OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 03.11.2021 – 2 O 127/21

Februar 18, 2022

OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 03.11.2021 – 2 O 127/21

1. Der Wohnsitz des Schuldners i.S.d. § 802e Abs. 1 ZPO bestimmt sich nach §§ 7 – 11 BGB.

2. Mehrere Wohnsitze i.S.d. § 7 Abs. 2 BGB setzen voraus, dass der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse sich gleichermaßen an zwei (oder mehr) Orten befindet.

Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Schuldnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe
I.

Die Schuldnerin richtet sich gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung aus einem Kostenfestsetzungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Halle vom 13. Januar 2021 – 2 B 130/20 HAL -, zugestellt am 14. Januar 2021.

Mit Schreiben vom 10. Februar 2021 forderte der Obergerichtsvollzieher beim Amtsgericht Naumburg die Schuldnerin aufgrund eines Zwangsvollstreckungsauftrags des Gläubigers auf, die Gesamtforderung von 1.017,38 € zuzüglich weiterer Kosten von 40,11 € bis zum 27. Februar 2021 an ihn zu zahlen. Für den Fall, dass sie die Forderung nicht vollständig zahle, lud er die Schuldnerin zur Abgabe der Vermögensauskunft mit anschließender eidesstattlicher Versicherung gemäß § 802c ZPO für den 3. März 2021, 13:30 Uhr in das Gebäude L-Straße 5 in Naumburg.

Am 24. Februar 2021 legte die Schuldnerin hiergegen beim Verwaltungsgericht Halle Erinnerung ein, mit der sie die fehlende Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers nach § 802e ZPO rügte, da sie im Bezirk des Amtsgerichts Naumburg weder einen Wohnsitz habe noch sich dort aufhalte. Das Verwaltungsgericht Halle gab die Erinnerung (als „Irrläufer“) an das Amtsgericht Halle ab. Dieses erklärte sich mit Beschluss vom 23. März 2021 – 53 M 455/21 – für örtlich unzuständig und verwies das Verfahren an das Amtsgericht Naumburg. Mit Beschluss vom 6. April 2021 – 8 M 415/21 – stellte das Amtsgericht Naumburg fest, dass der angerufene Rechtsweg zu den Zivilgerichten unzulässig sei, und verwies das Erinnerungsverfahren an das Verwaltungsgericht Halle.

Mit Beschluss vom 1. September 2021 – 2 D 142/21 HAL – hat das Verwaltungsgericht Halle die Erinnerung abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, die zulässige Erinnerung sei unbegründet. Die Vollstreckung sei nicht zu beanstanden. Der vom Gläubiger beauftragte Gerichtsvollzieher sei für die Vollstreckung gegen die Schuldnerin gemäß § 802e ZPO zuständig. Die Schuldnerin führe ohne Erfolg aus, ihr Wohnsitz liege in der Schweiz, sie verfüge über keinen Wohnsitz in Naumburg. Sie habe in einem zivilrechtlichen Verfahren zwischen den Beteiligten noch im November 2020 selbst vorgetragen, sie halte sich regelmäßig, das heißt, mindestens alle drei Wochen, in Naumburg auf. Ihre dortige Anschrift sei zumindest als „Zweitwohnsitz“ zu bezeichnen. Sie habe zudem das Ausgangsverfahren am Verwaltungsgericht unter der Anschrift in Naumburg geführt, an die nunmehr die Beauftragung des dortigen Gerichtsvollziehers anknüpfe. Es sei danach davon auszugehen, dass ihr Vortrag, sie halte sich regelmäßig in Naumburg in einem Umfang auf, der sogar einem zweiten Wohnsitz gleichkomme, zutreffe. Jedenfalls habe die Schuldnerin nichts dazu vorgetragen, dass sich diese Verhältnisse zwischenzeitlich maßgeblich geändert hätten. Sei danach Naumburg mindestens als (wenn auch nur vorübergehender oder kurzfristiger) Aufenthaltsort anzusehen, sei der am dortigen Amtsgericht ansässige Gerichtsvollzieher für die Durchführung der Vollstreckung durch Abnahme der Vermögensauskunft zuständig und gegen die Art und Weise der Vollstreckung nichts zu erinnern.

II.

Die von der Schuldnerin eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Der Obergerichtsvollzieher beim Amtsgericht Naumburg war für die Ladung der Schuldnerin zur Abgabe der Vermögensauskunft mit anschließender eidesstattlicher Versicherung gemäß § 802e Abs. 1 ZPO örtlich zuständig. Nach dieser Vorschrift ist für die Abnahme der Vermögensauskunft und der eidesstattlichen Versicherung der Gerichtsvollzieher bei dem Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner im Zeitpunkt der Auftragserteilung seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines solchen seinen Aufenthaltsort hat. Hiernach ist die Zuständigkeit des beauftragten Gerichtsvollziehers gegeben. Es ist nämlich davon auszugehen, dass die Schuldnerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Auftragserteilung im Bezirk des Amtsgerichts Naumburg einen zweiten Wohnsitz hatte.

Der Wohnsitz des Schuldners i.S.d. § 802e Abs. 1 ZPO bestimmt sich nach §§ 7 – 11 BGB (Seibel, in: Zöller, ZPO, 34. Auflage 2022, § 802e ZPO Rn. 2). Wohnsitz ist der räumliche Mittelpunkt des gesamten Lebens einer Person (Spickhoff, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2021, § 7 BGB Rn. 13). Hiernach ist anzunehmen, dass die Schuldnerin an der im Rubrum angegebenen Anschrift in der Schweiz ihren Wohnsitz hat, was sie durch Vorlage einer Kopie ihrer Niederlassungsbewilligung glaubhaft gemacht hat. Das wird vom Gläubiger auch nicht in Zweifel gezogen.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Schuldnerin darüber hinaus auf dem in ihrem Eigentum befindlichen Grundstück … in Naumburg, das Gegenstand des Rechtsstreits 2 M 93/20 (2 B 130/20 HAL) war und dort auch als ihre Anschrift angegeben wurde, einen weiteren Wohnsitz hat, zumal sie in einem Schreiben vom 5. November 2020 an das Landgericht Halle im Verfahren 4 O 579/19 erklärt hat, sie halte sich dort regelmäßig, das heißt, mindestens alle drei Wochen auf, so dass diese Adresse zumindest als ihr „Zweitwohnsitz“ zu bezeichnen sei (GA Bl. 57).

Nach § 7 Abs. 2 BGB kann der Wohnsitz gleichzeitig an mehreren Orten bestehen. Mehrere Wohnsitze i.S.d. § 7 Abs. 2 BGB setzen voraus, dass der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse sich gleichermaßen an zwei (oder mehr) Orten befindet (BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2003 – X ARZ 117/03 – juris Rn. 6; Spickhoff, a.a.O., § 7 BGB Rn. 42). Dafür ist zunächst erforderlich, dass die Person mehrere eingerichtete Wohnstätten besitzt. Darüber hinaus müssen diese auch tatsächlich und dauernd – wenn auch nicht gleichzeitig und ununterbrochen – bewohnt werden und auch die sonstigen Lebensverhältnisse zu beiden Orten gewichtige Bezüge haben. Die Person muss die verschiedenen Wohnungen nicht ständig gleichzeitig bewohnen, sondern kann auch abwechselnd den Schwerpunkt an den einzelnen Orten haben (Kannowski, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2013, § 7 BGB Rn. 18). Ein weiterer Wohnsitz ist gegeben, wenn der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse ungefähr gleichmäßig auf die verschiedenen Orte verteilt ist, was auch dann der Fall sein kann, wenn der dauernde, obwohl nicht ununterbrochene Aufenthalt in der Weise wechselt, dass von dem jeweiligen Aufenthaltsort aus die gesamten Lebensverhältnisse schwerpunktmäßig bestimmt werden (BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1985 – 1 C 52.82 – juris Rn. 17).

Gemessen daran ist vorliegend davon auszugehen, dass die Schuldnerin auf ihrem Grundstück … in Naumburg einen weiteren Wohnsitz i.S.d. § 7 Abs. 2 BGB besitzt. Sie hält sich nach eigenen Angaben regelmäßig dort auf und bezeichnet die dortige Anschrift selbst als ihren „Zweitwohnsitz“. Vor diesem Hintergrund hat der Senat keine Zweifel daran, dass sich der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse der Schuldnerin abwechselnd entweder in der Schweiz oder in Naumburg befindet, zumal auch nicht ersichtlich ist, wer außer der Schuldnerin das Haus in Naumburg bewohnt. Es gibt aus der Sicht des Senats keine Anhaltspunkte dafür, dass der Ort in Naumburg nur Schwerpunkt eines begrenzten Teils der Lebensbeziehungen der Schuldnerin ist, etwa nur ihrer gewerblichen Tätigkeit (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1962 – IV ZR 192/61 – BeckRS 1962, 31377797), oder dass es sich bei ihren Aufenthalten in Naumburg nur um Besuchsaufenthalte handelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1985 – 1 C 52.82 – a.a.O. Rn. 17).

Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Vertiefung, ob sich die Schuldnerin – wie sie mit der Beschwerde geltend macht – im Zeitpunkt der Auftragserteilung (§ 802e Abs. 1 ZPO) nicht in Naumburg, sondern in der Schweiz aufgehalten hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung eines Streitwerts ist entbehrlich, da eine streitwertunabhängige Festgebühr nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Haben Sie Fragen? 

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.
© Rechtsanwalt Krau. All rights reserved.
Powered by wearehype.eu.