OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. Oktober 1998 – 3 W 116/98

November 29, 2020

OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. Oktober 1998 – 3 W 116/98

Ehegattenerbvertrag: Auslegung einer Pflichtteilsklausel

Tenor

1. Der angefochtene Beschluss und der Beschluss des Amtsgerichts Pirmasens vom 5. November 1997 werden aufgehoben.

Das Verfahren wird zur erneuten Sachbehandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Erstbeschwerdeverfahrens und des Verfahrens der weiteren Beschwerde, an das Amtsgericht Pirmasens zurückverwiesen.

2. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 160000,– DM festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten zu 1 und 2) sind die einzigen Kinder der am … verstorbenen Erblasserin. Sie sind aus deren erster Ehe hervorgegangen. In zweiter Ehe war die Erblasserin mit dem am … vorverstorbenen B A R verheiratet, für den es sich ebenfalls um die zweite Ehe handelte. Seine einzigen Kinder sind die Beteiligten zu 3 bis 5), die seiner ersten Ehe entstammen.

Die Erblasserin und B A R hatten am 19. Dezember 1989 vor dem Notar … in … zu UR-Nr. … einen Erbvertrag geschlossen und darin u.a. folgendes bestimmt:

„(I)

1. Wir setzen uns hiermit gegenseitig zu Alleinerben ein, ohne Rücksicht darauf ob und welche pflichtteilsberechtigte Personen vorhanden sind.

3. Der Überlebende von uns beruft hiermit die Abkömmlinge der Ehefrau aus deren erster Ehe sowie die Abkömmlinge des Ehemannes aus dessen erster Ehe als Berechtigte zu gleichen Teilen zu seinen Erben.

4. …

Sollte ein Abkömmling beim Tode des Zuerstversterbenden von uns seinen Pflichtteil geltend machen und erhalten, so scheidet er für sich und seine Rechtsnachfolger als Erbe des Überlebenden von uns aus.

(III)

Zur Klarstellung der Regelung in Ziffer I.3 wird folgendes nachgetragen:

Zu Schlußerben sind die Kinder des Ehemannes und der Ehefrau zu gleichen Teilen, d.h. zu je einem Fünftel berufen. …“

Nachdem die Erblasserin das Erbe nach ihrem verstorbenen Ehemann angetreten hatte, verlangten die Beteiligten zu 3 bis 5) jeweils den Pflichtteil nach ihrem Vater. Zu diesem Zweck machte der Beteiligte zu 5) vor dem Landgericht Zweibrücken einen Zivilprozess rechtshängig. Die Beteiligten zu 3) und 4) beschränkten sich auf eine außergerichtliche Geltendmachung. Zahlungen auf seinen Pflichtteil hat bislang keiner der Beteiligten zu 3 bis 5) erhalten.

Die Beteiligten zu 3 bis 5) haben die Erteilung eines Erbscheines beantragt, nach dem sie die Erblasserin zusammen mit den Beteiligten zu 1 und 2) jeweils zu 1/5 beerbt haben. Dem sind die Beteiligten zu 1 und 2) entgegengetreten und haben die Stellung eines Erbscheinsantrages in Aussicht gestellt, nach dem allein sie zu je 1/2 Erben ihrer Mutter geworden seien.

Der Nachlassrichter hat am 5.November 1997 einen Vorbescheid erlassen, mit dem er die Erteilung eines Erbscheins entsprechend dem Antrag der Beteiligten zu 3 bis 5) angekündigt hat. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2) hat das Landgericht mit Beschluss vom 8. April 1998 zurückgewiesen. Unter dem 4. Mai 1998 hat das Nachlassgericht den angekündigten Erbschein erteilt.

Die Beteiligte zu 1) hat gegen den Beschluss des Landgerichts vom 8. April 1998 weitere Beschwerde eingelegt, mit der sie die Einziehung des Erbscheins begehrt.

II.

1. Die an keine Frist gebundene weitere Beschwerde ist statthaft und formgerecht eingelegt, §§ 27, 29 Abs. 1, Abs. 4 i.V.m. § 21 Abs. 2 FGG.

a) Die gemäß § 29 Abs. 4, 20 Abs. 1 FGG erforderliche Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 1) folgt für die weitere Beschwerde schon daraus, dass ihre Erstbeschwerde zurückgewiesen worden ist (BGHZ 31, 92, 95; BayObLGZ 1982, 236, 238; Keidel/Kuntze/Winkler, FGG 13. Aufl. § 27 Rdn. 10, jeweils m.w.N.). Im Übrigen ist die Beteiligte zu 1) aber auch deshalb beschwerdeberechtigt, weil ihr in Anspruch genommenes Erbrecht durch den angefochtenen Beschluss beeinträchtigt wird (vgl. BGH FamRZ 1974, 645, 646; BayObLGZ 1982 aaO; BayObLG FamRZ 1976, 101, 102, jeweils m.w.N.).

b) Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 3) ergeben sich aus dem Umstand, dass der durch den Vorbescheid angekündigte Erbschein nach Abschluss des Erstbeschwerdeverfahrens erteilt worden ist, keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der weiteren Beschwerde. Nach Aktenlage ist der Erbschein vom 4. Mai 1998 den Beteiligten zugegangen. Er ist damit wirksam geworden und kann nicht mehr „aufgehoben“ werden. Dadurch ist der Vorbescheid vom 5. November 1997 überholt. Das auf seine Aufhebung gerichtete Verfahren ist gegenstandslos. Gleichwohl kann die weitere Beschwerde aber mit dem Ziel der Einziehung des erteilten Erbscheins (§ 2361 BGB) fortgeführt werden. Die Weiterführung des Beschwerdeverfahrens ohne eine Entscheidung des Nachlassgerichts über die Einziehung ist dabei aus Gründen der Prozessökonomie hinzunehmen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 4. Juli 1995 — 3 W 76/95 und vom 10. August 1993 — 3 W 110/93; BayObLGZ 1982 aaO; BayObLGZ FamRZ 1991, 618, 619 und FamRZ 1976, 101, 103; OLG Karlsruhe FamRZ 1970, 255, 256; Palandt/Edenhofer, BGB 56. Aufl. § 2353 Rdn. 26; Keidel/Kuntze/Winkler aaO § 27 Rdn. 52, jeweils m.w.N.). Die Beteiligte zu 1) will die Einziehung des Erbscheins auch erreichen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sie in ihrer weiteren Beschwerde vom 12. Mai 1998 ausdrücklich einen entsprechenden Sachantrag formuliert hat.

2. In der Sache führt die weitere Beschwerde zu einem vorläufigen Erfolg.

Zur Begründung des angefochtenen Beschlusses hat das Landgericht im wesentlichen ausgeführt, die Strafklausel in Ziffer I.4 des Erbvertrages vom 19. Dezember 1989 sei ihrem Wortlaut nach eindeutig. Ihre Voraussetzungen seien erst dann gegeben, wenn ein Abkömmling seinen Pflichtteil auch erhalten habe. Die Bestimmung sei so eindeutig, daß sie keiner Auslegung im Sinne der Beteiligten zu 1 und 2) zugänglich sei. Im übrigen sei das Pflichtteilsverlangen der Beteiligten zu 3 bis 5) aber auch unbegründet, weil sie zuvor die gemäß § 2306 Abs. 1 und 2 BGB erforderliche Ausschlagung der Nacherbschaft nicht vorgenommen hätten. Solange sich ihr Verhalten nicht als arglistig darstelle, seien die Beteiligten zu 3 bis 5) deshalb in der Lage, wieder von ihrem Pflichtteilsverlangen abzurücken.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung (§§ 27 Abs. 1 FGG, 550 ZPO) nicht in allen Punkten stand.

a) Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist aus § 2306 BGB gegen ein Eingreifen der in Ziffer I.4 des Erbvertrages vom 19. Dezember 1989 enthaltenen Pflichtteilsklausel nichts herzuleiten. Nur dann, wenn ein Pflichtteilsberechtigter als Nach erbe eingesetzt ist und das ihm zugewandte Nacherbenrecht in seiner Größe den gesetzlichen Erbteil übersteigt, hängt die Geltendmachung des Pflichtteils gemäß § 2306 Abs. 2 i.V.m. § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB davon ab, dass der Pflichtteilsberechtigte die Nacherbschaft ausschlägt (vgl. dazu Palandt/Edenhofer aaO § 2306 Rdn. 16; BayObLGZ 1966, 227, 232, jeweils m.w.N.). Im hier zu entscheidenden Falle sind keine Tatsachen festgestellt oder sonst ersichtlich, die eine Auslegung des Erbvertrages vom 19. Dezember 1989 rechtfertigen könnten, nach der die Beteiligten zu 3 bis 5) für den Nachlass ihres erstverstorbenen Vaters zu Nacherben berufen sind. Sowohl nach der ausdrücklichen Klarstellung in Ziffer III des Erbvertrages als auch nach der Auslegungsregel in §§ 2280, 2269 Abs. 1 BGB ist vielmehr davon auszugehen, daß die Beteiligten zu 3 bis 5) lediglich zu Schluss erben des zuletzt verstorbenen Ehegatten, hier also der Erblasserin eingesetzt werden sollten. Dann aber gab es für die Beteiligten zu 3 bis 5) nichts auszuschlagen. Sie waren nach dem Tode ihres Vaters enterbt und konnten aus dessen Nachlass ohne weiteres ihren Pflichtteil fordern (vgl. nur etwa Palandt/Edenhofer aaO § 2269 Rdn. 12; MüKo zum BGB/Frank, 3. Aufl. § 2306 Rdn. 5).

b) Soweit das Landgericht die Auslegungsfähigkeit des notariellen Erbvertrages vom 19. Dezember 1989 in jeder Hinsicht verneint hat, ist dies ebenfalls nicht frei von Rechtsfehlern. Bei der Frage, ob eine letztwillige Verfügung der Auslegung fähig und bedürftig ist, handelt es sich um eine Rechtsfrage, die vom Gericht der weiteren Beschwerde nachzuprüfen ist und deren Verkennung eine Gesetzesverletzung i.S.v. §§ 27 Abs. 1 FGG, 550 ZPO begründet (BayObLG FamRZ 1996, 440; BayObLGZ 1984, 246, 249 f. und 1993, 334, 336, jeweils m.w.N.). Im hier vorliegenden Fall hat das Landgericht dem Erbvertrag die Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit teilweise vorschnell und damit zu Unrecht abgesprochen.

aa) Im Einklang mit den Vorinstanzen sieht der Senat allerdings keinen Anlass, den Erbvertrag für den hier vorliegenden Fall, in dem der Pflichtteil zwar geltend gemacht, aber bis zum Tode des letztversterbenden Ehegatten nicht ausgezahlt worden ist, in einem so weitgehenden Sinne auszulegen, dass bereits die alleinige Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs zur Verwirkung führt.

Ein solches Verständnis der Pflichtteilsklausel kann auch nicht im Wege der ergänzenden Auslegung des Erbvertrages vom 19. Dezember 1989 gewonnen werden; denn dafür fehlen die Voraussetzungen. Zwar mag es sein, dass die Parteien des Erbvertrages die Auswirkungen der Pflichtteilsklausel für die hier eingetretene Fallkonstellation nicht in allen Punkten bedacht hatten. Daraus folgt aber noch nicht, dass unter den gegebenen Umständen der Eintritt der Verwirkung bereits für den Fall des bloßen Pflichtteilsverlangens gewollt gewesen sein könnte. Für einen solchen hypothetischen Willen der Vertragsparteien müsste der Wortlaut der Erbvertragsurkunde zumindest geringe oder unvollkommene Anhaltspunkte enthalten (vgl. dazu etwa BayObLG FamRZ 1993, 1496 und FamRZ 1991, 1234, 1236, jew. m.w.N.). Dies ist jedoch nicht der Fall. Wie die Vorinstanzen in diesem Punkte zutreffend ausgeführt haben, ist der Wortlaut insoweit klar und eindeutig, als er die Verwirkung der Schlusserbenstellung in jedem Falle vom Erhalt des Pflichtteils nach dem Erstversterbenden abhängig macht.

bb) Allein aus dem Wortlaut der Pflichtteilsklausel kann andererseits aber auch nur entnommen werden, daß derzeit (noch) keine Verwirkung eingetreten ist, weil die geltend gemachten Pflichtteilsansprüche (noch) nicht zur Auszahlung gelangt sind. Daraus folgt nicht ohne weiteres, dass auch für die Zukunft keine Verwirkung mehr eintreten kann und nunmehr die Beteiligten zu 3 bis 5) neben den Beteiligten zu 1 und 2) endgültig zu Schlusserben berufen sind. Dies hat das Landgericht bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen und sich dadurch den Blick dafür verstellt, dass sich der Erbvertrag in einer anderen Richtung als auslegungsbedürftig erweist.

(1) Mit einer Pflichtteilsklausel, wie sie in Ziffer I.4 des Erbvertrages vom 19. Dezember 1989 enthalten ist, wird die Schlusserbeneinsetzung der Abkömmlinge des erstversterbenden Ehegatten an eine auflösende Bedingung i.S.v. § 2075 BGB geknüpft, die mit der Zuwiderhandlung gegen die Klausel eintritt (vgl. BayObLGZ 1994, 164, 167 und 1990, 58, 60, sowie FamRZ 1996, 440 und NJW-RR 1988, 968; KG FGPrax 1997, 232, 234; Palandt/Edenhofer aaO § 2269 Rdn. 13, jew. m.w.N.). Dabei ist anerkannt, daß der Eintritt der Bedingung noch nach dem Tode des letztversterbenden Ehegatten herbeigeführt werden kann (vgl. dazu etwa OLG Stuttgart OLGZ 1979, 52 = DNotZ 1979, 104 m.Anm. v. Olshausen; Lübbert NJW 1988, 2706, 2713). In diesem Falle sind die Abkömmlinge des Erstversterbenden bis zum Eintritt der Bedingung mit den ihnen auf den Tod des zweitversterbenden Ehegatten zugewendeten Schlusserbteilen Vorerben, während die übrigen Schlusserben insoweit zu Nacherben berufen sind (OLG Stuttgart aaO; BayObLGZ 1966, 49, 54; Palandt/Edenhofer aaO § 2074 Rdn. 10 und § 2075 Rdn. 3; MüKo zum BGB/Leipold, 3. Aufl. § 2074 Rdn. 9 und 30; Soergel/Loritz, BGB 12. Aufl. § 2075 Rdn. 21).

(2) Nach dem Wortlaut des Erbvertrages vom 19. Dezember 1989 ist auch vorliegend ein Eintreten der Bedingung, unter der die Verwirkung der Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 3 bis 5) stattfinden soll, noch möglich. Die Beteiligten zu 3 bis 5) haben nach den vom Landgericht getroffenen und von keiner Seite angegriffenen Feststellungen bereits zu Lebzeiten der Erblasserin den Pflichtteil gefordert; der Beteiligte zu 5) hat seinen Anspruch sogar eingeklagt. Dem Wortlaut des Erbvertrages zufolge hängt der Eintritt der Verwirkung somit nur noch davon ab, dass der bereits mit dem Tode des Vaters der Beteiligten zu 3 bis 5) entstandene (§ 2317 Abs. 1 BGB) Pflichtteilsanspruch durch die Beteiligten zu 1 und 2) als Miterben nach der Erblasserin erfüllt wird (§ 362 BGB). Bis dahin wären die Beteiligten zu 3 bis 5) lediglich zu Vorerben der Erblasserin berufen; Nacherben wären insoweit die Beteiligten zu 1 und 2). Der den Beteiligten zu 3 bis 5) erteilte unbeschränkte Erbschein wäre unrichtig, weil er die gemäß § 2363 BGB erforderlichen Angaben über die mit der Vorerbschaft verbundenen Beschränkungen nicht enthält und müsste deshalb eingezogen werden (vgl. dazu etwa Firsching/Graf, Nachlaßrecht 7. Aufl. Rdn. 1.309; Palandt/Edenhofer aaO Einf. vor § 2100 Rdn. 17 und § 2363 Rdn. 8; MüKo zum BGB/Promberger aaO § 2361 Rdn. 3 und § 2363 Rdn. 9, jeweils m.w.N.).

cc) Eine andere Betrachtungsweise, von der möglicherweise das Nachlassgericht ausgegangen ist, kann dann veranlasst sein, wenn mit der Pflichtteilsklausel in Ziffer I.4 des Erbvertrages eine Verwirkung der Schlusserbeneinsetzung nur für den Fall angeordnet werden sollte, dass ein geltend gemachter Pflichtteil spätestens bis zum Tode des Letztversterbenden ausgezahlt ist. Gerade dazu bedürfte es aber einer Auslegung des Erbvertrages, deren Möglichkeit das Landgericht verneint hat. Eine solche Auslegung führt zwar zu Zufälligkeiten, wenn wie vorliegend die vertragsschließenden Eheleute relativ kurz hintereinander versterben (vgl. dazu Lübbert aaO S. 2713). Gleichwohl erscheint sie aber nicht von vorn herein ausgeschlossen. Sie kann dann in Betracht kommen, wenn die Vertragspartner des Erbvertrages mit der Pflichtteilklausel letztlich nur Sorge dafür tragen wollten, dass dem Längerlebenden von ihnen der Nachlass bis zum zweiten Erbfall ungeschmälert zur Verfügung steht (vgl. dazu v. Olshausen DNotZ 1979, 707, 719 f.). Dazu bedarf es allerdings näherer Feststellungen zum Erblasserwillen, die in den Vorinstanzen bislang nicht getroffen worden sind.

dd) Denkbar wäre es schließlich auch, die Pflichtteilsklausel dahin auszulegen, dass ein Verwirkungseintritt zwar grundsätzlich auch nach dem Tode des Längstlebenden möglich ist, den Abkömmlingen des Erstversterbenden aber bis zur tatsächlichen Auszahlung des Pflichtteils die Möglichkeit verbleiben soll, einseitig von der Geltendmachung des Pflichtteils Abstand zu nehmen. Die Annahme eines solchen Wegfalls der Sanktionswirkung einer Pflichtteilsklausel, die das Nachlassgericht in erster Instanz wohl ebenfalls in Erwägung gezogen hatte, kann dann gerechtfertigt sein, wenn weder das Vermögen, über das der überlebende Ehepartner zu seinen Lebzeiten verfügt hat noch der Nachlass, der den Schlusserben zufließt, gemindert wird (vgl. dazu Lübbert aaO S. 713). Auch insoweit bedarf es aber näherer Feststellungen zur Zielrichtung der Pflichtteilsklausel nach dem Willen der Parteien des Erbvertrages. Gegebenenfalls wird zu berücksichtigen sein, dass die Beteiligten zu 3 bis 5) in ihrem Schriftsatz vom 19. August 1997 erklärt haben, aus ihrem Erbscheinsantrag ergebe sich, dass sie keinen Pflichtteil mehr geltend machen. Hinsichtlich des Beteiligten zu 5) muß dabei aber — auch im Hinblick auf § 852 ZPO — bedacht werden, dass er seinen Pflichtteilsanspruch rechtshängig gemacht hat. Gegebenenfalls werden deshalb Feststellungen dazu zu treffen sein, ob das Verhalten des Beteiligten zu 5) im Zivilprozess mit seinen Erklärungen im Nachlassverfahren im Einklang steht.

3. Die angefochtene Entscheidung beruht darauf, dass das Landgericht die Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit des Erbvertrages verkannt hat. Auf der Grundlage des bisherigen Verfahrensstandes ist es nicht auszuschließen, dass der erteilte Erbschein wieder eingezogen werden muß. Andererseits ist die Sache aber auch nicht zur Endentscheidung reif; so dass das Nachlassgericht nicht schon auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen zur Einziehung des Erbscheins angewiesen werden kann.

Ein Erbschein ist dann unrichtig i.S.v. § 2361 Abs. 1 BGB, wenn die Voraussetzungen für seine Erteilung bereits ursprünglich nicht gegeben waren oder nachträglich entfallen sind. Die Einziehung muss angeordnet werden, wenn die zur Begründung des Erbscheinsantrages notwendigen Tatsachen nicht mehr als festgestellt zu erachten sind, weil die gemäß § 2359 BGB erforderliche Überzeugung des Nachlassgerichts von dem bezeugten Erbrecht über einen bloßen Zweifel hinaus erschüttert ist. Ob dies der Fall ist, kann aber erst nach vollständiger Aufklärung des Sachverhalts und abschließender Würdigung des dabei gewonnenen Ergebnisses beurteilt werden (BGHZ 40, 54, 56 ff.; BayObLGZ 1966, 233, 236; OLG Stuttgart BwNotZ 1986, 36; Senatsbeschluß vom 4. Juli 1995 — 3 W 76/95; Müko zum BGB/Promberger aaO § 2361 Rdn. 20 f.; Staudinger/Firsching, BGB 13. Aufl. § 2361 Rdn. 15, jeweils m.w.N.).

4. Der angefochtene Beschluss ist nach alledem aufzuheben. Im Hinblick darauf, dass beide Vorinstanzen bislang keine Ermittlungen zu dem mit der Pflichtteilsklausel verfolgten Willen der Vertragsparteien des Erbvertrages vom 19. Dezember 1989 getroffen haben, macht der Senat dabei von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an das Nachlassgericht zurückzuverweisen (vgl. dazu Keidel/Kuntze/Winkler aaO § 27 Rdn. 66 c m.w.N.), das gemäß §§ 2361 Abs. 1 BGB, 72 FGG ohnehin für eine etwaige Einziehung des Erbscheins funktionell zuständig wäre.

Das Nachlassgericht wird nunmehr unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats über das Einziehungsbegehren zu entscheiden haben. Dafür werden die erforderlichen Ermittlungen zum Erblasserwillen nachzuholen sein (§ 12 FGG). Insoweit erscheint es zum einen geboten, die Beteiligten persönlich zu der Frage anzuhören, welchen Zweck die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann mit der Pflichtteilsklausel in Ziffer I.4 des Erbvertrages vom 19. Dezember 1989 verfolgt haben. Zum anderen wird es erforderlich sein, dazu auch den Urkundsnotar zu befragen (vgl. dazu auch BayObLG FamRZ 1993, 366, 367 m.w.N.). Gegebenenfalls wird es auch geboten sein, die Akten des von dem Beteiligten zu 5) über seinen Pflichtteilsanspruch rechtshängig gemachten Zivilprozesses beizuziehen.

4. Da die weitere Beschwerde nur einen vorläufigen Erfolg hat, bleibt dem Landgericht auch die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der Erstbeschwerde und der weiteren Beschwerde vorbehalten.

Den Wert des Beschwerdegegenstandes hat der Senat gemäß §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 1, 107 Abs. 2, 108 KostO unter Berücksichtigung des Interesses der Beschwerdeführerin an der Einziehung festgesetzt.

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