OLG München, Beschluss vom 11.12.2014 – 34 Wx 193/14

August 5, 2021

OLG München, Beschluss vom 11.12.2014 – 34 Wx 193/14

1. Bei einem Wechsel der Straßenbaulast gehen die jeweiligen dinglichen Belastungen auf den neuen Träger über.2. Wird der Ausübungsbereich einer Dienstbarkeit (Geh- und Fahrtrecht) als öffentliche Straße gewidmet, wird die Dienstbarkeit nicht schon deswegen gegenstandslos.3. Ist das Geh- und Fahrtrecht seit 40 Jahren gelöscht und das dienende Grundstück ununterbrochen als öffentliche Straße gewidmet, ist es – ohne sonstige Anhaltspunkte – nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Belastung für das herrschende Grundstück noch einen Vorteil bietet. Dann aber kommt die Eintragung eines Widerspruchs für den Berechtigten gegen die Richtigkeit des Grundbuchs nicht in Betracht.

Tenor
I. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Traunstein – Grundbuchamt – vom 14. April 2014 wird als unzulässig verworfen, soweit die Wiedereintragung des am 10. Juli 1973 gelöschten Geh- und Fahrtrechts an dem im Grundbuch des Amtsgerichts Traunstein von Inzell Bl. xxx vorgetragenen Grundstücks Flurstück xxx beantragt wird.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Der Beschwerdewert beträgt 5.000,00 €.

Gründe
I.

Die Beteiligte zu 2, eine oberbayerische Gemeinde, ist Eigentümerin eines Grundstücks (Flst xxx), dessen Fläche früher zu dem Grundstück Flst xxx gehörte und als öffentliche Straße gewidmet ist. Das letztgenannte Grundstück ging im Jahre 1973 nach Art. 12 BayStrWG auf den Landkreis als Straßenbaulastträger über. Der Eigentumsübergang wurde am 10.7.1973 im Grundbuch eingetragen. Gleichzeitig wurde ein Geh- und Fahrtrecht zugunsten des jeweiligen Eigentümers des jetzigen Grundstücks Flst xxx (xxx) gelöscht. Eine Bewilligung des Berechtigten findet sich in der Akte nicht. Im Jahr 1980 wechselte das Eigentum des vormals als belastet ausgewiesenen Grundstücks wieder auf die Beteiligte zu 2, ohne dass sich den Akten der Rechtsgrund entnehmen ließe. Der Beteiligte zu 1, Eigentümer des herrschenden Grundstücks, hat am 6.11.2013 beantragt, die am 10.7.1973 gelöschte Grunddienstbarkeit wieder einzutragen, weil sie ohne Bewilligung fehlerhaft gelöscht worden sei. Die Beteiligte zu 2 wurde hierzu gehört und teilte mit, sie könne nicht mehr nachvollziehen, ob eine Löschungsbewilligung vorgelegen habe.

Mit Beschluss vom 14.4.2014 hat das Grundbuchamt den Antrag zurückgewiesen. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass die Löschung zu Unrecht erfolgt sei. Allerdings bestehe die Möglichkeit, dass die Gemeinde das Grundstück gutgläubig lastenfrei erworben habe, da am 10.7.1973 der Landkreis als Eigentümer eingetragen worden und aus diesem Grundbesitz wiederum am 17.1.1980 das belastete Grundstück an die Beteiligte zu 2 übergegangen sei. Daher stehe nicht mit der für § 22 GBO erforderlichen Sicherheit fest, dass zu Unrecht gelöscht worden sei.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1 mit dem Antrag auf Wiedereintragung des Geh- und Fahrtrechts und hilfsweise auf Eintragung eines Amtswiderspruchs. Das Grundbuchamt hat ihr nicht abgeholfen.

II.

Das Rechtsmittel hat im Ergebnis keinen Erfolg.

1. Soweit der Beteiligte zu 1 die Wiedereintragung der Grunddienstbarkeit (§ 1018 BGB) in der Form eines Geh- und Fahrtrechts begehrt, ist die Beschwerde unzulässig. Dabei kann offen bleiben, ob bereits der Berichtigungsantrag unzulässig war. § 22 GBO ist nämlich unanwendbar (vgl. Demharter GBO 29. Aufl. § 22 Rn. 6), wenn das Grundbuchamt bei der Eintragung die ihm bekannte Rechtslage unrichtig beurteilt hat. Ein solcher Fall liegt aber vor, wenn, wie der Beteiligte zu 1 vorträgt, das Grundbuchamt ohne das Vorliegen einer Bewilligung (§ 19 GBO) oder ohne Nachweis der Unrichtigkeit (§ 22 Abs. 1 GBO) ein Recht löscht. Allerdings wäre dann, die Richtigkeit des Vorbringens unterstellt, die Eintragung eines Amtswiderspruchs gemäß § 53 Abs. 1 GBO veranlasst gewesen.

In beiden Fällen ist die Beschwerde nur mit dem Ziel der Eintragung eines Amtswiderspruchs (BGH FGPrax 2011, 163/164), also beschränkt zulässig (§ 71 Abs. 2 Satz 2 GBO), weil sie auf die Berichtigung einer ursprünglich unrichtigen Eintragung abzielt. Auch eine Löschung stellt eine Eintragung dar (vgl. Demharter § 71 Rn. 44). Lehnt das Grundbuchamt die Berichtigung einer ursprünglich unrichtigen Eintragung (Löschung) ab, kann der Beteiligte also mit der Beschwerde (nur) die Eintragung eines Amtswiderspruchs verfolgen, um sodann den Betroffenen auf Bewilligung der Berichtigung zu verklagen (vgl. Demharter § 71 Rn. 30 m. w. N.).

2. Die Voraussetzungen für die Eintragung eines Amtswiderspruchs gemäß § 53 Abs. 1 GBO liegen nicht vor.

a) Die Eintragung eines Amtswiderspruchs gemäß § 53 Abs. 1 GBO setzt voraus, dass das Grundbuchamt die Eintragung (Löschung) unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften vorgenommen hat und dadurch das Grundbuch unrichtig geworden ist, etwa weil das gelöschte Recht tatsächlich noch besteht. Die Gesetzesverletzung muss feststehen, die Unrichtigkeit hingegen nur glaubhaft sein (BayObLGZ 1983, 187/188; BayObLG Rpfleger 1987, 101; Demharter § 53 Rn. 28; Hügel/Holzer GBO 2. Aufl. § 53 Rn. 32 m. w. N.). Notwendig für die Eintragung des Widerspruchs ist weiter, dass im Zeitpunkt seiner Eintragung die Unrichtigkeit noch fortbesteht (KG JFG 13, 228/232; Demharter § 53 Rn. 26).

Als Gesetzesverletzung in diesem Sinn ist die Fehlanwendung der geltenden Rechtsnormen zu verstehen. Erheblich sind im gleichen Maße die fehlerhafte Beurteilung der Rechtslage wie Rechtsanwendungsmängel im eigentlichen Sinn. Materielles Recht ist ebenso zu beachten, wie es formelle Vorschriften sind (vgl. Meincke in Bauer/von Oefele GBO 3. Aufl. § 53 Rn. 57/58). Dass die Löschung eines Rechts ohne das Vorliegen einer Bewilligung (§ 19 GBO) bzw. ohne Antrag (§ 13 Abs. 1 GBO) und Nachweis der Unrichtigkeit (§ 22 GBO) oder festgestellter Gegenstandslosigkeit (§ 84 GBO) eine Verletzung von Rechtsnormen durch das Grundbuchamt darstellt, bedarf keiner weiteren Begründung.

b) Hiernach steht zur Überzeugung des Senats zunächst fest, dass das Grundbuchamt durch Nichtmitübertragung der Belastung beim Übergang auf den Landkreis (§ 46 Abs. 2 GBO) die Dienstbarkeit ohne Bewilligung des Betroffenen (§ 19 GBO) gelöscht hat. Eine Bewilligung des Berechtigten ist in den Grundakten nicht enthalten. Sie ist namentlich nicht unter der den Eigentumsübergang und der die Berichtigung betreffenden Ordnungsnummer in dem entsprechenden Merkblatt ersichtlich. Der Senat hat alle seinerzeit tangierten Grundakten beigezogen, ohne dass sich ein Hinweis auf eine Löschung aufgrund einer entsprechenden Bewilligung gefunden hätte.

Zudem enthalten die Grundakten auch keinen Hinweis auf eine Löschung im Antragsverfahren nach § 22 Abs. 1 GBO oder im Amtsverfahren nach §§ 84 ff. GBO.

Der seinerzeitige Eigentumswechsel trat kraft Gesetzes in Folge des Übergangs der Straßenbaulast auf einen anderen Träger nach Art. 11 BayStrWG ein, was die nachfolgende Berichtigung des Grundbuchs nach Art. 12 BayStrWG auslöst. Danach geht mit Inkrafttreten des Gesetzes (1.9.1958; siehe Art. 80 BayStrWG) das Eigentum an der Straße mit Ausnahme der Nebenanlagen mit den jeweiligen dinglichen Belastungen auf den Träger der Straßenbaulast über (Art. 11 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG). Bei einem Wechsel der Straßenbaulast gilt nach Art. 11 Abs. 4 BayStrWG die Regelung in Abs. 1 entsprechend. Zu einem Erlöschen von Belastungen infolge des Übergangs kommt es nicht bereits infolge des Wechsels der Straßenbaulast, was sich letztlich unmittelbar aus den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs ergibt, welche der Landesgesetzgeber nicht abändern kann (vgl. Sieder/Zeitler BayStrWG 2. Aufl. Art. 11 Rn. 1 f., 8 und 13).

c) Die Unrichtigkeit des Grundbuchs ist indessen nicht glaubhaft. Zwar kommt ein gutgläubiger lastenfreier Erwerb (§ 892 BGB) zunächst durch den Landkreis und später durch die Beteiligte zu 2 nicht in Betracht. Voraussetzung wäre ein Erwerb durch Rechtsgeschäft (§ 892 Abs. 1 Satz 1 BGB). Geschützt wird nur ein Verkehrsgeschäft, nicht ein Erwerb kraft Gesetzes, etwa auch in Folge des Übergangs der Straßenbaulast auf einen anderen Träger nach Art. 11 Abs. 4 BayStrWG und nachfolgender Berichtigung des Grundbuchs (vgl. Palandt/Bassenge § 892 Rn. 2 ff.). Jedoch müsste überwiegend wahrscheinlich sein, dass das Grundbuch infolge der fehlenden Eintragung des Rechts (noch) unrichtig ist. Dies kann der Senat nicht feststellen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Grunddienstbarkeit in Form des Geh- und Fahrtrechts wegen Vorteilswegfalls materiell erloschen ist, erscheint zumindest nicht weniger naheliegend.

(1) Aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 21.12.1994 (MDR 1995, 471) wird teilweise der Schluss gezogen, dass bei einem Wegerecht der Vorteil für das herrschende Grundstück (§ 1019 BGB) schon dann endgültig verloren geht, wenn der Ausübungsbereich als öffentliche Straße gewidmet wird (siehe auch DNotI-Report 2003, 55). Dann würde die Grunddienstbarkeit von selbst erlöschen (Palandt/Bassenge § 1019 Rn. 1; Erman/Grziwotz BGB 14 Aufl. Vor § 1018 Rn. 16), was die Gegenstandslosigkeit des Rechts zur Folge haben und die Löschung (nach § 84 GBO) rechtfertigen könnte. Jedenfals geht der Landesgesetzgeber nicht davon aus, dass der Vorteil für das herrschende Grundstück nicht schon dann entfällt und die Eintragung der Dienstbarkeit deswegen gegenstandslos wird, wenn der Ausübungsbereich als öffentliche Straße gewidmet wird (siehe in Art. 11 Abs. 1 und 4 BayStrWG). Schließlich bestätigt auch Art. 6 Abs. 5 BayStrWG das Nebeneinander von öffentlich-rechtlicher Widmung und zivilen Rechten (siehe BayObLGZ 1971, 1/5 f.). Letztlich dürfte die landesgesetzliche Regelung dahin zu verstehen sein, dass sie einen Automatismus zwischen Straßenwidmung und Vorteilswegfall bei Dienstbarkeiten (siehe § 1019 BGB) ausschließt. Deshalb besteht bei einem Berichtigungsersuchen nach Art. 12 BayStrWG i. V. m. § 22 Abs. 1 GBO im Allgemeinen kein Anlass, die eingetragene Dienstbarkeit als gegenstandslos anzusehen und ihre Löschung zu betreiben.

(2) Erlöschen derartige Rechte somit dann nicht, wenn noch mögliche künftige Vorteile nicht ausgeschlossen sind, bedeutet dies umgekehrt, dass sie materiell untergehen, wenn es sich um einen objektiven und endgültigen Wegfall des Vorteils handelt (Staudinger/J. Mayer BGB Bearb. 2009 § 1019 Rn. 11). Indessen genügt die Feststellung, dass nach objektiven Anhaltspunkten bei normalem und regelmäßigem Verlauf der Dinge in der Zukunft mit derartigen Vorteilen nicht mehr zu rechnen ist (siehe OLG Düsseldorf MDR 1995, 471; siehe auch BayObLGZ 1988, 14/16). Eine vage Möglichkeit, dass die Grunddienstbarkeit in Zukunft doch noch einmal einen Vorteil bietet, verhindert demnach ihr Erlöschen nicht (BayObLGZ a. a. O.). Bezogen auf den gegenständlichen Sachverhalt bedeutet dies, dass jedenfalls nicht mit zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit noch ein Vorteil für das herrschende Grundstück feststellbar ist. Die fragliche Fläche ist seit Jahrzehnten als Verkehrsfläche gewidmet. Anhaltspunkte, dass sich dies in Zukunft ändern könnte, sind weder von den Beteiligten vorgebracht noch ergeben sie sich aus sonstigen Umständen, zumal sich die Fläche in zentraler Ortlage befindet und (unter anderem) den rückwärtigen Teil des alten Friedhofs und die Pfarrkirche erschließt. Selbst wenn bei einer beantragten Löschung im Verfahren nach § 22 GBO für den Umstand des zukünftigen Vorteilswegfalls ein gesonderter Nachweis zu verlangen wäre (verneinend DNotI-Report 2003, 55/56), kann nach erfolgter Löschung die begehrte Eintragung eines Widerspruchs gegen die Richtigkeit des Grundbuchs jedenfalls nicht schon deshalb vorgenommen werden, weil ein solcher Nachweis nicht erbracht worden ist. Vielmehr gilt der zuvor genannte Maßstab, nämlich ein überwiegender Grad an Wahrscheinlichkeit, dass das Recht tatsächlich noch besteht. Hiervon kann aber der Senat nicht ausgehen.

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Soweit der Beteiligte zu 1 in dem Beschwerdeverfahren unterlegen ist, haftet er als Antragsteller für die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 22 GNotKG). Die Gemeinde I. hat sich am Beschwerdeverfahren nicht aktiv beteiligt. Es besteht kein Anlass, von dem Grundsatz, dass jeder Beteiligte seine (außergerichtlichen) Kosten selbst zu tragen hat, abzuweichen.

Die Geschäftswertfestsetzung beruht auf § 36 Abs. 1 i V. m. § 79 Abs. 1 Satz 1 GNotKG.

4. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 Abs. 2 GBO) sind nicht erfüllt.

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