OLG Köln, Urteil vom 10.12.2019 – 1 RVs 180/19

Oktober 8, 2021

OLG Köln, Urteil vom 10.12.2019 – 1 RVs 180/19

1.

Eine Meinungsäußerung, die sich weder als Verletzung der Menschwürde, Formalbeleidigung noch Schmähkritik darstellt, erfordert eine Abwägung zwischen dem Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG und dem in Art. 2 Abs. 1 GG verankerten Persönlichkeitsrecht, deren Ergebnis verfassungsrechtlich nicht vorgegeben ist, bei der jedoch alle wesentlichen Umstände des Falles zu berücksichtigen und bei der es auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter ankommt.

2.

Die auf die Person des Geschädigten abzielende Bezeichnung als „Gashahnaufdreher“ stellt eine Ehrkränkung von erheblichem Gewicht dar, da dem so Bezeichneten nicht nur im Sinne eines „Mitläufers“ die Eigenschaft eigenständigen Denkens und eigenverantwortlichen Handelns abgesprochen wird, sondern er mit der konkreten Wortwahl auch persönlich in die Nähe einer Ideologie vergleichbar mit derjenigen der Unterstützer des nationalsozialistischen Unrechtsregimes gerückt und in direkten Zusammenhang mit einer nationalsozialistisch gesinnten Gruppe gebracht wird.

Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte vom Vorwurf der Beleidigung zum Nachteil des T. E. (Tat vom 18. Oktober 2017) freigesprochen worden ist;

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen.

Gründe
I.

Das Amtsgericht Bonn hat den Angeklagten durch Urteil vom 22. August 2018 wegen Beleidigung in drei Fällen zu der Gesamtgeldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 30,- € verurteilt. Auf seine hiergegen gerichtete Berufung hat die 5. kleine Strafkammer des Landgerichts Bonn das amtsgerichtliche Urteil dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte unter Freispruch im Übrigen wegen Beleidigung zum Nachteil der Geschädigten Elena Everding unter Einbeziehung der Einzelstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 13. März 2017 und der Einzelstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 25. September 2017 bei Auflösung der nachträglich durch Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 24. September 2018 in Verbindung mit dem Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 8. Oktober 2018 gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtgeldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 30,- € verurteilt wurde.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die die Verletzung materiellen Rechts rügt und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit unter Einbeziehung der zwei im Tenor bezeichneten Einzelstrafen bei Auflösung der nachträglich gebildeten Gesamtstrafe auf eine Gesamtgeldstrafe erkannt und soweit der Angeklagte vom Tatvorwurf der Beleidigung zum Nachteil des T. E. (Tat vom 18. Oktober 2017) freigesprochen wurde.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Revision beigetreten.

II.

Das Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Rechtsmittel hat vorläufigen Erfolg und führt gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 StPO zur Aufhebung des Urteils im angefochtenen Umfang und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts.

1.

Die Beschränkung eines Rechtsmittels auf bestimmte Beschwerdepunkte ist grundsätzlich zulässig, soweit der angefochtene Teil der Entscheidung einer selbständigen Prüfung und Beurteilung zugänglich ist und ein erneutes Eingehen auf den nicht angefochtenen Teil nicht notwendig ist (BGHSt 27, 70 ff; SenE v. 08.08.2000 – Ss 340/00 -; SenE v. 06.12.2005 – 81 Ss 58/05). Hiervon ausgehend ist die Revision der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der (allein) den Gegenstand der Verurteilung bildenden Tat vom 16./18. Januar 2018 (Beleidigung zum Nachteil der E. E.) wirksam auf die Rechtsfolge und – entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft – innerhalb der für diese Tat festgesetzten Rechtsfolge weitergehend und auch insoweit wirksam beschränkt, dass allein die Einbeziehung bzw. nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe mit den im Tenor des angefochtenen Urteils bezeichneten Erkenntnissen Gegenstand der revisionsgerichtlichen Überprüfung sein soll. Darüber hinaus ist die Revision wirksam auf den erfolgten Freispruch wegen der Tat vom 18. Oktober 2017 zum Nachteil des T. E. beschränkt.

2.

Die Entscheidung der Kammer über die Bildung der nachträglichen Gesamtstrafe hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB folgt den gleichen Regeln wie die Gesamtstrafenbildung nach Maßgabe der §§ 53, 54 StGB; sie soll den Täter weder besser noch schlechter stellen, als er gestanden hätte, wenn die neu abzuurteilende Tat zum Zeitpunkt von früheren Verurteilungen dem damaligen Tatrichter bekannt gewesen wären, so dass eine unerledigte Verurteilung Zäsurwirkung hat. Wenn die in mehreren Vorverurteilungen verhängten Strafen nicht erledigt sind, führt die Zäsurwirkung dazu, dass zunächst eine Gesamtstrafe mit der Strafe aus der frühesten Vorverurteilung zu bilden ist, mit der eine Gesamtstrafenbildung möglich ist (vgl. SenE v. 12.04.2011 – III-1 RVs 49/11).

Vorliegend sind die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 StGB weder im Hinblick auf das im Tenor bezeichnete Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 13. März 2017 noch im Hinblick auf das Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 25. September 2017 erfüllt, da die hier verfahrensgegenständliche Tat von Januar 2018 nach den beiden genannten Urteilen begangen wurde. Soweit das Urteil des Amtsgerichts Bonn nach den getroffenen Feststellungen erst am 9. April 2018 – und damit nach der verfahrensgegenständlichen Tat – rechtskräftig geworden ist, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung, da das Tatgericht den Grund für den späteren Eintritt der Rechtskraft, namentlich nicht mitteilt, ob nach der hier abzuurteilenden Tat eine tatrichterliche Sachentscheidung etwa im Berufungsverfahren gegen das Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 13. März 2017 erfolgt ist (vgl. dazu Fischer, StGB, 66. Auflage, § 55 Rn. 6f). Soweit die Kammer für den Zeitpunkt möglicher Gesamtstrafenbildung mit den im Tenor bezeichneten Erkenntnissen mutmaßlich auf den Zeitpunkt der nachträglichen Festsetzung durch Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 24. September 2018 abgestellt hat, ist dies rechtsfehlerhaft. Tatrichterliche Sachurteile sind nur Entscheidungen zur Schuld- oder Straffrage, nicht jedoch ein Gesamtstrafenbeschluss nach § 460 StPO (vgl. Schönke-Schröder-Sternberg-Lieben/Bosch, Strafgesetzbuch, 30. Auflage, § 55 Rn. 9 m.w.N.).

Die im angefochtenen Urteil erfolgte Einbeziehung ist daher rechtsfehlerhaft erfolgt.

3.

Soweit das Landgericht den Angeklagten vom Vorwurf der Beleidigung zum Nachteil des T. E. wegen seiner am 18. Oktober 2017 auf der Internetseite http.. unter dem Titel „Popper dir einen“ veröffentlichten Kommentierung des von dem Geschädigten Eckert verfassten Online-Artikels „Versteht es doch endlich: Rechtes Gedankengut darf nicht toleriert werden“ aus Rechtsgründen freigesprochen hat, hält dies einer rechtlichen Überprüfung ebenfalls nicht stand.

a)

Das Landgericht hat in Bezug auf die Tat zum Nachteil von T. E. folgende Feststellungen getroffen:

„… Gegenstand des Verfahrens war zum einen der Text: Kennen sie T. E.? Ich auch nicht. Auf den Fotos auf seiner Facebook-Seite wirkt er wie das Abziehbild eines grünlinks versifften Großstadt-Hipsters, der Bier aus der Flasche säuft, sich lustige Hütchen und Mützchen aufsetzt, viel Zeit beim Tätowierer verbringt, ziellos in der „scene“ rumgammelt, beschissene Musik hört, weil sie angesagt ist, und ansonsten sich von einem prekären Drecksjob in der Medienbranche zum anderen hangelt, weil sich darin solche Überflüssigen wie seinesgleichen schon in rauen Mengen tummeln. Zum anderen waren Gegenstand des Verfahrens folgende Ausführungen des Angeklagten in Bezug auf T. E.: „Er tut dabei so, als hätten solche intoleranten Minderbegabten und Mitläufer wie er, die anno Adolf mit absoluter Sicherheit eine Superkarriere als Gashahnaufdreher hingelegt hätten, irgendeine andere stalinistische Kackmeinung als die ihrige je toleriert.“

Auf den Seiten 31 bis 39 UA folgt die Einblendung der von dem Geschädigten veröffentlichten Online-Artikel „Versteht es doch endlich: Rechtes Gedankengut darf nicht toleriert werden“ sowie der daraufhin erfolgten Kommentierung des Angeklagten unter dem Titel „Popper dir einen“ in ihrer jeweils konkreten Form. In dieser finden sich u.a. Passagen, in denen es heißt:

“ … Was meinst du, T., alter Popper- und Toleranzexperte? Sollte man die Buchmesse künftig nicht mit Lügendetektoren ausrüsten, die vorab gewährleisten, dass nur noch solche Lumpen mit totalitärer Gulag-Gesinnung wie du hereingelassen werden?…“

„… Das zum Brüllen Komische an diesen Worten ist, dass all das Gesagte haargenau auf den „Gedankengut“ eines intoleranten, linken Volldeppen wie T. zutrifft. Wo waren denn „Abschottung und innere Mauern“ am Stand des A. Verlags, du Dreckslügner? …“

In rechtlicher Hinsicht hat das Tatgericht sodann auf den Seiten 39 ff UA u.a. Folgendes ausgeführt:

„…Die verfahrensgegenständlichen Äußerungen stellen allerdings – in ihrem jeweiligen Kontext betrachtet – keine Beleidigungen dar, sondern sind von der Meinungsäußerungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S 1 GG gedeckt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die satirischen Aspekte seiner Äußerungen den besonderen Schutz des Art. 5 Abs. 3 S 1 genießen. Hinzu kommt, dass die Kammer auch nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen konnte, dass der Angeklagte mit dem erforderlichen Vorsatz handelte, die Ehre der Autoren der von ihm kommentierten Beiträge zu verletzen. …

b) Auch der einleitenden Passage im Artikel „Popper dir einen“ vermag die Kammer bei der gebotenen wohlwollenden Auslegung keine Beleidigung des T. E. entnehmen.

Tatsächlich äußert sich der Angeklagte spöttisch über dessen Person, indem er ausführt, T. E. wirke auf den Fotos auf seiner Facebook-Seite „wie das Abziehbild eines grünlinks versifften Großstadt-Hipsters“, „der Bier aus der Flasche säuft, sich lustige Hütchen und Mützchen aufsetzt, viel Zeit beim Tätowierer verbringt, ziellos in der „scene“ rumgammelt, beschissene Musik hört, sie angesagt ist, und ansonsten sich von einem prekären Drecksjob in der Medienbranche zum anderen hangelt, weil sich darin solche Überflüssigen wie seinesgleichen schon in rauen Mengen tummeln.“ Wiederum ist jedoch zu berücksichtigen, dass T. E. in seinem Artikel „Versteht es doch endlich: Rechtes Gedankengut darf nicht toleriert werden“ seine sehr persönliche Meinung zu den Ereignissen auf der Frankfurter Buchmesse dargetan hat, die derjenigen des Angeklagten zuwiderläuft. Mit seiner Meinungskundgabe im genannten Artikel hat T. E. öffentlich einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf geleistet. Es muss ihm hierbei bewusst gewesen sein, dass derjenige, der seine persönliche Meinung in jener Weise vertritt, den Blick auf die eigene Person richtet. Infolgedessen konnte er damit rechnen, dass sich die Leser seines Beitrags mit seiner Person befassen und – wie der Angeklagte – recherchieren, wie sich diese Person im Übrigen in den Medien präsentiert. Infolgedessen ist er weniger schutzbedürftig als derjenige, der seine Meinungskundgabe aus der Öffentlichkeit fernhält.

In der weiteren verfahrensgegenständlichen Formulierung stellt der Angeklagte „T. E.“ als Mitläufer dar, der sich stets der Mehrheitsmeinung anschließt und abweichende Meinungen ablehnt, ohne dass es ihm auf den jeweiligen Inhalt jener Meinungen ankäme. Dies betrifft die Ausführungen:

„Er tut dabei so, als hätten solche intoleranten Minderbegabten und Mitläufer wie er, die anno Adolf mit absoluter Sicherheit eine Superkarriere als Gashahnaufdreher hingelegt hätten, irgendeine andere stalinistische Kackmeinung als die ihrige je toleriert.“

Die Kammer verkennt nicht, dass insbesondere der Vergleich von T. E. mit einem „Gashahnaufdreher“ im Dritten Reich sogar ein verbrecherisches Vorgehen impliziert. Im beschriebenen Kontext betrachtet zielt der äußerst bissig formulierte Vergleich allerdings vorwiegend auf das Mitläufertum ab und greift sowohl den von T. E. selbst bemühten Begriff der Intoleranz als auch den Vergleich mit dem Nationalsozialismus auf (Till Eckert: „So hat das in Deutschland schon einmal angefangen, ein paar Jahre später war die ganze Gesellschaft gespalten und es brachte nur noch ein wortgewandten Diktator, um ein Weltkrieg anzuzetteln“). Als Beitrag zum politischen Meinungskampf sind die Formulierungen des Angeklagten daher von seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt.

c)

Hinzu kommt, dass die Kammer nicht die Überzeugung gewinnen konnte, dass der Angeklagte, der die Meinung- und Kunstfreiheit als Schriftsteller für sich in Anspruch nimmt, die Formulierungen in Bezug auf … und T. E. vorsätzlich als Mittel der Ehrkränkung gewählt hat. Er betrachtete diese vielmehr als kreatives Produkt seiner schriftstellerischen Tätigkeit.“

b)

Bei einem Freispruch aus rechtlichen Gründen müssen die erwiesenen Tatsachen und es muss dargelegt werden, aus welchen Gründen das Gericht sie nicht für strafbar hält. Die Urteilsgründe müssen ferner eine erschöpfende, alle in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkte einschließende Würdigung der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat enthalten (vgl. SenE v. 15.02.2019 – III- 1RVs 234/19; SenE v. 08.12.2009 – 81 Ss 76/09 -; SenE v. 16.03.2010 – III-1 RVs 18/10 -; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2018, § 267 Rz. 34; Löwe/Rosenberg-Stuckenberg, 26. Auflage 2012, § 267 Rz. 163 m. N.).

aa)

Diesen Anforderungen genügen die Urteilsgründe bereits insoweit nicht, als das Tatgericht unter Verletzung seiner Kognitionspflicht nicht alle in Betracht kommenden Äußerungen des Angeklagten in dem verfahrensgegenständlichen Artikel einer Bewertung und Würdigung unterzogen hat.

Das Gericht muss die Anklage, wie sie im Eröffnungsbeschluss zugelassen ist, vollständig erschöpfen, genauer: die den Untersuchungsgegenstand bildende angeklagte Tat restlos nach allen tatsächlichen (§ 244 Abs. 2 StPO) und denkbaren rechtlichen (§ 265 StPO) Gesichtspunkten aufklären und aburteilen ohne Rücksicht auf die der Anklage und dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte rechtliche Bewertung (vgl. Löwe-Rosenberg, a.a.O., § 264 Rn. 37).

Verfahrensgegenstand des – einer Eröffnungsentscheidung im Anklageverfahren gleichgestellten – Strafbefehls des Amtsgerichts Bonn vom 18. Mai 2018, dort unter Ziffer 2), ist der vollständige Artikel, den der Angeklagte am 18. Oktober 2017 unter der Überschrift „Popper dir einen“ auf seiner Internetseite veröffentlicht hatte; auf diesen Artikel bezog sich der uneingeschränkte Strafverfolgungswille der Staatsanwaltschaft. Davon ist im Ansatz ersichtlich auch die Strafkammer ausgegangen, die den Artikel ungekürzt in seiner konkreten Verletzungsform in die Urteilsbegründung eingeblendet und zum Gegenstand der Urteilsgründe gemacht hat.

Gleichwohl beschränkt sich die Kammer auf die Würdigung einzelner, bereits im Strafbefehl beispielhaft wiedergegebener Äußerungen – auf welche zurückzukommen sein wird – und unterlässt es, von dem Angeklagten in seinem Kommentar ebenfalls verwendete Bezeichnungen und Begriffe wie etwa „Überflüssiger“, „hyperaktiver Hirni“, „intoleranter Mindertalentierter“, „Lump“, „intoleranter, linker Volldepp“ oder „Dreckslügner“ mit Blick auf Gewicht und Ausmaß der darin enthaltenen Ehrkränkung im Lichte des Art. 2 Abs. 1 GG zu würdigen. Dies stellt eine Verletzung der tatrichterlichen Kognitionspflicht dar und führt bereits für sich genommen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Es liegt auf der Hand, dass Begriffe wie „Dreckslügner“, oder „Volldepp“ regelmäßig als Schimpfworte gebraucht und mit „Lump“ gängig Personen bezeichnet werden, die als charakterlich minderwertig, betrügerisch oder gewissenlos handelnd angesehen werden; in diesem Zusammenhang dürfte auch zu berücksichtigen und würdigen sein, dass sich bei Bezeichnung einer Person als „Lump“ die Nähe und Assoziation zu einem vielzitierten Satz des NS-Richters Freisler in seiner Eigenschaft als Präsident und Vorsitzender des Volksgerichtsgerichtshofes aufdrängt.

bb)

Aber auch soweit Gegenstand der Bewertung der Strafkammer einzelne in dem Artikel enthaltene und ausdrücklich zitierte Äußerungen, insbesondere diejenige ist, er (der Geschädigte) tue dabei so, „als hätten solche intoleranten Minderbegabten und Mitläufer wie er, die anno Adolf mit absoluter Sicherheit eine Superkarriere als Gashahnaufdreher hingelegt hätten, irgendeine andere stalinistische Kackmeinung als die ihrige je toleriert“, weisen die Gründe keine erschöpfende, alle in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkte einschließende Würdigung der dem Angeklagten zur Last gelegten Beleidigung zum Nachteil des T. E. aus.

aaa)

Eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB begeht derjenige, der einen anderen rechtswidrig in dessen Ehre angreift, indem er vorsätzlich dem anderen durch eine Äußerung von Missachtung oder Nichtachtung seinen sittlichen, personalen oder sozialen Geltungswert ganz oder teilweise abspricht, ihm also unter einem dieser drei Aspekte seine Minderwertigkeit oder Unzulänglichkeit attestiert (vgl. SenE v. 20.01.2012 – III- 1RVs 6/12; SenE v. 30.09.2003 – Ss 405/03 -; BayObLG NStZ-RR 2002, 210 [211]; KG NJW 2003, 685 [686]; Fischer, a.a.O., § 185 Rdnr. 5 f.; Schönke/Schröder-Lenckner, StGB, a.a.O., § 185 Rdnr. 2, jeweils m. w. Nachw.). Dabei erfasst § 185 StGB sowohl herabsetzende Werturteile als auch ehrverletzende Tatsachenbehauptungen (Formalbeleidigungen im Sinne des § 192 StGB; vgl. Fischer, a.a.O., § 185 Rdnr. 5; zur Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen vgl. BVerfG NJW 2003, 1855 f. m. w. Nachw.). Ob eine an sich ehrverletzende Meinungsäußerung noch durch das Grundrecht des Art. 5 GG beziehungsweise als berechtigte Interessenwahrnehmung geschützt ist oder ob sie ihren Grundrechtsschutz verliert, weil sie sich als Angriff auf die Menschenwürde, Formalbeleidigung oder Schmähung darstellt, kann nur unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Täters, seiner gewöhnlichen Ausdrucksweise, einer durch den Anlass der Interessenwahrnehmung hervorgerufenen besonderen Erregung sowie aller sonstigen wesentlichen Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Dabei kommt der zutreffenden Deutung von Äußerungen bei der Prüfung von Beeinträchtigungen der Meinungsfreiheit und des Persönlichkeitsrechts weichenstellende Bedeutung zu. Durch eine unzutreffende Deutung von Äußerungen darf weder die Meinungsfreiheit noch der grundrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechts verkürzt werden (vgl. SenE v. 20.01.2012, a.a.O.; BVerfG NJW 2006, 3769 -„Babycaust“- bei Juris unter Rdnr. 68 m.w.N.).

Von diesen Grundsätzen ist das Tatgericht unter Ziffer IV 1. der Urteilsgründe (vgl. S 19/20 UA) im Ansatz zutreffend ausgegangen. Dabei begegnet zunächst weder die Einordnung der verfahrensgegenständlichen Äußerungen als „Meinungsäußerungen“ und damit als Werturteile noch deren Auslegung in tatsächlicher Hinsicht rechtlichen Bedenken. Ebenso revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das Tatgericht die Äußerungen in Bezug auf T. E. offenkundig – anders als im Verurteilungsfall zum Nachteil E. – nicht als „Schmähkritik“ gesehen hat.

bbb)

Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassung wegen eng zu verstehen. Merkmal der Schmähung ist die das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung (vgl. BVerfG NJW 1995, 3303 – „Soldaten sind Mörder“; BVerfG NJW 1999, 204 – „Verunglimpfung des Staates“; BVerfG NJW 1999, 2358 – „FCKW“). Von ihr ist lediglich dann auszugehen, wenn sich der ehrbeeinträchtigende Gehalt der Äußerung von vorneherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes bewegt (so die Formulierung in der Entscheidung BVerfG NJW 2016, 2870).

Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist für den Streitfall nicht zu verkennen, dass die verfahrensgegenständlichen Äußerungen im Kontext mit einer Auseinandersetzung um die von dem T. E. durch seinen Online-Artikel angestoßene Diskussion um die Ereignisse auf der Frankfurter Buchmesse, den Umgang der Veranstalter mit – von Herrn Eckert so bezeichneten – „rechten Verlagen“ und um einen Auftritt des AFD-zugehörigen Politikers B. H. standen. Die auf den Artikel „“Versteht es doch endlich: Rechtes Gedankengut darf nicht toleriert werden“ bezogene Kommentierungen des Angeklagten und damit sachbezogenen Äußerungen enthalten noch keine derartig persönlich kränkenden Komponenten, die eine Einordnung als „Schmähkritik“ rechtfertigen würden.

ccc)

Eine Meinungsäußerung, die sich weder als Verletzung der Menschwürde, Formalbeleidigung oder Schmähkritik darstellt, erfordert indes eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz, deren Ergebnis verfassungsrechtlich nicht vorgegeben ist, bei der jedoch alle wesentlichen Umstände des Falles zu berücksichtigen und bei der es auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter ankommt (vgl. Senat in ständiger Rechtsprechung: SenE v. 02.06.2017 – III- 1RVs 110/17; SenE v. v. 13.12.2017 – III- 1RVs 296/17; SenE v. 27.07.2018 – III- 1 RVs 150/18; vgl. auch BayObLG [15.02.02] NStZ-RR 2002, 210 [212]).

Eine entsprechende tatrichterliche Abwägung zwischen den Grundrechten des Angeklagten aus Art. 5 Abs. 1 und 3 GG einerseits und dem Persönlichkeitsrecht des Till Eckert aus Art. 2 Abs. 1 GG andererseits enthalten die Urteilsgründe der Strafkammer nicht.

Soweit die Kammer den Äußerungen mit Blick auf – nicht weiter konkretisierte – „satirische Aspekte“ den besonderen Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG zubilligt, lässt sich dieser Einordnung bereits nicht entnehmen, dass die Kammer bedacht hat, dass es auch im Bereich von Karikatur und Satire am Merkmal der Beleidigung nur fehlt, wenn die Überzeichnung menschlicher oder sachlicher Schwächen eine ernstliche Herabwürdigung der Person nicht enthält; die Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG unterliegt zwar nicht dem Gesetzesvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG, sie gilt gleichwohl nicht schrankenlos und kann ihrerseits durch verfassungsrechtlich legitimierte Werte, insbesondere durch die in Art. 1 GG garantierte Würde des Menschen sowie durch verfassungsrechtlich geschützte Persönlichkeitsrechte, begrenzt werden (vgl. Fischer, a.a.O., § 185 Rn. 8b, § 193 Rn. 35 m.w.N.).

Die Ausführungen des Tatgerichts erschöpfen sich auch im Übrigen in der Feststellung, die Äußerungen stellten – in ihrem Kontext betrachtet – keine Beleidigungen da, sondern seien von der Meinungsäußerungsfreiheit gem. Art 5 Abs. 1 S 1 GG „gedeckt“. Dabei ist zunächst zu konstatieren, dass sich eine ausdrückliche Erwähnung des in Art. 2 Abs. 1 GG verankerten Ehrschutzes des Geschädigten den Urteilsgründen an keiner Stelle entnehmen lässt. Aber auch konkludent lassen die Gründe die aufgrund der Erkenntnis, es handele sich nicht um Schmähkritik im oben aufgezeigten Sinne, erforderliche Abwägung zwischen den sich gegenüberstehenden Grundrechten der an der Sachauseinandersetzung beteiligten Personen nicht erkennen. So sieht die Kammer zwar, dass insbesondere der Vergleich mit einem „Gashahnaufdreher“ im Dritten Reich ein verbrecherisches Vorgehen impliziert, betrachtet diesen Vergleich jedoch als lediglich „bissig formuliert“ und vorwiegend auf das Mitläufertum abzielend, die von dem Geschädigten selbst bemühten Begriffe der Intoleranz und den Vergleich mit dem Nationalsozialismus aufgreifend. Dies greift zu kurz und verkennt, dass die auf die Person des Geschädigten abzielende Bezeichnung als „Gashahnaufdreher“ nicht nur eine Ehrkränkung von erheblichem Gewicht darstellt, da ihm nicht nur die Eigenschaft eigenständigen Denkens und eigenverantwortlichen Handelns abgesprochen wird, sondern der Geschädigte mit der konkreten Wortwahl auch persönlich in die Nähe einer Ideologie vergleichbar mit derjenigen der Unterstützer des nationalsozialistischen Unrechtsregimes gerückt wird; der so Bezeichnete wird durch die verfahrensgegenständliche Äußerung in persona im Zusammenhang mit einer nationalsozialistisch gesinnten Gruppe genannt, wodurch der soziale Geltungsanspruch des solchermaßen Angegangenen massiv infrage gestellt wird. Sprachlicher Bezugspunkt ist im Artikel des Angeklagten – in klarer Abgrenzung zu dem Anlass-Artikel des Geschädigten, der ein gesellschaftliches Phänomen anspricht („So hat das in Deutschland schon einmal angefangen …“) – die Person des Geschädigten, die in den Fokus genommen und der gleichsam unterstellt wird, dass sie auch im NS-Unrechtsregime „Mitläufer“ gewesen wäre.

Soweit die Kammer die Auffassung vertritt, dass der Geschädigte mit seiner Meinungskundgabe im genannten Artikel öffentlich einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf geleistet habe, weswegen er habe damit rechnen können, dass sich die Leser seines Beitrags mit seiner Person befassen, weswegen er „weniger schutzbedürftig“ sei als derjenige, der seine Meinungskundgabe aus der Öffentlichkeit fernhalte, mag dies zwar im Ansatz zutreffen; die Ausführungen lassen jedoch außer Acht bzw. beleuchten nicht hinreichend den Umstand, dass der Anlass-Artikel des Geschädigten – im Gegensatz zu den verfahrensgegenständlichen Äußerungen des Angeklagten – in Wortwahl und Ausdruck äußerst moderat und sachlich gefasst ist; es ist nicht ersichtlich, dass der Artikel die Äußerungen des Angeklagten in ihrer konkreten Form etwa unter dem Gesichtspunkt des „Rechts zum Gegenschlag“ (vgl. dazu BayObLG [15.02.02] NStZ-RR 2002, 210 [212]; BayObLG [14.04.04] NStZ 2005, 215 [216]) provoziert haben könnte.

dd)

Wegen der die Kognitionspflicht verkennenden, nicht alle getätigten Aussagen umfassenden sowie der im Übrigen rechtsfehlerhaft fehlenden Abwägung der sich gegenüberstehenden Grundrechte der Verfahrensbeteiligten unterliegt das Urteil der Aufhebung.

c)

Da die Strafkammer ausdrücklich aus Rechtsgründen freigesprochen hat, erscheint zweifelhaft, ob die Feststellungen zum subjektiven Tatbestand (S 42 unten UA) für die Entscheidung tragend sind. Selbst wenn wäre die Beweiswürdigung insoweit lückenhaft, da sich die Kammer mit der sich aufdrängenden Frage, ob die Einlassung, der Angeklagte betrachte seine Formulierungen als „kreatives Produkt seiner schriftstellerischen Tätigkeit“, nicht eine Schutzbehauptung darstellt, nicht auseinandersetzt. Der Angeklagte ist nach den Feststellungen zu seiner Person mehrfach einschlägig wegen Beleidigung und Volksverhetzung vorbestraft, so dass ihm bekannt sein musste, dass seiner „Kreativität“ als Schriftsteller Schranken in Gestalt der Persönlichkeitsrechte anderer Personen gesetzt sind. Vor diesem Hintergrund hätte sich das Tatgericht – die objektive Tatbestandsmäßigkeit unterstellt – gedrängt sehen müssen zu erörtern, ob der Angeklagte nicht zumindest mit Eventualvorsatz handelte.

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