OLG Köln, Urteil vom 08.11.2016 – 4 U 27/15

November 3, 2021

OLG Köln, Urteil vom 08.11.2016 – 4 U 27/15

Die Ausschlusswirkung und Duldungspflicht gemäß § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG erfasst nicht nur öffentlichrechtliche Ansprüche, sondern auch privatrechtliche Immissionsschutz- bzw. Ausgleichsansprüche, wie sie unter anderem in §§ 823, 906 f. und 1004 BGB vorgesehen sind. Sie gilt nicht nur im Fall unanfechtbar planfestgestellter Vorhaben oder Anlagen, sondern auch dann, wenn diesen eine bestandskräftige Plangenehmigung gemäß § 74 Abs. 6 VwVfG zugrunde liegt. § 75 Abs. 2 S. 2 bis 4 VwVfG sehen insofern ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten vor.

Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 06.07.2015, Az. 18 O 274/13, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unbegründet abgewiesen wird.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieses Urteil und die angefochtene Entscheidung sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe
I.

Die Parteien streiten über immissionsrechtliche Ansprüche wegen Geräuschen und Erschütterungen, die von dem Betrieb einer Schienenverkehrsstrecke ausgehen. Der Kläger ist seit 1998 Eigentümer des mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks F-weg X in Q (Gemarkung Q, Flur X, Flurstück XXX). Angrenzend an dieses Grundstück, in einer Entfernung von circa 18 Metern zum Haus des Klägers, verläuft – grundsätzlich bereits seit ihrer ursprünglichen Inbetriebnahme im Jahr 1899, wobei zwischen 1905 und 1915 der zweigleisige Ausbau erfolgte – die Eisenbahnstrecke Nr. XXXX von L nach H. Eigentümerin des Bahngrundstücks ist die Beklagte. Auf Grundlage der Plangenehmigung nach § 18 Abs. 2 AEG des Eisenbahn-Bundesamtes, Außenstelle L, vom 18.09.2006, Az. XXX21/60XXX Pap XXX/04, erfolgte im Frühjahr 2008 der Einbau einer neuen Weiche unmittelbar vor dem Grundstück des Klägers. Zudem wurde weiter entfernt ein elektronisches Stellwerk errichtet. Ab August 2008 forderte der Kläger per Email und später auch schriftlich von der Beklagten eine Reduzierung der Immissionen des Bahnbetriebs.

Der Kläger hat behauptet, dass es nach Fertigstellung und Inbetriebnahme der neuen Weiche vor seinem Haus zu einer erheblichen Steigerung der Immissionen des Bahnbetriebs gekommen sei, da die Schienen nun nicht mehr durchgehend miteinander verbunden waren. Sowohl Lärm als auch Erschütterungen gingen seit Abschluss der Baumaßnahme über das zulässige Maß hinaus und beeinträchtigten ihn als Eigentümer und Vermieter in wesentlichem Maße, wobei er auf die im vorausgegangenen selbständigen Beweisverfahren des Landgerichts Köln, Az. 21 OH 13/10, eingeholten Gutachten der Sachverständigen Dr. L2 vom 22.06.2011 und Dr. L3 vom 12.05.2011 verweist, auf die der Senat wegen der weiteren Einzelheiten Bezug nimmt. Seine Mieter litten aufgrund der Immissionen unter Schlafstörungen, Bluthochdruck und weiteren Gesundheitsbeschwerden, außerdem sei der Verkehrswert seines Grundstücks gesunken. Der Beklagten sei es weiterhin möglich, diese Beeinträchtigungen durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen, wie unter anderem eine Geschwindigkeitsbegrenzung, den Ausschluss klotzgebremster Waggons, das Schleifen und Schmieren der Schienen oder den Einsatz von Brückenabsorbern sowie Gabionen zu beseitigen.

Die Beklagte hat bestritten, dass sich die vom Bahnbetrieb ausgehenden Geräusch- und Erschütterungsimmissionen durch die Arbeiten im Jahr 2008 erhöht hätten. Die Baumaßnahmen dienten ausschließlich der Erhaltung und Aktualisierung der Infrastruktur, ohne dass es sich um wesentliche Änderung gehandelt habe. Die vom Bahnbetrieb ausgehenden Immissionen stellten nach wie vor keine wesentliche Beeinträchtigung dar. Jedenfalls müssten zivilrechtliche Immissionsschutzansprüche hinter die gegen die Plangenehmigung vom 18.09.2006 gegebenen Rechtsbehelfe – entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Ausschlusswirkung von Planfeststellungsbeschlüssen – zurücktreten. Lärmschutzmaßnahmen seien auch wirtschaftlich unzumutbar.

Im Übrigen haben die Parteien unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, ob, in welcher Form und welche immissionsrechtlichen Grenzwerte bei Beurteilung der Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung als Entscheidungshilfe herangezogen werden dürfen, und ob der sogenannte „Schienenbonus“ von 5 Dezibel gemäß Anlage 2 zur 16. BImSchV in Ansatz zu bringen ist oder nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zwischen den Parteien streitigen Sachverhalts sowie der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf das Urteil des Landgerichts Köln vom 06.07.2015 verwiesen. Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die erstinstanzlich gestellten Anträge seien nicht hinreichend bestimmt, da sie nicht aus sich heraus verständlich seien sowie Inhalt und Umfang der begehrten Entscheidung nicht ausreichend deutlich erkennen ließen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsgründe wird ebenfalls auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers, mit der er sein Begehren in zweiter Instanz weiter verfolgt. Das Landgericht habe die Klage insbesondere nicht als unzulässig abweisen dürfen, seine erstinstanzlich gestellten Anträge seien hinreichend bestimmt gewesen. Die durch den Einbau der Weiche entstandenen Beeinträchtigungen seien jedoch aufgrund von – bezüglich ihrer Durchführung im September und November 2015 sowie im März 2016 unstreitigen – Arbeiten der Beklagten an den Schienen im Umkreis von 250 Metern um sein Grundstück maßgeblich zurückgegangen. Insbesondere seien die besonders störenden Schlaggeräusche nicht mehr feststellbar.

Der Kläger hat im Berufungsverfahren ursprünglich beantragt,

I.

unter Abänderung des am 6. Juli 2015 verkündeten Urteils des Landgerichts Köln, Az. 18 O 274/13 die Beklagte zu verurteilen,

1. es zu unterlassen, die zum Wohnen genutzten Bereiche des Immobilieneigentums des Klägers im F-weg X in XXXXX Q durch Immissionen in Form der Zuführung von Luftschall des Bahnbetriebs oberhalb eines Beurteilungspegels von

a. tagsüber (6:00 Uhr bis 22:00 Uhr) 55 dB (A) und hinsichtlich einzelner kurzzeitiger Geräuschspitzen 85 dB (A) jeweils am Immissionsort 0,5 m vor dem geöffneten, der Bahnstrecke nächstgelegenen und höchstgelegenen Wohnraumfensters und nachts (22:00 Uhr bis 6:00 Uhr) 25 dB (A) oder hinsichtlich einzelner kurzzeitiger Geräuschspitzen 45 dB (A) jeweils ermittelt fi.ir den Immissionsort am Ohr eines Schläfers im höchstgelegenen Schlafraum nach der Methodik der Sechsten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes- Immissionsschutzgesetz (TA Lärm) zu belasten,

b. – hilfsweise – tagsüber (6:00 Uhr bis 22:00 Uhr) 55 dB (A) oder 85 dB (A) für einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen und nachts (22:00 Uhr bis 6:00 Uhr) 40dB (A) oder 60 dB (A) für einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen ermittelt nach der Methodik der Sechsten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (TA Lärm) zu belasten,

c. – weiter hilfsweise zu b. – tagsüber (6:00 Uhr bis 22:00 Uhr) 59 dB (A) und nachts (22:00 Uhr bis 6:00 Uhr) 49 dB (A)jeweils ermittelt nach der Methodik der Anl. 2 der 16. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (16. BImSchV) zu belasten,

2. weiter hilfsweise zum Antrag zu 1. zur Vornahme von Maßnahmen, durch welche bei dem Befahren der Bahngleise am Wohneigentum des Klägers die Immissionsschutzwerte nach der TA-Lärm für ein Wohngebiet eingehalten werden,

3. höchst hilfsweise zu den Anträgen zu 1. und 2. zur Vornahme geeigneter Maßnahmen, damit die durch das Befahren der benachbarten Bahnstrecke verursachte Lärmbelästigung am Wohneigentum des Klägers die Werte von 59 dB (A) tagsüber und 49 dB (A) nachts nicht übersteigt,

4. es zu unterlassen, die zum Wohnen genutzten Innenbereiche des Wohnhauses des Klägers im F-weg X in XXXXX Q durch Immissionen in Form der Zuführung von Erschütterungen gemessen als Schwingstärke KBFmax, nach den Vorgaben der DIN 4150 und den LAl-Hinweisen zur Messung, Beurteilung und Verminderung von Erschütterungswirkungen (Ausgabe Mai 2000) oberhalb der Anhaltswerte von tags (6:00 Uhr bis 22:00 Uhr)/nachts (22:00 Uhr bis 6:00 Uhr) u0,15f 0,1 zu belasten,

5. es zu unterlassen, die zum Wohnen genutzten Innenräume des Immobilieneigentums des Klägers im F-weg X in XXXXX Q durch Immissionen in Form der Zuführung von Erschütterungen bei häufigen Einwirkungen mit KBF*.“ größer als A“, aber kleiner als Ao (Schwingstärke tags/ nachts 3/0,2) gemessen als Beurteilung-Schwingstärke KBFT, oberhalb des Anheitswertes von tags (6:00 Uhr bis 22:00 Uhr)/nachts (22:00 Uhr bis 6:00 Uhr) A, 0,07 f 0,05 zu belasten,

II.

unter Abänderung des am 6.Juli 2015 verkündeten Urteils des Landgerichts Köln, Az. 18 O 274/13 der Beklagten anzudrohen, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anträge zu Nr. 1. bis 5. ein Ordnungsgeld, das der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, gegen sie festgesetzt wird,

III.

unter Abänderung des am 6. Juli 2015 verkündeten Urteils des Landgerichts Köln, Az. 18 O 274/13 die Beklagte hilfsweise zu den vorgenannten Anträgen unter I. und II. zu verurteilen, dem Kläger die Kosten für den Bau und Unterhalt sämtlicher gegenwärtiger und zukünftiger Immissionsschutzmaßnahmen zu erstatten, die geeignet und notwendig sind, um die Immissionen des Luft- und Körperschalls aus dem Betrieb der benachbarten Bahnstrecke auf die Wohnflächen im Inneren des Hauses F-weg X in Q

1. unterhalb eines äquivalenten Dauerschallpegels von tags (6:00 Uhr brs 22:00 Uhr)/nachts (22:00 Uhr bis 6:00 Uhr) 40/25 Dezibel (A) und unterhalb eines Maximalpegels von einzelnen kurzfristigen Geräuschspitzen von tags (6:00 Uhr bis 22:00Uhr)/nachts (22:00Uhr bis 6:00 Uhr) L^u“ 70/45 Dezibel (A)g“ messen nach der Methodik der TA Lärm zu halten,

2. hilfsweise unterhalb von Immissionswerten von tags /nachts 44/34 dB (A) berechnet nach Anl. 2 der 16. Verordnung zur Durchführung des Bundes – Immissionsschutzgesetzes und der 24. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verkehrswege-Schallschutzmaßnahmen Verordnung) zu halten.

Mit Schriftsatz vom 07.09.2016 hat der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und Kostenantrag gestellt. Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 29.09.2016 ausdrücklich angekündigt hat, sich der Erledigungserklärung nicht anzuschließen, hat der Kläger diese zurückgenommen.

Der Kläger beantragt nunmehr,

unter Abänderung des am 06.07.2015 verkündeten Urteils des Landgerichts Köln, Az. 18 O 274/13 die Beklagte zu verurteilen, ihm Geldersatz für die wesentliche Beeinträchtigung der Nutzung seines streitbefangenen Grundstücks zwischen dem 16.10.2008 und dem 31.08.2016 zu leisten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass das Landgericht die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen habe, des Weiteren sei auch die veränderte ursprüngliche Antragstellung im Berufungsverfahren nicht zulässig. Daneben beruft sich die Beklagte auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und vertieft unter anderem, dass einem Anspruch des Klägers auch die dort dargestellte Vorbelastung entgegenstünde, die letztlich zu einer Duldungspflicht führe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf den schriftsätzlichen Vortrag der Parteien und die von ihnen zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Inaugenscheinnahme im Rahmen seines Ortstermins am 28.06.2016. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 28.06.2016 Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet. In der Sache führt sie jedoch nur dazu, dass die Klage nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abzuweisen ist, dem das Verbot der „reformatio in peius“ nicht entgegen steht (BGH NJW 1978, 2031).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts war die Klage zunächst zulässig. Zwar enthielten die erstinstanzlich gestellten und in der Tat komplex strukturierten Anträge aufgrund der Verwechslung der Worte „der“ und „durch“ grammatikalische Fehler, trotzdem blieben diese bei um Verständnis bemühtem Lesen aus sich heraus verständlich und ließen jedenfalls nach gebotener Auslegung Inhalt und Umfang der begehrten Entscheidung ausreichend deutlich erkennen. Auch im Übrigen waren die Anträge nicht zu unbestimmt. Wegen der Besonderheiten der immissionsrechtlichen Unterlassungsklage sind in diesem Bereich Klageanträge mit dem Gebot, allgemein Störungen bestimmter Art, beispielsweise Geräusche und Gerüche, zu unterlassen, zulässig (BGH NJW 1993, 1656). Dass der Kläger die Anträge in der Berufung neu gefasst hat, ist jedenfalls vor dem Hintergrund des § 533 ZPO unschädlich.

In der Sache bleibt die Berufung allerdings ohne Erfolg. Dem Kläger steht der zuletzt – nach zulässiger Rücknahme seiner einseitig gebliebenen Erledigungserklärung (BGH NJW 2002, 442) – geltend gemachte nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB (analog) auf „Geldersatz für die wesentliche Beeinträchtigung der Nutzung seines streitbefangenen Grundstücks zwischen dem 16.10.2008 und dem 31. August 2016“ nicht zu. Hierbei kann letztlich dahin stehen, ob der Kläger als Eigentümer des an die Bahnstrecke der Beklagten angrenzenden Grundstücks F-weg X in Q durch die von dem Zugverkehr ausgehenden Erschütterungen und Geräusche wesentlich beeinträchtigt wurde und ob auch die weiteren Voraussetzungen eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs gegeben waren. Weiterhin kann dahinstehen, in welcher Form und welche Grenzwerte als Entscheidungshilfe bei Beurteilung der Wesentlichkeit von Beeinträchtigungen herangezogen werden dürfen, und ob der sogenannte Schienenbonus in Abzug zu bringen ist oder nicht. Auf das Ergebnis der vom Senat nur wegen des kurzfristigen Leerstands einer Wohnung im Haus des Klägers „vorsorglich“ durchgeführten Augenscheinsnahme kommt es deshalb auch nicht an.

Jedenfalls kann der Kläger den begehrten Geldersatz von der Beklagten gemäß § 75 Abs. 2 VwVfG nicht verlangen. Hiernach sind Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens, auf Beseitigung oder Änderung der Anlagen oder auf Unterlassung ihrer Benutzung ausgeschlossen, wenn diesen ein Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegt, der unanfechtbar geworden ist. Diese Ausschluss- und Duldungswirkung bezieht sich zunächst nicht nur auf öffentlichrechtliche Ansprüche, sondern auch auf Ansprüche privatrechtlicher Natur, wie sie unter anderem in §§ 823, 906 f. und 1004 BGB vorgesehen sind (Pautsch/Hoffmann, VwVfG, 1. Aufl. 2016, § 75 Rn. 20; Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Auflage 2014, § 75 Rn. 62; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 75 Rn. 10). Insbesondere unterfällt ihr auch der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog (OLG Frankfurt BauR 2012, 683).

Die Ausschluss- und Duldungspflicht gilt darüber hinaus nicht nur im Fall unanfechtbar planfestgestellter Anlagen, sondern auch dann, wenn ihr eine bestandskräftige Plangenehmigung gemäß § 74 Abs. 6 VwVfG zugrunde liegt. Zwar handelt es sich bei dem Plangenehmigungsverfahren gegenüber der Planfeststellung um ein vereinfachtes Verfahren ohne förmliche Öffentlichkeitsbeteiligung. Gemäß § 74 Abs. 6 S. 2 HS. 1 VwVfG entfaltet die Plangenehmigung jedoch die Rechtswirkungen der Planfeststellung, womit sie ebenfalls zu den Rechtsfolgen des § 72 Abs. 2 VwVfG führt (OLG Hamm, Urteil vom 10.11.2006, Az. 34 U 160/05; OVG Lüneburg NVwZ 2003, 1283; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 74 Rn. 221; Ziekow, VwVfG, § 74 Rn. 74; Obermayer/Funke-Kaiser-Masing/Schiller, VwVfG, § 74 Rn. 160; Pautsch/Hoffmann, VwVfG, 1. Aufl. 2016, § 74 Rn. 212; a. A. Stelkens/Bonk/Sachs-Neumann, VwVfG, § 74 Rn. 251).

Der Ausschluss zivilrechtlicher Ansprüche, wie sie insbesondere in §§ 823, 906 und 1004 BGB vorgesehen sind, führt darüber hinaus nicht zu unbilligen, nicht hinnehmbaren Ergebnissen, da das Verwaltungsrecht auch im Fall einer bestandskräftigen Plangenehmigung effektive Rechtsschutzmöglichkeiten in § 75 Abs. 2 S. 2 bis 4 VwVfG vorsieht. Treten nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens oder der dem festgestellten Plan entsprechenden Anlagen auf das Recht eines anderen nämlich erst nach Unanfechtbarkeit auf, so kann der Betroffene hiernach Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen verlangen, welche die nachteiligen Wirkungen ausschließen. Sie sind dem Träger des Vorhabens durch Beschluss der Planfeststellungsbehörde aufzuerlegen. Sind solche Vorkehrungen oder Anlagen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar, so richtet sich der Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld.

Die Rechtsschutzmöglichkeiten gemäß 75 Abs. 2 VwVfG bilden damit ein in sich geschlossenes Regelungssystem, das im Fall von Planfeststellungen wie auch von Plangenehmigungen den nachbarschaftlichen Interessen zum Ausgleich verhelfen soll. Daneben besteht – im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Ausschluss privatrechtlicher Ansprüche gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB selbst bei nur fingiert planfestgestellten Anlagen (BGH NJW 2005, 660 ff.) – kein Raum für ein zivilrechtliches, auf § 906 BGB gestütztes Vorgehen.

Die tatsächlichen Voraussetzungen der Ausschluss- und Duldungspflicht sind vorliegend unzweifelhaft gegeben. So hat der Kläger insbesondere vorgetragen, dass die von dem Bahnverkehr ausgehenden wesentlichen Beeinträchtigungen durch Geräusche und Erschütterung erst mit dem – auf der Plangenehmigung nach § 18 Abs. 2 AEG des Eisenbahn-Bundesamtes vom 18.09.2006 beruhenden – nachträglichen Einbau der Weiche in seiner direkten Nachbarschaft entstanden sind. Abschließend kommt es im Hinblick auf den Ausschluss zivilrechtlicher Unterlassungs, Beseitigungs- oder Entschädigungsansprüche auch nicht darauf an, ob die Plangenehmigung formell und materiell rechtmäßig zustande gekommen ist. Sie ist jedenfalls erlassen worden und entfaltet damit Rechtswirkungen nach außen. Aufgrund ihrer zwischenzeitlichen Bestandskraft und Unanfechtbarkeit ist ein eventuell unzureichendes zugrunde liegendes Verwaltungshandeln nicht mehr von Belang. Einer Beiziehung der Genehmigungsakte des Eisenbahn-Bundesamtes bedurfte es folglich nicht.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der bisher höchstrichterlich nicht entschiedenen und im verwaltungsrechtlichen Schrifttum umstrittenen Rechtsfrage, ob auch die Plangenehmigung die Rechtsfolgen des § 75 Abs. 2 VwVfG auslöst, gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 144.300 EUR festgesetzt.

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