OLG Köln, Urteil vom 17.06.2016 – 20 U 163/14

November 6, 2021

OLG Köln, Urteil vom 17.06.2016 – 20 U 163/14

Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 3. September 2014 verkündete Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 23 O 440/12 – teilweise abgeändert und die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor einer Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zur Vollstreckung anstehenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe
I.

Die Klägerin und die beklagte Versicherungsgesellschaft sind durch einen Vertrag über eine Krankheitskostenvollversicherung miteinander verbunden. Die Parteien streiten über die Erstattung der Kosten von Maßnahmen der künstlichen Befruchtung.

Die am 11. September 1982 geborene Klägerin ist Trägerin des so genannten Gorlin-Goltz-Syndroms, einem erblichen Leiden. Sie und ihr Lebensgefährte ließen drei Invitro-Fertilisationen (IVF) verbunden mit intrazytoplasmatischen Spermieninjektionen (ICSI) einschließlich Maßnahmen einer Polkörperdiagnostik durchführen.

Die Klägerin hat behauptet, sie leide unter einer primären Sterilität. Bei ihrem Partner lägen keine andrologischen Auffälligkeiten vor. Aufgrund der erblichen Erkrankung sei im Rahmen der Kinderwunschbehandlung eine IVF/ICSI-Behandlung mit Polkörperdiagnostik notwendig, um Eizellen auszusondern, die die schädliche Gen-Mutation aufwiesen. So solle erreicht werden, dass nur Eizellen befruchtet würden, die die Mutation nicht enthielten, und dass die angestrebte Schwangerschaft die Erkrankung nicht auf das Kind übertrage.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie

1) 35.717,61 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 4. April 2012,

2) außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.085,04 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 10. Dezember 2012 und

3) 50 € nicht erstattungsfähige Rechtsanwaltskosten

zu zahlen.

Die Beklagte hat den Antrag gestellt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat bestritten, dass die Klägerin unter einer primären Sterilität leide, und vorgetragen, Verursacher der Kinderlosigkeit sei der Partner der Klägerin. Eine ICSI sei aus weiblicher Indikation nicht denkbar, allerdings notwendiger Bestandteil der Polkörperdiagnostik. Eine Behandlung der versicherten Person liege jedoch nicht vor, wenn die künstliche Befruchtung auf dem Wunsch beruhe, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Hier werde vorbeugend eine Untersuchung an den Chromosomen eines noch nicht geborenen Kindes vorgenommen und nicht eine Untersuchung der Klägerin selbst. Sämtliche für die Polkörperdiagnostik eingereichten Rechnungen seien daher von vornherein nicht erstattungsfähig.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Unter Abweisung der weitergehenden Klage hat es der Klägerin einen Zahlungsbetrag in Höhe von 32.437,23 € nebst Zinsen aus einem Betrag von 21.386,72 € seit dem 6. April 2012 sowie aus weiteren 11.050,51 € seit dem 14. Mai 2013 sowie den mit Klageantrag zu 3 geforderten Betrag von 50 € zugesprochen. Soweit es der Klage entsprochen hat, hat das Landgericht seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Klägerin könne von der Beklagten die Erstattung der aufgrund ihrer genetischen Disposition verursachten Kosten der Polkörperdiagnostik verlangen. Um die entsprechenden genetischen Untersuchungen durchführen zu können, sei unstreitig eine IVF/ICSI-Behandlung erforderlich. Daher komme es nicht mehr darauf an, ob diese auch aufgrund einer primären Sterilität der Klägerin medizinisch notwendig gewesen seien.

Gemäß § 1 Abs. 2 der dem Vertrag zu Grunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) sei Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen.

Nach Auffassung der Kammer liege dann, wenn aufgrund der genetischen Disposition des Versicherungsnehmers aus medizinischer Sicht eine Polkörperdiagnostik veranlasst sei, um die Übertragung eines genetischen Defekts auf das ungeborene Kind zu verhindern, ein bedingungsgemäßer Versicherungsfall vor. Mit dem genetischen Defekt sei eine negative Abweichung des tatsächlichen gesundheitlichen Zustands der Klägerin als Versicherungsnehmerin gegeben. Die Ansicht der Beklagten, die Untersuchung beziehe sich nicht auf die Klägerin selbst, sondern auf das ungeborene Kind, verkenne, dass im Zeitpunkt der Untersuchung ein Kind weder tatsächlich noch im Rechtssinne existiere. Die Untersuchung werde einzig und allein am Körper der Mutter durchgeführt. Es bestehe daher kein Zweifel, dass es sich um eine Behandlung bzw. Untersuchung der Klägerin selbst gehandelt habe. Nichts Anderes ergebe sich aus der Erwägung, dass das hinter der Behandlung stehende Interesse letztlich nicht darin bestehe, einen gesundheitlichen Schaden von der Klägerin abzuwenden, sondern von dem (ungeborenen) Kind.

Darüber hinaus dokumentiere die Regelung in den AVB der Beklagten, wonach auch die medizinisch notwendige Behandlung wegen Schwangerschaft und Entbindung als Versicherungsfall zu behandeln sei, dass eine derartige Differenzierung nach den beteiligten Interessen nicht dem Regelungszusammenhang des Versicherungsvertrags entspreche. Aus dem Zusammenspiel der Bestimmungen, wonach sowohl Untersuchungen im Zusammenhang mit Schwangerschaften als auch gezielte Vorsorgeuntersuchungen als Versicherungsfälle zu qualifizieren seien, ergebe sich, dass auch die Polkörperdiagnostik am Körper der Mutter, aber im vornehmlichen Interesse des ungeborenen Kindes, einen Versicherungsfall darstelle. Daher seien die Einwendungen der Beklagten gegen einzelne Rechnungspositionen unbeachtlich, soweit sie darauf gestützt seien, dass ihnen Maßnahmen der Polkörperdiagnostik zugrunde liegen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihr Ziel der vollständigen Klageabweisung weiterverfolgt. Sie kritisiert, dass das Landgericht ohne Beweisaufnahme entschieden habe. Sie gehe davon aus, dass die IVF/ICSI-Behandlung vor allem wegen einer Erkrankung des Lebensgefährten der Klägerin durchgeführt worden sei. Zu Unrecht habe das Landgericht angenommen, wegen der Polkörperdiagnostik, die nach Darstellung der Klägerin notwendig sei, um das Risiko der Vererbung ihrer Gen-Mutation zu reduzieren, liege ein Versicherungsfall vor. Bei der Polkörperdiagnostik handele es sich nicht um eine Behandlung bzw. Untersuchung der Klägerin selbst. Es handele sich auch nicht um die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Es gehe vielmehr um eine Selektion. Verhindert werden solle, dass im Wege natürlicher Zeugung ein Kind mit einer Gen-Mutation zur Welt komme. Dies stelle keine Heilbehandlung der versicherten Person dar.

Die Klägerin verteidigt das Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Grund, sich einer künstlichen Befruchtung zu unterziehen, sei gewesen, dass sich aufgrund einer bei ihr bestehenden primären Sterilität eine Schwangerschaft auf natürlichem Wege nicht eingestellt habe. Die Kosten einer Präimplantationsdiagnostik und ähnlicher Maßnahmen zum Ausschluss des Gorlin-Goltz-Syndroms seien nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Präimplantationsdiagnostik von den privaten Krankenversicherungen zu übernehmen. Anderslautende Rechtsprechung der Sozialgerichte sei auf den Bereich der privaten Krankheitskostenversicherung nicht zu übertragen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beschlüssen vom 23. Januar 2015 (Bl. 436 d. A.) und 17. November 2015 (Bl. 508 d. A.) durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens nebst Ergänzungsgutachten zu den Fragen, ob – unabhängig davon, dass die Klägerin Trägerin des Gorlin-Goltz-Syndroms ist, – bei ihr eine Fertilitätsstörung vorliegt, die eine invitro-Fertilisation und eine intrazytoplasmatische Spermieninjektion als medizinisch notwendige Heilbehandlung erscheinen lässt, oder ob sich die Notwendigkeit hierzu allein aus einer bei ihrem Lebensgefährten gegebenen Subfertilität ergibt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Gutachten und Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Prof. Dr. O vom 10. August 2015 (Bl. 480 ff. d. A.) bzw. vom 26. Januar 2016 (Bl. 516 ff. d. A.) verwiesen sowie auf das Protokoll der Sitzung vom 13. Mai 2016 (Bl. 542 ff. d. A.), in der der Sachverständige seine schriftlichen Ausführungen erläutert hat.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg. Die Klägerin kann von der Beklagten die Erstattung der Kosten der durchgeführten IVF/ICSI-Behandlungen nebst Polkörperdiagnostiken nicht verlangen.

Das trifft zunächst für alle Kosten zu, die durch die Polkörperdiagnostiken verursacht worden sind. Denn diese gehen nicht auf einen Versicherungsfall im Sinne des § 1 Abs. 2 AVB zurück, für den allein die Beklagte Versicherungsschutz schuldet.

Versicherungsfall ist danach grundsätzlich eine medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen (§ 1 Abs. 2 S. 1 AVB). Eine Polkörperdiagnostik mit dem Ziel, die Übertragung einer Gen-Mutation auf den Embryo zu vermeiden, zielt weder auf Heilung noch auf Besserung oder Linderung eines Leidens der Klägerin als versicherter Person ab, was Voraussetzung dafür wäre, sie als Heilbehandlung im Sinne des Krankheitskostenversicherungsvertrags der Parteien anzusehen (vgl. Prölss/Martin/Voit, VVG, 29. Aufl., § 192 Rn. 49).

Aus § 1 Abs. 2 S. 4 AVB ergibt sich nichts anderes. Die dortige Regelung, nach der als Versicherungsfall u. a. auch die Untersuchung und die medizinisch notwendige Behandlung wegen Schwangerschaft und Entbindung gelten, umfasst Maßnahmen der Präimplantationsdiagnostik, wie sie die Polkörperdiagnostik darstellt, nicht. Eine Schwangerschaft der Klägerin lag bei Durchführung der Maßnahme nicht vor.

„Medizinisch notwendige Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten (gezielte Vorsorgeuntersuchungen)“ im Sinne der AVB, die ebenfalls als Versicherungsfall gelten, stellen die durchgeführten Polkörperdiagnostiken ebenfalls nicht dar. Von den AVB gemeint sind wiederum ersichtlich Untersuchungen und Krankheiten der versicherten Person, das ist hier die Klägerin, nicht aber Maßnahmen zur Selektion von Embryonen, die von einem Gen-Defekt befallen sind.

Im Übrigen kann die Klägerin Erstattung der IVF/ICSI-Behandlungen nicht verlangen, weil die Behandlungen – soweit sie nicht im Hinblick auf Polkörperdiagnostiken durchgeführt wurden – nach Überzeugung des Senats unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und insbesondere des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht durch eine primäre Sterilität der Klägerin, sondern durch die Subfertilität ihres Lebensgefährten veranlasst waren. Die Kosten der bei einer privat krankenversicherten Frau vorgenommenen invitro-Fertilisation muss der Versicherer dann nicht erstatten, wenn die Frau selbst gesund ist. Sie ist nicht schon deshalb krank im Sinne des Versicherungsrechts, weil ein gemeinsamer Kinderwunsch infolge der Fortpflanzungsunfähigkeit ihres Partners nicht verwirklicht werden kann (BGH, Urt. v. 12.11.1997 – IV ZR 58/97, NJW 1998, 824 = VersR 1998, 87).

Der vom Senat beauftragte Sachverständige Prof. Dr. O ist nachvollziehbar und überzeugend zu dem Ergebnis gelangt, dass aus Gründen der Fertilität eine männliche, in der Person des Lebensgefährten der Klägerin liegende, aber keine sichere weibliche Indikation für die IVF-/ICSI-Behandlungen bestanden habe. Alle 5 im Kinderwunschzentrum S untersuchten Ejakulate des Lebensgefährten der Klägerin hätten eine Asthenozoospermie aufgewiesen, welche die Kriterien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) für die Indikation einer ICSI-Behandlung erfüllen würden. Nach den Richtlinien des GBA über künstliche Befruchtung liefere dann, wenn nicht alle Kriterien des Spermiogramms zur Indikation für eine ICSI erfüllt seien, das entscheidende Kriterium die Progressivmotilität (WHO a), sofern diese unter 15% im Nativ-Sperma liege. Bei den im Kinderwunschzentrum erstellten Spermiogrammen habe die Progressivmotilität WHO a 7, 1, 4, 12 und 11% betragen; insbesondere die beiden ersten Spermiogramme, welche die Basis der Indikation für eine ICSI-Behandlung liefern würden, hätten diese verminderte Progressivmotilität nach WHO a besessen.

Diese nachvollziehbare Schlussfolgerung zieht die Klägerin auch selbst nicht in Zweifel. Vielmehr werden in der von ihr ausdrücklich in ihren Vortrag einbezogenen Stellungnahme von Prof. Dr. T vom 23. September 2015 die Spermiogrammbefunde als eindeutiger Beleg des männlichen Faktors und damit als Bestätigung der Indikation für die IVF-/ICSI-Behandlung bezeichnet.

Eine Einschränkung der Fertilität in der Person der Klägerin kann dagegen nicht festgestellt werden. Die von dem behandelnden Arzt Prof. Dr. T gestellte (Verdachts-)Diagnose einer Adenomyosis hat sich ebenso wenig erhärten lassen wie der Verdacht einer tubaren Sterilität.

Nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. O ist schon fraglich, welche Auswirkungen eine Adenomyose auf die Fruchtbarkeit hat. Eine Adenomyose ist eine Endometriose der Muskulatur der Gebärmutter, eine Endometriose eine Wucherung von Gewebe der Gebärmutterschleimhaut. In seiner Stellungnahme vom 26. Januar 2016 hat der Sachverständige ausgeführt, die Rolle der Endometriose und der Adenomyose unterliege der wissenschaftlichen Diskussion; am wahrscheinlichsten sei ein begrenzter modulierender Effekt, aber kein absoluter Einfluss, der eine ICSI-Behandlung zwingend notwendig machen würde. Bei seiner mündlichen Anhörung hat der Sachverständige dies dahin ergänzt, dass die Frage, ob die Endometriose ein Hindernis der Fertilität bilde, insgesamt sehr umstritten sei. Es komme sehr darauf an, an welcher Stelle sich dieses Gewebe befinde. Am gefährlichsten für die Sterilität und den Eintritt einer Schwangerschaft auf natürlichem Weg sei die Endometriose, wenn sie unmittelbar unter der natürlichen Schleimhaut sitze. Das sei jedoch bei der Adenomyose nicht der Fall, weil ihre Herde in der Muskulatur der Gebärmutter säßen.

Hiervon unabhängig steht jedenfalls nicht fest, dass die Klägerin unter einer Adenomyose leidet. Zwar hat der behandelnde Arzt Prof. T anhand von Ultraschallaufnahmen eine Adenomyose diagnostiziert. Hierbei handelt es sich indessen nur um eine Verdachtsdiagnose. So hat Prof. Dr. T in seinem Schreiben vom 4. Januar 2012 an die Klägerin zwar einerseits erklärt, eine Endometriosis genitalis interna könne man heute mit hochauflösenden Ultraschallgeräten „sehr gut“ diagnostizieren; andererseits hat er eingeräumt, dass „dennoch von einem Verdacht zu sprechen“ sei, da eine definitive Diagnose nur nach Entfernung der Gebärmutter und der histologischen Aufarbeitung erfolgen könne (Bl.22 d.A.). Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. O reichen die Angaben des behandelnden Arztes über einen bloßen Verdacht auch nicht hinaus. Die Ultraschallbilder vom 12. September 2011 ließen – so der Sachverständige in seinem Gutachten vom 10. August 2015 – lediglich ein mittzyklisch proliferiertes Endometrium erkennen, dessen Dicke nur einen schwachen Hinweis auf eine eventuelle Adenomyosis liefere. Dem Einwand von Prof. Dr. T in seiner Stellungnahme vom 23. September 2015, nur die direkte Untersuchung am laufenden Bild zeige die typischen Veränderungen der internen Endometriose, hält der Gerichtssachverständige entgegen, die in der Muskulatur der Gebärmutter sitzenden Herde seien nur sehr schwer zu diagnostizieren; eine solche Diagnose könne man – was auch Prof. Dr. T einräumt – erst dadurch sicher verifizieren, dass man den Uterus herausnehme und das Gewebe histologisch untersuche. Ohne die Herausnahme könne eine Adenomyosis nicht sicher festgestellt werden, sofern es sich nicht um ganz große Endometrioseherde handele, was hier sicherlich nicht der Fall sei, da auf den Ultraschallbildern keine großen Herde zu sehen seien.

Abgesehen davon erfordert die Verdachtsdiagnose einer Adenomyosis aus medizinischer Sicht noch nicht die Durchführung einer IVF-/ICSI-Behandlung. In seinem Ergänzungsgutachten vom 26. Januar 2016 hat der Sachverständige Prof. Dr. O ausgeführt, vertretbar seien bei einem Verdacht auf eine Adenomyose zunächst einfache Maßnahmen der Kinderwunschbehandlung wie Hormonstimulation mit oder ohne Insemination, bevor dann gegebenenfalls auf ein invitro-Verfahren übergegangen werde; dies hat der Sachverständige bei seiner Anhörung bekräftigt. Dass – wie der Sachverständige anfügt – solche „einfachen“ Maßnahmen aufgrund der männlichen Infertilität nicht ausgereicht hätten, beruht allein auf der Erkrankung des Lebensgefährten der Klägerin, die keinen Versicherungsfall in deren Person bedeutet.

Auch eine tubare Sterilität der Klägerin ist nicht erwiesen. Zwar besteht an sich die Möglichkeit, dass die 3 aszendierenden Infektionen des Genitaltraktes, die im Jahre 2002 aufgetreten waren und eine antibiotische Therapie erfordert hatten, einen Verschluss der Eileiter bewirkt haben. Indes hat der Sachverständige Prof. Dr. O ausgeführt, die sonographischen Bilder würden keinen Schluss auf die Beschaffenheit der Eileiter zulassen; zumindest sei keine Sactosalpinx, also eine Tubenerweiterung als Folge von Entzündungen, erkennbar. Die Morphologie der Eileiter hätte durch eine Kontrastmittelsonographie abgeklärt werden müssen. Dem Einwand in der Stellungnahme von Prof. Dr. T vom 23. September 2015, die tubare Sterilität aufgrund der antibiotisch behandelten Adnexprozesse hätte auch durch zusätzliche diagnostische Maßnahmen wie eine Bauchspiegelung niemals ausgeschlossen werden können, ist der Sachverständige mit dem Hinweis begegnet, für eine Sicherung der von Prof. Dr.T geäußerten Verdachtsdiagnose sei ein bildgebendes Verfahren erforderlich. Entweder müsse eine Kontrastmittelsonographie oder eine Laparoskopie mit Chromotubation durchgeführt werden. Die erstgenannte Methode habe allerdings den Nachteil, dass nur die reine Durchgängigkeit der Tuben überprüft werde, während keine Informationen über Tubenmotilität, Verwachsungen und abgelaufene Entzündungen zu erlangen seien. Daher wäre in diesem Fall die Laparoskopie mit Chromopertubation indiziert gewesen, die als Goldstandard-Methode gelte und bei welcher der Operateur eine Inspektion des Abdomens vornehmen könne.

Der Einordnung der Laparoskopie als „Goldstandard“ ist Prof. Dr. T in seiner weiteren Stellungnahme vom 3. März 2016 entgegen getreten. Nach seiner Einschätzung sei „zu bestreiten“, dass diese Methode mit der notwendigen Sicherheit eine abgelaufene Entzündung des Eileiters mit Störung der Funktion dieses Organs ausschließen könne; als „sehr grobes Verfahren“ könne die Laparoskopie nicht die Schädigung des Eileiterepithels darstellen. Bei seiner mündlichen Anhörung hat der Sachverständige Prof. Dr. O dem entgegen gehalten, zwar könne es, wenn Infektionen in den Eileitern nicht behandelt würden, zu Verklebungen kommen mit der Folge, dass Ei und Spermium nicht zusammen kommen könnten. Die Infektionen aus der Vergangenheit seien aber antibiotisch behandelt worden. Schon dieser Umstand lässt eine auf die früheren Infektionen zurückzuführende tubare Infertilität als fraglich erscheinen. Der im Schreiben von Prof. Dr. T vom 8. März 2012 an die Klägerin angeführten Begründung für den „Nachweis eines chronischen Adnexprozesses“, es könne „von einer Beeinträchtigung des inneren Genitale, vor allem der Tubendurchgängigkeit, ausgegangen werden“, weil bei der Patientin im Jahr 2002 3 aszendierende Adnexprozesse antibiotisch behandelt worden seien (Bl.28 d.A.), liegt letztlich nur eine Vermutung zugrunde. Zudem hat der Sachverständige ergänzend ausgeführt, mit Ultraschall könne man zwar gewisse Diagnosen stellen, etwa dann, wenn sich infolge der Entzündung eine Sactosalpinx gebildet habe, also eine ballonförmige Erweiterung der Tubea. Mehrfache Verklebungen, um die es sich meist handele, könne man im Ultraschall aber nicht erkennen; zu diesem Zweck müsse eine – hier nicht durchgeführte – Laparoskopie mit Darstellung der Tuben vorgenommen werden. Dies bedeute, dass im vorliegenden Fall ein Tubenverschluss nicht habe diagnostiziert werden können.

Der Senat folgt den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Gerichtssachverständigen. Dessen Qualifikation und Fachkunde stehen außer Zweifel. Prof. Dr. O hat als Internist, Endokrinologe und Androloge über mehrere Jahrzehnte das Institut für Reproduktionsmedizin der Universität Münster geleitet. Die fachlichen Bedenken, die er zunächst in seiner Stellungnahme vom 23. September 2015 erhoben hatte, weil der Sachverständige als Androloge reproduktionsmedizinische Aspekte wie Adnexprozess und Endometriose nur sehr allgemein beantworten könne, hat der behandelnde Arzt Prof. Dr. T nicht aufrechterhalten. Sie sind vor dem Hintergrund des beruflichen Werdegangs von Prof. Dr. O, der dem Senat aus anderen Verfahren als kompetenter Sachverständiger bekannt ist, auch nicht gerechtfertigt. Soweit die Einschätzung durch Prof. Dr. T von derjenigen des Sachverständigen abweicht, sieht der Senat keinen Anlass, dem Gerichtsgutachter nicht zu folgen oder ein weiteres Gutachten einzuholen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Prof. Dr. T nach eigenen Angaben „eine mögliche Eierstockentzündung bzw. die Endometriose als Nebenbefunde“ erhoben hat, welche „die eigentliche Indikationsstellung zur künstlichen Befruchtung – schwerwiegende genetische Erkrankung der Frau – nur unterstützen könnten“. Bei seiner mündlichen Anhörung hat der Sachverständige daher mit Recht darauf hingewiesen, dass das erklärte Ziel der Behandlung durch Prof. Dr. T darin bestanden habe, mittels der Polkörperdiagnostik eine Erkrankung des Embryos festzustellen, und es ihm im Wesentlichen um die Polkörperchendiagnostik gegangen sei. Auch unter diesem Aspekt hält der Senat die (Verdachts-)Diagnosen des behandelnden Arztes, die nur anlässlich der auf ein anderes Ziel gerichteten Untersuchung gestellt worden sind, nicht für hinreichend gesichert.

Schließlich kann dahinstehen, ob, wie Prof. Dr. T in seiner Stellungnahme vom 23. September 2015 anführt, die – erfolglos gebliebenen – ICSI-Behandlungen „den männlichen Faktor ausgeschlossen“ und die Behandlungen deshalb „vor allem durch die Endometriose mit erheblichen Einnistungsproblemen leider nicht zu der gewünschten Schwangerschaft geführt haben“. Abgesehen davon, dass diese Schlussfolgerung dem Senat nicht zwingend erscheint, richtet sich die medizinische Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt ihrer Vornahme (Prölss/Martin/Voit § 192 Rn.61).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs.2 Nr.2 ZPO) sind nicht gegeben.

Berufungsstreitwert: 32.437,23 €

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