OLG Köln, Beschluss vom 29.06.2015 – 8 AR 39/15

November 21, 2021

OLG Köln, Beschluss vom 29.06.2015 – 8 AR 39/15

Ein Verweisungsbeschluss, der sich auf eine durch einen Steuerberater geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung stützt, ist nicht bindend.

Tenor
Zuständig ist das Landgericht Bonn.

Gründe
Als zuständiges Gericht ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO das Landgericht Bonn zu bestimmen.

1. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts durch den Senat liegen vor. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind gegeben, weil im Falle des Kompetenzkonflikts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 5 oder 6 ZPO die Vorlage durch eines der beteiligten Gerichte ausreicht (BGH, Urteil vom 7. März 1991 – I ARZ 15/91, VersR 1991, 1306; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 37 Rn. 2 mwN). Gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO wird das zuständige Gericht bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich für unzuständig erklärt haben. Solche Unzuständigkeitserklärungen liegen mit den Beschlüssen der Landgerichte Bonn vom 29. April 2015 und Köln vom 22. Juni 2015 vor. Das Oberlandesgericht Köln ist als das nächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Landgerichte Bonn und Köln zur Entscheidung des zwischen diesen Gerichten bestehenden Zuständigkeitsstreits berufen (§§ 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO).

2. Das Landgericht Bonn ist örtlich gemäß § 21 Abs. 1 ZPO zuständig. Sein Verweisungsbeschluss ist unwirksam und deshalb nicht nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend.

a) Die Zuständigkeit des Landgerichts Bonn folgt aus § 21 Abs. 1 ZPO. Hiernach ist ein besonderer Gerichtsstand der Niederlassung an dem Ort begründet, wo sich eine Niederlassung der beklagten Partei befindet, von der aus unmittelbar Geschäfte geschlossen werden und auf deren Geschäftsbetrieb die Klage Bezug hat. Das setzt die Selbständigkeit der Niederlassung voraus; entscheidend ist jedoch nicht das innere Verhältnis zum Hauptunternehmen, sondern ob nach außen der Anschein einer selbständigen Niederlassung erweckt wird (BGH, Urteil vom 13. Juli 1987 – II ZR 188/86, NJW 1987, 3081, zitiert juris Rn. 17; OLG Köln, Beschluss vom 10. Dezember 2012 – 8 AR 84/12, zitiert juris Rn. 11; MünchKomm-ZPO/Patzina, 4. Aufl., §21 Rn. 8, 11; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl. § 21 Rn. 8). Nach diesem Maßstab unterhält die Beklagte in C und damit im Landgerichtsbezirk Bonn eine Niederlassung. Nach Vortrag des Klägers wickelt sie in den dortigen Geschäftsräumen ihre Geschäfte ab, wobei dort auch die Geschäftsleitung einschließlich des Geschäftsführers tätig ist. Dem ist die Beklagte insoweit auch nicht entgegengetreten. Der Annahme einer Zuständigkeit nach § 21 ZPO steht daher auch nicht entgegen, dass nach Angaben der Beklagten in C lediglich Tochtergesellschaften tätig sein sollen, zumal auch eine rechtlich selbständige Tochtergesellschaft als Niederlassung im Sinne des § 21 ZPO anzusehen ist, wenn sie – wie hier unbestritten vorgetragen – im Namen und auf Rechnung der Muttergesellschaft tätig wird oder den Rechtsschein einer derartigen Tätigkeit erweckt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 10. November 2010 – VI-U (Kart) 19/10, zitiert juris Rn. 36).

Der vorgenannten Zuständigkeit des Landgerichts Bonn steht auch nicht entgegen, dass der Kläger die Gebührenforderung für seine Tätigkeit als Steuerberater auch in L hätte geltend machen können. Hier unterhält die Beklagte gemäß § 17 ZPO nicht nur ihren allgemeinen Gerichtsstand. Die Beklagte hätte die geltend gemachte Gebührenforderung am Ort ihrer Niederlassung zu erfüllen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2003 – X ARZ 91/03, BGHZ 157, 20, zitiert juris Rn. 11 ff; Hk-ZPO/Bendtsen, 5. Aufl., § 29 Rn. 7), so dass sich dort nach § 29 Abs. 1 ZPO überdies der Gerichtsstand des Erfüllungsortes befindet. Nachdem der Kläger jedoch nach § 35 ZPO zwischen mehreren zuständigen Gerichten die Wahl getroffen und das Landgericht Bonn bestimmt hat, ist diese Wahl unwiderruflich und bindend (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 1993 – X ARZ 845/92, MDR 1993, 1237; vom 27. Mai 2008 – X ARZ 45/08, MDR 2008, 1117; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 35 Rn. 2 mwN).

b) Der gegenteilige Verweisungsbeschluss des Landgerichts Bonn ist demgegenüber nicht bindend. Zwar sind bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht nur allgemeine Zuständigkeitsvorschriften, sondern auch die verfahrensrechtlichen Bindungswirkungen (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO) und Zuständigkeitsverfestigungen (§ 261 Abs. 3 ZPO) zu beachten (vgl. Hk-ZPO/Bendtsen, 5. Aufl., § 36 Rn. 25; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 36 Rn. 28; jeweils mwN). Die Bindungswirkung des ersten Verweisungsbeschlusses wirkt daher auch im Bestimmungsverfahren fort (BGH, Beschluss vom vom 6. Oktober 1993 – XII ARZ 22/93, NJW-RR 1994, 126; Hk-ZPO/Bendtsen, aaO), weshalb regelmäßig das Gericht als zuständig zu bestimmen ist, an das die Sache durch den ersten Verweisungsbeschluss gelangt ist. Dies wäre hier das Landgericht Köln, an das der Rechtsstreit durch den Beschluss des Landgerichts Bonn verwiesen worden ist. Demgegenüber kommt offenbar gesetzeswidrigen und offensichtlich unrichtigen Verweisungsbeschlüssen keine Bindungswirkung zu (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 1978 – IV ARZ 17/78, BGHZ 71, 69, 72; vom 10. Dezember 1987 – I ARZ 809/87, BGHZ 102, 338, 341; vom 6. Oktober 1993, aaO; Zöller/Vollkommer, aaO; jeweils mwN). Hierunter fallen insbesondere Verweisungsbeschlüsse, die unter Verletzung des Gebots des rechtlichen Gehörs oder des gesetzlichen Richters ergangen sind und solche, die auf objektiver Willkür beruhen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 1993, aaO; vom 10. September 2002 – X ARZ 217/02, MDR 2002, 1446; Hk-ZPO/Bendtsen, aaO; jeweils mwN). Dies sind solche, die schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden können, also nicht etwa nur auf eventuell unrichtiger Rechtsanwendung beruhen, sondern jeder gesetzlichen Grundlage entbehren (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 1993, aaO; vom 10. September 2002 – X ARZ 217/02; Zöller/Vollkommer, aaO; jeweils mwN).

So liegt der Fall auch hier. Die Anwendung des § 38 Abs. 1 ZPO durch das Landgericht Bonn ist offenkundig fehlerhaft. § 10 des zwischen den Parteien am 22. Juli 2014 geschlossenen Rahmenvertrages begründet keinen Gerichtsstand in L. Nach § 38 Abs. 1 ZPO wird zwar ein an sich unzuständiges Gericht des ersten Rechtszuges durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung der Parteien zuständig, wenn die Vertragsparteien Kaufleute, juristische Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlichrechtliche Sondervermögen sind. Demgegenüber ist eine entsprechende Anwendung auf andere Personen auch dann nicht möglich, wenn sie vergleichbar geschäftserfahren sind wie der in der Norm genannte Personenkreis (OLG Bamberg, Urteil vom 17. Februar 1998 – 7 U 30/97, zitiert juris Rn. 42; OLG Hamburg, Beschluss vom 18. Januar 2008 – 13 AR 37/07, OLGR Hamburg 2008, 340, zitiert juris Rn. 15; VGH Sachsen, Beschluss vom 20. April 2006 – Vf. 4-IV-05, zitiert juris Rn. 11; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Auf., § 38 Rn. 11; MünchKomm-ZPO/Patzina, 4. Aufl., § 38 Rn. 17; Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, 12. Aufl., § 38 Rn. 10; BeckOK-ZPO/Toussaint, Stand: 1. März 2015, § 38 Rn. 24; jeweils mwN). Einer vereinzelt befürworteten entsprechenden Anwendung von § 38 Abs. 1 ZPO auf Rechtsanwälte, Steuerberater oder andere Angehörige freier Berufe (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 38 Rn. 18) steht schon entgegen, dass der Wortlaut der Bestimmung abschließend gefasst und in Ermangelung einer planwidrigen Regelungslücke einer Analogie auch nicht zugänglich ist (OLG Hamburg, aaO). Eine Gesetzesanalogie erscheint aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit überdies nicht angezeigt (vgl. Stein/Jonas/Bork, aaO; BeckOK/Toussaint, aaO). Der Kläger konnte als Steuerberater daher keine Gerichtsstandsvereinbarung treffen.

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