OVG Nordrhein-Westfalen, 17.08.2018 – 1 A 2675/15

Dezember 8, 2018

OVG Nordrhein-Westfalen, 17.08.2018 – 1 A 2675/15
Amtlicher Leitsatz:

1.

Der Erbe oder sonstige (Gesamt)Rechtsnachfolger tritt in vollem Umfang in die Rechte und Pflichten des Erblassers oder des sonstigen Rechtsvorgängers ein und damit auch in ein durch einen (rechtswidrigen) Verwaltungsakt begründetes Rechtsverhältnis. Adressat eines Rücknahme- und Rückforderungsbescheides muss daher nicht notwendig der ursprüngliche Zuwendungsempfänger selbst, sondern kann gegebenenfalls auch der Rechtsnachfolger sein.
2.

Der Erbe oder sonstige Gesamtrechtsnachfolger übernimmt dabei die Rechte und Pflichten des Erblassers so, wie sie im Zeitpunkt des Todes des Erblassers bestanden haben.

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand

Die Klägerin ist die Tochter des am 13. Februar 2009 verstorbenen Herrn G. G1. sowie seiner am 30. Mai 2013 verstorbenen Ehefrau N. G1. . Der Vater der Klägerin war mit einem Bemessungssatz von 70 vom Hundert beihilfeberechtigt. Er wurde von seiner Ehefrau beerbt, deren Alleinerbin wiederum die Klägerin ist.

Unter dem 2. März 2009 beantragte die Mutter der Klägerin bei der zuständigen Postbeamtenkrankenkasse die Gewährung einer Beihilfe, unter anderem für eine an ihren zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann adressierte Rechnung des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) Dr. F. & Partner aus E. vom 23. Februar 2009 in Höhe von 325,62 Euro. Diese Rechnung legte die Mutter der Klägerin in Kopie – versehen mit dem handschriftlichen Vermerk „bez. 4.3.2009“ – mit Beihilfeantrag vom 5. März 2009 erneut vor. Beide von der Mutter der Klägerin unterschriebenen Anträge enthielten u.a. folgende formularmäßige Erklärung: „Für die geltend gemachten Aufwendungen wurde bisher weder eine Beihilfe noch eine Leistung der PBeaKK, der privaten Pflegepflichtversicherung oder einer Auslandskrankenergänzungsversicherung beantragt.“

Auf den Antrag vom 2. März 2009 gewährte die Postbeamtenkrankenkasse mit an den Vater der Klägerin adressiertem Beihilfebescheid vom 26. März 2009 für die Rechnung vom 23. Februar 2009 eine Beihilfe in Höhe von 217,93 Euro (70 % von 325,62 Euro = 227,93 Euro abzüglich der Praxisgebühr in Höhe von 10,- Euro). Auf den Antrag vom 5. März 2009 bewilligte die Postbeamtenkrankenkasse mit an die Mutter der Klägerin adressiertem Beihilfebescheid vom 30. März 2009 für diese Rechnung eine Beihilfe in Höhe von 227,93 Euro. Die Beträge wurden in der Folgezeit auf das Konto der Eltern der Klägerin überwiesen.

Nachdem das Amtsgericht X. (S. ) auf Anfrage der Postbeamtenkrankenkasse Auskunft zur Erbnachfolge der Eheleute G. und N. G1. erteilt hatte, nahm diese mit an die Klägerin adressiertem Bescheid vom 16. Mai 2014 die Bewilligung der Beihilfe vom 30. März 2009 in Höhe von 227,93 Euro zurück und forderte die Klägerin zur entsprechenden Rückzahlung auf. Zur Begründung führte sie aus: Man habe im Mai 2014 bemerkt, dass der Vater der Klägerin doppelte Beihilfeleistungen erhalten habe, weil eine Rechnung zweimal vorgelegt worden sei. Die Überzahlung betrage einschließlich der Krankenkassenleistungen 325,62 Euro. Die unter dem 30. März 2009 erfolgte zweite Erstattung werde nach Ausübung des Ermessens zurückgenommen. Entsprechend § 195 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bzw. § 79 PBeaKKS sei der Rückzahlungsanspruch nicht verjährt. Er verjähre erst mit Ablauf von drei Jahren nach Kenntnis des Dienstherrn vom Schaden und der Person des Schädigers. Die Klägerin hafte als Erbin ihres Vaters auch grundsätzlich unbeschränkt für solche Nachlassverbindlichkeiten.

Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 20. Mai 2014 mit der Begründung Widerspruch, sie sei nicht Erbin ihres Vaters geworden. Hilfsweise erhebe sie die Einrede der Verjährung.

Mit Schreiben vom 27. August 2014 teilte die Postbeamtenkrankenkasse der Klägerin mit: Es sei ihr nicht als Pflichtverletzung zuzurechnen, dass der Rückzahlungsanspruch so spät geltend gemacht werde. Aus organisatorischen Gründen könne nicht jeder Beihilfeantrag auf seine Richtigkeit überprüft werden. Außerdem versichere der jeweilige Antragsteller, dass seine Angaben richtig seien und die Erstattung der Aufwendungen nicht bereits beantragt worden sei. Es obliege ihr daher nicht, zu überprüfen, ob Rechnungen bereits eingereicht worden seien. Die Rückforderung überzahlter Beihilfe richte sich nach §§ 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG), 87 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) nach den Bestimmungen der ungerechtfertigten Bereicherung. Der Umstand, dass die Postbeamtenkrankenkasse im Falle einer Überprüfung bereits früher die zu Unrecht erstattete Leistung hätte feststellen können, sei daher ohne Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Rückforderung. Der Anspruch auf Rückzahlung der zu Unrecht gewährten Beihilfeleistungen sei auch nicht verjährt. Für den Beginn der Verjährung sei es unerheblich, zu welchem Zeitpunkt dem Betroffenen eine zu Unrecht erfolgte Erstattung mitgeteilt worden sei. Maßgebend sei allein die Frage, wann die Überzahlung festgestellt worden sei. Nachdem der Postbeamtenkrankenkasse die Überzahlung im Mai 2014 aufgefallen sei, sei am 16. Mai 2014 die Rückforderung geltend gemacht worden. Die Rücknahme für die Vergangenheit sei nach pflichtgemäßem Ermessen erfolgt, weil das Interesse an der Erbringung rechtmäßiger Leistungen das Interesse der Klägerin überwiege, die Leistungen behalten zu dürfen. Auf Vertrauensschutz könne sie sich nicht berufen, weil die Überzahlung darauf beruhe, dass derselbe Beleg zweimal vorgelegt worden sei. Gründe, aus Billigkeit von einer Rückforderung abzusehen, lägen nicht vor.

Mit Schreiben vom 6. September 2014 erwiderte die Klägerin: Die Überzahlung sei der Postbeamtenkrankenkasse mit der zweiten Auszahlung bekannt gewesen. Unerheblich sei, dass daraus erst Jahre später eine rechtliche Schlussfolgerung gezogen worden sei. Der Bearbeiter des zweiten Antrags sei als Wissensvertreter im Sinne von § 166 Abs. 1 BGB anzusehen. Deshalb hätten im Rahmen der Organisationspflicht sämtliche Kenntnisse vorgelegen, die eine Rückforderung des Betrages innerhalb der Verjährungsfrist ermöglicht hätten.

Die Deutsche Post AG, Serviceniederlassung Human Ressources Deutschland, wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 2014 zurück. Die Rückforderung vom 16. Mai 2014 beruhe auf § 48 i.V.m. § 49a VwVfG. Der Rückforderung stehe kein Vertrauensschutz entgegen. Die Beihilfezahlung sei durch unzutreffende Angaben im Sinne von § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG bewirkt worden. Die Mutter der Klägerin habe im Antragsvordruck objektiv unzutreffend erklärt, für die beantragte Leistung noch keine Beihilfe beantragt zu haben. Der Beihilfeberechtigte sei dafür verantwortlich, dass die Belege ordnungsgemäß eingereicht würden. Auf ein Verschulden komme es nicht an. Die Unrichtigkeit der Angaben sei für die Beihilfestelle nicht erkennbar gewesen. Hierdurch werde auch die Einrede der Entreicherung ausgeschlossen. Es komme auch nicht auf Verjährung, sondern auf die Einhaltung der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG an. Es handele sich nicht um eine schlichte Zuvielzahlung. Vielmehr müsse der gewährende Verwaltungsakt zuvor zurückgenommen werden. Die Beihilfestelle der Deutschen Post AG führe in allen Fällen einer Doppelbeantragung eine Rückforderung durch. Es sei kein schutzwürdiger Gesichtspunkt erkennbar, der einer Rückforderung entgegenstehe. Billigkeitserwägungen führten aber dazu, eine Rückzahlung in zwei Teilraten von je 113,97 Euro anzubieten.

Die Klägerin hat am 14. November 2014 Klage erhoben.

Zu deren Begründung hat sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Ergänzend hat sie vorgetragen: § 48 Abs. 4 VwVfG setze nicht zwingend eine nachträgliche Kenntniserlangung voraus. Es sei anzunehmen, dass beide Anträge von demselben Sachbearbeiter behandelt worden seien. Unter dem Gesichtspunkt des Organisationsverschuldens müsse sich die Beklagte so behandeln lassen, als hätte sie zu dem Zeitpunkt Kenntnis erlangt, in dem bei ordnungsgemäßer Geschäftsführung die zuständige Stelle Kenntnis erlangt hätte. Zudem liege nach fünf Jahren in jedem Fall eine Verwirkung vor.

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

den Bescheid der Postbeamtenkrankenkasse vom 16. Mai 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Deutschen Post AG Serviceniederlassung Human Ressources Deutschland vom 22. Oktober 2014 aufzuheben.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie im Wesentlichen geltend gemacht: Ihr habe die Befugnis zugestanden, die unstreitig zu viel gezahlte Beihilfe mit Verwaltungsakt von der Klägerin zurückzufordern. Das Bundesverwaltungsgericht habe seine frühere Rechtsprechung, wonach die Beihilfe nicht vererblich sei, mit Urteil vom 22. März 1990 – 2 C 49.87 – geändert. Im Zeitpunkt der Bewilligung und der Auszahlung der Beihilfe habe die antragsberechtigte Ehefrau des beihilfeberechtigten Vaters der Klägerin noch gelebt. Dies sei der Situation gleichzusetzen, dass der Beihilfeberechtigte die Beihilfe noch zu Lebzeiten erhalten hätte. Der mit der durch die Rechtswidrigkeit der Leistungsabrechnung begründete beamtenrechtliche Aufhebungs- und Rückforderungsanspruch habe sich durch den Tod der bevollmächtigten Ehefrau des Beihilfeberechtigten nicht verändert. Die Klägerin sei nach den Grundsätzen der Gesamtrechtsnachfolge in alle Rechte und Verbindlichkeiten des Erblassers eingetreten. Hierzu gehöre auch der Rückforderungsanspruch. Ein derartiger Anspruch könne auch gegenüber den Erben durch Leistungsbescheid geltend gemacht werden. Die Beklagte sei deshalb berechtigt gewesen, die Leistungsabrechnung vom 30. März 2009 durch Verwaltungsakt zurückzunehmen und den Betrag in Höhe von 227,93 Euro zurückzufordern. Anders sei die Rückabwicklung nicht möglich. Es handele sich gerade nicht um die Rückzahlung einer bloßen Überzahlung, sondern um eine Rückforderung nach Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes.

Die angefochtenen Bescheide seien auch materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen der Rücknahme gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 VwVfG sowie für die Rückforderung gemäß § 49a VwVfG lägen vor. Die Leistungsabrechnung vom 30. März 2009 sei bezüglich der Rechnung vom 23. Februar 2009 rechtswidrig, weil der verstorbene Vater der Klägerin für dieselben Aufwendungen bereits eine Beihilfe erhalten habe. Die Klägerin könne sich gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Der verstorbene Vater der Klägerin, vertreten durch seine Ehefrau, habe bei dem zweiten Leistungsantrag vom 5. März 2009 versichert, dass für die geltend gemachten Aufwendungen bisher weder eine Beihilfe noch eine Leistung der Postbeamtenkrankenkasse beantragt worden sei. Diese Angabe sei falsch gewesen, denn der Vater der Klägerin habe bereits einen Leistungsantrag für dieselben Aufwendungen gestellt gehabt. Es sei nicht erforderlich, dass die unrichtigen Angaben im Leistungsantrag schuldhaft gemacht worden seien. Der Ausschluss von Vertrauensschutz folge zudem aus § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG. Die Rechtswidrigkeit der zweiten Beihilfeleistung sei von der Mutter der Klägerin jedenfalls grob fahrlässig nicht erkannt worden. Die Rücknahme sei auch nicht ermessensfehlerhaft. Im Rahmen der Ermessensausübung sei zu berücksichtigen, dass der Grund für die Erstellung der fehlerhaften Leistungsabrechnung ausschließlich im Verantwortungsbereich der Klägerin bzw. ihrer verstorbenen Eltern liege bzw. gelegen hätte. Diese hätten zudem die Leistungen doppelt erhalten und nur einmal die Zahlung an die behandelnden Ärzte geleistet. Die Beklagte habe auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG, die eine Entscheidungsfrist darstelle, gewahrt. Vorliegend sei erst am 5. Mai 2014 im Rahmen einer Revision festgestellt worden, dass Leistungen doppelt gewährt worden seien. Da die Leistungsabrechnung vom 30. März 2009 zurecht zurückgenommen worden sei, seien die bereits erbrachten Beihilfeleistungen in Höhe von 227,93 Euro zu erstatten. Die Klägerin könne sich gemäß § 49a Abs. 2 VwVfG auch nicht auf Entreicherung berufen, weil ihre verstorbenen Eltern die Umstände, die zur Rücknahme der Leistungsabrechnung geführt hätten, zumindest in Folge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt hätten.

Mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. Der Beklagten habe die Befugnis zum Erlass des angefochtenen Rücknahme- und Rückforderungsbescheides gefehlt. Zwischen ihr und der Klägerin bestünde keine Sonderrechtsbeziehung, die den Erlass eines Leistungsbescheides rechtfertigen könnte. Dass die Klägerin Alleinerbin nach ihrer Mutter geworden sei, ändere hieran nichts. Zum einen sei auch die Mutter der Klägerin mit Blick auf die Beihilfeleistung nicht die Beihilfeberechtigte gewesen, sondern lediglich die Erbin des Beihilfeberechtigten (ihres vorverstorbenen Ehemannes). Auch eine nach alledem allein mögliche Leistungsklage habe keinen Erfolg, weil ein öffentlich-rechtlicher Rückforderungsanspruch erst durch eine gegenüber der Mutter nicht erfolgte Rücknahme des Beihilfebescheides hätte entstehen können.

Der Senat hat die Berufung der Beklagten mit Beschluss vom 28. Februar 2017 zugelassen.

Die Beklagte trägt zur Begründung der Berufung im Wesentlichen vor: Entgegen der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung sei sie zum Erlass des Rücknahme- und Rückforderungsbescheids gegenüber der Klägerin berechtigt gewesen. Der aufgehobene Bewilligungsbescheid stelle den Rechtsgrund für das Behaltendürfen der empfangenen Beihilfeleistungen auch für die Klägerin dar. Da der Bewilligungsbescheid vom 30. März 2009 rechtswidrig gewesen sei, habe bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls eine abstrakte Verpflichtung zur Rückzahlung der zu Unrecht gezahlten Beihilfe bestanden, die mit der Gesamtrechtsnachfolge übergegangen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könne die mit einer Rückforderung verbundene Rücknahme eines Verwaltungsaktes, mit dem eine Geldleistung gewährt worden sei, auch gegenüber dem (Gesamt-) Rechtsnachfolger des ursprünglichen Adressaten des Verwaltungsaktes als noch Begünstigtem zulässig sein. Ohne Rücknahme des Leistungsbescheides vom 30. März 2009 entstünde eine nicht hinnehmbare Regelungslücke. Der vom Verwaltungsgericht vorgeschlagene Weg der Erhebung einer allgemeinen Leistungsklage sei rechtlich nicht durchsetzbar.

Der angefochtene Rücknahme- und Rückforderungsbescheid sei auch im Übrigen rechtmäßig. Insofern werde auf die Ausführungen in der erstinstanzlichen Klageerwiderung verwiesen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat nach der Zulassung der Berufung durch den Senat schriftsätzlich keinen Antrag gestellt. Sie hat das angefochtene Urteil verteidigt und ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt. Ergänzend hat sie geltend gemacht, der Rückforderungsbescheid sei nicht hinreichend bestimmt, weil aus ihm nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit hervorgehe, wer dessen Adressat sein solle. Sie sei nicht Erbin ihres verstorbenen Vaters. Dies suggeriere jedoch der Rückforderungsbescheid.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs (1 Heft) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Berufung hat Erfolg. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Postbeamtenkrankenkasse vom 16. Mai 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Deutschen Post AG Serviceniederlassung Human Ressources Deutschland vom 22. Oktober 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Der Bescheid enthält mit der Rücknahme des Beihilfebescheids vom 30. März 2009 und der Rückforderung der überzahlten Beihilfe zwei eigenständige Regelungen. Rechtsgrundlage für die Rücknahme ist § 48 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 2 VwVfG, die Rückforderung beruht auf § 49a Abs. 1 VwVfG. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Nach § 49a Abs. 1 VwVfG sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist. Die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen.

Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Beklagte war berechtigt, den Beihilfebescheid vom 30. März 2009 gegenüber der Klägerin durch Verwaltungsakt zurückzunehmen und von ihr die überzahlten Beihilfeleistungen zurückzufordern (dazu 1.). Der Rücknahme- und Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 16. Mai 2014 ist auch in der Sache rechtmäßig (dazu 2.).

1. Die Beklagte war befugt, den Beihilfebescheid mit Verwaltungsakt zurückzunehmen und die Rückzahlung des überzahlten Betrages zu verlangen (dazu a). Sie durfte insoweit – anders als vom Verwaltungsgericht angenommen – die Klägerin als Alleinerbin ihrer Mutter in Anspruch nehmen (dazu b).

a) Ob die Behörde durch Verwaltungsakt handeln darf, bestimmt das maßgebliche materielle Recht. Schon vor Inkrafttreten der §§ 48 ff. VwVfG war insoweit (gewohnheitsrechtlich) anerkannt, dass eine durch Verwaltungsakt zu Unrecht gewährte Leistung – ggf. unter Wahrung des nach dem Rechtsstaatsprinzip (Rechtssicherheit) verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutzes – grundsätzlich durch Verwaltungsakt zurückgenommen und zurückgefordert werden durfte. Die gesetzliche Regelung hat lediglich klargestellt, dass die Behörde in diesen Fällen einen Verwaltungsakt erlassen kann und nicht darauf angewiesen ist, ihren Erstattungsanspruch in Form einer Leistungsklage nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung geltend zu machen. Der Rücknahmeentscheidung als „Gegenakt“ zum (leistungsgewährenden) Grundverwaltungsakt bedarf es wegen des ebenfalls im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatzes der Gesetzesbindung und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Eine Leistungsklage bliebe nämlich aufgrund der bei seiner (bloßen) Rechtswidrigkeit bestehenden Bindungswirkung des gewährenden Verwaltungsakts regelmäßig ohne Erfolg. Der Begünstigte könnte einem Rückforderungsbegehren der Behörde ungeachtet der Schutzwürdigkeit seines Vertrauens immer den wirksamen und ggf. bestandskräftigen Bewilligungsbescheid als Rechtsgrund der empfangenen Leistungen entgegenhalten. Bei dieser Sachlage bestünde schon rechtstechnisch keine Möglichkeit den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen.

Vgl. schon BVerwG, Urteile vom 17. März 1977- VII C 59.75 -, juris, Rn. 16, 17, sowie vom 11. Februar 1983 – 7 C 70.80 -, juris, Rn. 13; auch Sachs, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 48, Rn. 28 ff.

Im Übrigen genügt es vor dem Hintergrund, dass der Verwaltungsakt die typische Handlungsform der Verwaltung gegenüber dem Bürger ist, wenn sich die Befugnis, durch Verwaltungsakt zu handeln, dem Gesetz im Wege der Auslegung entnehmen lässt. Die Behörde ist dabei insbesondere dann zum Erlass eines Leistungsbescheides ermächtigt, wenn sie und der Bürger gerade mit Blick auf den geltend gemachten Leistungsanspruch in einem öffentlich-rechtlichen Über- und Unterordnungsverhältnis – wie etwa im Bereich des Beamten- und Soldatenverhältnisses – stehen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. April 2017 – 2 C 16.16 -, juris, Rn. 15.

Die Befugnis zum Erlass eines Rücknahme- und Rückforderungsbescheids folgt vorliegend aus der gesetzlichen Möglichkeit der §§ 48, 49a VwVfG, den Verwaltungsakt, der der Rechtsgrund für das Behaltendürfen von Beihilfezahlungen ist, in rechtskonformer Weise zu beseitigen und die überzahlten Leistungen zurückerstattet zu bekommen.

Es kommt daher nicht auf die zwischen den Beteiligten erstinstanzlich umstrittene Frage an, ob die Ermächtigung der Beklagten, einen Rücknahme- und Rückforderungsbescheid zu erlassen, in der vorliegenden Konstellation (auch) aus einem früheren Sonderverhältnis zwischen der Beklagten und der auch nach dem Tode ihres Ehemanns weiter beihilfeberechtigten Mutter der Klägerin, an die der Bewilligungsbescheid vom 30. März 2009 zu Recht adressiert war, folgt.

b) Die Beklagte durfte – die Rechtswidrigkeit der Beihilfezahlung zunächst unterstellt – den Rücknahme- und Rückforderungsbescheid, der ausdrücklich die Klägerin als Adressatin benennt, auch dieser gegenüber erlassen. Anspruchsgegner der Rücknahme ist nach § 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VwVfG der Begünstigte des zu beseitigenden Leistungsbescheides, d.h. – in aller Regel – der (ursprüngliche) Adressat des Verwaltungsakts.

Vgl. nur Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 48, Rn. 122.

Dies war hier die Mutter der Klägerin. Die Klägerin ist jedoch nach deren Tod als Alleinerbin nach dem in § 1922 Abs. 1, § 1967 Abs. 1 BGB niedergelegten Grundsatz in die – schon im Zeitpunkt des Erbfalls mit der Möglichkeit der Rücknahme belastete – Rechtsstellung ihrer Mutter innerhalb des durch die Beihilfebewilligung und -zahlung begründeten Rechtsverhältnisses eingetreten. Der Erbe oder sonstige (Gesamt)Rechtsnachfolger tritt in vollem Umfang in die Rechte und Pflichten des Erblassers oder des sonstigen Rechtsvorgängers ein, und damit auch in ein durch einen (rechtswidrigen) Verwaltungsakt begründetes Rechtsverhältnis. Adressat des Rücknahme- und Rückforderungsbescheides muss daher nicht notwendig der ursprüngliche Zuwendungsempfänger selbst, sondern kann gegebenenfalls auch der Rechtsnachfolger sein.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. August 1999 – 3 C 17.98 -, juris, Rn. 17, und Vorlagebeschluss vom 9. Dezember 2004 – 3 C 37.03 -, juris, Rn. 14; ebenso im Beamtenrecht zur Rücknahme eines Versorgungsfestsetzungsbescheides BVerwG, Beschluss vom 3. März 1988 – 2 B 55.88 -, juris, Rn. 3 f.

Nichts Abweichendes gilt für das Beihilferecht. Dieses enthält weder eine eigene Regelung für die Rücknahme von Beihilfebescheiden noch für die Erstattung der ausgezahlten Beihilfebeträge, die im Vermögen der Beihilfeberechtigten aufgegangen und damit vererblich sind.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 1982 – 2 C 23.81 -, juris, Rn. 22, m. w. N.

Jedenfalls vor dem Hintergrund, dass Beihilfeansprüche vererblich sind,

vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 2010 – 2 C 77.08 -, juris.

gilt dies gleichermaßen für den vorliegenden Fall, in dem die Beihilfe für eine ärztliche Behandlung des Beihilfeberechtigten erst nach dessen Tod unmittelbar an seine Ehefrau (und zugleich Erbin) als Begünstigte im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VwVfG geleistet wird und erst nach deren Tod gegenüber ihrer Erbin zurückgenommen wird.

2. Der Rücknahme- und Rückforderungsbescheid ist auch formell und materiell rechtmäßig.

a) Der Rücknahme- und Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 16. Mai 2014 ist nicht formell rechtswidrig, weil die nach § 28 Abs. 1 VwVfG mangels Vorliegens von Ausnahmegründen nach Abs. 2 erforderliche Anhörung der Klägerin vor Erlass des sie belastenden Verwaltungsakts unterblieben ist. Nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ist das Fehlen einer erforderlichen Anhörung unbeachtlich, wenn die Anhörung nachgeholt wird. Dies kann bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens geschehen, vgl. § 45 Abs. 2 VwVfG. Danach ist der Verfahrensfehler geheilt. Die Klägerin hatte im Widerspruchsverfahren nicht nur Gelegenheit, sich zu der Sach- und Rechtslage zu äußern, sie hat diese Gelegenheit auch genutzt.

b) Der angegriffene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids ist auch materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG liegen vor. Vertrauensschutzgesichtspunkte nach § 48 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwVfG greifen nicht ein. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG wurde eingehalten. Das Rücknahmerecht der Beklagten ist weder verjährt noch verwirkt. Das Erstattungsverlangen findet seine Rechtsgrundlage in § 49a Abs. 1 VwVfG. Auch diesem stehen weder die Einrede der Entreicherung noch der Verjährung entgegen.

aa) Der Bewilligungsbescheid vom 30. März 2009 ist ersichtlich rechtswidrig. Für die Rechnung vom 23. Februar 2009 war bereits mit Antrag vom 2. März 2009 die Gewährung einer Beihilfe beantragt und mit Bescheid vom 26. März 2009 in Höhe von 227,93 Euro abzüglich der Praxisgebühr von 10 Euro bewilligt worden. Es bestand daher kein Anspruch mehr auf die Bewilligung erneuter oder weiterer Beihilfeleistungen.

bb) Der Rücknahme des Beihilfebescheids vom 30. März 2009 steht auch kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin entgegen. Nach § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der – wie hier – eine einmalige oder laufende Geldleistung gewährt, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Nach Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren.

Die Klägerin kann sich gemessen hieran nicht auf Vertrauensschutz berufen. Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin überhaupt selbst ein (schützenswertes) Vertrauen aufbauen konnte. Daran könnten Zweifel bestehen, weil sie schon keine Kenntnis davon gehabt haben dürfte, dass ihre Mutter für die Rechnung vom 23. Februar 2009 zweimal Beihilfe beantragte und gewährt bekam. Vertrauensschutz ist vorliegend jedenfalls deshalb ausgeschlossen, weil sie – wie aufgezeigt – als Alleinerbin und Gesamtrechtsnachfolgerin die Rechte und Pflichten ihrer Mutter so übernommen hat, wie sie im Zeitpunkt des Todes ihrer Mutter bestanden haben. Die Mutter der Klägerin konnte sich indes nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn sie hat die erneute Bewilligung von Beihilfe für die Rechnung vom 23. Februar 2009 durch unrichtige Angaben im Sinne von § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG bewirkt. Sie hat fälschlich angegeben, hierfür noch keine Beihilfeleistungen beantragt zu haben. Der daraus folgende Ausschluss von Vertrauensschutz gilt für die Klägerin als deren Erbin nach dem Tod ihrer Mutter fort.

So im Ergebnis in einer ähnlichen Fallkonstellation bereits BVerwG, Urteil vom 25. März 1982- 2 C 23.81 -, juris, Rn. 21, m. w. N.

cc) Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte das ihr durch § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eingeräumte Ermessen nicht oder fehlerhaft ausgeübt hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die von der Beklagten in dem Rücknahme- und Rückforderungsbescheid vom 16. Mai 2014 verwendete Formulierung, dass sie die doppelte Leistungsabrechnung „nach Ausübung des Ermessens“ zurücknehme, genügend zum Ausdruck bringt, dass hier eine ordnungsgemäße, hinreichend begründete Ermessensbetätigung stattgefunden hat. Maßgeblich für die Frage der Rechtswidrigkeit ist der Verwaltungsakt in seiner endgültigen Gestalt, hier des Widerspruchsbescheides. Eine fehlerhafte Ermessensentscheidung der Ausgangsbehörde kann daher durch fehlerfreie Ermessenserwägungen derWiderspruchsbehörde geheilt werden.

Vgl. Wolff, in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 114 Rn. 197.

Auf der Grundlage der im Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 2014 niedergelegten Erwägungen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die Grenzen des ihr zustehenden Ermessens überschritten oder von diesem in einer dem Zweck der Ermächtigungsgrundlage nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hätte (§ 114 Satz 1 VwGO). Es bedurfte im vorliegenden Fall keiner umfassenden Abwägung der gegenläufigen Interessen, weil in Anbetracht des Fehlens von schutzwürdigem Vertrauen keine privaten Belange der Klägerin von Gewicht erkennbar sind, die dem legitimen Interesse der Beklagten, in Fällen der vorliegenden Art dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung möglichst durchgängig Geltung zu verschaffen, entgegenstehen oder diese überwiegen würden.

dd) Die Rücknahme des Bewilligungsbescheids war auch weder verfristet noch verjährt. Auch eine Verwirkung des Rücknahmerechts der Beklagten lag nicht vor.

(1) Nach § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ist die Rücknahme, wenn die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts rechtfertigen, nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Bei dieser Frist handelt es sich nach dem Normzweck nicht um eine Bearbeitungs- sondern eine Entscheidungsfrist. Der zuständigen Behörde wird ein Jahr eingeräumt, um die Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts zu treffen. Daraus folgt, dass die Frist erst bei vollständiger behördlicher Kenntnis der für die Rücknahme maßgebenden Sach- und Rechtslage zu laufen beginnt. Hierzu gehören neben dem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts auch alle Tatsachen, die im Falle des § 48 Abs. 2 VwVfG ein Vertrauen des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts entweder nicht rechtfertigen oder ein bestehendes Vertrauen als nicht schutzwürdig erscheinen lassen, sowie die für die Ermessensausübung wesentlichen Umstände. Die Frist beginnt demgemäß zu laufen, wenn die Behörde ohne weitere Sachaufklärung objektiv in der Lage ist, unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Rücknahme des Verwaltungsakts zu entscheiden.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 1984 – GrSen 1/84 -, juris, Rn. 19, und Urteil vom 28. Dezember 2012 – 2 C 13.11 -, juris, Rn. 27.

Die Auffassung, es genüge, dass die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigenden Tatsachen aktenkundig seien, wird dem Charakter der Jahresfrist nicht gerecht. Diese ist der Behörde zur sachgerechten Entscheidung über die Rücknahme eingeräumt und wird deshalb nicht in Lauf gesetzt, bevor sich die Behörde der Notwendigkeit bewusst geworden ist, wegen der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts über die Rücknahme entscheiden zu müssen. Es ist davon auszugehen, dass die Behörde diese positive Kenntnis erst dann erlangt, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zur Rücknahme des Verwaltungsakts berufene Amtswalter oder ein sonst innerbehördlich zur rechtlichen Überprüfung des Verwaltungsakts berufener Amtswalter die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigenden Tatsachen feststellt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 1984 – GrSen 1/84 -, juris, Rn. 22.

Dies zugrunde gelegt, dringt die Klägerin mit ihrem Vorbringen nicht durch, die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG sei im Zeitpunkt des Rücknahmebescheids abgelaufen, weil der Bearbeiter des zweiten, von der Mutter der Klägerin am 5. März 2009 gestellten Beihilfeantrags als Wissensvertreter im Sinne von § 166 Abs. 1 BGB anzusehen sei, so dass im Rahmen der Organisationspflicht des Beklagten sämtliche Kenntnisse vorgelegen hätten, die eine Rückforderung des Betrages innerhalb der gesetzlichen Frist ermöglicht hätten. Zum einen genügt es – wie aufgezeigt – nicht, dass die zur Rücknahme berechtigenden Tatsachen aktenkundig sind. Zum anderen ist erforderlich, dass die vollständige Kenntnis der zur Rücknahme berechtigenden Tatsachen dem zur Rücknahme des Verwaltungsakts berufenen Amtswalter oder einem sonst innerbehördlich zur rechtlichen Überprüfung des Verwaltungsakts berufenen Amtswalter zur Kenntnis gelangt sind. Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich. Aus den Beihilfebescheiden vom 26. und 30. März 2009, die im Übrigen auch an unterschiedliche Adressaten ergingen, wird weder aus dem Briefkopf noch aus der Unterschriftenzeile deutlich, von welchem Sachbearbeiter diese Bescheide erstellt wurden. Darüber hinaus steht auch nicht fest, ob diese Person die nach innerbehördlichem Organisationsplan die zur Überprüfung bzw. Rücknahme des Bescheides berufene Person war.

(2) Die Rücknahme war auch nicht „verjährt“. Der Lauf der Frist des § 48 Abs. 4 VwVfG bestimmt sich nach Regeln, die diesen Vorschriften selbst zu entnehmen sind; eine analoge Anwendung von Verjährungsrecht scheidet aus.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. August 2017- 10 B 14.16 -, juris, Rn. 6; OVG NRW, Urteil vom 10. Februar 2016 – 19 A 991/12 -, juris, Rn. 97.

(3) Schließlich kann der Rücknahme des Beihilfebescheids vom 30. März 2009 auch nicht entgegengehalten werden, dieses Recht der Beklagten sei als Ausprägung des allgemeinen Rechtsprinzips von Treu und Glauben zum Zeitpunkt seiner Ausübung bereits verwirkt gewesen. Ein Recht ist verwirkt und darf nicht mehr ausgeübt werden, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werden würde (Vertrauenstatbestand) und sich in Folge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Der reine Zeitablauf als solcher kann indes die Annahme einer Verwirkung nicht rechtfertigen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2005 – 8 C 15.04 -, juris, Rn. 25.

Vorliegend fehlt schon die notwendige Vertrauensgrundlage. Denn über denbloßen, allein jedoch nicht ausreichenden Zeitablauf hinaus hat die Beklagte weder gegenüber der Klägerin noch gegenüber deren Mutter deutlich gemacht, dass sie von der ihr zustehenden Rücknahmebefugnis keinen Gebrauch machen würde. Fraglich ist ferner, ob die Klägerin bis zum Ergehen des Rückforderungsbescheides überhaupt von dem Vorgang Kenntnis hatte.

ee) Rechtsgrundlage für die Rückforderung des überzahlten Beihilfebetrages in Höhe von 227,93 Euro ist § 49a VwVfG. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Norm sind, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Nach Satz 2 ist die zu erstattende Leistung durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Es sind vorliegend keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die gegenüber der Klägerin verfügte Rückforderung des an ihre Mutter geleisteten Beihilfebetrags rechtswidrig wäre. Auch gegenüber diesem Anspruch, dessen Entstehen die Rücknahme des Verwaltungsakts voraussetzt, greift weder die Einrede der Entreicherung noch der Verjährung durch.

(1) Die Klägerin kann sich nicht auf eine Entreicherung berufen. Dem steht die Regelung des § 49a Abs. 2 Satz 2 VwVfG entgegen. Danach kann sich der Begünstigte – für dessen Erstattungsumfang nach Satz 1 grundsätzlich die Vorschriften des BGB über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung entsprechend gelten – auf den Wegfall der Bereicherung nicht berufen, soweit er die Umstände kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, die zur Rücknahme des Verwaltungsaktes geführt haben. Davon ist vorliegend auszugehen. Da die Mutter der Klägerin – wie aufgezeigt – den Erlass des Beihilfebescheids vom 30. März 2009 durch unrichtige Angaben bewirkt hat, hätte sie den Grund für die Rücknahme – die rechtswidrige Doppelbeantragung einer Beihilfe – jedenfalls bei gehöriger Anstrengung erkennen müssen, so dass insoweit zumindest eine grob fahrlässige Unkenntnis des zur Rücknahme berechtigenden Umstandes vorlag. Für die Klägerin als Adressatin des Rückforderungsbescheids gilt – wie beim Vertrauensschutz, vgl. oben ausgeführt – nichts Abweichendes, weil sie auch insoweit als Alleinerbin und Gesamtrechtsnachfolgerin in die Rechte und Pflichten ihrer Mutter so eingetreten ist, wie sie im Zeitpunkt des Todes ihrer Mutter bestanden haben.

(2) Schließlich ist der Erstattungsanspruch der Beklagten auch nicht verjährt. Es kann offen bleiben, ob insoweit die kenntnisunabhängige Verjährungsfrist von 30 Jahren gilt oder die (ggf. kenntnisabhängige) kurze dreijährige Verjährungsfrist nach den §§ 195, 199 BGB n. F. auf Erstattungsansprüche nach § 49a Abs. 1 VwVfG anwendbar ist. Ebenfalls offen bleiben kann, ob die Frist erst zu laufen beginnt, wenn der begünstigende Bescheid als Rechtsgrund der Leistung seine Wirksamkeit, etwa durch Rücknahme, verloren hat.

Vgl. zum Meinungsstand zur Verjährung Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 53, Rn. 10 ff. und Falkenbach, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2. Aufl. 2016, § 49a, Rn. 24a und 24a.1.; BVerwG, Beschluss vom 7. August 2018 – 10 B 14/16 -, juris, Rn. 4 (Zulassung der Revision wegen Divergenz zum Fristbeginn).

Der Ablauf der Verjährungsfrist ist vorliegend jedenfalls nach § 53 Abs. 1 Satz 2 VwVfG bis zur Unanfechtbarkeit des Rückforderungsbescheides gehemmt.

Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 25. Juni 2018 – 4 A 1352/16 -, juris, Rn. 24 bis 26 m. w. N.

Bei dessen Ergehen war eine Verjährung unabhängig von den vorstehend angesprochenen Zweifelsfragen noch nicht eingetreten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO und des § 127 des Beamtenrechtsrahmengesetzes nicht gegeben sind.

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