OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.02.2022 – OVG 6 S 58/21

März 16, 2022

OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.02.2022 – OVG 6 S 58/21

Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. Dezember 2021 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe
Der Antragsteller ist Redakteur einer Tageszeitung. Er begehrt, der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihm Auskunft darüber zu erteilen,

1. ob Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Stephan Harbarth bei ihrem Begrüßungsgespräch anlässlich des „institutionellen Interorganaustauschs“ zwischen Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht am 30. Juni 2021 im Bundeskanzleramt die allgemeine Situation in der Covid-Pandemie angesprochen haben,

2. ob Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Stephan Harbarth bei ihrem Begrüßungsgespräch anlässlich des „institutionellen Interorganaustauschs“ zwischen Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht am 30. Juni 2021 im Bundeskanzleramt die politische oder legislative Bewältigung der Covid-Pandemie angesprochen haben,

3. welche konkreten Themen oder Sachbereiche in Bezug auf die Bewältigung der Covid-Pandemie Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Stephan Harbarth bei ihrem Begrüßungsgespräch anlässlich des „institutionellen Interorganaustauschs“ zwischen Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht am 30. Juni 2021 im Bundeskanzleramt angesprochen haben, insbesondere, ob sie eine Impfpflicht angesprochen haben.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, der Antragsteller habe einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug der beabsichtigten Berichterstattung seien nicht dargetan. Das Vorbringen des Antragstellers, er knüpfe mit seinem Auskunftsbegehren unmittelbar an die vielfältigen Diskussionen über den „Interorganaustausch“ zwischen Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht bzw. das gemeinsame Abendessen von Mitgliedern dieser Verfassungsorgane am 30. Juni 2021 im Bundeskanzleramt und mögliche Zusammenhänge mit laufenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht an, lasse nicht erkennen, dass gerade an den Inhalten des Begrüßungsgesprächs ein gesteigertes öffentliches Interesse bestehe. Insbesondere seien konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die COVID-19-Pandemie, staatliche Maßnahmen zur Bewältigung dieser Pandemie oder bei dem Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren Gegenstand des Begrüßungsgesprächs gewesen sein könnten, weder vorgetragen noch ansonsten ersichtlich.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Ob unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens der Würdigung des Verwaltungsgerichts gefolgt werden kann, an der begehrten Auskunft bestehe kein gesteigertes öffentliches Interesse, bedarf hier keiner Klärung. Denn das Verwaltungsgericht hat den Antrag jedenfalls im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

Die Beschränkung der gerichtlichen Sachprüfung im Beschwerdeverfahren auf die vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) erfasst nicht die tatsächlichen und rechtlichen Gründe, die für die Ergebnisrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung sprechen. Die Vorschrift des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO bezieht sich nur auf die nach Satz 3 dieser Vorschrift vom Beschwerdeführer darzulegenden Gründe gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (vgl. Senatsbeschluss vom 21. November 2019 – OVG 6 S 47.19 – juris Rn. 22). Eine Stattgabe durch das Beschwerdegericht setzt allerdings voraus, dass die angefochtene Entscheidung sich auch nicht aus anderen als den vom Verwaltungsgericht angenommenen Gründen als im Ergebnis richtig erweist (vgl. Schenke in: Kopp, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 146 Rn. 43; Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 115; OVG Saarlouis, Beschluss vom 30. Oktober 2012 – 3 B 229/12 – juris Rn. 4). Das Beschwerdegericht hat daher zu prüfen, ob eine aus Sicht des Beschwerdeführers fehlerhaft begründete Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis gleichwohl richtig ist.

Dies ist vorliegend zu bejahen. Der Antrag des Antragstellers auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung muss ohne Erfolg bleiben, weil ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO sind dabei die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs (Anordnungsanspruch) sowie die Gründe, die die Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung bedingen (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Dem Wesen und dem Zweck des Verfahrens entsprechend können mit der einstweiligen Anordnung grundsätzlich nur vorläufige Regelungen getroffen werden, die dem Antragsteller nicht schon im vollen Umfang das gewähren, was Klageziel eines Hauptsacheverfahrens ist. Begehrt der Antragsteller – wie hier – die Vorwegnahme der Hauptsache, setzt die Gewährung vorläufigen Rechtschutzes unter anderem voraus, dass ein Obsiegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.

Anspruchsgrundlage für die begehrten Auskünfte ist wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz der Länder und Untätigkeit des zuständigen Bundesgesetzgebers unmittelbar Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Danach können Vertreter der Presse auf hinreichend bestimmte Fragen behördliche Auskünfte verlangen, soweit die entsprechenden Informationen bei der Behörde vorhanden sind und schutzwürdige Interessen öffentlicher Stellen oder Privater an der Vertraulichkeit nicht entgegenstehen. Bei einer Behörde tatsächlich vorhandenen sind diejenigen Informationen, die zum Zeitpunkt des begehrten Informationszugangs tatsächlich vorliegen. Das Auskunftsrecht führt demgegenüber zu keiner Informationsbeschaffungspflicht der Behörde. Müssten Informationen erst durch Untersuchungen generiert werden, sind sie als Gegenstand des Auskunftsanspruchs noch nicht vorhanden (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 6 A 2/12 – juris Rn. 30; Urteil vom 26. April 2021 – 10 C 1/20 – juris Rn. 24).

Nach den vom Antragsteller nicht in Zweifel gezogenen, plausiblen Angaben der Antragsgegnerin gibt es bei ihr keinerlei Dokumentation zum Inhalt des Begrüßungsgesprächs zwischen der früheren Bundeskanzlerin und dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juni 2021 (Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 6. Dezember 2021, S. 6 ). Zwar können zu den bei einer auskunftspflichtigen Stelle vorhandenen Informationen auch auf dienstliche Vorgänge und Wahrnehmungen bezogene Informationen gehören, die nicht verschriftlicht bzw. nicht aktenkundig gemacht wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Juli 2021 – 6 A 10/20 – juris Rn. 22). Zur Erteilung von Auskünften insoweit bedarf es ggf. einer Abfrage des präsenten dienstlichen Wissens bei der nach der internen Geschäftsverteilung sachlich zuständigen Stelle oder bei einem für den abgefragten Sachverhalt sachlich zuständigen Mitarbeiter der Behörde (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Januar 2022 – OVG 6 S 40/21 – juris Rn. 13). Es kann hier dahinstehen, ob der Einwand der Antragsgegnerin zutrifft, dass sich die Pflicht zur Abfrage präsenten dienstlichen Wissens von vornherein nicht auf ein individuelles Kommunikationsverhalten in vertraulich geführten Vier-Augen-Gesprächen beziehen kann. Im vorliegenden Fall ist die Grenze des Auskunftsanspruchs jedenfalls deshalb überschritten, weil die Antragsgegnerin mangels Informationsbeschaffungspflicht nicht die Befragung von Personen schuldet, die – wie die frühere Bundeskanzlerin – mittlerweile aus der auskunftspflichtigen Stelle ausgeschiedenen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Januar 2022 – OVG 6 S 40/21 – juris Rn. 13; BVerwG, Urteil vom 26. April 2021 – 10 C 1.20 – juris Rn. 25).

Die Rüge des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil es den von ihm in der Antragsschrift erbetenen gerichtlichen Hinweis auf die eventuelle Erforderlichkeit weiterer Darlegungen nicht vor seiner Entscheidung erteilt habe, führt ebenfalls nicht zu einer Aufhebung oder Abänderung des angefochtenen Beschlusses. Mit einer solchen Verfahrensrüge kann eine Beschwerde gegen die Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 oder § 123 VwGO von vornherein nicht erfolgreich geführt werden, ohne dass es darauf ankommt, ob der behauptete Verfahrensfehler gegeben ist (vgl. Beschluss des Senats vom 25. Januar 2022 – OVG 6 S 41/21 – juris Rn. 4; ferner OVG Münster, Beschluss vom 22. Februar 2021 – 1 B 2015/20 – juris Rn. 12). Die das Rechtsmittel der Beschwerde für den verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz eröffnende Regelung des § 146 Abs. 4 VwGO ermöglicht eine in den durch § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO gezogenen Grenzen umfassende, nicht von der erfolgreichen Rüge eines Verfahrensfehlers abhängige Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung durch das Oberverwaltungsgericht als zweite Tatsacheninstanz. Der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren ausführlich zu den Voraussetzungen sowohl des Anordnungsanspruchs als auch des Anordnungsgrundes Stellung genommen. Durch dieses Vorbringen und dessen Berücksichtigung im Beschwerdeverfahren würde ein etwaiger erstinstanzlicher Gehörsverstoß ohnehin „geheilt“.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG, wobei der Senat wegen der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache von einer Halbierung des Auffangwertes absieht.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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