OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.02.2021 – 19 E 145/20

Oktober 17, 2021

OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.02.2021 – 19 E 145/20

Die Möglichkeit, einen Anspruch auf Übernahme der Bestattungskosten aus § 74 SGB XII geltend zu machen, schließt eine unbillige Härte im Sinne von § 24 Abs. 2 VO VwVG NRW aus (wie OVG NRW, Urteil vom 25. Juni 2015 – 19 A 488/13 -, NWVBl. 2016, 68, juris, Rn. 55 ff.).

Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe
Der Senat entscheidet über die Beschwerde durch den Berichterstatter, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO).

Die Prozesskostenhilfebeschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers für das erstinstanzliche Klageverfahren zu Recht mit der Begründung abgelehnt, seine Klage habe keine hinreichende Erfolgsaussicht (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Sein Beschwerdevorbringen gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.

Der Kläger, den die Beklagte als nach § 8 Abs. 1 BestG NRW bestattungspflichtigen Angehörigen als Kostenschuldner für die im Wege der Ersatzvornahme durchgeführte Bestattung seines Vaters heranzieht, macht geltend, das Verwaltungsgericht habe das Vorliegen einer unbilligen Härte im Sinn des § 24 Abs. 2 VO VwVG NRW unter dem Gesichtspunkt unterlassener Unterhaltszahlungen des Vaters nicht wegen dessen angeblich fehlender Leistungsfähigkeit verneinen dürfen. Dieser Einwand ist für die Entscheidung unerheblich (1.), auch wenn er in der Sache berechtigt ist (2.).

1. Auf den genannten Einwand kommt es nicht an, weil das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, dass die Möglichkeit, einen sozialhilferechtlichen Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Bestattungskosten gemäß § 74 SGB XII geltend zu machen, eine unbillige Härte im Sinn des § 24 Abs. 2 VO VwVG NRW ausschließt. Nach § 74 SGB XII werden die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Das Merkmal der Unzumutbarkeit im Sinn des § 74 SGB XII ist dabei so weit zu verstehen, dass das Bestehen einer unbilligen Härte daneben ausgeschlossen ist, weil die Rechtsordnung mit § 74 SGB XII eine Regelung bereitstellt, die gewährleistet, dass sich aus der Bestattung keine unzumutbaren Verpflichtungen ergeben. Insbesondere ist anerkannt, dass zur Begründung der Unzumutbarkeit im Sinn von § 74 SGB XII neben den wirtschaftlichen Voraussetzungen auch weitere Gesichtspunkte herangezogen werden können, die als solche im Allgemeinen sozialhilferechtlich unbeachtlich sind, so solche persönlicher Natur, wie eine gröbliche Verletzung der Unterhaltspflicht des Verstorbenen gegenüber dem Bestattungspflichtigen.

Ausführlich OVG NRW, Urteil vom 25. Juni 2015 – 19 A 488/13 -, NWVBl. 2016, 68, juris, Rn. 55 ff.; näher zur Zumutbarkeit im Sinn des § 74 SGB XII z. B. BSG, Urteil vom 4. April 2019 – B 8 SO 10/18 R -, FamRZ 2020, 63, juris, Rn. 14 ff.; Siefert, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 74 SGB XII Rn. 62 f. m. w. N.

Danach können die vom Kläger vorgebrachten Gesichtspunkte keine unbillige Härte im Sinn von § 24 Abs. 2 VO VwVG NRW begründen, weil sie bereits im Rahmen des sozialhilferechtlichen Übernahmeanspruchs nach § 74 SGB XII zu berücksichtigen sind.

2. Der Senat weist darauf hin, dass er die Einwände des Klägers gegen die Würdigung der unterlassenen Unterhaltszahlungen seines Vaters durch das Verwaltungsgericht für berechtigt hält. Der Kläger macht insoweit geltend, er habe keinen Kontakt zu seinem Vater gehabt, der über Jahre keinen Kindesunterhalt gezahlt habe. Die Stadt I. habe in einem nach Eintritt seiner Volljährigkeit erstellten Schreiben unter Verweis auf drei vollstreckbare Unterhaltstitel des Amtsgerichts I. aus den Jahren 1989, 1996 und 2001 mitgeteilt, dass sein Vater „seiner Unterhaltsverpflichtung in keinster Weise nachgekommen“ sei und ein Gesamtunterhaltsrückstand in Höhe von 32.879,49 Euro bestanden habe. Aufgrund dieser gröblichen Verletzung der Unterhaltspflichten sei seine Inanspruchnahme für die Bestattungskosten entsprechend der Wertung der §§ 1611, 1579 BGB als grob unbillig anzusehen. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts könne man nicht davon ausgehen, dass die Nichtleistung von Unterhalt durch seinen verstorbenen Vater auf mangelnder Leistungsfähigkeit beruht habe. Die familiengerichtliche Rechtsprechung nehme eine Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten nicht nur dann an, wenn er tatsächlich Einkünfte über seinem notwendigen Selbstbehalt erziele, sondern auch dann, wenn er derartige Einkünfte erzielen könnte. Der Umstand, dass familiengerichtliche Unterhaltsbeträge gegen seinen Vater festgesetzt worden seien, zeige, dass das Familiengericht seinerzeit nicht von einer mangelnden Leistungsfähigkeit ausgegangen sei.

Diese Einwände sind in der Sache berechtigt. Nach den vorliegenden Erkenntnissen spricht alles dafür, dass der verstorbene Vater des Klägers seine Unterhaltspflichten ihm gegenüber gröblich verletzt hat, weil er sich seiner Unterhaltspflicht fast von Anfang an vollständig entzogen hatte. Die Unterhaltspflicht entfällt bei fehlender Leistungsfähigkeit im Sinn des § 1603 BGB. Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten hängt aber nicht nur von seinen tatsächlichen Einkünften ab. Den unterhaltspflichtigen Vater trifft eine erhöhte Pflicht, zur Begründung seiner Leistungsfähigkeit seine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt voll auszunützen.

OVG NRW, Beschluss vom 2. Februar 1996 – 19 A 3802/95 -, FamRZ 1996, 1472, juris, Rn. 31 m. w. N.; siehe auch Brudermüller, in: Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 1603 Rn. 22 ff.; Langeheine, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 1603 Rn. 97 ff.

Die im genannten Schreiben der Stadt I. aufgeführten gerichtlichen Unterhaltstitel zeigen nicht nur, dass der Vater des Klägers unterhaltspflichtig und leistungsfähig war, sondern auch, dass ihm die Unterhaltspflichten bekannt waren und er sie vorsätzlich nicht erfüllt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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