoll und Ergänzungsabkommen) enthalten zwar keine Regelung, wonach entsprechend privilegierte Organisationen für Rechtsstreitigkeiten der vorliegenden Art ausdrücklich von der deutschen Gerichtsbarkeit ausgenommen sind. Der Ausschluss der deutschen Gerichtsbarkeit ergibt sich vorliegend jedoch aus den NATO Civilian Personnel Regulations (NCPR), die auf Grundlage von Art. 7 des Ergänzungsabkommens zum Hauptquartierprotokoll geschaffen wurden.

aa) Nach Art. 7 des Ergänzungsabkommens zum Hauptquartierprotokoll können zivile Bedienstete eines in der Bundesrepublik Deutschland errichteten Hauptquartiers, die nach der Dienstbezügeordnung der NATO besoldet werden und in der Verwaltung des Hauptquartiers eine Dauerstelle einnehmen sollen, unmittelbar von SHAPE (Oberstes Hauptquartier der Allierten Mächte, Europa) eingestellt werden. Für dieses internationale Personal gelten die vom Nordatlantikrat (NATO-Rat) festgelegten Beschäftigungsbedingungen. Der Kläger gehörte unstreitig zum internationalen Personal im Sinne von Art. 7 des Ergänzungsabkommen.

bb) Die durch den NATO-Rat geschaffenen NCPR enthalten unter anderem Regelungen über Ansprüche internationaler Mitarbeiter auf Gewährung einer Invaliditätsrente. Über Anträge entscheidet ein Invaliditätsausschuss (sog. Invalidity Board). Der Invaliditätsausschuss bildet innerhalb der NATO eine eigene „organisatorische Einheit“. Das Invaliditätsverfahren und die Entscheidung des Invaliditätsausschusses sowie das nachgeordnete Gerichtsverfahren („Tribunal“) sind in den NCPR detailliert geregelt.

cc) Die NCPR und das Ergänzungsabkommen zum Hauptquartierprotokoll enthalten zwar keine ausdrücklichen Regelungen – insbesondere für Klagen ihrer Bediensteten -, nach der die inländische Gerichtsbarkeit ausgeschlossen wird.

Nach einer an Sinn und Zweck orientierten Auslegung der NCPR ist jedoch davon auszugehen, dass für das internationale Personal ausschließlich die darin enthaltenen Regelungen gelten sollen und die Anwendung und Auslegung der NCPR der mitgliedschaftlichen und damit auch der deutschen Gerichtsbarkeit entzogen sind.

Die Vertragsparteien des Hauptquartierprotokolls und des Ergänzungsabkommens haben in Art. 7 Ergänzungsabkommen normiert, dass das SHAPE unmittelbar Zivilbedienstete einstellen kann und eigene Beschäftigungsregeln, wie es die NCPR sind, gelten sollen. Die Vertragsparteien haben damit vereinbart, dass die Rechtsverhältnisse zwischen den Hauptquartieren und dem internationalen Personal autonom von der NATO geregelt werden sollen.

Der Nordatlantikrat hat durch den „Erlass“ der NCPR für das internationale Personal ein eigenes Dienstrecht geschaffen. Die NCPR enthalten umfassende, das Dienstverhältnis zwischen der NATO und dem internationalen Personal sowie deren Angehörigen betreffende Regelungen. Es besteht eine eigene Personalordnung. Das in Annex IV, Chapter III, Article 13 ff geregelte Invaliditätsverfahren ist detailliert ähnlich einem Verwaltungsverfahren geregelt. Der Verfahrensablauf bestimmt sich nach der Anweisung (instruction) zu Art. 13.2 Annex IV der NCPR. Über die Anerkennung der Invalidität entscheidet der Invaliditätsausschuss. Die Entscheidung kann nur wegen „offensichtlich“ sachlicher Fehler überprüft werden (vgl. Annex IV Art. 13, Instruction 13/4 iii)). Rechtsstreitigkeiten aus dem Dienstverhältnis werden von dem NATO „Administrative Tribunal“ in Brüssel entschieden. Das Verfahren des Verwaltungstribunals ist als Annex IX zu den NCPR in Art. 6 normiert. Unter 6.2 sind die Kompetenzen des Tribunals geregelt. Daraus ergibt sich ausdrücklich, dass das Tribunal für Rechtsstreitigkeiten aus einem Rechtsverhältnis, welches das nach dem Regelungswerk der NCPR beurteilt wird, zuständig ist.

Die Schaffung des Dienstrechts dient der Vereinheitlichung und der „reibungslosen“ Wahrnehmung bestimmter Aufgaben. Das Dienstrecht umfasst auch die Befugnis, Streitigkeiten über dienstrechtliche Rechtsverhältnisse aus der jeweiligen innerstaatlichen Rechtsprechungsgewalt auszunehmen oder durch eine einzige (internationale) Gerichtsbarkeit vorzusehen, wie sie für internationale Organisationen durchaus üblich ist (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 07. August 1979 – IV 1355/79 -, Rn. 15, juris).

Aus dem umfassenden und abschließenden Regelungswerk der NCPR als auch des Hauptquartierprotokolls und Ergänzungsabkommen lässt sich ableiten, dass die NATO und ihre Hauptquartiere über Dienstangelegenheiten ihres internationalen Personals selbständig und autonom unter Ausschluss mitgliedschaftlicher Gerichte entscheiden dürfen. Der Ausschluss dient der Rechtsvereinheitlichung, denn die Entscheidung durch nationale Gerichte würde die Gefahr bergen, dass die Regelungen des NCPR unterschiedlich ausgelegt würden.

dd) Der Beklagte wird – bei zutreffender Betrachtungsweise – von dem Kläger nicht als Privatperson aufgrund eines privatrechtlichen bzw. selbständigen Rechtsverhältnisses, sondern als Mitglied des Invaliditätsausschusses in Anspruch genommen. Als solcher ist er von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit.

Die NCPR enthalten für das Invaliditätsverfahren detaillierte Regelungen. Über den Antrag auf Gewährung einer Invaliditätsrente entscheidet der Invaliditätsausschuss. Der Entscheidung kann eine medizinische Untersuchung des Antragstellers vorangehen. Die Untersuchung des Klägers ist vorliegend durch den Beklagten als eines von drei Mitgliedern des Invaliditätsausschusses erfolgt. Die Untersuchung und das darauf basierende Gutachten sind Bestandteil des Invaliditätsverfahrens.

Ein über den Gegenstand des Invaliditätsverfahren hinausgehendes Behandlungsverhältnis, das den Vorschriften der §§ 630a BGB ff unterliegen würde, liegt ersichtlich nicht vor. Der Kläger ist allein aufgrund der nach dem Invaliditätsverfahren vorgesehenen Verfahrensweise untersucht worden. Eine von dem Invaliditätsverfahren zu trennende medizinische Behandlung des Klägers i.S.d. § 630a BGB hat nicht stattgefunden.

ee) Der vorliegend geltend gemachte Anspruch auf Einsicht in Unterlagen, die der medizinischen Beurteilung des Invaliditätsanspruchs und der Vorbereitung der Entscheidung des Invaliditätsausschusses dienen, steht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Invaliditätsverfahren und kann nicht getrennt von diesem gesehen werden. Die Unterlagen werden – nach Vorbringen des Klägers – dazu benötigt, um eine Wiederaufnahme des Invaliditätsverfahrens betreiben zu können. Auch der Kläger hat dies ursprünglich nicht anders gesehen, als er in dem Invaliditätsverfahren vor dem Tribunal ein Einsichtsrecht in die Unterlagen eingefordert hat (vgl. Judgment 2016/1076)

Aus dem Umstand, dass das Tribunal unter Punkt 55. seiner Entscheidung 2016/1076 ausgeführt hat, dass alle Streitigkeiten über die Beziehung zwischen Patienten und praktizierenden Ärzten und die daraus resultierenden Pflichten und Rechte, außerhalb seiner Zuständigkeit liegen und es den Beklagten nicht zur Gewährung von Einsicht in die Unterlagen verpflichten könne, folgt nichts anderes. Dass sich das Tribunal nicht zur Entscheidung über ein Einsichtsrecht des Klägers berufen fühlt, wie sich dem Judgment 2017/1113 (dort Seite 9) entnehmen lässt, kann die Zuständigkeit nationaler Gerichte nicht begründen.

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