Rheinschifffahrtsobergericht Köln, 3 U 121/16

Oktober 29, 2021

Rheinschifffahrtsobergericht Köln, 3 U 121/16

Vorinstanz:
Rheinschifffahrtsgericht St. Goar, 4 C 9/14 BSchRh

Tenor:
Die Berufungen gegen das Urteil des Amtsgerichts St. Goar – Rheinschifffahrtsgericht – vom 11.08.2016 (4 C 9/14 BSchRh) werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 20 % und der Beklagte zu 80 %.

Dieses Urteil sowie das Urteil 1. Instanz sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

1
Gründe

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I.

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Die Parteien streiten um ihre Verantwortlichkeit für eine Schiffskollision, die sich am 21.10.2012 gegen 10.20 Uhr bei St. A (B-Kilometer 554,25) in Höhe der Loreley ereignete. Dabei kam es zu einer Kollision zwischen dem im Eigentum des Beklagten stehenden, von ihm als Schiffsführer zu Berg gefahrenen D „C“ (im Folgenden auch: Bergfahrer) und dem zu Tal fahrenden Koppelverband D „E“ (im Folgenden auch: Talfahrer), dessen Eigentümerin die Klägerin ist. Beide Schiffe waren mit Radar und AIS-System ausgerüstet, die auch jeweils in Betrieb waren, zumal zum Zeitpunkt der Havarie im Unfallstellenbereich auf dem B Nebel mit unterschiedlichen Sichtweiten, im Durchschnitt aber zwischen 200 und 250 m herrschte. Vor dem bergfahrenden D „C“ fuhr der Schubverband “F“. Wegen der technischen Daten der genannten Schiffe wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

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Der Schubverband „F“ sprach mit dem Schiffsführer des talfahrenden Koppelverbandes, der zuvor mehrfach auf seine Überlänge aufmerksam gemacht hatte, über Funk ab, dass er unterhalb des Bettecks die Vorbeifahrt des Talfahrers abwarten werde. Der Beklagte teilte dem vorausfahrenden Schubverband „F“ über Kanal 10 mit, dass er ebenfalls warten werde; wo, gab er dabei nicht an. Während sowohl der Talfahrer als auch die „F“ davon ausgingen, dass der Beklagte vor der Engstelle bei den Gsteinen warten werde, wollte er diese Engstelle tatsächlich noch durchfahren und bis zu dem Schubverband „F“ aufschließen.

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Bei Bkilometer 554,3 begegneten sich Berg- und Talfahrer bereits auf Bughöhe und versuchten nun jeweils eine Ausweichbewegung nach Steuerbord. Dabei gerieten die Heckpartien beider Schiffe relativ weit in die Fahrrinnenmitte, so dass eine seitliche Kollision an den Längsseiten der Schiffe nicht vermieden werden konnte.

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An beiden Schiffen entstand nicht unerheblicher Sachschaden. Bei dem Talfahrer wurde das Backbordachterschiff beschädigt. Der Kaskoschaden beläuft sich auf 12.220,00 €. Die von der Klägerin verauslagten Sachverständigengebühren belaufen sich auf 1.166,25 € (netto) und weitere 1.959,20 € netto.

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Die Klägerin hält allein das Verhalten des Beklagten für unfallursächlich, da er nicht vor den Gsteinen gewartet habe. Außerdem habe er seinen bis dahin ungefährlichen Kurs verlassen und sei ausgeschwenkt.

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Die Klägerin hat beantragt,

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den Beklagten zu verurteilen, an sie 15.590,36 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz, und zwar aus 13.631,16 € seit dem 23.01.2012 und aus weiteren 1.959,20 € seit dem 18.04.2014 sowie 1.060,00 € außergerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

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Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er geht von einer Alleinverantwortlichkeit des Talfahrers aus. Dieser sei mit dem Heck seines Schiffes im Kurvenbereich über die Fahrwassermitte hinaus in den Fahrrinnenbereich des Bergfahrers geraten, obwohl im Unfallstellenbereich das Rechtsfahrgebot gelte. Der Beklagte habe noch versucht, dem Fahrfehler des Talfahrers als Maßnahme des letzten Augenblicks dadurch zu begegnen, dass er mit starkem Maschineneinsatz und starkem Ruder versucht habe, nach Steuerbord auszuweichen. Dabei sei jedoch das Achterschiff zwangsläufig zunächst nach Backbord abgegangen. Er habe deshalb unmittelbar nach dem kurzen Steuerbordmanöver sofort wieder auf Backbord ausdrehen müssen, um sein Schiff aufzustrecken. Letztlich habe er aber eine Kollision nicht vermeiden können.

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Die D „C“ wurde auf der Backbordseite mittschiffs beschädigt. Der Kaskoschaden beläuft sich auf 18.838,00 € netto. Diesen Betrag zuzüglich Sachverständigenkosten und Nutzungsausfallersatz verlangt der Beklagte im Parallelverfahren OLG Köln 3 U 122/16 (Amtsgericht St. Goar – Rheinschifffahrtsgericht – 4 C 8/14 BSchRh) von der hiesigen Klägerin und deren Schiffsführer als Gesamtschuldner.

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Das Amtsgericht, das die beiden Parallelverfahren zusammen verhandelt hat, hat die Bußgeldakte der Staatsanwaltschaft Koblenz betreffend das streitige Unfallereignis mit dem Aktenzeichen 2040 Js 36568/14 beigezogen und ein Sachverständigengutachten nebst Ergänzung eingeholt sowie Zeugen befragt.

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Gestützt hierauf ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass beide Schiffsführer für das Unfallereignis mitverantwortlich sind, wobei eine überwiegende Verantwortlichkeit von 80 % bei dem Beklagten liege, der dementsprechend 12.276,37 EUR nebst Zinsen sowie entsprechende außergerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen zu ersetzen habe; für die Berechnung wird auf S. 10 f. des angefochtenen Urteils verwiesen. Es habe dem Gebot nautischer Vorsicht widersprochen, nicht vor den Gsteinen zu warten. Der Bergfahrer habe nicht wissen können, wo genau die „F“ ständig geworden sei, so dass die Gefahr bestanden habe, im engen Kurvenbereich aufstoppen zu müssen. Außerdem hätte ihm bekannt sein müssen, dass die Strömung einen Bergfahrer in Höhe der Gsteine in die Flussmitte drücke, so dass er nicht damit habe rechnen können, an den Gsteinen parallel zum Fahrrinnenrand vorbeizukommen. Dass dem Beklagten, der den Talfahrer frühzeitig bemerkt habe, ein Aufstoppen nicht mehr möglich gewesen sei, sei entweder eine Schutzbehauptung oder auf unaufmerksame Fahrweise zurückzuführen. Der Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, in Ansehung des unerwartet großen Raumbedarfes des Talfahrers bei Umfahren der Kurve eine Rettungsmaßnahme im letzten Augenblick durchgeführt zu haben. Dieses Fahrverhalten des Beklagten sei nur als Korrektur seines eigenen, vorangegangenen Fehlers, nicht an geeigneter Stelle gewartet zu haben, anzusehen.

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Allerdings sei auch dem Talfahrer wegen des Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot eine Mitverantwortung anzulasten. Er hätte einen näheren Kurs zum rechten Fahrrinnenrand hin fahren können, was nach dem Ergänzungsgutachten auch nautisch richtig gewesen wäre. Wäre er lediglich 10 Meter näher am rechten Fahrrinnenrand gefahren, wäre es nicht zu der Kollision gekommen. Bei einer Sichtweite von 200-250 m habe er den roten Tonnenstrich problemlos auch ohne Radar sehen können. Er habe indes in Erwartung verkehrsgerechten Fahrverhaltens des Bergfahrers zunächst einmal nicht davon ausgehen müssen, dass der Bergfahrer die Gsteine noch umrunden würde. Im Hinblick darauf sei er auch nicht auf eine enge Begegnung mit einem Bergfahrer eingestellt gewesen. Da das Rechtsfahrgebot lediglich verlange, den Umständen entsprechend möglichst weit rechts zu fahren, habe sich der Talfahrer zunächst auch nicht darauf einstellen müssen, eine Umrundung der Loreley am roten Tonnenstrich durchführen zu müssen. Das engere Anfahren sei erst geboten gewesen, als er festgestellt habe, dass der Bergfahrer die Gsteine vor der Begegnung doch noch umrunden wollte. Zudem habe der Bergfahrer nicht daran gedacht, dass die Strömung den Bug seines Schiffes – jedenfalls bei nicht strammer Fahrt entlang des grünen Tonnenstrichs mit leicht gegen die Strömung gerichteter Ruderposition – in die Fahrrinnenmitte drücken würde, wodurch er weiter nach Backbord geraten sei und den Raum für den Begegnungsverkehr zusätzlich verengt habe.

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Entsprechend hat das Amtsgericht dem hiesigen Beklagten und dortigen Kläger im Parallelverfahren (nur) 20 % zugesprochen.

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Gegen das Urteil des Amtsgerichts wenden sich – wie auch im Parallelverfahren – beide Seiten mit der Berufung.

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Die Klägerin ist der Ansicht, dass ihr ein Mitverschulden von 20 % nicht anzulasten sei, und begehrt die Verurteilung des Beklagten in voller Höhe. Ihr Schiffsführer habe dem Kanal-10-Gespräch zwischen dem Beklagten und der „F“ entnommen, dass der Beklagte ebenfalls warten werde. Da der Beklagte sich zu diesem Zeitpunkt noch unterhalb der Gsteine befand, seien sowohl der Schiffsführer der Klägerin als auch der Führer der „F“ davon ausgegangen, dass der Beklagte auch dort die Vorbeifahrt des Schubverbands abwarten werde. Dies hätte dem üblichen Vorgehen entsprochen. Außerdem habe sich die Situation dadurch zugespitzt, dass der Beklagte, der zunächst einen zum linksrheinischen Ufer gerichteten ungefährlichen Kurs verfolgt habe, plötzlich Kurs nach backbord genommen habe. Hierfür habe er sich auch über Funk entschuldigt. Der Schiffsführer der Klägerin habe sich dagegen nautisch korrekt und den ungünstigen Witterungsbedingungen entsprechend verhalten und die erste rote Tonne am Grünsgrund so stark angehalten wie möglich. Entgegen den Ausführungen des Sachverständigen und des Amtsgerichts habe er nicht näher an das rechtsrheinische Ufer heranfahren können, da er wegen des Nebels gezwungen gewesen sei, allein nach Radarsicht zu navigieren, wobei ein etwas größerer Sicherheitsabstand zum Ufer einzukalkulieren sei. Den Zeugenaussagen der unbeteiligten, aber praxiserfahrenen Schiffsführer der in der Nähe befindlichen Schiffe, die das Fahrverhalten des Koppelverbands für korrekt hielten, sei der Vorzug zu geben vor den theoretischen Erwägungen des Sachverständigen.

20
Die Klägerin beantragt,

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das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts – Rheinschifffahrtsgerichts – St. Goar vom 11.08.2016 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 15.590,36 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz, und zwar aus 13.631,16 € seit dem 23.01.2012 und aus weiteren 1.959,20 € seit dem 18.04.2014 sowie 1.060,00 € außergerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

22
Der Beklagte beantragt,

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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

24
Mit seiner eigenen Berufung beantragt der Beklagte,

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unter Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts – Rheinschifffahrtsgericht – St. Goar, Az. 4 C 9/14 BSchRh, vom 11.08.2016 die Klage kostenpflichtig abzuweisen und der Klägerin auch die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen.

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Hierzu beantragt die Klägerin,

27
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

28
Der Beklagte hält den Koppelverband für alleinverantwortlich. Die Kollision sei erfolgt, weil dieser in den Gegenverkehr geraten sei, worin ein kapitaler nautischer Fehler liege und nicht nur ein Verstoß gegen das – speziell normierte – Rechtsfahrgebot. Demgegenüber sei ein gedachter Verstoß des Beklagten gegen die aus § 1.04 RheinSchPVO folgende, lediglich einen Auffangtatbestand darstellende allgemeine Sorgfaltspflicht unbedeutend. Richtig sei zwar, dass der Beklagte im Ausgangspunkt noch vor den Gsteinen hätte warten können, dies sei aber unerheblich. Entscheidend sei die Frage, wann der Bergfahrer erkennen konnte, dass aufgrund eines schweren nautischen Fehlers des Talfahrers Gefahr bestehe. Erst dann habe es einer eigenen nautischen Maßnahme bedurft. Dies sei aber erst der Fall gewesen, als ein Aufstoppen vor den Gsteinen nicht mehr möglich gewesen sei. Der auf seiner Fahrrinnenseite fahrende Bergfahrer müsse auch grds. nicht warten, geschweige denn an einer bestimmten Stelle. Er dürfe vielmehr darauf vertrauen, dass sich der übrige Verkehr an die Regeln halte.

29
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere auch wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme, nimmt der Senat auf die angefochtene Entscheidung, die gerichtlich beauftragten schriftlichen Sachverständigengutachten nebst schriftlicher Ergänzung, die erstinstanzlichen Sitzungsprotokolle sowie auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug. Die Akte Staatsanwaltschaft Koblenz (2400 Js 36568/14) ist zum Gegenstand auch der Berufungsverhandlung gemacht worden.

30
II.

31
1. Die zulässigen Berufungen sind unbegründet. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.

32
a) Zu Recht ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass sich die Haftung der an der Kollision beteiligten Schiffseigner für den wechselseitig entstandenen Sachschaden nach den gegenüber § 3 BinSchG für den Kollisionsfall speziellen §§ 92b, 92c BinSchG i.V.m. 823 Abs. 1 BGB richtet (vgl. von Waldstein/Holland, Binnenschifffahrtsrecht, 5. Aufl., § 92 Rn. 1). Nach § 92b BinSchG ist der Schiffseigner zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der durch Verschulden der Besatzung eines der Schiffe herbeigeführt ist. Ist der Schaden durch gemeinsames Verschulden der Besatzungen der beteiligten Schiffe herbeigeführt, so sind die Eigner dieser Schiffe gemäß § 92c BinSchG zum Ersatz des Schadens, der den Schiffen zugefügt wird, nach dem Verhältnis der Schwere des auf jeder Seite obwaltenden Verschuldens verpflichtet. Führt der Schiffseigner sein Schiff selbst – wie hier der Beklagte – kommen ebenfalls die §§ 92-92f BinSchG zur Anwendung (von Waldstein/Holland, aaO, § 92 Rn. 2).

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b) Ebenso nicht zu beanstanden ist, dass das Amtsgericht nach der Beweisaufnahme davon ausgegangen ist, dass hier beiden Seiten ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann.

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aa) So hat der zu Berg fahrende Beklagte gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot aus § 1.04 der RheinSchPVO verstoßen.

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(1) In dieser Bestimmung liegt der beherrschende Grundsatz der Rheinschifffahrt, vermeidbare Risiken aller Art nach Möglichkeit auszuschließen (Bemm/von Waldstein, Rheinschifffahrtspolizeiverordnung, 3. Aufl., § 1.04 Rn. 1). Wer durch zumutbare Sorgfalt ein vermeidbares Risiko hätte abwenden können, kann sich nicht zu seiner Entlastung auf die Regeln der VO berufen (Bemm/von Waldstein, aaO, Rn. 3). § 1.04 der RheinSchPVO gebietet vielmehr, auf die Ausübung von Rechten zu verzichten, wenn deren Durchsetzung mit Sicherheit andere Einheiten in Gefahr bringt. Erforderlich ist die Beachtung der gesteigerten nautischen Sorgfalt (Bemm/von Waldstein, aaO, Rn. 4). Bei sämtlichen Manövern ist mit vorausschauender Umsicht zu verfahren. Stets ist der Weg zu wählen, der das geringere Risiko birgt (Bemm/von Waldstein, aaO, Rn. 18).

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(2) Zwar ist dem Beklagten zuzugeben, dass für den Bergfahrer an dieser Stelle keine ausdrücklich normierte Wartepflicht – etwa im Sinne eines Begegnungsverbots – bestand. Nach den – insoweit nicht angegriffenen – Feststellungen des Amtsgerichts kannte der Beklagte aber die örtlichen Gegebenheiten und Schwierigkeiten, und ihm war – wie sich aus seiner unstreitigen Ankündigung, er werde ebenfalls warten, ergibt – grundsätzlich bewusst, dass es sinnvoll war, ständig zu werden, um den von ihm unstreitig frühzeitig wahrgenommenen zu Tal fahrenden überlangen Koppelverband passieren zu lassen. In dieser konkreten Situation gebot es die allgemeine Rücksichtnahme, dies noch vor der zu diesem Zeitpunkt noch nicht passierten Engstelle an den Gsteinen zu tun, um vermeidbare Risiken bei einer Vorbeifahrt in der Engstelle abzuwenden. Darauf, ob dem Beklagten – wovon das Amtsgericht ausgegangen ist – zusätzlich vorzuwerfen ist, dass er dem Koppelverband nicht über Funk angekündigt hatte, die Gsteine noch passieren zu wollen, um an anderer Stelle ständig zu werden, kommt es hierbei nicht einmal an. Letzteres gilt auch für die Annahmen des Amtsgerichts dazu, dass der Beklagte, obwohl ihm die Strecke nach eigenem Bekunden gut bekannt gewesen sei, nicht daran gedacht habe, dass die Flussströmung oberhalb der Gsteine den Bug seines Schiffes in die Fahrrinnenmitte drücken würde, sowie dazu, dass der Beklagte möglicherweise sogar das Abdriften seines Schiffes in die Fahrrinnenmitte hätte vermeiden können, wenn er von vornherein stramm am grünen Tonnenstrich entlang und mit leicht gegen die auf die Steuerbordseite seines Schiffes drückende Strömung gerichteter Ruderposition zu Berg gefahren wäre.

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(3) Dem Amtsgericht ist ferner darin zuzustimmen, dass ein derartiger Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot nicht generell geringer einzustufen ist als ein gesetzlich ausdrücklich formulierter Verhaltensverstoß, wie hier derjenige gegen das Rechtsfahrgebot aus § 9.07 Ziff. 3 a RheinSchPVO (so auch von Waldstein/Holland, aaO, § 92 c Rn. 22). Maßgeblich kann dagegen nicht zuletzt sein, wer die gefährliche Situation primär verursacht hat (RGZ 67, 4; BGH VersR 1977, 520); derjenige haftet im Verhältnis zu demjenigen, der nur reagiert und dem ein Sekundärverschulden unterläuft, überwiegend (von Waldstein/Holland, aaO, § 92 c Rn. 20). Hier hat aber der Bergfahrer die Unfallsituation dadurch herbeigeführt, dass er nicht an geeigneterer, insbesondere für den Talfahrer zu erwartender Stelle gewartet und zudem seinerseits im Zeitpunkt der Begegnung nicht weit genug das rechte Ufer angehalten hat.

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(4) Daran ändert sich entgegen der Ansicht des Beklagten auch nichts dadurch, dass grundsätzlich jeder Verkehrsteilnehmer davon ausgehen darf, dass die übrigen Verkehrsteilnehmer ordnungsgemäß am Verkehr teilnehmen (vgl. für den Fall einer Schiffskollision an praktisch derselben Stelle des Rheins BGH, VersR 1976, 952, juris-Rn. 10). Dieser Gedanke würde nur weiterführen, wenn dem Beklagten tatsächlich erst ab dem Moment, wo er die Gefahr durch den etwas zu weit mittig fahrenden Talfahrer tatsächlich erkennen konnte, ein Vorwurf zu machen wäre beziehungsweise sein mögliches Fehlverhalten als sogenannte Maßnahme des letzten Augenblicks entschuldigt wäre (vgl. dazu Bemm/von Waldstein, aaO, Rn. 28). Dem ist aber nach dem vorstehend Gesagten nicht so. Die Tatsache, dass auch dem Talfahrer ein – speziell normierter – Sorgfaltsverstoß vorzuwerfen ist, entbindet den Bergfahrer gerade nicht davon, seinerseits – zeitlich vorgelagert – das allgemeine Rücksichtnahmegebot zu befolgen. Wer sich selbst verkehrswidrig verhält, kann sich nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen und von anderen eine optimale Fahrweise verlangen (Bemm/von Waldstein, aaO, Rn. 17); eine Maßnahme des letzten Augenblicks ist nicht unverschuldet, wenn zuvor schuldhaft gehandelt wurde (Bemm/von Waldstein, aaO, Rn. 29).

39
bb) Ebenso wenig zu beanstanden ist aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, dass das Amtsgericht dem Talfahrer eine – wenn auch deutlich geringere – Mitverantwortung angelastet hat. Zweifel im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat der Senat insoweit nicht. Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen hat der Talfahrer hier das rechte Ufer nicht weit genug angehalten, obwohl die Kollision vermeidbar gewesen wäre, wenn er nur 10 Meter näher zum rechten Fahrrinnenrand gefahren wäre. Insoweit ist ihm ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des § 9.07 Ziff. 3 a RheinSchPVO vorzuwerfen. Dies deckt sich mit den durch den Sachverständigen ausgewerteten und dem Senat vorliegenden Radaraufnahmen.

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c) Bei der Festlegung der Quote gemäß § 92c BinSchG, die sich nach dem Verhältnis der Schwere des auf jeder Seite obwaltenden Verschuldens richtet, ist in erster Linie auf das Maß der beiderseitigen Schadensverursachung und erst in zweiter Linie auf das Maß des beiderseitigen Verschuldens abzustellen (KG, VersR 2005, 1308 m.w.N.). Die ex-post-Betrachtung hat sich an der zum Zeitpunkt des Unfalls maßgeblichen Situation zu orientieren und die entscheidenden Kausal- und Verschuldensbeiträge aus der Sicht des optimalen Beobachters zu bewerten, ohne die Sorgfaltspflichten zu überdehnen (BGHZ 3, 261 juris-Rn. 12 ff.). Ist nicht aufklärbar, wessen Verschulden überwiegt, besteht eine Schadensersatzpflicht zu gleichen Teilen (vgl. Rheinschifffahrtsgericht St. Goar, Urteil vom 31.10.2005 – 4 C 2/04 BSchRh, zitiert nach juris).

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aa) So liegt der Fall indes vorliegend, wie das Amtsgericht zutreffend angenommen hat, nicht. Vielmehr ist in der konkreten Situation der Verstoß des Talfahrers gegen das Rechtsfahrgebot, wie er sich auch auf den Radarbildern darstellt und durch den Sachverständigen festgestellt wurde, als deutlich geringfügiger zu bewerten. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigten, dass es sich bei dem Talfahrer um einen besonders langen Schubverband handelte, reger Bergverkehr herrschte und die Sichtverhältnisse eingeschränkt waren. Angesichts dieser Umstände ist der Verstoß des Talfahrers, nicht um weitere 10 m nach rechts gefahren zu sein, was – so der Sachverständige – zur Vermeidung der Havarie geführt hätte, als das geringere Verschulden anzusehen, zumal er aufgrund des Funkverkehrs über Kanal 10 das begründete Vertrauen hegen durfte, der Bergfahrer werde unterhalb der Gsteine warten.

42
bb) Hinzu kommt ein durch das Amtsgericht – von der Berufung nicht angegriffen – festgestellter weiterer Fahrfehler des zuvor bereits seiner (in der konkreten Situation) aus dem allgemeinen Rücksichtnahmegebot folgenden Wartepflicht nicht genügenden Bergfahrers. Dieser zog nicht in Erwägung, dass die Flussströmung oberhalb der Gsteine den Bug seines Schiffes weiter in die Fahrrinnenmitte drücken würde, und fuhr, obwohl ihm der Raumbedarf des Talfahrers bekannt war, nicht stramm am grünen Tonnenstrich entlang. Folgerichtig und von der Berufung ebenfalls nicht angegriffen hat das Amtsgericht die über Funk getätigte Äußerung des Bergfahrers im Zeitpunkt der Kollision als Einräumen eines Fehlers gewertet.

43
cc) Vor diesem Hintergrund unterscheidet sich die vorliegende Havarie grundsätzlich von einer Konstellation, bei der dem Talfahrer bei einem deutlichen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot mehr als die doppelte Mitverantwortung zuerkannt wurde (vgl. den von der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt entschiedenen Fall 453 Z – 7/09, zitiert nach juris, Rn. 42). Bei der insoweit hier deutlich unterhalb einer hälftigen Schadensquote anzusetzenden Haftung des Talfahrers begegnet die vom Amtsgericht angenommene Quote von 80 % zu 20 % keinen Bedenken, die nach den Maßstäben der Überprüfung Veranlassung zur Abänderung der angegriffenen Entscheidung gegeben hätten.

44
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.

45
3. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 Abs. 2 ZPO. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

46
Berufungsstreitwert: 15.590,36 €

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