OLG Köln, Urteil vom 08.09.2016 – 7 U 59/16

November 3, 2021

OLG Köln, Urteil vom 08.09.2016 – 7 U 59/16

Tenor
1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 30. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 1.12.2015 (30 O 2/11) wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung tragen die Kläger.

3. Das vorliegende und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe
I.

Die Kläger sind Eigentümer des Grundbesitzes S. in L-X, das mit einem von den Klägern selbst bewohnten Einfamilienhaus bebaut ist. Das Grundstück grenzt – getrennt durch eine Uferböschung – bei Rheinkilometer XXX,XX auf etwa 17,50 m Länge an den S-weg und liegt im Hochwassergefahrengebiet. Dort befindet sich seit den 1920er Jahren auf dem Grundstück der Kläger eine Ufermauer, die gleichzeitig als Stütze für den Baugrund dient und die zum Haus der Kläger gehörige Terrassenplatte trägt. Von April 2007 bis August 2008 wurden auf der Grundlage bestandskräftiger Planfeststellungsbeschlüsse im Auftrag der Beklagten Hochwasserschutzmaßnahmen durch die Arge Hochwasserschutz L, bestehend aus der I AG und der K GmbH & Co. KG durchgeführt. Mit der Objektplanung und der örtlichen Bauüberwachung war die B GmbH beauftragt. Im Rahmen dessen wurde rheinseits eine Hochwasserschutzwand mit einem Abstand von ca. 90 cm zu der bereits vorhandenen Mauer errichtet. Die neue Hochwasserschutzwand bestand nicht wie bei den Nachbargrundstücken aus einer rückverankerten Spundwand, sondern einer Stahlspundwand, die nach Lockerungsbohrungen mit Hilfe von hydraulischen Pressen eingebracht wurde und bei der an Stelle einer Rückverankerung eine Betonbohrpfahlwand rheinseits vor der Spundwand hergestellt wurde. Dadurch musste das Grundstück der Kläger, die zuvor ein Betretungs- und Benutzungsverbot ausgesprochen hatten, nicht in Anspruch genommen werden. Vor Beginn der Arbeiten wurde eine Zustandsbeweissicherung an dem Gebäude durch den Sachverständigen H durchgeführt. Nach den Bauarbeiten erstattete die Beklagte den Klägern aufgrund einer Nachbesichtigung des Sachverständigen H Ersatz für Bauschäden in Höhe von 2.775,– € netto, die Mehrwertsteur in Höhe von 527,25 € überwies sie im Laufe des Rechststreits.

Die Kläger behaupten, durch die Arbeiten sei es zu von der Ersatzleistung nicht abgedeckten Schäden an ihrem Gebäude gekommen. Sie nehmen die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch, und zwar im Wege der Leistungsklage in Höhe von 79.375,47 € nebst Zinsen abzüglich gezahlter 527,25 € und im Wege der Feststellungsklage hinsichtlich zukünftig entstehender Kosten.

Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, hat die Klage auf der Grundlage schriftlicher Gutachten des Sachverständigen L und dessen mündlicher Anhörung abgewiesen.

Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiter. Zur Begründung wiederholen und vertiefen sie ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Auch sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Hinsichltich der weiteren Einzelheiten des Sach- und und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien und die zu den Akten gereichten Unterlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

1.

Das Landgericht hat eine deliktische Haftung der Beklagten unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten (§§ 839 BGB i.V.m. Art 34 GG, §§ 823, 831 BGB) schon dem Grunde nach verneint. Eine verschuldensabhängige Haftung nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB, die auch auf einen Schadensausgleich hinauslaufen würde (vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 75. Aufl., § 906 Rdn. 29), hat es verneint, weil den Klägern nicht der Beweis gelungen sei, dass die geltend gemachten Schäden durch die Bauarbeiten der Beklagten zumindest mitverursacht worden seien.

2.

Dagegen wenden sich die Kläger ohne Erfolg.

a)

Dabei kommt es auf die von den Klägern angegriffenen – im Übrigen aber zutreffenden – Ausführungen des Landgerichts zum Ausschluss einer deliktischen Haftung im Ergebnis schon deshalb nicht an, weil es am Beweis der Kausalität der Baumaßnahmen für die geltend gemachten Schäden fehlt. Maßgebend für die Kausalität ist, ob die Arbeiten für die geltend gemachten Schäden am Haus der Kläger zumindest mitursächlich geworden sind oder ob die alleinige Verursachung durch alternative Ursachen nicht ausgeschlossen werden kann. Insoweit gilt für die Primärschäden am Haus der Kläger der Maßstab des Vollbeweises (§ 286 ZPO).

b)

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Landgericht die Kausalität unter überzeugender Würdigung der Ausführungen des Sachverständigen verneint. Auf die umfassende und sorgfältige Beweiswürdigung ist zur Vermeidung von Wiederholungen in vollem Umfang zu verweisen. Die Berufung zeiget keine konkreten Gesichtspunkte auf, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen des Landgerichts begründen könnten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Zu den Einwänden der Berufung ist nur Folgendes auszuführen:

Diese laufen im Wesentlichen darauf hinaus, dass die von dem Sachverständigen für möglich gehaltenen, über dreißig Jahre hinweg wirkenden Ursachen – Neigung der Ufermauer, Temperaturschwankungen, Absackung der Bodenplatte – nicht ernsthaft in Betracht kämen, weil die Schäden in dem Bestandsgutachten nicht aufgeführt worden sein. Zu Gunsten der Kläger greife ein Anscheinsbeweis oder eine Beweislastumkehr ein. Im Übrigen habe dem Antrag auf Einholung eines geologischen Gutachtens stattgegeben werden müssen. Die Einwände greifen nicht durch.

aa) Ein Anscheinsbeweis kann allerdings eingreifen, wenn im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit umfangreichen Bauarbeiten in einem benachbarten Grundstück Schäden an einem Gebäude eintreten (KG Urt. v. 18.10.2012 – 22 U 226/09; OLG Frankfurt MDR 2010, 22; OLG Düsseldorf NJW-RR 2015, 211 = NZM 2015, 265). Die Voraussetzungen des Anscheinsbeweises hat das OLG Düsseldorf wie folgt zusammengefasst (a.a.O.; ferner zuletzt OLG Nürnberg IBR 2016, 512):

„Der gewohnheitsrechtlich anerkannte Beweis des ersten Anscheins erlaubt bei typischen Geschehensabläufen den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs ohne exakte Tatsachengrundlage auf der Grundlage von Erfahrungssätzen. Er setzt einen typischen Geschehensablauf voraus, der in den Fällen angenommen werden kann, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist (BGH NJW 2010, 1072 Rdn. 8 mwN). Typizität bedeutet in diesem Zusammenhang allerdings nur, dass der Kausalverlauf so häufig vorkommen muss, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (BGH NJW 2010, 1072 Rdn. mwN). Steht das zur Herbeiführung des Schadens geeignete Verhalten des in Anspruch Genommenen fest und ist der entstandene Schaden eine typische Folge eines solchen Verhaltens, greift zunächst der Anscheinsbeweis und es ist Sache des in Anspruch Genommenen, den Anschein durch die Behauptung und den Beweis konkreter Tatsachen zu entkräften. Bereits bei der Bestimmung des typischen Lebenssachverhalts muss allerdings mit einbezogen werden, ob für andere Ursachen als die, die der Geschädigte vorgetragen hat, keine Anhaltspunkte bestehen. Dann, wenn bei einem bestimmten Erfolg für eine Ursache feste Anhaltspunkte bestehen, die diese Ursache als möglich erscheinen lassen, während für andere infrage kommende Ursachen solche Anhaltspunkte tatsächlicher Art völlig fehlen, spricht der Beweis des ersten Anscheins für die erste Ursache (BGH NJW 2010,1072 Rdn. 8).“

Voraussetzung für den Beweis des ersten Anscheins ist somit, dass für andere Ursachen als die, die der Geschädigte vorgetragen hat, keine Anhaltspunkte bestehen. Konkrete und naheliegende Anhaltspunkte für andere Ursachen sind – wie das Landgericht ausgeführt hat – hier aber gegeben. So hat der Sachverständige nachvollziehbar und plausibel verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, die unabhängig von den streitgegenständlichen Baumaßnahmen zur Erweiterung der Fuge zwischen Terrassenboden und Haus geführt haben könnten. So wäre eine Neigung der Ufermauer in dem dreißigjährigen Zeitraum von 1977 bis zum Zeitpunkt der Baumaßnahmen in den Jahren 2007/2008 möglich. Zudem könnten Temperaturschwankungen zur Ausdehnung der Terrassenplatte führen und einem derartigen Abriss bei wieder eintretender Verkürzung. Letztlich seien Setzungen nicht auszuschließen, durch die eine Absackung der Bodenplatte in der eingetretenen Größenordnung ebenfalls im Verlauf der Zeit möglich sei. Die Beklagte führt in der Berufungserwiderung richtig aus, dass gewisse Vorschäden im Übrigen bereits in dem Bestandsgutachten des Sachverständigen H vom 4.5.2007 aufgeführt sind.

bb) Ein geologisches Gutachten musste das Landgericht nicht einholen. Der Sachverständige L hat bei seiner mündlichen Anhörung auf die Frage, ob es infolge der Lockerungsbohrungen zu einer Verdichtung des Erdreichs gekommen sei, erklärt (Bl. 534 d.A.): Dies (also das Entstehen von Verdichtungen) sei eine Frage, die einem Geologen zu stellen sei. Er halte es für ausgeschlossen, dass es in der Folge der Verdichtung durch die Errichtung der Spundwände zu Auswirkungen auf das Grundstück gekommen sei. In diesem Zusammenhang hat er zu etwaigen Auswirkungen von Erschütterungen auf das Grundstück der Kläger ausgeführt (Bl. 534 R d.A.): Das gewählte Bohrverfahren gelte als eigentlich sehr erschütterungsarm und habe nur geringe Auswirkungen auf das Spundwandverfahren. Der Geologe müsse die Bodenbeschaffenheit sowohl im Bereich der Spundwand als unterhalb der Terrassenplatte kennen. Darüber hinaus müsse er sich mit der Frage des Arbeitsablaufs und der Rammgerätschaften auseinandersetzen. Auch ohne Rammbewegungen wäre es seines Erachtens zu dem festgestellten Absacken der Terrassenplatte um einen Zentimeter gekommen.

Es ist schon zweifelhaft, ob für ein geologisches Gutachten die notwendigen Anschlusstatsachen nach dem mehrjährigen Abschluss der Arbeiten noch festgestellt werden könnten. Jedenfalls könnte der Gutachter allenfalls zu der für den erforderlichen Beweis unzureichenden Möglichkeit, jedoch nicht zur sicheren Feststellung einer Mitursächlichkeit der Arbeiten der Beklagten für Erdbewegungen zum einen und deren Ursächlichkeit für die Schäden am Haus der Kläger zum anderen gelangen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, 100 Abs.1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 709 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht gegeben sind.

Berufungsstreitwert: bis 95.000,– €

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