OLG Zweibrücken, Beschluss vom 29.10.2020 – 6 W 74/20

Januar 12, 2021

OLG Zweibrücken, Beschluss vom 29.10.2020 – 6 W 74/20

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Landeskasse wird der Beschluss des Amtsgerichts -Nachlassgericht- Neuwied vom 21.08.2020 aufgehoben und der Vergütungsantrag des Beteiligten zu 2 vom 06.07.2020 zurückgewiesen.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Beschwerdewert wird auf 164,87 € festgesetzt.
Gründe

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Festsetzung der Vergütung des Beteiligten zu 2 in Höhe von 164,87 € mit dem angefochtenen Beschluss des Nachlassgerichts -Rechtspfleger- Neuwied.

Mit Beschluss vom 26.06.2020 wurde für die unbekannten Erben der E… S… die Nachlasspflegschaft angeordnet und der Beteiligte zu 2 als Nachlasspfleger ausgewählt. Die betreffende Bestallungsurkunde wurde dem Beteiligten zu 2 gemäß Verfügung des Rechtspflegers vom 26.06.2020 mit dem Hinweis zugestellt, dass aufgrund der Coronalage auf eine persönliche Verpflichtung verzichtet werde. Mit Schriftsatz vom 06.07.2020 teilte der Beteiligte zu 2 mit, dass die Nachlasspflegschaft aufgehoben werden könne. Gleichzeitig beantragte er nach Abzug eines Barbetrages von 22,70 € die Festsetzung seiner Kosten mit einem Betrag von 164,87 €. Der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Koblenz beantragte unter dem 20.07.2020 für die Landeskasse die Zurückweisung des Vergütungsantrages. Zur Begründung führte er unter Hinweis auf mehrere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs aus, dass aufgrund der fehlenden Verpflichtung keine wirksame Bestellung vorliege. Mit Verfügung vom 29.07.2020 verwies der Rechtspfleger darauf, dass eine persönliche Verpflichtung des Nachlasspflegers aufgrund der Coronalage nicht erfolgt sei und übersandte die Akte erneut an den Bezirksrevisor mit der Bitte um Überprüfung seiner Auffassung. Nachdem dieser mit Verfügung vom 03.08.2020 mitgeteilt hatte, dass er an seiner Rechtsauffassung festhalte, hat das Amtsgericht dem Beteiligten zu 2 rechtliches Gehör gewährt und danach mit der angefochtenen Entscheidung antragsgemäß eine Vergütung und Aufwendungsersatz aus der Staatskasse festgesetzt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass auf eine persönliche Verpflichtung des Nachlasspflegers verzichtet werden konnte, da die allgemeine Coronalage diese nicht zugelassen habe. Es handle sich um eine reine Formvorschrift, die auf den Ablauf des Verfahrens grundsätzlich keine Auswirkung habe. Bei dem Amtsgericht Neuwied habe zudem seit Beginn der Coronakrise die Anweisung bestanden, den Publikumsverkehr im Gerichtsgebäude so gering wie möglich zu halten. Dazu habe auch gehört, verzichtbare Termine in Nachlasssachen zu vermeiden.

Auf den Antrag des Bezirksrevisors hat der Rechtspfleger im Erinnerungsverfahren die Beschwerde nach § 61 Abs. 2, 3 FamFG mit Beschluss vom 01.09.2020 zugelassen und zugleich der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

1. Die Beschwerde ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden. Gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 21.08.2020 ist auf der Grundlage der erfolgten Zulassung die Beschwerde nach §§ 58 ff. FamFG statthaft (Palandt/Weidlich, BGB § 1960 Rn. 27; MüKo BGB § 1960 Rn. 122). Die Landeskasse ist beschwerdebefugt, da die Festsetzung der Vergütung zu ihren Lasten erfolgt ist (vgl. OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 29.6.2018 – 21 W 75/18, BeckRS 2018, 22730 m.w.N.). Die Zuständigkeit des Pfälzischen Oberlandesgerichts folgt aus § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG i.V.m. § 4 Abs. 3 Nr. 2a GerOrgG-RLP.

2. In der Sache führt die Beschwerde zum Erfolg. Die Festsetzung der Vergütung in Höhe von 164,87 € für die Tätigkeit des Beteiligten zu 2. als Nachlasspfleger kann keinen Bestand haben.

Für die Nachlasspflegschaft nach § 1960 BGB gelten die allgemeinen Regelungen der Pflegschaft, insbesondere finden die Vorschriften des Vormundschaftsrechts gemäß § 1915 BGB entsprechende Anwendung. Die Nachlasspflegschaft ist ein Sonderfall der Pflegschaft für unbekannte Beteiligte und lex specialis zu § 1913 BGB (Ermann BGB § 1960 Rn. 14 m.w.N.). Der Vergütungsanspruch des Beteiligten zu 2 als Nachlasspfleger richtet sich nach §§ 1915, 1836 BGB i.V.m. den Vorschriften des Vormünder- und Betreuervergütungsgesetzes (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2014, 1656). Über §§ 1915, 1960 BGB gilt damit auch für den Nachlasspfleger § 1789 BGB. Danach hat das gemäß § 1962 BGB an Stelle des Familiengerichts tätige Nachlassgericht eine Bestellung für den konkreten Fall durch Verpflichtung zu treuer und gewissenhafter Führung der Nachlasspflegschaft vorzunehmen (vgl. OLG Stuttgart NJW-RR 2011, 737; Palandt BGB § 1960, Rn. 9f; MüKo BGB § 1960, Rn. 47; Staudinger BGB § 1960, Rn. 33; Jauernig BGB § 1960 Rn. 5). Bei dieser Bestellung handelt es sich um einen mitwirkungsbedürftigen Hoheitsakt der Freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die ausgewählte Person hat ihre Bereitschaft zur Übernahme und zur treuen und gewissenhaften Führung des Amtes zu erklären. Die Bestellung hat konstitutive Wirkung; erst durch sie werden die mit der Pflegschaft verbundenen Rechte und Pflichten begründet (vgl. Beck OGK BGB § 1789 Rn. 4, § 1960, Rn. 79; MüKo BGB § 1789 Rn. 2). Die ausgewählte Person hat daher vor der Aufnahme der Tätigkeit auf eine förmliche Bestellung hinzuwirken (vgl. OLG Hamm FamRZ 2014, 672). Die wirksame Bestellung erfordert stets die persönliche Anwesenheit der für das Amt ausgewählten Person (vgl. Palandt BGB § 1789 Rn. 1; Juris-PK BGB § 1789 Rn. 4; Schulz/Hauß Familienrecht § 1789 BGB, Rn. 2; Beck OGK BGB § 1789 Rn. 5; MüKo BGB § 1789 Rn. 7 jew.m.w.N.).

Entgegen der Ansicht des Rechtspflegers handelt es sich damit nicht um eine bloße Formvorschrift ohne Auswirkung auf das weitere Verfahren. Dies trifft für den Bereich der gerichtlichen Betreuung zu, bei der in Ermangelung einer Verweisung auf § 1789 BGB in § 1908i Abs. 1 S. 1 BGB die Wirksamkeit bereits mit der Bekanntgabe des Beschlusses an den Betreuer (§ 287 Abs. 1 FamFG) eintritt. Die Verpflichtung des Betreuers hat deshalb anders als die eines Pflegers keine konstitutive Bedeutung, sondern dient der Wahrnehmung der Überwachungsfunktion des Gerichts (vgl. Keidel FamFG § 289 Rn. 1 m.w.N.).

Dagegen kann das Amt eines Nachlasspflegers und die damit verbundene Vertretungsbefugnis ohne Einhaltung der zwingenden Formvorschriften zur Bestellung nicht wirksam begründet werden. Die bloße Anordnung der Pflegschaft, die Auswahl einer Person für das Amt des Pflegers oder schlüssiges Verhalten wie die Übersendung einer Niederschrift zur Unterzeichnung genügen nicht; auch der Übersendung der Bestallungsurkunde kommt nur deklaratorische Bedeutung zu (vgl. BGH FamRZ 2017, 1846; OLG Hamm FamRZ 2014, 672; OLG Dresden Beschl. 17.11.2016, 18 WF 1167/16, BeckRS 2016, 117297; BeckOGK BGB § 1789 Rn. 5, 1960 Rn. 79; MüKo BGB §1789, Rn. 12).

Es stand daher nicht im Ermessen des Rechtspflegers, von einer Bestellung des Nachlasspflegers abzusehen. Hierfür fehlte es an einer rechtlichen Grundlage, nachdem die Ausnahmevorschriften der §§ 1791 a Abs. 2, 1791 b Abs. 2 BGB nicht einschlägig waren. Der pauschale Verweis auf die Coronalage und die bei dem Amtsgericht Neuwied bestehende Anweisung, verzichtbare Termine in Nachlasssachen zu vermeiden, führt zu keinem anderen Ergebnis. Auch in Zeiten von Corona ist eine Bestellung des Nachlasspflegers unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln etwa in einem größeren Dienstzimmer, Besprechungsraum oder Sitzungssaal möglich.

Ungeachtet der Frage, inwieweit die angeführte Weisung für den in sachlicher Unabhängigkeit tätigen Rechtspfleger bindend sein kann, handelt es sich bei der Bestellung nach § 1789 BGB jedenfalls nicht um eine verzichtbare Amtshandlung. Unschädlich ist dagegen ein Verzicht auf den Handschlag, da es sich bei § 1789 S. 2 BGB um eine reine Ordnungsvorschrift handelt (vgl. MüKo BGB § 1789 Rn.3).

Der Vergütungsanspruch des Pflegers entsteht wie alle anderen mit dem Amt verbundenen Rechte und Pflichten erst mit der wirksamen Bestellung (vgl. MüKo BGB § 1789 Rn. 14). In der obergerichtlichen Rechtsprechung wurde teilweise vertreten, dass für vor der wirksamen Bestellung erbrachte Tätigkeiten gleichwohl ein Vergütungsanspruch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nach § 242 BGB bestehen kann (vgl. OLG Braunschweig, FamRZ 2017, 1412; OLG Koblenz, FamRZ 2010, 1173). Dies sollte zumindest dann gelten, wenn konkrete Einzelmaßnahmen wegen besonderer Eilbedürftigkeit auf ausdrückliche Veranlassung des Gerichts vor der förmlichen Bestellung ergriffen wurden (vgl. OLG Saarbrücken FamRZ 2012, 888; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. September 2016 – 6 WF 125/16 -, juris; OLG Dresden Beschl. 17.11.2016, 18 WF 1167/16, BeckRS 2016, 117297). Diesem pragmatischen Ansatz hat der Bundesgerichtshof jedoch eine klare Absage erteilt, da die Begründung eines Vergütungsanspruchs über § 242 BGB dem Grundsatz der Rechtssicherheit und -klarheit zuwider laufen würde und das Verfahren zur Festsetzung der Vergütung keinen Raum für die Entscheidung über materiell-rechtliche Zahlungsansprüche bietet (vgl. BGH FamRZ 2017, 1846; NJW-RR 2018, 325; ebenso OLG Brandenburg FamRZ 2008, 1478). Auch für zwangsläufig vor der Bestellung liegende Tätigkeiten besteht ein Vergütungsanspruch nicht (vgl. BGH NJOZ 2020, 1099 entgegen OLG Frankfurt, Beschl. 22.09.2017, 8 WF 2/17, BeckRS 2017, 159403).

Soweit grundsätzlich in den Fällen einer nicht erfolgten Bestellung Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder aus Amtshaftung in Betracht kommen können, hat hierüber nicht der Rechtspfleger im Vergütungsfestsetzungsverfahren zu entscheiden, da deren Grundlagen ebenfalls außerhalb des Vergütungsrechts angesiedelt sind (vgl. BGH a.a.O.).

Der Antrag des Beteiligten zu 2 unterlag daher der Zurückweisung.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.

3. Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf § 40 FamGKG.

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