OLG Köln, Urteil vom 16.03.2017 – 15 U 123/16

Oktober 31, 2021

OLG Köln, Urteil vom 16.03.2017 – 15 U 123/16

Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 13.7.2016 (28 O 12/16) in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 12.9.2016 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten zu 1) und 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.317,87 Euro freizustellen.

Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.358,86 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4.8.2015 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt der Kläger.

Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 89 % und die Beklagte zu 1) zu 11 %. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) zu 89 % und die des Beklagten zu 2) in voller Höhe. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte zu 1) zu 11%. Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Gegners durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Gegner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe
I.

Der Kläger, der von 1989 bis Anfang 2015 als V-Mann für den Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen arbeitete, nimmt die Beklagten auf Zahlung einer Geldentschädigung sowie auf Zahlung/Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten für an diese gerichtete Abmahn- und Abschlussschreiben in Anspruch. Anlass für die geltend gemachten Ansprüche sind verschiedene, vom Beklagten zu 2) verfasste Berichterstattungen, die am 14.6.2015, 16.6.2015 und 28.6.2015 auf der von der Beklagten zu 1) betriebenen Internetseite www.X2.de sowie in der von ihr verlegten Zeitung „X“ erschienen sind. In den Beiträgen wird der Kläger im Zusammenhang mit dem Bombenanschlag in der Ler Qgasse namentlich genannt und teilweise wird ein Bildnis von ihm mit schwarzer Kappe und Balken über den Augen abgedruckt. Am 14.6.2015 wurden die Beiträge „Das Phantom von L“ auf der Internetseite www.X2.de sowie in der „X“ (vgl. Anlagen K 5 (inkl. Bildnis) und K 6), „Die dubiosen Ermittlungen zum Ler Neonazi „I3″“ auf der Internetseite www.X2.de (vgl. Anlage K 7 inkl. Bildnis), „Neuer NSU-Verdacht“ auf der Internetseite www.X2.de sowie in der „X“ (vgl. Anlagen K 8 und K 9) sowie „Geheimdienst-Informant soll in Mordserie verwickelt sein“ auf der Internetseite www.X2.de (vgl. Anlage K 10) veröffentlicht. Am 16.6.2015 folgte der Beitrag „V-Mann im Zwielicht“ auf der Seite www.X2.de (vgl. Anlage K 11). Am 28.6.2015 schließlich wurden die Beiträge „Das Phantom“ auf der Internetseite www.X2.de und in der „X“ (vgl. Anlagen K 22 und K 23) sowie „Ein geheimer Mitarbeiter sorgt für Verwirrung“ auf der Internetseite www.X2.de (vgl. Anlage K 24 inkl. Bildnis) veröffentlicht.

Bezüglich der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien sowie der gestellten Anträge wird auf das erstinstanzliche Urteil (Bl. 164 ff. d.A.) Bezug genommen.

Mit Urteil vom 13.7.2016 hat das Landgericht dem Kläger eine Geldentschädigung in Höhe von 20.000 Euro sowie einen Zahlungs-/Freistellungsanspruch in Höhe von insgesamt 2.676,73 Euro zugesprochen und die weitergehende Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, für die Abmahnung vom 18.6.2015 hinsichtlich der Berichterstattungen vom 14.6.2015 und 16.6.2015 stehe dem Kläger ein Anspruch auf Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.317,87 Euro zu. Zwar folge sein gegen die betreffende Berichterstattung gerichteter Unterlassungsanspruch nicht bereits aus der rechtskräftigen Entscheidung der Kammer im einstweiligen Verfügungsverfahren (28 O 246/15 LG Köln). Jedoch stehe ihm ein solcher Anspruch zu, da eine unzulässige Verdachtsberichterstattung der Beklagten vorliege. Durch die Wiedergabe wahrer Tatsachen über die Ermittlungen zum Bombenanschlag in der Qgasse werde der auf diese Tatsachen gestützte Verdacht geäußert, dass der Kläger an dem Anschlag beteiligt gewesen sein könnte.

Für eine zulässige Verdachtsberichterstattung fehle es jedoch bereits an einem Mindestbestand an Beweistatsachen. Der Aktenvermerk der ehemaligen Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz stelle keine privilegierte Quelle dar, auf die die Beklagten sich ohne weitere Recherchen hätten verlassen dürfen. Eine wie auch immer geartete Ähnlichkeit des Klägers mit dem Phantombild reiche angesichts des massiven Vorwurfs der Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag der NSU ebenfalls nicht aus. Zwar bestehe ein hohes öffentliches Interesse an dem Umstand, dass die Ähnlichkeit mit dem Phantombild erst zehn Jahre nach der Tat festgestellt wurde und ebenso daran, ob und wie staatlichen Stellen auf diese Mitteilung reagiert hätten. Jedoch sei im Rahmen der Abwägung zugunsten des Anonymitätsinteresses des Klägers zu berücksichtigen, dass eine solche öffentliche Debatte über mögliche Ermittlungspannen bzw. eine Schonung der Verfassungsschutzmitarbeiter vor gegen sie gerichtete Ermittlungen auch ohne namentliche Nennung des Klägers hätte geführt werden können.

Mangels Vorliegen eines Mindestbestands an Beweistatsachen komme es nicht mehr darauf an, ob die Beklagten das ihnen Zumutbare unternommen hätten, um vor der Berichterstattung eine Stellungnahme des Klägers einzuholen. Auch soweit die Beklagten substantiiert dazu vorgetragen hätten, dass der Kläger bereits in anderen Berichterstattungen öffentlich identifiziert worden sei, stehe dies dem Unterlassungsanspruch nicht entgegen, sondern mindere allenfalls die Höhe der Geldentschädigung.

Weiter stehe dem Kläger auch wegen der Meinungsäußerung, er sei als Jugendlicher rechtsradikal gewesen, ein Unterlassungsanspruch zu. Denn diese wertende Aussage beruhe auf einem überprüfbaren Tatsachenkern, wie beispielsweise der Mitgliedschaft in einer Gruppierung, die als rechtsradikal oder rechtsextrem angesehen werde oder vergleichbaren anderen Umständen. Solche Umstände hätten die beweisbelasteten Beklagten jedoch nicht hinreichend dargelegt. Die Gruppe ATF könne nicht als rechtsradikal bezeichnet werden und die Beklagten hätten auch nicht dargelegt, dass der Kläger in seiner Jugend Hakenkreuze unabhängig von den danebenstehenden Parolen „Nazi-Bullen raus“ und „Polizei des SS-Staates“ an einem Polizeipräsidium angebracht habe und diese damit einen anderen als polizeikritischen Aussagegehalt hatten. Die Beklagten hätten weitere Tatsachen bzw. Indizien vortragen müssen, um die rechtsradikale Einstellung der ATF oder des jugendlichen Klägers darzulegen. Die Tatsache, dass er eine Kontaktperson des „Heimatschutzverbandes“ gewesen sei, sei für die Schlussfolgerung seiner rechtsradikalen Gesinnung als Jugendlicher nicht ausreichend.

Der Kläger habe weiter einen Anspruch gegen die Beklagte zu 1) auf Zahlung der vorgerichtlichen Anwaltskosten für die Abmahnung vom 23.7.2015 in Höhe von 1.358,86 Euro. Denn auch hinsichtlich der von dieser Abmahnung erfassten Berichterstattung vom 28.6.2015 stehe dem Kläger ein Unterlassungsanspruch zu, da er wiederum als potentieller Verdächtiger des Bombenanschlags namentlich genannt werde.

Daneben stehe dem Kläger gegen die Beklagten ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 20.000 Euro zu. Der rechtswidrige Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht durch die Berichterstattung der Beklagten sei schwerwiegend, soweit er mit dem Sprengstoffanschlag in der Qgasse in Verbindung gebracht werde. Es fehle an einem Mindestbestand an Beweistatsachen und die Beklagten hätten keine weiteren Nachforschungen angestellt, um weitere Beweise oder Indizien für eine Tatbeteiligung zu finden. Zwar sei mangels entsprechenden Vortrags nicht davon auszugehen, dass die Berichterstattung zu einer konkreten Bedrohung des Klägers durch rechts- oder linksradikal motivierte Personen geführt habe. Jedoch sei die von ihm subjektiv empfundene abstrakte Gefahr sowie die Reichweite der streitgegenständlichen Berichterstattung in der Print- und Online-Ausgabe einer deutschlandweit bekannten Tages- bzw. Sonntagszeitung zu berücksichtigen, die ihrerseits den Anstoß für eine deutschlandweite Berichterstattung in anderen Medien gegeben habe. Daneben habe die zunächst fehlende Möglichkeit zur Stellungnahme den Kläger in eine Situation des Ausgeliefertseins gerückt. Die Beklagten hätten auch schuldhaft gehandelt, weil sie bei Veröffentlichung der Beiträge die journalistische Sorgfalt fahrlässig außer Acht gelassen hätten; ein schweres Verschulden im Sinne von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit sei nicht erforderlich.

Dagegen könnten die beruflichen Konsequenzen für den Kläger (Beendigung der Tätigkeit beim Verfassungsschutz, Richtigstellungsgespräche mit Kollegen, drohender Wohnungswechsel) sowie die für ihn bestehende Notwendigkeit, nach der Enttarnung Plätze der linksradikalen Szene zu meiden, nicht als erschwerend berücksichtigt werden. Vielmehr unterfielen sie dem bewusst von ihm eingegangenen Risiko seiner beruflichen Tätigkeit für den Verfassungsschutz. Auch soweit der Kläger behauptet habe, ihm seien in erhöhtem Maße Sedativa und Hypnotika verschrieben worden, könne dies nicht berücksichtigt werden, weil es insofern an substantiiertem Vortrag fehle. Hinsichtlich der Meinungsäußerung, der Kläger sei in seiner Jugend rechtsradikal gewesen, fehle es schon an dem für eine Geldentschädigung erforderlichen schwerwiegenden Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht.

Dem Kläger stehe gegen den Beklagten zu 2) kein Anspruch auf Freistellung von den Kosten des Abschlussschreibens vom 3.8.2015 in Höhe von 2.085,95 Euro zu, da die Inanspruchnahme eines Anwalts insofern nicht erforderlich gewesen sei. Aus dem Schreiben der Beklagten zu 1) vom 21.5.2015 lasse sich zwar nicht eindeutig entnehmen, ob es auch im Namen des Beklagten zu 2) verfasst wurde. Jedoch habe es vor dem Hintergrund dieses Schreibens nahe gelegen, zunächst mit den Beklagten – ggf. über ein kurzes Telefonat – den Sachverhalt zu klären, bevor die Beauftragung eines Anwalts erfolgt sei.

Gegen dieses Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt und verfolgen ihren erstinstanzlichen Antrag auf Klageabweisung weiter.

Sie machen geltend, in der angegriffenen Berichterstattung werde der Kläger nicht als sicherer oder schon überführter Täter dargestellt, sondern es werde über den Vermerk der ehemaligen Präsidentin des Verfassungsschutzes NRW, Frau L2, sowie die darin festgestellte Ähnlichkeit des Klägers mit einem Phantombild berichtet sowie eine lückenlose Aufklärung möglicher Ermittlungspannen durch den NSU-Untersuchungsausschuss gefordert. Angesichts des Vermerks von Frau L2, der Äußerung der unmittelbaren Tatzeugen („beängstigende Ähnlichkeit“) sowie der unstreitigen Vorstrafe des Klägers wegen eines Sprengstoffdeliktes hätten ihnen hinreichende Beweistatsachen für die – ihrer Ansicht nach – inhaltlich zurückhaltende Berichterstattung vorgelegen. Im Zeitpunkt der Berichterstattung hätten ihnen auch hinreichende Beweistatsachen für eine rechtsradikale Jugend des Klägers vorgelegen. Denn Frau L2 habe in ihrem Vermerk über den Kläger ausgeführt: „Sein einschlägiger Verlauf als Jugendlicher erscheint aus hiesiger Sicht episodenhaft. Gleichwohl scheint eine gewisse Affinität zu Waffen und Wehrübungen erkennbar zu sein.“

Im Rahmen der Zubilligung einer Geldentschädigung habe das Landgericht nicht berücksichtigt, dass der Kläger nicht an den Pranger gestellt, sondern ausgewogen über tatsächliche Ermittlungspannen berichtet werde. Die Beklagten sind der Ansicht, die Annahme einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung scheide schon deshalb aus, weil sie lediglich einen Verdacht aufgegriffen hätten, der im Berichtszeitpunkt bereits seit einem Jahr unwidersprochen in der Öffentlichkeit bekannt gewesen sei. Bereits seit Juni 2014 sei in insgesamt sechs Internetveröffentlichungen identifizierend über den Kläger berichtet worden, wobei dieser teils als „I“, teils als „I2“ und/oder mit seinem Spitznamen „I3“ bezeichnet worden sei. Durch die zusätzliche Angabe seines Alters und von Details zu seinem Werdegang in der Ler Neonazi-Szene sei er schon zum damaligen Zeitpunkt ohne weiteres identifizierbar gewesen. Bei einer Internetsuche nach dem Namen des Klägers sei man zwangsläufig schon damals auf den gegen ihn erhobenen Verdacht einer Verwicklung in den Sprengstoffanschlag gestoßen. Die Beklagten behaupten, der Kläger habe diese früheren Berichterstattungen bis zum Zeitpunkt der Berufungsbegründung nicht angegriffen. Soweit er erstinstanzlich behauptete habe, rechtliche Schritte gegen diese Veröffentlichungen unternommen zu haben, hätten diese bisher jedenfalls nicht zu einer Löschung der Beiträge geführt. Schon aus diesem Grunde sei es ihnen unmöglich gewesen, in anonymisierter Form über den Kläger zu berichten.

Die Beklagten machen weiter geltend, schon eine einzelne Berichterstattung, die über einen längeren Zeitraum unbeanstandet bleibe, stehe nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes der Annahme einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung entgegen. Jedenfalls fehle es an einem unabweisbaren Bedürfnis für die Zuerkennung einer Geldentschädigung, denn der Kläger habe die frühere Berichterstattung aus dem Sommer 2014 über einen Zeitraum von einem Jahr nicht beanstandet und habe zu keinem Zeitpunkt versucht, Gegendarstellungs- oder Richtigstellungsansprüche geltend zu machen. Dabei könne er sich nicht darauf berufen, die Vorwürfe durch eine Gegendarstellung/Richtigstellung wieder in die Öffentlichkeit tragen zu müssen, da diese ohnehin für jedermann im Internet abrufbar seien.

Der Kläger habe sich darüber hinaus durch ihre Berichterstattung auch nicht in einer Situation des Ausgeliefertseins befunden. Es sei ihnen nicht möglich gewesen, ihn vor der Berichterstattung zu kontaktieren, was sie in erster Instanz substantiiert und unter Beweisantritt vorgetragen hätten. Die vom Kläger vorgelegten Emails ließen nicht einmal die Adresse des Absenders oder seinen Arbeitgeber erkennen; schon aus diesem Grunde habe das Landgericht nicht unterstellen dürfen, auch ihnen – den Beklagten – sei auf diesem Wege eine Kontaktaufnahme möglich gewesen.

Die Beklagten beantragen,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln vom 13.7.2016 (28 O 12/16) die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er vertritt die Ansicht, dass es bei den Berichterstattungen jeweils um eine Verdachtsberichterstattung handele, für die es an einem Mindestbestand an Beweistatsachen fehle. Allein seine angebliche Ähnlichkeit mit dem Phantombild reiche als Grundlage für eine Verdachtsäußerung nicht aus, zumal er zum Tatzeitpunkt kurze Haare gehabt und auch die Verfassungsschutzpräsidentin ausweislich ihres Vermerks keine Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung seinerseits gesehen habe. Die Äußerung der Zeugen zu einer „beängstigenden Ähnlichkeit“ habe er bereits in erster Instanz bestritten; zudem hätten beide Zeugen ihn – unstreitig – im Rahmen der späteren Wahlbildvorlage nicht erkannt.

Soweit im Internet weitere identifizierende Bericht über ihn zu finden seien, stehe dies einer Geldentschädigung nicht entgegen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wirke sich eine vorangegangene rechtswidrige Berichterstattung nicht mindernd auf das Gewicht der angegriffenen Persönlichkeitsrechtsverletzung aus. Auch seien die früheren Berichte auf „kleinen unbedeutenden“ Seiten zu finden gewesen und in ihrer Breitenwirkung mit der streitgegenständlichen Berichterstattung nicht zu vergleichen. Die von den Beklagten zitierten Berichterstattungen enthielten teilweise nicht seinen vollständigen Namen, teilweise handele es sich um Sitzungsprotokolle aus dem NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München, in denen kein eigener Verdacht geäußert werde, teilweise seien die Verantwortlichen abgemahnt worden oder gerichtlich in Anspruch genommen worden bzw. ein Vorgehen gegen sie aus tatsächlichen Gründen nicht möglich.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist überwiegend begründet, was insoweit zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung führt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung, weil für die Zubilligung einer solchen nach den Umständen des vorliegenden Falles jedenfalls kein unabweisbares Bedürfnis besteht. Die Berufung der Beklagten ist dagegen unbegründet, soweit das Landgericht dem Kläger einen Anspruch auf Zahlung/Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten für zwei Abmahnungen zugesprochen hat.

1. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zu. Zwar liegt in den von ihm angegriffenen Berichterstattungen ein rechtswidriger Eingriff der Beklagten in sein Persönlichkeitsrecht. Jedoch fehlt es, selbst wenn vom Vorliegen einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung ausgegangen wird, angesichts der Gesamtumstände des vorliegenden Falles an einem unabweisbaren Bedürfnis für die Zubilligung einer Geldentschädigung.

Eine schuldhafte Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts begründet einen auf den grundgesetzlichen Gewährleistungen der Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG fußenden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.8.2003 – 1 BvR 1338/00, NJW 2004, 591) Anspruch auf eine Geldentschädigung, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und deswegen eine Geldentschädigung erforderlich ist. Ob ein derart schwerer Eingriff anzunehmen und die dadurch verursachte nicht vermögensmäßige Einbuße auf andere Weise nicht hinreichend ausgleichbar ist, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Hierbei sind insbesondere die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, also das Ausmaß der Verbreitung der Veröffentlichung, die Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- oder Rufschädigung des Verletzten, ferner Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens zu berücksichtigen. Außerdem ist der besonderen Funktion der Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen Rechnung zu tragen, die sowohl in einer Genugtuung des Verletzten für den erlittenen Eingriff besteht als auch ihre sachliche Berechtigung in dem Gedanken findet, dass das Persönlichkeitsrecht gegenüber erheblichen Beeinträchtigungen anderenfalls ohne ausreichenden Schutz bliebe. Zudem soll die Geldentschädigung der Prävention dienen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Geldentschädigung nicht eine Höhe erreichen darf, die die Pressefreiheit unverhältnismäßig einschränkt (vgl. BGH, Urt. v. 21.4.2015 – VI ZR 245/14, NJW 2015, 2500).

a. Die namentliche Nennung des Klägers in den streitgegenständlichen Berichten stellt einen Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht dar, weil seine als möglich dargestellte Beteiligung an dem Bombenanschlag in der Ler Qgasse öffentlich bekannt gemacht und seine Person in den Augen der Adressaten in erheblichem Maße negativ qualifiziert wird. Der Kläger wird namentlich als möglicher Täter eines Deliktes der Schwerstkriminalität benannt, welches in der Öffentlichkeit schon im Zeitpunkt der Tatbegehung ein bundesweites Interesse ausgelöst hat und aufgrund des vor dem Oberlandesgericht München anhängigen NSU-Verfahrens auch im Zeitpunkt der Berichterstattung weiter im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand. Außer durch Nennung des vollständigen Namens erfolgt eine Identifizierung des Klägers in den Beiträgen vom 14.6.2015 („Das Phantom von L“, Anlage K 5, „Die dubiosen Ermittlungen zum Ler Neonazi „I3″“, Anlage K 7) und vom 28.6.2015 („Ein geheimer Mitarbeiter sorgt für Verwirrung“, Anlage K 24) auch durch Abdruck des ihn zeigenden Bildnisses, auf welchem er trotz des Augenbalkens jedenfalls für Bekannte, Nachbarn und Arbeitskollegen in hinreichender Deutlichkeit zu erkennen ist.

Maßgeblich für die Deutung der streitgegenständlichen Äußerungen der Beklagten ist die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut, der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann, ist bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, zu berücksichtigen. Bei der Erfassung des Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung ausgehend von dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittslesers und dem allgemeinen Sprachgebrauch stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (vgl. BGH, Urt. v. 12.4.2016 – VI ZR 505/14, juris Rn. 11 m.w.N.).

aa. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der auf der Internetseite und in der Printausgabe der Beklagten zu 1) erschienene Beitrag „Das Phantom von L“ vom 14.6.2015 (Anlagen 5 und 6) eine Verdachtsberichterstattung dahingehend enthält, dass der Kläger als Täter des Sprengstoffanschlags in der Qgasse in Betracht kommt. Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich nicht nur um eine Berichterstattung über einen unstreitigen Vorfall, nämlich das Bekanntwerden von dienstlichen Vermerken der ehemaligen Präsidentin des Verfassungsschutzes NRW und deren Inhalte, sondern darüber hinaus auch um eine Verdachtsäußerung hinsichtlich einer Straftat des Klägers.

(1) Dies ergibt sich bereits aus dem Untertitel, in dem es heißt: „Der Täter wurde bislang nicht gefunden. Geheime Dokumente bringen nun Ungereimtheiten bei den Ermittlungen ans Licht“. Diese Formulierungen werden vom durchschnittlichen Rezipienten dahin verstanden, dass die zunächst ergebnislose Suche nach dem Täter des Sprengstoffanschlages aufgrund der nunmehr in die Öffentlichkeit geratenen geheimen Dokumente vielleicht doch noch mit dem Auffinden des Täters enden könnte. Weiter wird in der Berichterstattung der Inhalt der dienstlichen Erklärung der Präsidentin des Verfassungsschutzes NRW wiedergegeben, wonach das von den Zeugen des Anschlags gefertigte Phantombild „Ähnlichkeiten mit einem Neonazi aus L … I2, genannt „I3″ … aufweise“. Auch dies bedeutet aus Sicht des durchschnittlichen Rezipienten, dass gegen den namentlich genannten Kläger ein entsprechender Verdacht erhoben wird. Denn ein Phantombild dient allein dazu, mögliche Täter einer Straftat zu identifizieren, so dass bei der Mitteilung, eine bestimmte Person weise Ähnlichkeit mit einem solchen Phantombild auf, zwangsläufig der Schluss gezogen wird, dass sie auch als Täter in Betracht kommt.

(2) Zwar wird dieser von den Beklagten ohne hinreichende Distanzierung veröffentlichte Verdacht unmittelbar im Anschluss durch Mitteilung des weiteren Inhalts des dienstlichen Vermerks relativiert, wonach „Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung“ nicht bestehen. Jedoch wird der Leser in der maßgeblichen Gesamtschau dem Beitrag entnehmen, dass die Beklagten die von Frau L2 und anderen staatlichen Stellen geäußerten Entlastungsbekundungen zugunsten des Klägers für nicht überzeugend sowie die Untätigkeit der Behörden bezüglich der Ermittlungen gegen den Kläger für nicht nachvollziehbar halten und sie damit bei dem von ihnen aufgestellten Verdacht bleiben:

Zunächst wird dargestellt, dass der Kläger in der Ler Neonazi-Szene aktiv war und dabei, „auch das offenbart erst der geheime Vermerk von L2, Kontakt zum direkten Umfeld des NSU“ hatten. Damit wird eine Verbindung des Klägers zu derjenigen Szene hergestellt, die sich offiziell zu dem Sprengstoffanschlag in der Qgasse bekannt hat. Weiter wird in dem Bericht zwar dargestellt, dass der Kläger „nach einhelliger Einschätzung aller VM-Führer … kein Extremist“ sei. Dieser Äußerung folgt jedoch unmittelbar eine kritische Anmerkung, die den Aussagegehalt wieder relativiert: „Doch der Verfassungsschutz verschwieg eine wichtige Information in dem Vermerk: I2 ist vorbestraft. Und zwar ausgerechnet wegen eines Sprengstoffdelikts aus dem Jahre 1985“. Auch diese Gegenüberstellung von den Kläger entlastenden Angaben des Verfassungsschutzes und der unmittelbar folgenden Darstellung, dass diesen Angaben wohl nicht zu trauen sei, weil der Verfassungsschutz gegenüber anderen Behörden Informationen verschwiegen habe, wird vom durchschnittlichen Rezipienten dahin verstanden, dass die Beklagten trotz der Bekundungen staatlicher Stellen an ihrem Verdacht festhalten, weil die aus ihrer Sicht bestehenden Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung des Klägers dadurch nicht ausgeräumt sind und sie der Einschätzung von Frau L2 zur Tatbeteiligung des Klägers schon deshalb kritisch gegenüberstehen, weil diese sogar gegenüber der Bundesanwaltschaft vermeintlich wichtige Umstände verschwiegen hat.

(3) Die Aufrechterhaltung des Verdachts wird schließlich am Ende des Beitrags nochmals verstärkt, wenn es heißt: „I2 wurde offenbar bis heute nicht verhört“, was impliziert, dass ein solches Verhör aus Sicht der Beklagten angezeigt gewesen wäre und wenn davon die Rede ist, dass Tatzeugen eine „beängstigende Ähnlichkeit“ des Klägers mit dem Phantombild festgestellt haben, Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt aber „trotzdem“ untätig blieben, keine Gegenüberstellung des Klägers mit dem Vater des Opfers und dessen Zwillingsschwester erfolgt sei und Frau L2 vier Monate nach Abfassung ihrer dienstlichen Vermerke „aus persönlichen Gründen, wie es offiziell heißt“ um ihre Versetzung in den Ruhestand gebeten habe. Gerade in der Formulierung „wie es offiziell heißt“ schwingt, für den durchschnittlichen Rezipienten erkennbar, die Einschätzung der Beklagten mit, dass die persönlichen Gründe möglicherweise nur ein vorgeschobenes Argument darstellen und in Wirklichkeit die Beteiligung eines vom Verfassungsschutz angeworbenen Spitzels am Sprengstoffanschlag die Ursache für die vorzeitige Amtsaufgabe gewesen sein könnte.

bb. Die gleichen Erwägungen gelten für den Beitrag „Die dubiosen Ermittlungen zum Ler Neonazi „I3″“ (Anlage 7), der im Wesentlichen dieselben Äußerungen wie die Berichte in Anlage 5 und 6 enthält.

cc. Der Beitrag „Neuer NSU-Verdacht“ (Anlage 8 und 9) enthält ebenfalls eine Verdachtsberichterstattung der Beklagten. Wiederum wird dargestellt, dass es „im Skandal um die Mord- und Anschlagsserie … neue Hinweise auf mögliche Verstrickungen eines Verfassungsschutz-Informanten“ gibt und „dieser „Ähnlichkeit“ mit dem Phantombild eines Mannes (habe), der an einem Bombenanschlag beteiligt war“. Die Beklagten berufen sich in diesem Zusammenhang auf „streng vertrauliche Dokumente“, die „dieser Zeitung“ vorliegen und ein neues Licht auf die NSU-Gewaltserie werfen. Insofern weisen sie darauf hin, dass sie über eigene Informationen verfügen, die den von ihnen gezogenen Schluss auf eine mögliche Tatbeteiligung des Klägers stützen. Durch den Zusatz, dass sich „bereits bei einem NSU-Mord an einem Internetbetreiber in L3 … ein Verfassungsschutz-Mitarbeiter am Tatort aufgehalten“ hatte, wird für den Rezipienten deutlich, dass auch hinsichtlich des Sprengstoffanschlages in der Ler Qgasse die Beteiligung eines solchen Mitarbeiters, also des namentlich genannten Klägers, vermutet wird.

Wenn dann im nachfolgenden Teil des Berichts dargestellt wird, dass das von den Zeugen angefertigte Phantombild nach Aussage der Präsidentin des Verfassungsschutzes NRW „Ähnlichkeiten mit einem Neonazi aus L …, I2“ aufweise und die anschließende Einschätzung zur Tatbeteiligung des Klägers („Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung des Mannes bestünden aber nicht“) im nachfolgenden Satz sofort relativiert wird („Doch L2 schrieb eine Woche später noch einen weiteren Vermerk … Darin lüftete sie ein brisantes Geheimnis…“), dann versteht der Leser schon dies in dem Sinne, dass Frau L2 zwar nach außen keine Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung angeben wollte, jedoch in einem weiteren Vermerk unter Inanspruchnahme der höchsten Sicherheitsstufe mögliche Gründe dafür offenbart hat: Den Schutz eines ihrer Mitarbeiters ungeachtet seiner möglichen Tatbeteiligung. Weiter wird Frau L2 in der Berichterstattung insgesamt als wenig verlässliche Person im Hinblick auf die Einschätzung einer möglichen Tatbeteiligung des Klägers dargestellt, da der Bericht ebenfalls offenlegt, dass sie nicht alle dem Verfassungsschutz vorliegenden und für die Ermittlungen wichtigen Informationen an die Bundesanwaltschaft weitergegeben hat („Sie verschwieg dabei, dass Helfer im Jahre 1985 wegen eines Sprengstoffdelikts verurteilt worden war“). Schließlich ist auch in diesem Bericht die Tatsache ihres Rücktritts durch die Anführungszeichen bei der Formulierung „persönliche Gründe“ in einer Art und Weise dargestellt, dass dem Leser andere Gründe für diese Rücktrittsentscheidung – möglicherweise der Schutz eines straffällig gewordenen Mitarbeiters – nahegelegt werden.

dd. Der Beitrag „Geheimdienst-Informant soll in Mordserie verwickelt sein“ (Anlage 10) enthält im Wesentlichen dieselben Formulierungen wie der Beitrag in Anlage 9 und teilt daher die obige Bewertung. Zusätzlich findet sich hier bereits in der Überschrift die Formulierung, wonach „ein weiterer Geheimdienst-Informant … in die Morde verstrickt sein“ soll, was wiederum eine Verdachtsäußerung der Beklagten im Hinblick auf eine mögliche Straftat des Klägers darstellt.

ee. Der Beitrag „V-Mann im Zwielicht“ (Anlage 11) enthält im Wesentlichen die Äußerungen aus dem Beitrag der Anlage 7 und teilt daher die obige Bewertung.

ff. In den Beiträgen der Beklagten vom 28.6.2015 („Das Phantom“, Anlagen 22 und 23 sowie „Ein geheimer Mitarbeiter sorgt für Verwirrung“, Anlage 24) wird zwar nicht ausdrücklich ein Verdacht zu Lasten des Klägers geäußert; vielmehr gehen die Beklagten in erster Linie auf die Reaktionen des Klägers bzw. seines Prozessbevollmächtigten auf die vergangene Berichterstattung vom 14.6.2015 und 16.6.2015 ein und stellen nochmals die Ungereimtheiten der staatlichen Ermittlungen dar. In der erforderlichen Gesamtbetrachtung sind aber auch diese Berichterstattungen wiederum als Verdachtsberichterstattungen zu Lasten des Klägers einzustufen:

Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die entlastende Äußerung von Frau L2 („… schrieb aber auch, dass der für Helfer zuständige Beamte sich nicht vorstellen könne, dass Helfer hinter der Tat stecken könnte“) von den Beklagten unmittelbar im Anschluss mit der Äußerung kommentiert wird: „Ein Alibi oder etwas konkret Entlastendes führte L2 jedoch nicht an“, woraus letztlich deutlich wird, dass die Beklagten auch angesichts dieser Umstände ihren – in den vorangegangenen Berichterstattungen erhobenen – Verdacht aufrecht zu erhalten gedenken. Darüber hinaus wird das frühere Sprengstoffdelikt des Klägers aus den 80er Jahren geschildert („So sollen Mitglieder der Gruppe Schwarzpulver aus Feuerwerkskörpern gekratzt und gesammelt haben, später Glasflaschen zur Explosion gebracht und eine Frau dabei leicht verletzt haben“) und diese Tat sodann in eine Beziehung zu dem Anschlag in der Qgasse gesetzt („Auch die Bombe 2001, die in dem Ler Lebensmittelladen explodierte, bestand aus Schwarzpulver, das in einer Glasflasche gezündet wurde“). Dies sind weitere Details, die in einer Gesamtschau vom durchschnittlichen Rezipienten so verstanden werden, dass die Beklagten – auch unter Berücksichtigung der Äußerungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers („Sein Anwalt I4 trat nach der Veröffentlichung die Flucht nach vorne an …“) – weiterhin davon ausgehen, dass eine Tatbeteiligung des Klägers in Betracht kommt. Ebenfalls in diesem Sinne sind auch die Reaktionen der Beklagten auf die Einlassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers zu verstehen, sein Mandant sei vom Bundeskriminalamt nie zu dem Fall befragt worden, „weil den Beamten klar war, dass er mit der Tat nichts zu tun haben konnte“. Hieran schließt sich der deutlich einen (fortbestehenden) Verdacht ausdrückende Kommentar der Beklagten an: „Bei „geheimen Mitarbeitern“ ist offenbar schon vor der Ermittlung klar, dass sie unschuldig sind“.

Auch wenn grundsätzlich anzuerkennen ist, dass die Presse in der Lage sein muss, die Reaktionen des Betroffenen auf ihre frühere Berichterstattung darzustellen und zu kommentieren, ohne dass damit der Vorwurf einer unzulässigen Verdachtsberichterstattung verbunden wird, darf dies auf der anderen Seite nicht dazu führen, dass die Presse sich durch eine unzulässige Verdachtsberichterstattung die Berichtsanlässe selbst schafft, indem sie durch diese eine Reaktion des Betroffenen provoziert und sodann unter Darstellung derselben wiederum über den früher geäußerten Verdacht berichtet. Die Unzulässigkeit einer solchen Berichterstattung kann sich insofern aus dem Gedanken des sog. Vorverständnisses der Leser (vgl. BGH, Urt. v. 8.7.1980 – VI ZR 159/78, juris Rn. 80; Wenzel (Burkhardt), Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Auflage 2003, Kap. 4 Rn. 14) ergeben, weil die Äußerungen in dem betreffenden Beitrag durch ihre inhaltliche Verwandtschaft mit den früheren Berichterstattungen auf das durch sie geprägte Vorverständnis der Öffentlichkeit treffen und damit selbst in den Einfluss dieses vorgeprägten Verständnisses geraten. Infolge dieser vorhandenen Bezüge wird auch durch die spätere Berichterstattung das Verständnis hinsichtlich des früher geäußerten Verdachts beim Leser aktiviert und damit der frühere Vorwurf wieder hervorgeholt.

b. Die durch die Berichterstattung verursachten Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Klägers sind auch rechtswidrig, weil die Voraussetzungen einer Verdachtsberichterstattung nicht eingehalten sind.

aa. Hinsichtlich der Beiträge vom 14.6.2015 und 16.6.2015 hat das Landgericht zutreffend ausgeführt, dass es jedenfalls an einem Mindestbestand an Beweistatsachen fehlt, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen. Die Pflicht der Presse zur hinreichend sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt der behaupteten Tatsache ist umso strenger zu handhaben, je schwerwiegender in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingegriffen wird (vgl. BGH, Urt. v. 18.11.2014 – VI ZR 76/14, WM 2015, 99). Diesen Sorgfaltsanforderungen sind die Beklagten im Hinblick auf die Beiträge vom 14.6.2015 und 16.6.2015 nicht nachgekommen, weil der Grad des von ihnen für den Verdacht ermittelten Wahrheitsgehaltes jedenfalls keine namentliche Nennung des Klägers rechtfertigt.

(1) Der Verdacht hinsichtlich einer Tatbeteiligung des Klägers stützt sich zunächst auf die dienstliche Erklärung der ehemaligen Präsidentin des Verfassungsschutzes NRW. Zwar ist in Rechnung zu stellen, dass dieser Angabe der Leiterin einer Verfassungsschutzbehörde einiges Gewicht zukommt. Schon aufgrund ihrer Stellung als Behördenleiterin, weiter im Hinblick auf die Anfrage des Bundeskriminalamtes wegen strafrechtlicher Ermittlungen sowie schließlich wegen der drohenden Enttarnung des eigenen V-Manns ist davon auszugehen, dass Frau L2 ihre Äußerung nach reiflicher Überlegung und nicht als anlasslose Mutmaßung abgegeben hat. Ungeachtet dessen handelt es sich aber aufgrund der konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalls nicht um eine sog. privilegierte Quelle, die die Beklagten ohne weitere Recherche als Grundlage für eine namentliche Nennung des Klägers nutzen durfte. Der Anwendungsbereich der sog. privilegierten Quelle ist vorliegend schon deshalb nicht eröffnet, weil es sich nicht um eine an die Öffentlichkeit gerichtete Erklärung, sondern um einen vertraulichen dienstlichen Vermerk handelt, der als „geheime Verschlusssache“ gerade nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte, sondern „nur für den Dienstgebrauch“ bestimmt war. Der hinter der Rechtsprechung zur privilegierten Quelle stehende Gedanke, dass die Behörde, soweit sie sich mit einen Betroffenen identifizierenden Äußerungen an die Öffentlichkeit wendet, dies im Hinblick auf die ihr obliegende Verantwortung und eine mögliche Haftung nur nach eingehender Prüfung und Recherche tut, ist damit gerade nicht einschlägig.

(2) Der erforderliche Mindestbestand an Beweistatsachen kann auch nicht deshalb bejaht werden, weil der Kläger tatsächlich Ähnlichkeit mit dem Phantombild aufweist. Denn selbst wenn sich die Behauptung der Beklagten als zutreffend erweisen sollte, dass der Kläger im Dezember 2000 (halb)lange Haare hatte, ist allein diese Frisur – da weitere Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung fehlen – kein ausreichender Anknüpfungspunkt für eine identifizierende Berichterstattung. Die gleiche Bewertung trifft den – vom Kläger bestrittenen – Umstand, dass der Vater und die Schwester des Opfers von einer „beängstigenden Ähnlichkeit“ zwischen einem Foto des Klägers und ihrem Erinnerungsbild an den Täter gesprochen haben sollen. Denn allein auf das Erinnerungsvermögen zweier Zeugen darf die Presse einen solchen Verdacht jedenfalls dann nicht stützten, wenn sie den Betroffenen in der Berichterstattung namentlich nennt. Dabei ist insbesondere in Rechnung zu stellen, dass jedenfalls die involvierten staatlichen Stellen keinen Anlass gesehen haben, gegen den Kläger Ermittlungen aufzunehmen bzw. die Aufnahme solcher Ermittlungen der Öffentlichkeit mitzuteilen.

(3) Schließlich können sich die Beklagten auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ein erhebliches Interesse der Öffentlichkeit daran besteht, über die von Frau L2 erkannte Ähnlichkeit zwischen dem Kläger und dem Phantombild informiert zu werden. Denn allein ein hohes öffentliches Interesse an einer Berichterstattung führt nicht dazu, dass ein mit dieser Berichterstattung erhobener Verdacht ohne Vorliegen eines Mindestbestands an Beweistatsachen identifizierend verbreitet werden darf. Auch wenn der Kläger aufgrund seiner führenden Funktion in der rechtsextremen Szene in L aus eigener Entscheidung in der Öffentlichkeit stand, kann allein eine solche exponierte öffentliche Stellung nicht dazu führen, zulässigerweise einen auf nicht hinreichende Beweistatsachen gegründeten Verdacht im Rahmen einer identifizierenden Berichterstattung zu verbreiten.

Bei Abwägung der widerstreitenden grundrechtlichen Positionen der Parteien ist vorliegend insbesondere zu berücksichtigen, dass es den Beklagten möglich gewesen wäre, in einer den Kläger anonymisierenden Form über das Geschehen zu berichten, ohne dass dadurch die Schilderung an Inhalt oder Brisanz verloren hätte. Die von den Beklagten betonte Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Verhalten staatlicher Stellen im Hinblick auf die Aufklärung des NSU-Terrors und den Einsatz bzw. die Überwachung von V-Leuten wird durch das Verbot einer identifizierenden Berichterstattung nicht beeinträchtigt. Denn diese kritische Auseinandersetzung knüpft maßgeblich an die Funktion des Klägers an, der einerseits in führender Funktion in der rechtsradikalen Szene in L und andererseits als Mitarbeiter des Verfassungsschutzes tätig war und möglicherweise im Hinblick auf letztere Tätigkeit von den Behörden trotz Begehung einer Straftat nicht verfolgt wird. Dagegen wird die öffentliche Diskussion des Verhaltens staatlicher Stellen bei der Führung von V-Leuten bzw. der Aufklärung rechtsradikaler und mutmaßlich von V-Leuten begangener Gewalttaten nicht maßgeblich von der konkreten Person des Klägers bestimmt.

bb. Auch hinsichtlich der Beiträge vom 28.6.2015 überwiegen die Interessen des Klägers, was zur Annahme einsrechtswidrigen Eingriffs in sein Persönlichkeitsrecht führt. Denn auch wenn in diesen Beiträgen der Prozessbevollmächtigte des Klägers zu Wort kommt, der auf die fehlenden Ermittlungen hinweist und die rechtsextreme Gesinnung des Klägers in Abrede stellt, verbleibt es im Kern der Berichterstattung dabei, dass der Kläger als mutmaßlicher Täter eines Sprengstoffanschlags namentlich genannt wird, ohne dass sich die Beklagten – auch zu diesem späteren Zeitpunkt – auf einen hinreichenden Mindestbestand an Beweistatsachen berufen können. Denn auch am 28.6.2015 gab es außer der dienstlichen Stellungnahme von Frau L2 sowie der früheren Verurteilung des Klägers wegen eines Sprengstoffdelikts keine weiteren Anhaltspunkte dafür, dass der erhobene Verdacht wahr sein könnte.

cc. Im Hinblick auf die Äußerung der Beklagten „Helfer war schon als Jugendlicher rechtsradikal“ (vgl. die Beiträge „Das Phantom von L“ und „Die dubiosen Ermittlungen zum Ler Neonazi „I3″“ vom 14.6.2014, Anlage 6 und 7) liegt dagegen keine rechtswidrige Persönlichkeitsrechtsverletzung vor. Denn es handelt sich bei der betreffenden Formulierung um eine Meinungsäußerung, die nach dem Gesamtkontext des betreffenden Beitrags nicht auf einem nachprüfbaren Tatsachenkern beruht, sondern vielmehr pauschal und wertend in die Schilderung über den Werdegang des Klägers eingefügt ist. Die beiden Beiträge enthalten neben der oben zitierten Formulierung („Helfer war schon als Jugendlicher rechtsradikal“) keine Angaben dazu, auf welche Tatsachen die Beklagten diese Wertung stützen. Es findet sich allein der Hinweis „… und fiel als Mitglied einer Wehrsportgruppe auf“. Diesem Begriff ist allerdings aus Sicht des durchschnittlichen Rezipienten kein fester Tatsachenkern zuzuordnen und auch die Gruppierung mit dem Namen ATF („Anarchistische Terror Front“), in welcher der Kläger in seiner Jugend unstreitig Mitglied war, wird in den Beiträgen in Aufbau und Wirkungsbereich nicht näher beschrieben. Insgesamt ist aus diesen pauschalen Begriffen für den durchschnittlichen Rezipienten nicht erkennbar, auf welcher Grundlage die Wertung einer rechtsradikalen Gesinnung des Klägers in seiner Jugend erfolgte, so dass es sich insgesamt um eine Meinungsäußerung der Beklagten handelt, die mangels Vorliegen einer Schmähkritik zulässig ist.

c. Die rechtswidrigen Berichterstattungen der Beklagten stellen eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers dar.

aa. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Frage, ob eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Denn die Zubilligung einer Geldentschädigung im Fall einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung findet ihre sachliche Berechtigung in dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde (vgl. BGH, Urt. v. 15.9.2015 – VI ZR 175/14, juris Rn. 38 m.w.N.). Insoweit sind insbesondere die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens zu berücksichtigen.

bb. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist vorliegend eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung gegeben. Es wird als möglich dargestellt, dass der Kläger einen Sprengstoffanschlag mit erheblichen gesundheitlichen und finanziellen Folgen für die Opfer begangen bzw. sich an einem solchen beteiligt hat. Der Verdacht eines solchen Delikts der Schwerstkriminalität greift in erheblichem Maße in den sozialen Achtungsanspruch des Klägers ein, weil ein solcher Verdacht geeignet ist, sich abträglich auf sein Ansehen, insbesondere sein Bild in der Öffentlichkeit auszuwirken. Der soziale Achtungsanspruch des Klägers ist auch nicht dadurch gemindert, dass er – sei es aufgrund seiner Tätigkeit für den Verfassungsschutz oder aufgrund der eigenen Überzeugung – sich über Jahrzehnte in der rechten Szene engagiert und dort auch nach außen hin eine Führungsrolle eingenommen hat. Denn wenn auch möglicherweise bei diesen Rezipienten eine ausländerfeindlich motivierte Straftat positiv aufgenommen werden wird und jedenfalls nicht zu einer Minderung des Ansehens des Klägers führt, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Kläger sich unstreitig auch in einem bürgerlichen Milieu bewegte und jedenfalls insofern der ungerechtfertigte Verdacht einer solchen Straftat sehr schwer wiegt. Darüber hinaus ist bei der Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsrechtsverletzung zu berücksichtigen, dass der Kläger in den Beiträgen nicht nur namentlich genannt wird, sondern teilweise (vgl. Anlagen K 5, 7 und 24) auch ein Bildnis des Klägers veröffentlicht wurde, welches jedenfalls im Hinblick auf Bekannte, Nachbarn und Arbeitskollegen eine Identifizierung des Klägers zuließ.

cc. Zwar ist zugunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass an den Vorgängen ein ganz erhebliches öffentliches Berichterstattungsinteresse bestand, da es um mögliche Verfehlungen staatlicher Stellen bei der Aufklärung rechtsradikaler Straftaten, um die Umstände der Einschleusung und Führung geheimer Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in die rechte Szene sowie um die Zusammenarbeit der Behörden im Zuge der Ermittlungen im Bereich der Schwerstkriminalität ging. Anlass und Beweggrund der Berichterstattung waren damit politische bzw. gesellschaftliche Themen „ersten Ranges“ und nicht die Befriedigung von Neugier oder Sensationslust der Öffentlichkeit. Allerdings ist insoweit wiederum zugunsten des Klägers in die Abwägung einzustellen, dass eine Berichterstattung über die betreffenden Vorgänge auch ohne die namentliche Nennung des Klägers hätte vorgenommen werden können, ohne dass dadurch die Schilderungen an Substanz oder auch journalistischer Brisanz verloren hätten. Soweit die Beklagten in diesem Zusammenhang geltend machen, sie seien aufgrund der weitgehenden Recherchemöglichkeiten im Internet nicht in der Lage, in anonymisierter Form über den Kläger zu berichten, wird dies dem Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens nicht gerecht. Der Kläger verlangt Zahlung einer Geldentschädigung, weil die Beklagten ihn in den betreffenden Berichten mit vollem Namen genannt haben. Ob dagegen Berichte zulässig gewesen wären, die den Kläger nur mit Pseudonym oder einer verfälschenden Abkürzung benannt hätten, ist vorliegend nicht zu entscheiden, da solche Berichte nicht zur Grundlage des Entschädigungsanspruchs gemacht wurden.

dd. Der Annahme einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers stehen auch die von Seiten der Beklagten angeführten Vorveröffentlichungen ab Juni 2014 (auf den Seiten www.C.de/, www.O.info, www.O2.com, www.B.de, www.M.org, www.L4.de, vgl. Anlage B 6 bis B 10) nicht entgegen.

(1) Die Berichterstattungen der Beklagten stellen zunächst nicht lediglich eine Aktualisierung der früheren Berichterstattung aus Juni 2014 in der öffentlichen Wahrnehmung dar, so dass ihr aus diesem Grunde kein schwerwiegender eigenständiger Verletzungscharakter zukäme. Denn zum einen verfügen sie über einen erheblich höheren Verbreitungsgrad als die früheren Berichterstattungen. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass in diesen Berichten neben der angeblichen Ähnlichkeit des Klägers mit dem Phantombild nunmehr auch die Stellungnahmen von Frau L2 in den geheimen Vermerken thematisiert werden, welche – ungeachtet ihres den Kläger auch entlastenden Inhalts – vom durchschnittlichen Rezipienten als weiteres Indiz für eine mögliche Täterschaft angesehen werden.

(2) Auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29.6.1999 (VI ZR 264/98, juris Rn. 20), wonach das Gewicht eines Eingriffs in die Privatsphäre dann in einem beträchtlichen Maße gemindert sein kann, wenn die angegriffene Äußerung schon von anderen Medien veröffentlicht wurde und damit bereits einer großen Zahl von Personen bekannt geworden war, die sie ihrerseits weitergeben konnten, können sich die Beklagten nicht berufen. Zum einen handelt es sich vorliegend nicht um eine gegen den Willen des Klägers offenbarte wahre Tatsache, sondern vielmehr um unbewiesene Verdachtsbehauptungen herabsetzenden Charakters. Diese werden weder deswegen zulässig, weil sie auch von anderen aufgestellt worden sind, noch verliert der Betroffene durch die erste belastende Berichterstattung seine Ehre und soziale Anerkennung in dem Sinne, dass diese Schutzgüter nicht erneut oder nur mit geringerer Intensität verletzt werden könnten. Auf die Schwere der Persönlichkeitsrechtsverletzung und das Bedürfnis für eine Entschädigung können sich solche Vorveröffentlichungen allenfalls dann auswirken, wenn und soweit das Interesse der von dem streitgegenständlichen Beitrag angesprochenen Personen durch sie bereits verringert war. Letzteres kann aber nicht durch zeitlich und sachlich zusammenhängende (Vor-)Veröffentlichungen bewirkt werden, sondern allenfalls dann, wenn gegebenenfalls auch rechtswidrige Vorveröffentlichungen nach Ablauf einer gewissen Zeit zu einem „Negativ-Image“ des Betroffenen im Hinblick auf die jeweils konkret in Rede stehende schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung geführt haben (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, AfP 2014, 135), was hier nicht der Fall ist. Zum anderen finden sich die von den Beklagten angeführten früheren Veröffentlichungen auf Internetseiten mit einem verhältnismäßig geringen Verbreitungsgrad, deren Inhalte erfahrungsgemäß nur von den regelmäßigen Lesern/Sympathisanten dieser Seiten zur Kenntnis genommen werden. Mit der Berichterstattung durch S bzw. „E“ in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ist dies nicht vergleichbar.

d. Die Beklagten handelten auch schuldhaft, wobei der Senat in Übereinstimmung mit dem Landgericht insoweit von lediglich fahrlässigem Handeln ausgeht. Zwar war die Rechtswidrigkeit der Berichterstattung für die Beklagten vorhersehbar, hätte sie die erforderliche Bewertung, ob ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorlag, selbst zutreffend vorgenommen. Die Rechtswidrigkeit lag andererseits aber noch nicht derart auf der Hand, dass ein vorsätzliches Handeln der Beklagten angenommen werden kann. Aufgrund der geheimen Vermerke der Verfassungsschutzpräsidentin und der jedenfalls aus Sicht eines Laien bestehenden Ähnlichkeit des Klägers mit dem auf dem Phantombild abgebildeten Täter durften die Beklagten jedenfalls ohne den Vorwurf eines bedingten Vorsatzes davon ausgehen, dass sie über hinreichende Anhaltspunkte für eine mögliche Tatbeteiligung des Klägers und damit für die Berichterstattung über einen entsprechenden Verdacht verfügten. Die genaue Haarlänge des Klägers im Tatzeitpunkt (Dezember 2000) war ihnen unstreitig im Zeitpunkt der Berichterstattung nicht bekannt; selbst im Verfahren trägt der Kläger nicht vor, welche konkreten Abweichungen zwischen seinem Aussehen im Dezember 2000 und seinem auf Seite 5 der Klageschrift abgebildeten Foto bestanden, sondern zieht sich insofern auf die Formulierung zurück, er habe „kurze Haare“ getragen.

Wird zudem berücksichtigt, dass die Inhalte der geheimen Vermerke von Frau L2 und der Ablauf der Ermittlungen gegen den Kläger von erheblichen öffentlichen Interesse waren und eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Arbeit staatlicher Stellen bei der Aufklärung der NSU-Anschläge eine überragende politische bzw. gesellschaftliche Bedeutung aufweist, kann den Beklagten letztlich nur vorgeworfen werden, bei der namentlichen Nennung des Klägers auf einem schwierigen rechtlichen Feld der Abwägung von Grundrechtspositionen die zutreffenden Grenzziehung fahrlässig verkannt zu haben. Bei dieser Wertung ist auch und insbesondere zu berücksichtigen, dass die Berichterstattung der Beklagten nur den „letzten Schritt“ zur breitenwirksamen Identifizierung des Klägers dargestellt hat, weil dieser durch diverse Vorberichterstattungen und die in diesen enthaltene Bezeichnung „I“, die Angabe seines Wohnortes und seiner Position in der Neonazi-Kameradschaft bereits zuvor von Nachbarn, Kollegen und Bekannten sowie – mit einem etwas höheren Rechercheaufwand – auch vom durchschnittlichen Rezipienten identifiziert werden konnte.

e. Ob der Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Geldentschädigung schon dem Grunde nach ausgeschlossen ist, weil er es unterlassen hat, gegen die Vorberichterstattung aus dem Jahr 2014 Unterlassungs-, Gegendarstellungs- oder Richtigstellungsansprüche geltend zu machen, hält der Senat schon aus dem Grunde für zweifelhaft, weil die Beklagten ihre Berichterstattung teilweise mit Bildnissen des Klägers versehen haben und dieser rechtswidrige Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht nicht mehr rückgängig zu machen ist. Im Ergebnis kann dies jedoch dahinstehen. Denn unter Berücksichtigung der Gesamtumstände besteht jedenfalls kein unabweisbares Bedürfnis für die Zubilligung einer Geldentschädigung.

Anders als beim Schmerzensgeldanspruch stehen beim Anspruch auf Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Aspekte der Genugtuung des Opfers sowie der Prävention im Vordergrund. Folglich liegt ein unabweisbares Bedürfnis für die Zubilligung einer Geldentschädigung nur dann vor, wenn sich im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung aller maßgeblicher Umstände des Einzelfalles der Angriff gegen die Grundlagen der Persönlichkeit richtet, wenn das Schamgefühl durch die Persönlichkeitsverletzung berührt ist bzw. sie ein Gefühl des Ausgeliefertseins verursacht (vgl. Wenzel (Burkhardt), Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Kap. 14, Rn. 128). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt:

aa. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich der Kläger durch seine selbst gewählte Tätigkeit für den Verfassungsschutz, für die er sich – so sein eigener Vortrag – in die rechte Szene einschleusen ließ, selbst in eine nicht unerhebliche Gefahrenlage gebracht hat. Schon allein eine Tätigkeit für den Verfassungsschutz, erst recht diejenige als geheimer Mitarbeiter in führender Position einer rechtsradikalen Vereinigung, birgt ein nicht unerhebliches Gefahrenpotential. Dies kann darin bestehen, in Straftaten verwickelt zu werden oder auch ungerechtfertigt einer Straftat verdächtigt zu werden, weil man sich im Dienste des Verfassungsschutzes – wie es der Kläger geltend macht – in die „erste Reihe“ von neonazistischen Aufmärschen, Versammlungen oder ähnlichen Veranstaltungen begibt. Besteht die berufliche und vom Kläger selbst gewählte Tätigkeit demnach darin, in derart intensiver Art und Weise mit Außenwirkung in einer rechtsextremen Vereinigung mitzuarbeiten, dass er mit sonst geheimen Informationen in Kontakt kommt und diese an den Verfassungsschutz berichten kann, so ist damit auch die Gefahr verbunden, entsprechend eng mit möglichen Straftaten in Kontakt zu kommen und selbst unter Verdacht zu geraten. Die Beklagten mögen allein mit dem Umstand der Ähnlichkeit des Phantombildes mit dem Kläger und der geheimen Vermerke von Frau L2 keine ausreichende Basis gehabt haben, um den Kläger unter Namensnennung und Veröffentlichung seines Bildnisses einer Straftat zu verdächtigen. Sie haben auf der anderen Seite aber auch keinen unbeteiligten Bürger öffentlich an den Pranger gestellt, sondern vielmehr – wenn auch unter fahrlässiger Verkennung der rechtlichen Grenzen – über die mögliche Beteiligung eines Mitarbeiters des Verfassungsschutzes berichtet, der gleichzeitig als stellvertretender Kameradschaftsführer eine Tätigkeit in leitender Position in der rechtsextremen Szene innehatte. Vor diesem Hintergrund kann auch aus dem Umstand, dass die Beklagten neben der namentlichen Nennung des Klägers auch ein diesen zeigendes Bildnis in einigen ihrer Beiträge veröffentlicht haben, kein unabweisbares Bedürfnis für eine Geldentschädigung gefolgert werden. Die Identifizierung des Klägers war im Rahmen der Berichterstattung durch die Nennung seines Vor- und Nachnamens bereits vollumfänglich erfolgt. Dem daneben abgedruckten Bildnis kam daneben – auch aufgrund der nur eingeschränkten Erkennbarkeit des Klägers aufgrund von Kappe und Augenbalken – keine Außenwirkung mit einem eigenständigen und über die Identifizierung durch Namensnennung hinausgehenden Verletzungsgehalt zu.

bb. Gegen ein unabweisbares Bedürfnis spricht in der erforderlichen Gesamtabwägung weiter, dass der Kläger die frühere Berichterstattung aus Juni 2014 während der Dauer von fast zwei Jahren nicht angegriffen hat – erst im Schriftsatz vom 6.5.2016 (Bl. 109 d.A.) wird geltend gemacht, dass „inzwischen … rechtliche Schritte gegen die Artikel eingeleitet“ wurden. Zwar wird der Kläger in diesen Beiträgen nur teilweise (vgl. Anlage B 8) mit seinem vollen Vor- und Nachnamen genannt, jedoch wurde in einigen der Beiträge (vgl. Anlagen B 8 und B 9) ein unverpixeltes Bildnis des Klägers zum Vergleich mit dem ebenfalls abgedruckten Phantombild veröffentlicht, welches in weitaus höherem Maße als das von den Beklagten verwendete Bildnis (mit Kappe und Augenbalken) eine Identifizierung möglich machte. Auf Grundlage der weiteren Beiträgen war der Kläger darüber hinaus durch die Angabe des abgekürzten Namens („I“), des Spitznamens „I3“, seines Wohnortes sowie die detaillierten Angaben zu seiner Position in der Neonazi-Szene (vgl. nur Anlage B 1) jedenfalls für Nachbarn, Arbeitskollegen oder Bekannte bereits seit Juni 2014 zu identifizieren.

cc. Schließlich spricht gegen das unabweisbare Bedürfnis für eine Geldentschädigung, dass den Beklagten lediglich fahrlässiges Handeln vorgeworfen werden kann. Damit ist insbesondere die Präventivfunktion der Geldentschädigung nicht wie bei einem Handeln mit schwerem Verschulden betroffen (vgl. Soehring in: Soehring/Hoene, Pressrecht, 5. Auflage 2013, § 32 Rn. 28b; Wenzel (Burkhardt), Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Auflage 2003, Kap. 14 Rn. 127). Vor dem Hintergrund des nur fahrlässigen Handelns der Beklagten, die vor dem Hintergrund des hohen öffentlichen Berichterstattungsinteresses sowie der – wenn auch nur mit geringerer Breitenwirkung erfolgten – früheren Veröffentlichungen das Anonymisierungsinteresse des Klägers falsch eingeschätzt haben, kann weder durch die Schwere der Verletzung noch durch andere Umstände ausnahmsweise eine Geldentschädigung für unabweisbar erforderlich gehalten werden. Es gibt vor dem Hintergrund des erheblichen Berichterstattungsinteresses vorliegend auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagten die Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers vorsätzlich und nur zum Zweck der Gewinnerzielung vorgenommen haben.

2. Die Berufung der Beklagten hat dagegen keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die in erster Instanz zuerkannten Ansprüche des Klägers auf Zahlung bzw. Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten richtet.

a. Das Landgericht hat dem Kläger zu Recht einen Freistellungsanspruch gegen beide Beklagte als Gesamtschuldner in Höhe von 1.317,87 Euro für die Abmahnung vom 18.6.2015 – gerichtet gegen die Berichterstattungen vom 14.6.2015 und 16.6.2015 – zugesprochen. Denn da diese Beiträge, wie oben dargestellt, eine unzulässige Verdachtsberichterstattung über den Kläger enthalten, steht ihm auch ein Anspruch auf Erstattung der notwendigen Anwaltskosten zu. Angesichts des Umstandes, dass es sich um insgesamt sieben Berichte in den Print- bzw. Onlineausgaben der Beklagten handelt, ist der der Forderung zugrunde liegende Einzelstreitwert von 20.000 Euro und damit der Gesamtstreitwert in Höhe von 140.000 Euro, aus dem eine 0,65-Geschäftsgebühr gefordert wird, nicht zu beanstanden.

b. Weiter hat das Landgericht dem Kläger zu Recht einen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte zu 1) in Höhe von 1.358,86 Euro für die außergerichtlichen Anwaltskosten betreffend die Abmahnung vom 23.7.2015 – gerichtet gegen die Berichterstattungen vom 28.6.2015 – zugesprochen. Die Beklagten haben zwar in erster Instanz geltend gemacht, dass sich das Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers (vgl. Anlage 25) seinem Wortlaut nach nur auf den online-Bericht „Ein geheimer Mitarbeiter sorgt für Verwirrung“ (vgl. Anlage 24), nicht dagegen auf die online und in der Printausgabe erschienenen Berichte „Das Phantom“ (vgl. Anlagen 22 und 23) bezog. Allerdings hat das Landgericht in seiner Entscheidung zutreffend und von den Beklagten unangegriffen festgestellt, dass „hinsichtlich der Artikel vom 28.6.2015“ mit Schreiben vom 23.7.2015 erfolglos zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert wurde. Auf diese formellen Punkt ist die Berufung der Beklagten dann auch nicht mehr gestützt worden.

3. Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich hinsichtlich der Kosten aus § 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO und hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10 S. 1, 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, da die Beurteilung des Rechtsstreits auf der Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und im Übrigen auf den Einzelfallumständen beruht. Höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfragen grundsätzlicher Natur, die über den konkreten Einzelfall hinaus von Interesse sein könnten, haben sich nicht gestellt und waren nicht zu entscheiden.

Berufungsstreitwert: bis 25.000 Euro

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