Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht 5. Zivilsenat, 5 U 171/16 Verbraucherdarlehensvertrag: Verwirkung des Widerrufsrechts im Falle einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung

Februar 3, 2018

 

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht 5. Zivilsenat, 5 U 171/16

Verbraucherdarlehensvertrag: Verwirkung des Widerrufsrechts im Falle einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 25. August 2016 verkündete Urteil des Einzelrichters der 12. Zivilkammer des Landgerichts Kiel wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

 

Die Parteien streiten um den Widerruf eines Verbraucherdarlehens. Der Kläger verlangt eine von ihm und seiner Ehefrau gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung zurück.

 

Die Parteien schlossen den Darlehensvertrag am 21. Dezember 2005. Der Kläger und seine Ehefrau kündigten das Darlehen und zahlten es am 30. Mai 2012 nebst Vorfälligkeitsentschädigung vollständig zurück. Der Kläger widerrief seine auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung am 7. April 2015.

 

Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird im Übrigen Bezug genommen.

 

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen: Der Kläger habe seine auf den Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung nicht allein, sondern nur gemeinsam mit der Mitdarlehensnehmerin widerrufen können.

 

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er vertritt die Ansicht, die Widerrufsbelehrung der Beklagten sei weder gesetzes- noch musterkonform. Der Kläger habe den Vertrag allein widerrufen können. Das Recht zum Widerruf sei nicht verwirkt.

 

Der Kläger beantragt:

 

  1. Unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Kiel vom 25.08.2016, Az. 12 O 360/15, wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger einen Betrag i.H.v. € 15.486,22 zu zahlen.

 

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. € 1.416,10 zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung hat keinen Erfolg. Die Widerrufsbelehrung ist zwar zu beanstanden. Der Kläger kann das Widerrufsrecht auch allein ausüben. Das Widerrufsrecht ist aber verwirkt. Auf die Frage, ob der Kläger Zahlung nur an sich verlangen kann, kommt es daher nicht an.

1.

 

Die hier in Rede stehende Musterwiderrufsbelehrung der Sparkassen ist weder gesetzes- noch musterkonform (BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 – XI ZR 564/15, Rn. 17 f. zur Gesetzeskonformität und Rn. 20 f., 25 zur Musterkonformität).

2.

 

Der Kläger konnte die Darlehensverträge auch allein – ohne Mitwirkung der weiteren Darlehensnehmerin Frau S – widerrufen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2016 – XI ZR 482/15, Rn. 13 f.).

3.

 

Das Widerrufsrecht ist aber verwirkt.

 

Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten (BGH, Urteil vom 27. Juni 1957 – II ZR 15/56; Grüneberg in: Palandt, BGB, 75.Aufl. 2016, § 242 Rn. 87) setzt neben einem Zeitmoment ein Umstandsmoment voraus. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 13. Juli 2004 – XI ZR 12/03; Urteil vom 28. März 2006 – XI ZR 425/04; Urteil vom 25. November 2008 – XI ZR 426/07, juris Rn. 22; Urteil vom 23. Januar 2014 – VII ZR 177/13, Rn. 13; Urteil vom 7. Mai 2014 – IV ZR 76/11, Rn. 39; Urteil vom 12. Juli 2016 – XI ZR 501/15, Rn. 40; Urteil vom 11. Oktober 2016 – XI ZR 482/15, Rn. 30). Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2005 – XII ZR 224/03, juris Rn. 23; Urteil vom 9. Oktober 2013 – XII ZR 59/12, Rn. 7 m.w.N.; Urteil vom 12. Juli 2016 – XI ZR 501/15, Rn. 40; Urteil vom 11. Oktober 2016 – XI ZR 482/15, Rn. 30), ohne dass insofern auf Vermutungen zurückgegriffen werden kann (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2016 – XI ZR 482/15, Rn. 30).

 

Auch das Widerrufsrecht kann verwirkt werden. Einen gesetzlichen Ausschluss des Instituts der Verwirkung hat der Gesetzgeber auch mit dem Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie und zur Änderung handelsrechtlicher Vorschriften nicht eingeführt und damit zugleich zu erkennen gegeben, diesem Institut grundsätzlich schon immer Relevanz im Bereich der Verbraucherwiderrufsrechte zuzuerkennen (vgl. BT-Drucks. 18/7584, S. 147; BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 – XI ZR 501/15, Rn. 39; Urteil vom 11. Oktober 2016 – XI ZR 482/15, Rn. 30).

 

Erteilt der Unternehmer eine unrichtige Widerrufsbelehrung, darf er sich allerdings regelmäßig nicht darauf einrichten, dass der Berechtigte von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch macht (BGH, Beschluss vom 13. Januar 1983 – III ZR 30/82, juris Rn. 4; Urteil vom 19. Februar 1986 – VIII ZR 113/85, juris Rn. 18; Urteil vom 20. Mai 2003 – XI ZR 248/02, juris Rn. 14; Urteil vom 18. Oktober 2004 – II ZR 352/02, juris Rn. 23; Urteil vom 7. Mai 2014 – IV ZR 76/11, Rn. 39). Ein schutzwürdiges Vertrauen kann der Unternehmer grundsätzlich schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil er die Situation selbst herbeigeführt hat, indem er dem Verbraucher keine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erteilte (vgl. dazu unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12, juris Rn. 30; BGH, Urteil vom 7. Mai 2014 – IV ZR 76/11, Rn. 39). Gleichwohl kann auch in diesen Fällen ausnahmsweise von einer Verwirkung ausgegangen werden (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2016 – IV ZR 130/15, Rn. 16; Beschluss vom 22. März 2016 – IV ZR 130/15, Rn. 2).

2.

 

An diesen Maßstäben gemessen, kann sich die beklagte Bank ausnahmsweise auf die Einrede der Verwirkung berufen. Deren Voraussetzungen sind erfüllt.

a)

 

Die Beklagte kann sich ausnahmsweise auf die Einrede der Verwirkung berufen.

 

Zwar kommt eine Verwirkung nach dem Vorstehenden regelmäßig nicht in Betracht, wenn der Unternehmer dem Verbraucher eine falsche Widerrufsbelehrung erteilt. Gleichwohl darf sich der Unternehmer in Einzelfällen darauf einrichten, dass der Darlehensnehmer von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch macht. Gerade bei, wie hier, beendeten Verbraucherdarlehensverträgen kann das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach und er es in der Folgezeit versäumt hat, den Verbraucher nachzubelehren (BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 – XI ZR 501/15, Rn. 41; Urteil vom 11. Oktober 2016 – XI ZR 482/15, Rn. 30). Dies gilt in besonderem Maße, wenn die Beendigung des Darlehensvertrages auf einen Wunsch des Verbrauchers zurückgeht (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2016 – XI ZR 482/15, Rn. 30; a. A. OLG Stuttgart, Urteil vom 24. Januar 2017 – 6 U 96/16, juris Rn. 66).

b)

 

An diesen Maßstäben gemessen, kann sich die Beklagte vorliegend ausnahmsweise auf die Einrede der Verwirkung berufen. Der zwischen dem Kläger und der Beklagten am 21. Dezember 2005 geschlossene Verbraucherdarlehensvertrag ist auf Wunsch des Klägers mit Vereinbarung vom 30. Mai 2012 aufgehoben worden. Der Kläger zahlte die Darlehensvaluta im Mai 2012 vollständig zurück.

 

Sowohl das Zeitmoment als auch das Umstandsmoment sind vorliegend erfüllt.

aa)

 

Das Zeitmoment ist erfüllt.

 

Die für das Zeitmoment maßgebliche Frist beginnt mit dem Zustandekommen des Verbrauchervertrags zu laufen (BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 – XI ZR 501/15, Rn. 40).

 

Die Dauer des Zeitmoments richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Zu berücksichtigen sind die Art und Bedeutung des Anspruchs, die Intensität des von dem Berechtigten geschaffenen Vertrauenstatbestands und das Ausmaß der Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten (Grüneberg in: Palandt, BGB, 76. Aufl. 2017, § 242 Rn. 93). Es muss jedenfalls eine längere Zeit verstrichen sein (Grüneberg in: Palandt, BGB, 76. Aufl. 2017, § 242 Rn. 93); die Regelverjährung von drei Jahren muss dem Berechtigten regelmäßig ungekürzt zur Verfügung stehen (BGH, Urteil vom 20. Juli 2010 – EnZR 23/09, Rn. 22; BGH, Urteil vom 29. Januar 2013 – EnZR 16/12, Rn. 13; BGH, Urteil vom 6. Februar 2014 – I ZR 86/12, Rn. 50).

 

An diesen Maßstäben gemessen, ist im hier vorliegenden Einzelfall das Zeitmoment erfüllt. Nach dem Vertragsschluss im Dezember 2005 vergingen bis zum Widerruf mit Schreiben vom 7. April 2015 nahezu zehn Jahre. Diese Zeitspanne reicht für das Zeitmoment aus. Sie entspricht nahezu der Zehnjahresfrist der kenntnisunabhängigen Verjährung. Mit der Beendigung des Verbraucherdarlehensvertrages, sei es durch Kündigung, durch Aufhebung oder durch Rückzahlung, reduziert sich die Bedeutung des Widerrufsrechts auf Seiten des Berechtigten. Der mit dem Widerrufsrecht an und für sich beabsichtigte Zweck, der Übereilungsschutz, hat sich, obwohl das Widerrufsrecht weiterhin besteht, tatsächlich erledigt (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 – XI ZR 501/15, Rn. 41). Mit der Beendigung erhöht sich demgegenüber die Schutzbedürftigkeit der beklagten Bank. Diese stellt sich, wenn auch im rechtlichen Ergebnis zu Unrecht, tatsächlich auf die Beendigung des Darlehensvertrages ein. In dieser Situation reicht ein Zeitraum von nahezu zehn Jahren aus, um das Zeitmoment zu bejahen.

bb)

 

Auch das Umstandsmoment liegt vor.

Das Umstandsmoment ist erfüllt, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde, sich deshalb hierauf eingerichtet hat und die verspätete Geltendmachung daher gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2004 – II ZR 352/02, juris Rn. 23; BGH, Urteil vom 20. Juli 2010 – EnZR 23/09, Rn. 20; BGH, Urteil vom 11. Oktober 2012 – VII ZR 10/11, Rn. 20 f.; BGH, Urteil vom 29. Januar 2013 – EnZR 16/12, Rn. 13). Gerade im Anwendungsbereich von Verbraucherschutzrechten und damit zusammenhängenden Widerrufsrechten ist dies – wie bereits dargelegt – zwar grundsätzlich möglich (BGH, Urteil vom 20. Mai 2003 – XI ZR 248/02, juris Rn. 14; BGH, Urteil vom 18. Oktober 2004 – II ZR 352/02, juris Rn. 22 ff.; BGH, Urteil vom 12. Dezember 2005 – II ZR 327/04, juris Rn. 24 ff.; BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 – XI ZR 501/15, Rn. 39; Urteil vom 11. Oktober 2016 – XI ZR 482/15, Rn. 30); es sind jedoch strenge Anforderungen an das Umstandsmoment zu stellen. So reicht die einverständliche Abänderung der Konditionen des Darlehensvertrages für sich genommen regelmäßig nicht aus, für die Bank einen konkreten Vertrauenstatbestand zu schaffen (BGH, Urteil vom 17. Oktober 2006 – XI ZR 205/05, Rn. 25). Das Umstandsmoment kommt dann in besonderem Maße in Betracht, wenn die Beendigung des Darlehensvertrages auf einen Wunsch des Verbrauchers zurückgeht (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2016 – XI ZR 482/15, Rn. 30; a. A. OLG Stuttgart, Urteil vom 24. Januar 2017 – 6 U 96/16, juris Rn. 66).

 

An diesen Maßstäben gemessen, hat sich die Beklagte im hier vorliegenden Einzelfall darauf eingerichtet, dass der Kläger von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch mehr machen würde und sie durfte hierauf auch vertrauen. Der Darlehensvertrag von Dezember 2005 war im Mai 2012 aufgehoben worden. Der Kläger zahlte die Darlehensvaluta im Mai 2012 vollständig zurück. Die Beendigung des Darlehensvertrages ging auf den Wunsch des Klägers zurück. Der Kläger erklärte den Widerruf erst mit Schreiben vom 7. April 2015, also nahezu drei Jahre nach der vollständigen Rückzahlung der Valuta. Der Lebenssachverhalt war mithin auf Wunsch des Klägers seit drei Jahren abgeschlossen. Hierauf durfte die Beklagte sich verlassen.

 

Überdies ist das Zeitmoment mit nahezu zehn Jahren ausgesprochen lang. An das Umstandsmoment sind mithin geringere Anforderungen zu stellen. Diese sind aus den vorstehend genannten Gründen jedenfalls erfüllt.

4.

 

Die Frage, ob der Kläger Zahlung an sich verlangen kann, bedarf keiner Entscheidung.

 

Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO). Der Rechtsstreit hat seinen Schwerpunkt in den tatsächlichen Feststellungen. Ob das Widerrufsrecht verwirkt ist, richtet sich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalls, ohne dass insofern auf Vermutungen zurückgegriffen werden kann (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2016 – XI ZR 482/15, Rn. 30). Soweit das Oberlandesgericht Karlsruhe die Auffassung vertreten hat, dass das Umstandsmoment auch drei Jahre nach vollständiger Rückzahlung der Valuta noch nicht erfüllt sei (Urteil vom 14. April 2015 – 57/14, juris Rn. 34), beruht dies auf dem von ihm entschiedenen Einzelfall. Einen Rechtssatz stellt es nicht auf. Überdies widerspräche ein etwaiger Rechtssatz der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: Hiernach sind die Voraussetzungen der Verwirkung in jedem Einzelfall festzustellen; mit Vermutungen kann nicht gearbeitet werden.

 

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